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Christoph Flückiger, Günther Wüsten: Ressourcen­aktivierung

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 01.06.2021

Cover Christoph Flückiger, Günther Wüsten: Ressourcen­aktivierung ISBN 978-3-456-86063-3

Christoph Flückiger, Günther Wüsten: Ressourcenaktivierung. Ein Manual für Psychotherapie, Coaching und Beratung. Hogrefe AG (Bern) 2021. 3., Auflage. 112 Seiten. ISBN 978-3-456-86063-3. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 32,50 sFr.

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Thema

Psychosoziale Krisen sind vom Missverhältnis der aktuellen Belastungen und der wahrgenommenen Bewältigungsmöglichkeiten gekennzeichnet und führen oftmals in einen Zustand umfassender Hoffnungslosigkeit. Beratung und Therapie zielen auf die Reaktivierung der eigenen Handlungsfähigkeit, indem vorhandene Stärken und Fähigkeiten der Hilfe Suchenden aufgegriffen, genutzt und gefördert werden. Das „Manual Ressourcenaktivierung“ bietet konkrete Ansätze und Techniken, wie die Ressourcen eines Menschen in Therapie und Beratung integriert werden können. Der Anspruch der Publikation liegt in der Praxistauglichkeit der dargestellten Interventionen, Fallbeispiele und Arbeitsblätter. Die nun vorliegende dritte Auflage wurde aktualisiert und um Kapitel zur ressourcenorientierten Diagnostik, Wertschätzung eigener Charakterstärken, Umgang mit Beziehungsbrüchen und Förderung sozialer Unterstützung ergänzt.

Autoren und Entstehungshintergrund

Die beiden Autoren arbeiten in der Schweiz als Psychologische Psychotherapeuten und Supervisoren, v.a. in der Funktion der Leitung der Abteilung für Allgemeine Interventionspsychologie und Psychotherapie am Psychologischen Institut der Universität Zürich (Prof. Dr. Christoph Flückiger) und als Leiter des MAS-Programms Psychosoziale Beratung mit Schwerpunkt Ressourcenorientierter Beratung und Entwicklung am Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit (Prof. Dr. Günther Wüsten). Bei der vorliegenden Ausgabe des Manuals handelt es sich um die 3. Überarbeitete und ergänzte Auflage.

Aufbau und Inhalt

Der 100 Textseiten schmale Band ist neben einem Geleitwort (von Bruce E. Wampold) und einer kurzen Einleitung in die Kapitel

  • Systematische Ressourcenanalyse
  • Ressourcenorientierte Gesprächsführung
  • Ressourcenaktivierende Strukturinterventionen
  • Wirksamkeitshinweise des Wirkfaktors Ressourcenaktivierung

gegliedert. Daran schließen sich die Literaturangaben und ein Anhang mit vier Arbeitsblättern, sowie die Autorenangaben an.

Geleitwort und Einleitung stimmen auf die Thematik des Manuals und die Bedeutung der Ressourcenaktivierung im Setting von Beratung und Therapie ein. Dabei betonen Bruce E. Wampold die Dominanz medizinisch-naturwissenschaftlicher Perspektiven, in denen oftmals die Symptomreduktion im Vordergrund steht (zu Lasten einer Ressourcenperspektive) und die beiden Autoren des Manuals die Chancen der Verbesserung des Selbstwirksamkeitserlebens durch Ressourcenaktivierung anhand eines Fallbeispiels.

Ressourcenanalyse und Ressourcenorientierte Gesprächsführung

Die beiden ersten Kapitel zeigen unterschiedliche Perspektiven auf, welche auf die Ressourcenfokussierung zielen, in Diagnostik und Gesprächsführung eingesetzt werden können und im Rahmen bestehender Behandlungsmanuale und Richtlinien eingesetzt werden können. Als Basis dient hier die Systematische Ressourcenanalyse (13), ein Modell, das an das Kongruenzmodell von Grawe anschließt und ausgehend von psychischen Grundbedürfnissen (Orientierung & Kontrolle, Bindung, Selbstwerterhöhung & Selbstwertschutz, Lustgewinn & Unlustvermeidung) und als Ergänzung bestehender Fallkonzeptionen (z.B. Situationsanalysen, Beziehungsanalysen) verwendet werden kann.

Zentrum der Analyse und der daraus abgeleiteten Hypothesen ist die Erschließung sog. „Ressourcenhotspots“ (15), Quellen der Zufriedenheit und des Wohlbefindens, welche in Therapie und Beratung gezielt angesprochen und aktiviert werden. Auf diese Theoriegrundlagen aufbauend (die sich auch als Arbeitsblatt im Anhang wiederfinden) werden im Weiteren diagnosebezogene Fragestrategien zur Erkundung individueller Ressourcen, die Implementierung ressourcenfokussierter Ansätze in Therapie und Beratung („Ressourcenpriming“ als systematische Gesprächsvorbereitung und Fokussierung auf Ressourcen), oder Ansätze ressourcenorientierter Psychodiagnostik (z.B. Validierung der Belastungsfaktoren, Validierung der individuellen Resilienz, Durchbrechen des Schwarzweiß-Denkens) und einer auf Ressourcenorientierung als Grundprinzip im Therapieprozess basierenden Behandlung.

