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Laura Seebauer, Gitta Jacob: Imaginatives Überschreiben

Rezensiert von Inge-Marlen Ropers, 09.11.2022

Cover Laura Seebauer, Gitta Jacob: Imaginatives Überschreiben ISBN 978-3-8017-2821-2

Laura Seebauer, Gitta Jacob: Imaginatives Überschreiben. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2021. 76 Seiten. ISBN 978-3-8017-2821-2. 19,95 EUR. CH: 26,90 sFr.
Reihe: Fortschritte der Psychotherapie - Band 80.

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Thema

Imaginatives Überschreiben ist Titel und Thema des vorliegenden Buches. Dabei geht es den Autorinnen um den Einsatz dieser erlebnisorientierten Technik im psychotherapeutischen Kontext zur Reduktion von negativen Gefühlen, die mutmaßlich mit biografischen Erlebnissen in Zusammenhang stehen. In Form zahlreicher Fallbeispiele demonstrieren sie die Behandlung von Menschen mit emotional belastenden Erinnerungen wie Flashbacks oder Albträumen bei Posttraumatischen Belastungsstörungen, z.B. in Folge körperlichen und sexuellen Missbrauchs, sowie bei negativen Emotionen wie Scham, Schuld, Angst und angstbesetzten Zukunftsfantasien, wie sie bei vielen psychischen Störungen auftreten.

AutorInnen

Dr. phil. Laura Seebauer ist seit 2018 niedergelassene Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis und Leiterin des Freiburger Institutes für Schematherapie (IST-FR). Sie war zuvor als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig an der Universität Freiburg in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie (2008-2014) sowie in der Abteilung für Biologische und Differentielle Psychologie (2014-2018). 2014 Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie), Promotion 2018.

PD Dr. phil. Gitta Jacob ist seit 2013 leitende Psychotherapeutin bei der GAIA AG Hamburg. Sie ist Supervisorin für Verhaltenstherapie und zertifizierte Schematherapeutin. 2003 Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie). 2002–2010 klinische wissenschaftliche Tätigkeit in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg sowie 2010–2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie. 2012 Habilitation.

Entstehungshintergrund

Die Methode des Imaginativen Überschreibens (lat. imaginari, sich vorstellen) wird bereits seit dem späten 19. Jahrhundert angewendet. Erste Erwähnungen (1989) finden sich beim französischen Psychiater und Begründer der modernen Psychotherapie Pierre Janet. Eine gängige Technik ist das Imaginative Überschreiben heute sowohl in der Schematherapie, und mit verschiedenen Abweichungen, in der Hypnotherapie wie auch der Tiefenpsychologie. In den humanistischen Verfahren Gestalttherapie und Psychodrama (Ergänzung Rezensentin) ist der Einsatz von Imaginationen zum Aufspüren und aktiven Bearbeiten belastender früherer Ereignisse immer schon wesentlicher Bestandteil des psychotherapeutischen Vorgehens gewesen. Selbst in die eher kognitiv basierte Transaktionsanalyse hat der Ansatz Einzug gefunden zur aktiven Bearbeitung und zum Umschreiben früher kindlicher Erfahrungen (Skriptarbeit).

Aufbau

Einführung

  1. Beschreibung der Methode
  2. Theorie – Wirkhypothesen
  3. Diagnostik und Indikation
  4. Behandlung
  5. Effektivität und Prognose
  6. Fallbeispiel
  7. Weiterführende Literatur
  8. Literatur
  9. Kompetenzziele und Kontrollfragen

Als Abschluss finden sich im Buchdeckel drei unterschiedlich farbige Karten zur Unterstützung bei der Anwendung der Methode:

  • Kurzanleitung – Imaginatives Überschreiben
  • Gruppenübung – Imaginatives Überschreiben
  • Typische Erinnerungen beim Imaginativen Überschreiben

Zusätzliche Strukturierung:

Kurzkommentare und Definitionen an jedem Textabsatz auf allen Seiten des Buches geben zusätzliche Struktur und Orientierung. Merksätze werden hervorgehoben. Definitionen wie z.B. die zum Sicheren Ort oder zu Diagnostischen Affektbrücken sowiekonkrete Anleitungen sind zusätzlich gerahmt. Gekennzeichnete Beispieldialoge aus der Anwendung des Imaginativen Überschreibens sowie je zwei Tabellen und Abbildungen komplettieren das Buch.

Inhalt

Einführung

Die Autorinnen nehmen die Lesenden gleich zu Anfang direkt mit hinein in ein Fallbeispiel zur Demonstration der Technik. So wird unmittelbar erkennbar, worum es in diesem Buch gehen soll und was mit dem Begriff desImaginativen Überschreibens von immer wieder belastenden inneren Bildern gemeint ist. Erst im Anschluss erfolgen eine zunächst kurze prägnante Definition sowie Informationen zur geschichtlichen Entwicklung und eine Einordnung der Methode in die verschiedenen Therapierichtungen.

