Hannes Hofbauer, Stefan Kraft: Herrschaft der Angst
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 11.05.2021
Hannes Hofbauer, Stefan Kraft: Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand. Promedia Verlagsgesellschaft (Wien) 2021. 256 Seiten. ISBN 978-3-85371-488-1. D: 19,90 EUR, A: 19,90 EUR.
Angst isst Seele auf
Angst ist ein Gefühl auf schwankendem Boden. Es ist „eine ursprünglich zum Überleben notwendige Reaktion“, wie dies in der Evolutionstheorie festgeschrieben ist, wie auch andererseits Ausdruck von Ausgeliefertsein an mächtige Mächte und nicht beeinflussbare Entwicklungen. Wenn in den Menschenwissenschaften festgestellt wird, dass Angst ein Hinweis darauf ist, was mit uns los ist (Heinz Bude, Gesellschaft der Angst, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/18499.php), wird deutlich, dass Angstgefühle grundsätzlich auf zwei menschlichen Verhaltens- und Einstellungsmustern beruhen: Zum einen in fatalistischen, passiven Auffassungen, dass Leben Schicksal ist und man am besten mit Unabänderlichkeiten zurechtkommt, dass man sie erträgt und „aussitzt“. Diesen konservativistischen Meinungen stehen aktive, zuversichtliche, lebensbewältigende und -bejahende Einstellungen gegenüber, die es gilt zu fördern. Durch Angst entsteht Unsicherheit, und Angst gebiert Gewalt, Hass und Menschenfeindlichkeit (Verena Kast, Wider Angst und Hass. Das Fremde als Herausforderung, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/22454.php).
Entstehungshintergrund und Herausgeber
In Zeiten von Unsicherheiten und Krisen entstehen Ängste; umso mehr dort, wo Entwicklungsprozesse entweder uneindeutig verlaufen und vermittelt werden; aber auch bei Situationen, in denen durch administrative, hierarchische, hegemoniale, politische oder undemokratische Maßnahmen per Ordre du Mufti, also über die Köpfe der Bürger*innen hinweg regiert wird. Diejenigen, die über die politische und gesellschaftliche Macht verfügen, begründen sie meist mit Argumentationen, dass es zu den von ihnen verfassten und erlassenen Ordnungsregeln keine Alternativen gäbe – und diese die einzigen Möglichkeiten wären, um Gefahren abzuwenden. Auf der Strecke bleibt dabei nicht selten das, was in demokratischen, freiheitlichen Gesellschaften unverzichtbar ist: der Dialog und die Suche nach den bestmöglichen Lebenswegen für alle Menschen auf der Erde. Um kein Missverständnis zu provozieren: Zur Bewältigung von kollektiven Krisensituationen bedarf es der Vernunft, des wissenschaftlichen und sozialen Denkens und Handelns. Unvernünftig und inhuman sind deshalb Einstellungen und Parolen, in denen ego-, ethnozentristische, rassistische und populistische Meinungen vertreten und Wirklichkeiten verleugnet werden.
Der Wiener Wirtschafts-, Sozialhistoriker, Publizist und Verleger Hannes Hofbauer (siehe dazu auch: Die Diktatur des Kapitals, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17905.php; Kritik der Migration, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/24927.php) und sein Kompagnon beim Promedia-Verlag, Stefan Kraft (Lockdown 2020) legen einen Sammelband vor, in dem sie 15 Autorinnen und Autoren zu Wort kommen lassen, die Alternativen zu den scheinbar unverzichtbaren, einzigmöglichen Lösungen der Krisensituationen vorschlagen. Es sind keine Zaubermittel, und auch keine Orakelsprüche, sondern aus demokratischem, humanem, menschenwürdigem und menschenrechtlichem Anspruch hergeleitete Ideen, die es zu bedenken, zu erproben und zu realisieren gilt, mit emanzipatorischem Bewusstsein.