Zur Bedeutung der Ressourcenorientierung -und als Überleitung zum folgenden Kapitel zur Gesprächsführung- definieren Flückiger und Wüsten: „Ressourcenorientierung basiert auf der Annahme, dass Therapien im Rahmen eines Interaktionsmodells durch psychologische Behandlungsprinzipien auf individueller, dyadisch-therapeutischer und sozialer Ebene beeinflusst werden“ (23). Wie dies konkret umgesetzt werden kann erschließen die beiden Autoren im 2. Kapitel.

Die dargestellten Strategien und Gesprächsführungsmethoden reichen von der Wahrnehmung unmittelbar sichtbarer Ressourcen, über das Heranführen an brachliegende Ressourcen, Verbalisationstechniken, die Integration motivationaler Ressourcen, Fokussierung auf problemunabhängige Ressourcen und Förderung problemrelevanter Ressourcen bis hin zu Optimierung und Training verbrauchbarer Ressourcen, deren Förderung und nachhaltige Sicherung. Die einzelnen Gesprächstechniken und Kommunikationsbereiche werden durch kurze Fallvignetten, mögliche (konkret ausformulierte) Fragen und Anwendungsbeispiele konkretisiert, wobei diese Perspektivenbereiche als „Such- und Finde-Heuristiken“ (39) konzipiert sind, um in unterschiedlichen Therapie- oder Beratungsprozessen genutzt zu werden, um sich in komplexen Situationen und Lösungsansätzen bewegen zu können und potenzielle Lösungswege zu definieren. Die im Text ausführlich erörterten Inhalte und Gesprächsstrategien finden sich zu einem weiteren Arbeitsblatt verdichtet im Anhang.

Das Kapitel schließt mit einer Zuordnung ressourcenaktivierender Interventionen in unterschiedlichen Therapiephasen („Ressourcenorientierte Momente“ vor der Therapie, zum Therapieeinstieg, in der Arbeits-/bzw. Veränderungsphase, zum Therapieende und bei Therapieabbruch [45f]) und mit Überlegungen zu „Risiken und Nebenwirkungen ressourcenorientierter Vorgehensweisen“ (zu rasches Umsetzungstempo, Verzicht auf individuelle Fallkonzeption und Problemanalyse, Erfolgsdruck durch intensive Ressourcenthematisierung etc.).

Ressourcenaktivierende Strukturinterventionen

Der folgende Abschnitt beschreibt Interventionen, die ganze Ketten von Ressourcenaktivierungen hervorrufen und einzelne Sitzungen oder Prozessabschnitte strukturieren können. Konkret wird die Arbeit z.B. mit dem Lebenspanorama, Genogramm- und Ecogrammarbeit, soziale Netzwerkarbeit/​soziale Unterstützung, Wunderfrage und Arbeit mit Zielformulierungen/​Visionen, Genusserleben und imaginative Verfahren, die Arbeit mit dem Ressourcentagebuch, Emmotionsdifferenzierung, Refraimingtechniken, Umgang mit sozialen Verlusterfahrungen vorgestellt. Die jeweiligen Unterkapitel führen knapp in die Vorgehensweise/​Technik ein, beschreiben das Vorgehen und mögliche Schwierigkeiten in der Durchführung und beinhalten Angaben zu weiterführender Literatur. Die Hinweise erscheinen hier einerseits knapp und übersichtlich (kein Abschnitt ist länger als vier Seiten), dabei noch ausführlich genug, um für die Praxis erschlossen werden zu können. Mit den dargestellten Interventionsstrategien und Techniken greifen Flückiger und Wüsten bekannte Methoden und Ansätze auf, die sich in der ressourcenorientierten Praxis bewährt und durchgesetzt haben; hier erscheinen sie eingebettet in ein strukturiertes Manual, dessen Grundlage ein theoretisches Grundgerüst ist, womit die vorgestellten Interventionen systematisch eingesetzt werden können und nicht beliebig hinsichtlich Zeitpunkt, Zielsetzung und aktueller Rahmenaspekte erfolgen.