Beschreibung der Methode

Seebauer und Jakob geben einen kurzen Überblick über die historische und fachliche Entwicklung des Fachbegriffs des Imaginativen Überschreibens.

Die Autorinnen beschreiben hier die Methode wie folgt:

„Beim Imaginativen Überschreiben handelt es sich um eine Methode zur Reduktion von negativen Gefühlen, die mutmaßlich mit biografischen Erlebnissen in Zusammenhang stehen. Ausgehend vom aktuellen problematischen Gefühl werden Erinnerungsbilder aktiviert und bearbeitet. Dabei können sowohl traumatische Erinnerungen im engeren Sinne als auch andere belastende Erlebnisse, die nicht als Trauma klassifiziert werden können, im Fokus stehen. Eine häufige Anwendung ist die Arbeit mit Erinnerungen an körperlichen oder sexuellen Missbrauch in der Kindheit. Ebenso können aber auch negative interpersonelle Erinnerungen behandelt werden, die eher mit Begriffen wie Vernachlässigung, emotionalem Missbrauch oder emotionaler Deprivation beschrieben werden können. Zudem ist auch die Arbeit mit Erinnerungen an Typ-I-Traumata, also umschriebene einmalige Erlebnisse, die nicht in der Kindheit passiert sind, möglich. Dazu können beispielweise Erinnerungen an Unfälle, Überfälle oder andere schockierende Erfahrungen gehören.

Beim Imaginativen Überschreiben werden die negativen mentalen Bilder aktiviert und im Anschluss so verändert, dass sich ihre emotionale Qualität und ihre kognitive Bedeutung in die gewünschte Richtung verändern. Der Zugriff auf das Erinnerungsbild erfolgt meist mit Hilfe einer Affektbrücke, also einer spontanen Assoziation zwischen einer aktuellen Emotion mit einem Erinnerungsbild (Arntz & Weertmann, 1999; Hackmann, Bennett-Levy & Holmes, 2012). Um das mentale Bild so zu verändern, wird gerade bei Erinnerungen, in denen die Patientin selbst ein Kind ist, häufig eine Helferfigur eingesetzt. Diese kann entweder die Patientin selbst als Erwachsene, der Therapeut oder eine andere reale oder imaginative Figur sein. Neben der Veränderung von dysfunktionalen Grundannahmen zielt die Technik auch und vor allem auf die Veränderung des emotionalen Erlebens. Daher ist es zentral, dass während der Übung durch das veränderte Bild positive Gefühle und eine Befriedigung der eigenen Bedürfnisse erlebt werden.“

Im Weiteren werden Varianten der Anwendung anderer Autor*innen erwähnt sowie Empfehlungen der Verfasserinnen dazu abgegeben.

Theorie-Wirkhypothesen

Die Autorinnen erläutern: […] „Das Imaginative Überschreiben zielt […]auf das emotionale negative selbstbezogene Erleben. So lässt sich das Erleben von Versagen, das sich in der […]Grundüberzeugung spiegelt, beispielsweise über Erinnerungsbilder auslösen, in denen die Patientin von den Eltern harsche Kritik oder Zurückweisung erlebt, weil sie in einer Lebenssituation nicht hervorragend abgeschnitten hat. Das Korrigieren des Erlebens erfolgt entsprechend nicht kognitiv, sondern über das Medium des mentalen Bildes, z.B. indem das Kind von einem Ersatz-Elternteil in den Arm genommen und gelobt wird.“

Anschließend stellen Seebauer und Jakob wesentliche Hypothesen zu den Wirkungsmechanismen der Methode übersichtshaft dar und diskutieren diese, denn bisher gibt es dazu keine abschließend anerkannte Erklärung.

Diagnostik und Indikation

Anhand einer Übersichtsliste (vgl. Hackmann et al., 2012, S. 47–50) werden die häufigsten psychischen Störungen aufgeführt, die mit negativen mentalen Bildern einhergehen, sowie typische biografische Situationen, die dazu im Rahmen von Affektbrücken assoziiert werden.

Die Bedeutung einer sorgfältigen Anamneseerhebung zur Indikationsstellung wird hervorgehoben und mit einer Liste von Beispielfragen für das klinische Interview ergänzt.

Indikation

Die stärkste Indikation zur Anwendung der Technik des Imaginativen Überschreibens besteht lt. Autorinnen in der Anwendung bei Patientinnen mit negativen Emotionen und gleichzeitigem biografischem Bezug. Dazu führen sie mehrere kurze plausible Beispiele an.

Kontraindikationen

Aufgeführt werden z.B. akute Psychosen, akute Intoxikation, Neigung zu starker Dissoziation während der Übung, histrionische Persönlichkeit sowie das Fehlen eines plausiblen biografischen Zusammenhangs zur Symptomatik. Letzteres wird mit Beispielen unterlegt.

Einbettung in die Gesamtbehandlung bzw. das Setting

Die Integration und Durchführung in Einzel- und in Gruppensettings wird erläutert und auf eine Vertiefung in Kapitel 4.5 hingewiesen.