Aufbau und Inhalt
Neben dem Vorwort durch die Herausgeber wird der Sammelband in fünf Kapitel gegliedert. Im ersten wird analysiert: „Wie ein Ausnahmezustand gemacht wird“. Im zweiten wird nachgeschaut: „Welche Rolle die Medien spielen“. Im dritten geht es darum: „Was gesund und krank macht“. Im vierten werden Auskünfte erteilt: „Wohin die Angst vor Terror führt“; und im fünften Kapitel erfolgt die Auseinandersetzung darüber: „Was die Linke dazu sagt“. Damit wird auch das Zeichen gesetzt: Gegen die kapitalistisch- und neoliberal -hörigen, konservativen Regelungen braucht es ein linkes, freiheitliches Gegenkonzept, bei dem zwischen sinnvollen, lebensbejahenden und -erhaltenen Ängsten und Panikmache unterschieden wird.
Die Ausführungen beanspruchen den Zweifel (Wolfram Malte Fues, Zweifel, 2019, www.socialnet.de/rezension/25265.php) und die Opposition gegen ungerechte, hierarchische, kapitalistische Strukturen. Darauf verweist der israelische Philosoph und Historiker Moshe Zuckermann in dem Beitrag „Geschichte, Angst und Ideologie“. Der Frankfurter Politikwissenschaftler Joachim Hirsch stellt in seinen staatstheoretischen Überlegungen zu „Angst und Herrschaft“ fest, dass menschenschädigende Angst geradezu ein Mittel darstellt, um freiheitliche, selbstbestimmte, gleichberechtigt, soziale Existenz zu verhindern. Der Publizist Wolf Wetzel zeigt mit dem Beitrag „Die endlose Geschichte der Ausnahmezustände (in Deutschland)“ die demokratiefeindlichen und -blockierenden Wirkungen von nicht begründbaren Ordnungsmaßnahmen auf. Die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer entwickelt mit dem Beitrag „Unsicherheitsmobilisierung, Versicherheitlichung und Regieren“ eine emotionstheoretische Perspektive auf das staatliche Pandemie-Management. Sie zeigt auf, dass kurzgesprungene Methoden zur Seuchenbekämpfung verhindern, den lokal- und globalnotwendigen Perspektivenwechsel hin zum Strukturwandel anzugehen ( siehe dazu auch: Michael Hardt/Antonio Negri, Assembly. Die neue demokratische Ordnung, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/24249.php ). Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz stellt fest: „Herrschaft ist Patriarchat ist alles und vor allem Angst“. Ihre Kritik an der (österreichischen) Gesellschaftspolitik ist nicht nur lokal und national zu verstehen, sondern kann als ein übernationaler, globaler Aufruf verstanden werden. Der Politikwissenschaftler und ehemalige Bundestagsabgeordnete Norman Paech sieht die deutsche (westliche) parlamentarische Arbeit zur Corona-Pandemie als einen „unendlichen Ausnahmezustand“ an, eingezwängt in die föderativen, lokalen Strukturen und Verantwortlichkeiten und die gesamtgesellschaftliche, zentralisierte bundesrepublikanische Politik.
Der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen von der Universität München thematisiert im Beitrag „Die Medien-Epidemie – Journalismus, Corona und die neue Realität“ die Medienmacht der Leitmedien. Er analysiert, wie sich in den Medien Informationen zu (gewollten, bestellten und diktierten) Meinungen verzwirbeln, deren Wahrheitsgehalt, Herkunft und Zweck kaum mehr nachprüfbar ist. Sein Lösungsvorschlag für einen unabhängigen Journalismus: „Transparenz (offenlegen, wie die Inhalte entstehen und wie sie verbreitet werden), Perspektivenvielfalt (ein Punkt, der bei der Rekrutierung für den Beruf beginnt) und Reflexion (wer schreibt oder sendet hier und wem könnte das am Ende nutzen)“.