Wirksamkeitshinweise

Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit der Wirksamkeit ressourcenorientierter Therapie und Beratung. Beschrieben werden konkret zwei randomisiert kontrollierte Psychotherapie-Vergleichsstudien und eine naturalistische Vergleichsstudie, deren Ergebnisse darauf hinweisen, dass „Ressourcenpriming sowohl ein äußerst pragmatisches als auch empirisch solide untersuchtes Vorbereitungstool für eine differenzierte stärkenorientierte Psychotherapie“ (11) ist. Als weiterer Forschungsbefund wird beschrieben, dass eine besondere Stärke offensichtlich in kleineren stärkeorientierten Interventionen liegt, bzw. der Wirksamkeitsnachweis bei größeren ressourcenaktivierenden Behandlungspaketen (auch wegen Abgrenzungsproblemen) nicht ausreichend sicher gelingt.

Zielgruppe des Buches

Das Manual Ressourcenaktivierung richtet sich vorwiegend an PsychotherapeutInnen und an weitere klinisch tätige Fachkräfte in Psychologie, Psychiatrie, Sozialer Arbeit, Beratung und klinischer Supervision.

Diskussion

Ein in aller Knappheit (auf 100 Seiten) umfassendes Werk, das die Bedeutung ressourcenorientierter Perspektive in Therapie und Beratung differenziert darstellt, die Möglichkeiten eröffnet und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für die Praxis anbietet. Der Hauptfokus liegt dabei auf psychotherapeutischen Settings, in denen PatientInnen (mehr oder weniger freiwillig) eine Entscheidung zu professioneller Unterstützung gesucht haben und nutzen wollen. Ressourcenaktivierung wird dabei als eine Ebene therapeutischen Vorgehens neben Problemanalyse und differentieller Diagnostik etabliert. Das in Beratungssettings häufig vorzufindende Motiv von Zwang, Unfreiwilligkeit und Pflichtkontakten wird dadurch zunächst weniger abgedeckt, da die Ressource Veränderungsmotivation in vielen Fällen primär erst entwickelt bzw. gefördert werden muss, bevor die Suche nach Lösungen, Aktivierung und Entwicklungsstrategien erfolgreich beginnen kann. Unabhängig von dieser Einschränkung sind die diskutierten Modelle und Theoriebezüge dennoch höchst hilfreich, auch, um aus der Falle von reiner Problembearbeitung, Symptomlinderung und einengenden Perspektiven (Druck, Zuweisung, Erwartungshaltung der unterschiedlichen Akteure etc.) herauszukommen.

Leider fehlen Hinweise zum Umgang mit Krisensituationen, wie sie in Therapie und Beratung häufig vorkommen. Wie hier Ansätze zur Ressourcenaktivierung im akuten Krisengeschehen oder in der Nachbearbeitung und Analyse von Krisen gestaltet werden können, wo auch mögliche Grenzen und Risiken bestehen, ist ein zu wichtiges Thema um nicht in einer 4. Auflage des Manuals aufgenommen zu werden.

Positiv ist die Erweiterung des Manuals um einen Abschnitt zur Erschließung von und Arbeit mit externen sozialen Ressourcen zu werten. Damit gelingt den Autoren die in einzelnen Abschnitten stark psychotherapeutische Ausrichtung des Werks zu öffnen und um psycho-soziale und sozial-strukturelle Aspekte zu erweitern.

Insgesamt gelingt es Flückiger und Wüsten auf knappem Raum ein umfassendes Rahmenkonzept ressourcenaktivierender Therapie und Beratung zu formulieren und vielfältige Hinweise zu konkreten Arbeitsschritten und Interventionen zu vermitteln. Dem Werk sind weitere Neuauflagen zu wünschen, wodurch die Relevanz des Themas und die Entwicklung der Ressourcenorientierung dokumentiert und in die psychosoziale Praxis eingebracht werden.

Fazit

Das Manual Ressourcenaktivierung leistet auf nur 100 Seiten eine fundierte Einführung in die Grundlagen der Ressourcenaktivierung in Therapie und Beratung, erfasst die zentralen Aspekte der systematischen Ressourcenanalyse und -diagnostik und gibt einen systematisierten Überblick über ressourcenorientierte Gesprächsführung anhand bewährter Interventionsformen. Hinweise und Methoden zu ressourcenaktivierenden Strukturinterventionen und die Darstellung wichtiger Ergebnisse aus der Wirksamkeitsforschung runden den Band ab. Ressourcenorientierung und -aktivierung sind im Umfeld von Therapie und Beratung in aller Munde. Das Manual von Flückiger und Wüsten vermittelt dazu die notwendigen Grundlagen, Methoden und Techniken und eröffnet damit neue, dank der verständlichen Sprache und der anschaulichen Beispiele leicht zu entwickelnde Perspektiven. Unbedingt empfehlenswert!

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.

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Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 01.06.2021 zu: Christoph Flückiger, Günther Wüsten: Ressourcenaktivierung. Ein Manual für Psychotherapie, Coaching und Beratung. Hogrefe AG (Bern) 2021. 3., Auflage. ISBN 978-3-456-86063-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28082.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.


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