Behandlung

Den größten Umfang des 76-seitigen Bandes nimmt dieses Kapitel mit der ausführlichen Beschreibung der Behandlung ein, das in 27 Unterpunkte unterteilt ist (S. 15–56). In abwechslungsreicher Darstellung und Hervorhebung wichtiger Textpassagen sowie Tabellen, Anleitungen und immer wieder anschaulichen Fallbeispielen erhalten die Lesenden konkrete Instruktionen. Beschrieben werden zunächst die Vorbereitung, die Ermittlung wichtiger biografischer Informationen der Patienten, Gewährleistung eines sicheren Rahmens und des Sicheren Ortes (Reddemann), Strukturierung einer Sitzung, Tipps zur Intensivierung emotionalen Erlebens während der Übung, Formulierungshilfen für die Einführung der Methode beim Patienten und Anregungen zur Nachbereitung der Übung. Die Durchführung der Technik wird in sechs standardisierten Schritten beschrieben, die jeweils in einzelne Unterpunkte unterteilt erklärt und begründet werden. Anschließend wird anhand von Fallbeispielen auf besondere Situationen eingegangen wie z.B. bei intensiven Schuldgefühlen oder ausgeprägten Rache-und Gewaltfantasien u.a.m. Kapitel 4.5. beschreibt Varianten der Technik und Kombinationen mit anderen Methoden. In Kapitel 4.6. wird auf mögliche auftretende Probleme bei der Durchführung eingegangen, wie z. B Dissoziation und Vermeidung bei Patienten.

Effektivität und Prognose

Anhand mehrerer angeführter und mit Abbildungen veranschaulichter Studien wird die Wirksamkeit der Methode wissenschaftlich belegt.

Fallbeispiel

Mit Hilfe eines detailliert aufgeführten Fallbeispiels mit wörtlichen Dialogen werden die sechs Schritte des Imaginativen Überschreibens abschließend noch einmal veranschaulicht.

Kompetenzziele und Lernkontrollfragen

Abschließend bieten die Autorinnen den Lesenden Lernkontrollfragen sowie Antworten zu den Fragen zur Selbstüberprüfung an.

Karten mit Anleitungen für die direkte Durchführung sind im Buchdeckel eingelegt.

Diskussion

Der didaktisch gelungene Aufbau lässt den 76seitigen Band sowohl zu einer perfekten praktischen Arbeitshilfe wie auch zu einem kleinen wertvollen Lehrbuch mit fachlichem Hintergrund für die Technik des Imaginativen Überschreibens werden. Der Ton ist dabei stets ermutigend und verantwortungsvoll zugleich. Ein hoher praktischer Nutzen scheint den Autorinnen und fachlichen Expertinnen beim Konzipieren und Schreiben zumindest eines ihrer wesentlichen Leitmotive gewesen zu sein. Eine durchgängig klare Sprache sowie zahlreiche inhaltliche und optische Strukturierungen kennzeichnen diesen Band, in dem nichts überflüssig erscheint. Die Lernziele, die am Ende des Buches aufgeführt sind, können nach der Lektüre und bei entsprechender fachlicher psychotherapeutischer Vorbildung mit Sicherheit erreicht werden. Und wer es mag, nimmt zur eigenen Überprüfung vielleicht sogar gerne das Angebot von Lernkontrollfragen am Ende des Buches an und versichert sich so seines Lernzuwachses. Die drei Kurzanleitungen als Beigabe im hinteren Buchdeckel werden garantiert zu beliebten Begleitern bei den ersten eigenen Anleitungen werden.

Fazit

Wohl keine praxisnähere, anschaulichere und dabei kompakt fundiertere Anleitung lässt sich für die Anwendung der Technik des Imaginativen Überschreibens in der psychotherapeutischen Arbeit finden als die des vorliegenden Bandes von Laura Seebauer und Gitta Jacob. Die Autorinnen beschreiben in zahlreichen Fallbeispielen aus ihrem Erfahrungsschatz und vor dem Hintergrund eines fundierten psychologischen und psychotherapeutischen Fachwissens so unmittelbar das entsprechende fachliche Vorgehen, dass man meint, dabei zu sein und die hilfreiche Wirkung der Technik aus der imaginierten Rolle der Patientin selbst spüren zu können. In der Rolle der Anwenderin, des Anwenders bestärkt die klare Anleitung und gewissenhafte Unterweisung der beiden Autorinnen und Fachfrauen die Lust und das Vertrauen darauf, sich einzuarbeiten und zu erproben.

Rezension von
Inge-Marlen Ropers
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Es gibt 2 Rezensionen von Inge-Marlen Ropers.

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Zitiervorschlag
Inge-Marlen Ropers. Rezension vom 09.11.2022 zu: Laura Seebauer, Gitta Jacob: Imaginatives Überschreiben. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2021. ISBN 978-3-8017-2821-2. Reihe: Fortschritte der Psychotherapie - Band 80. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28089.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.


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