Die Wiener Publizistin und Redakteurin Maria Wölfingseder setzt sich mit dem Beitrag „Wie Impfungen gegen Kritik immunisiert werden“ mit dem Streit zwischen den Impfbefürwortern und -gegnern auseinander. Merkwürdig und gefährlich freilich ihr Balancieren auf dem schmalen Grad von Vermutungen und Verdächtigungen, und ihr Landen auf ihrem scheinbar sicherem Podest des Vermutens von Impfschädigungen.
Christian Schubert vom Innsbrucker Universitätsklinikum für medizinische Psychologie stellt mit seinen Überlegungen zur Psychoneuroimmunologie fest, dass Covid-19 eine biopsychosoziale Krankheit – und nicht nur ein Seuchenausbruch – ist. Er stellt fest, dass die Überwindung und Heilung der Krankheit allein durch Impfung nicht möglich ist. Seine Konsequenz: Ein grundlegender Perspektiven-(System-)Wechsel ist notwendig!
Angst als Systemfehler – diese Auffassung bestätigt sich auch bei der Frage: „Wohin führt die Angst vor Terror?“. Moshe Zuckermann gibt darauf Antworten mit dem Beitrag: „Angst in der israelischen politischen Kultur“. In mehreren Thesen zeigt er an Beispielen der regierungsamtlichen, konservativen Politik des Landes auf, dass nationalstabilisierende, ego- und ethnozentrierte Kraft und Macht nicht ausreichen, um Terror zu verhindern. Der an der Universität in Erfurt lehrende Politikwissenschaftler Imad Mustafa gibt Auskünfte, „Wie in Europa Angst vor dem Islam erzeugt wird“ (siehe dazu auch: Der politische Islam zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hizbollah, 2013, www.socialnet.de/rezensionen/16602.php). Es sind faschistische und rechtspopulistische Anwürfe, die den antimuslimischen Rassismus schüren und so Hass und Angst erzeugen. Der Politikwissenschaftler von der Universität in Salzburg, Farid Hafez, schildert in seinem Beitrag „Vom Regierungskritiker zum Terrorverdächtigen“ seine persönlich-ethnisch-professionelle Geschichte von regierungsamtlichen Verdächtigungen und Anklagen, er sei Muslimbruder und finanziell und ideologisch unterstützt aus Saudi-Arabien. Die bis heute nicht abgeschlossenen, rechtlichen Verfahren machen deutlich: Aufmerksamkeit ist (auch) in demokratisch verfassten Staaten notwendig, wenn mit Menschenrechten und Menschenwürde nicht demokratisch umgegangen wird. Der österreichische, am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz tätige Historiker Dieter Reinisch setzt sich in dem Beitrag „Angst und Bedrohung im ‚Zeitalter des Terrorismus‘“ damit auseinander, wie es zur Ausrufung des „Kriegs gegen den Terrorismus“ kam, und welche Bedeutung dabei Angst und Hysterie spielen: „Es ist … mehr Hysterie und weniger die Gefahr, die das charakteristische Merkmal des ‚Zeitalters des Terrorismus‘ darstellt“.
Die offiziellen Botschaften und Signale, dass alles gut wird, wenn die Individuen und Gemeinschaften den politischen und gesellschaftlichen Programmen der Machthabenden folgen, sind eigentlich autoritäre, diktatorische und ideologische Rezepte. Sie sind demokratischer Politik fremd – so die Idealauffassungen beim demokratischen Denken und Handeln; jedoch: Demokratie lebt von Kritik und Auseinandersetzung! Es ist deshalb wichtig und notwendig, die offizielle Politik in demokratischen Regierungen immer wieder auf Recht und Gerechtigkeit hin zu prüfen. Dazu sind nicht nur, aber auch die oppositionellen Kräfte aufgerufen. Die „Linke“ gilt im demokratischen Politik- und Meinungsspektrum als antikapitalistisch, sozialgerecht und mitbestimmend. Der Lieder- und Theatermacher, Abgeordneter der Linksfraktion des Deutschen Bundestages, Diether Dehm, beginnt das Kapitel – „Was die Linke dazu sagt“ – mit dem Beitrag: „Angst essen Zelle auf“. Er bezieht sich dabei auf die Fassbindersche Metapher in dem Theaterstück und tauscht den Seelen-Begriff gegen den „Zellen“- Begriff aus, indem er die „T-Zelle“ in den Corona-Diskurs bringt; sie nämlich ist im Immunsystem zuständig für die Abwehr von unbekannten Erregern. Ist es sicher, dass wir mit dem Virus leben müssen, oder kann es gelingen, ihn auszurotten? Der Journalist Wolf Wetzel greift in den (linken) Corona-Diskurs ein mit der Aufforderung: „Den Stier an den Hörnern packen“. Das will er tun, zusammen mit den organisierten Linken und den außerparteilich und außerparlamentarisch agierenden Linken, denen es nicht egal ist, dass sich die Gesellschaften, lokal und global, immer kapitalistischer, egoistischer und ungerechter entwickeln: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch zu Corona schweigen“. Der Philosoph Rainer Fischbach artikuliert „Krankheit und Angst, Ausgrenzung und Überwachung: die Enteignung des Lebens“. Die Covid-Pandemie ist ein menschengemachtes Naturereignis, dem der Krieg angesagt werden muss. Dieser Paraphierung steht die Annahme gegenüber, dass Viren Erreger sind, die Leben bestimmen, positiv und negativ. Nur ein ganzheitliches, humanes und ethisches Bewusstsein, nicht ein Klima der Angst und der Endsolidarisierung kann die Corona-Bedrohung überwinden. Der Philosoph Karl Reitter beschließt den Sammelband mit dem Beitrag: „Die Linke und die Angst vor Corona“. Es sind Parameter von „So nicht, sondern anders!“; solidarische Visionen, die nicht verwirklichbar scheinen!
Diskussion
Der Titel des Sammelbandes „Herrschaft der Angst“ verspricht, dass die Autorinnen und Autoren Alternativen zu den angesagten und praktizierten, hierarchisch und bürokratisch verordneten Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie vorlegen und damit den überwiegend medizinisch-viral-bestimmten Diskurs ausweiten hin zu einem biopsychosozialen Umgang mit der Seuche. Der anscheinliche Anspruch, dass die Herausgeber Autorinnen und Autoren zu Wort kommen lassen wollen, die sich kritisch, wissenschaftlich (und ablehnend) mit den offiziellen Handhabungen zur Krisenbewältigung auseinandersetzen, löst sich nicht ein! Für den Rezensenten entsteht der Eindruck, dass dabei allzu verkürzte B,eiträge herausgekommen sind, bei und mit denen zwar nicht querdenkenden und negierenden Menschen zugestimmt wird, aber doch das Gefühl besteht: „Wasch‘ mich, aber mach‘ mich nicht nass!“. Das allerdings ist keine ernstzunehmende, notwendige Alternative! Um nicht beckmesserisch zu wirken: Die Coronakrise, wie die zahlreichen weiteren Krisen in der Welt, schlagen Wunden im lokalen und globalen, humanen Dialog! Sie erzeugen Schmerzen und Ängste! Es ist weder möglich noch hilfreich, sie zu ignorieren! Sie lassen sich aber auch nicht einfach wegimpfen!
Fazit
Damit der nach Wahrheit und Wissen strebende Mensch in der Lage ist, in friedlicher Gemeinschaft mit den Mitmenschen und der Mitwelt zu leben, braucht es den Dialog, bei dem wirkliche und kritische Denk- und Verhaltensweisen zur Sprache kommen. Insofern sollten die Argumentationen im Sammelband „Herrschaft der Angst“ beachtet und diskutiert werden.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 11.05.2021 zu:
Hannes Hofbauer, Stefan Kraft: Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand. Promedia Verlagsgesellschaft
(Wien) 2021.
ISBN 978-3-85371-488-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28090.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.
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