Usha Förster-Chanda: Jugend im Risiko
Rezensiert von Anna Prison, 16.03.2022
Usha Förster-Chanda: Jugend im Risiko. Psychosoziale Beratung in der Benachteiligtenförderung.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2020.
258 Seiten.
ISBN 978-3-8379-2989-8.
D: 34,90 EUR,
A: 35,90 EUR.
Reihe: Forschung psychosozial.
Thema
Die vorliegende Dissertation von Usha Förster-Chanda aus dem Jahre 2018 beschäftigt sich mit der Thematik der Integration von jungen Menschen in den Arbeits- und/oder Ausbildungsmarkt. Die Autorin stellt fest, dass es Passungsprobleme bestimmter Zielgruppen in Deutschland gibt und diesen der Weg auf den ersten Arbeitsmarkt häufig erschwert wird. Sie bezieht ihre Begründung auf den Bildungsbericht von 2018, der feststellen konnte, dass vor allem leistungsschwache junge Menschen Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeits- oder Ausbildungsmarkt Fuß zu fassen. Das Projekt der Jugendwerkstatt Gießen hat es sich zur Aufgabe gemacht, junge Menschen bei ihrer Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Die Angebote sind dem Übergangssektor zuzuordnen. Dort werden die meist Jugendlichen auf ihren Weg in die Arbeitswelt vorbereitet.
Autorin
Die Autorin war 5 Jahre in der Jugendwerkstatt im Projekt „Jugend im Risiko“ tätig und kann daher ihre Ausführungen unter anderem durch persönliche Erfahrungen belegen. Sie war zudem 15 Jahre in der Benachteiligtenförderung tätig und hat sich mit Menschen beschäftigt, die beim Übergang auf den ersten Arbeits- oder Ausbildungsmarkt benachteiligt werden.
Entstehungshintergrund
In der Jugendwerkstatt in Gießen konnte das Fachpersonal zunehmend feststellen, dass viele der Klient:innen, die an den Berufsbildungsmaßnahmen teilnehmen unter psychischen Belastungen oder Störungen leiden. Es konnte beobachtet werden, dass die jungen Menschen häufig aus Umfeldern kommen, die als sogenannte „Multiproblemfamilien“ bezeichnet werden und einen niedrigen sozioökonomischen Status in der Gesellschaft vorweisen. In verschiedenen Studien konnten diese Beobachtungen bestätigt werden und führten zu der Annahme, dass die ungünstigen Lebensumstände der Jugendlichen sich negativ auf die Bildungschancen sowie die psychosoziale Anpassung auswirken können. Demnach hat sich die Autorin es sich mit ihrer Arbeit zur Aufgabe gemacht herauszufinden „ob psychosoziale Belastungen und Beeinträchtigungen die Identitätsentwicklung und berufliche Förderung der Jugendlichen in den Berufsbildungsmaßnahmen erheblich erschweren“ (Usha Förster-Chanda, 2018, 13). Sie beleuchtet in diesem Zusammenhang verschiedene Belastungsfaktoren, denen die jungen Menschen ausgesetzt sind im Hinblick auf deren Lebenszufriedenheit. Um anschließend die Korrelation zu den Schwierigkeiten auf dem Ausbildungsmarkt zu analysieren. Sie arbeitete dabei eng und interdisziplinär mit dem Fachpersonal der Jugendwerkstatt Gießen zusammen, um die Jugendlichen bestmöglich zu fördern und an deren Entwicklungshemmnissen zu arbeiten.
Inhalt
Die Autorin hat ihr Werk in zwei Teile eingeteilt: Im ersten Teil erläutert sie theoretische Grundlagen und Forschungsstände. In einem zweiten Teil widmet sie sich der empirischen Forschung und der Belegung der Theorie durch ihre praktische Arbeit in der Jugendwerkstatt Gießen.
Usha Förster-Chanda beginnt ihren theoretischen Teil mit der Thematik der Benachteiligtenförderung:
Sie stellt fest, dass der Übergang ins Berufsleben eine kritische Phase in der „sozialen und wirtschaftlichen Positionierung“ von jungen Menschen darstellt. Viele Jugendliche, die aus Lebenswelten stammen, die zu einer Benachteiligung führen können, werden häufig in sogenannten Übergangssektoren untergebracht. Dort sollen ihre individuellen Fähigkeiten verbessert werden, um bessere Chancen beim Eintritt in den Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt zu erhalten. Allerdings bedeutet dies auch, dass diese jungen Menschen längere Zeit benötigen, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können.
Um ein Verständnis für diese Übergangssektoren zu erhalten, beschäftigt sich Förster-Chanda anschließend mit der Entwicklung des Ausbildungsmarktes und den Chancen von niedrigqualifizierten Jugendlichen auf diesem seit den 70er-Jahren. Dabei schlussfolgert sie, dass Schüler:innen mit niedrigem Bildungsabschluss meist spät eine Ausbildung antreten und dass diese meist in den Übergangssystemen zu finden sind.
Sie untermauert ihre Ausführungen mit einem Fallbeispiel, in dem deutlich wird, dass die Entscheidung, ob jemand eine Ausbildungsreife besitzt, subjektiv getroffen wird und dem ganzen Konstrukt Entscheidungs- und Interpretationsspielräume zugrunde liegen. Im Zuge dessen folgen ihren Ausführungen die Erläuterungen des Übergangssystems, an dem viele junge Menschen Anteil haben, die als nicht ausbildungsreif angesehen werden. Da viele junge Menschen in dem oben genannten System teilhaben, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben, führt Förster-Chanda in ihrem dritten Kapitel die Thematik Bildung und soziale Ungleichheit an.
In diesem dritten Kapitel wird deutlich, dass die Hauptschule heutzutage kritisch zu betrachten ist, da die Schüler:innen dort häufig Stigmatisierungen erfahren und der Abschluss Auswirkungen auf die Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Außerdem spricht sie hier von den sogenannten „Exklusionsrisiken“ (Förster-Chanda, 2018, 61). Je nach Schulabschluss oder fehlendem Abschluss sind Menschen überproportional häufig von Erwerbslosigkeit betroffen. Sie schließt verschiedene Erklärungsmodelle zur Bildung an, die ihre Argumentationen theoretisch untermauern. Sie zieht Zusammenhänge zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg, zum Beispiel auf Grundlage der Theorien von Bourdieu. Anhand dieser Theorie stellt die Autorin fest, dass Jugendliche aus Familien mit einer geringen Kapitalausstattung häufig mit niedrigen Bildungstiteln die Schulen verlassen und dementsprechend schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Förster-Chanda setzt sich in einem vierten Schritt nochmals mit dem Bevölkerungsteil der gering Qualifizierten und von Armut betroffenen/​bedrohten auseinander. Außerdem den Auswirkungen von Missachtung und fehlender Anerkennung dieser. Sie bezieht sich dabei auf verschiedene Forschungsergebnisse, die belegen, dass frühkindliche Bindungs- und Missachtungserfahrungen einen Zusammenhang zur Persönlichkeitsentwicklung aufweisen. Ihr fünftes Kapitel handelt daher von der Entwicklungsaufgabe der Identitätsbildung.
Sie beleuchtet diese Thematik, in dem sie Bezug nimmt zu den Entwicklungstheorien, zum Beispiel von Erikson und Havighurst. Die erfolgreiche Bewältigung von Entwicklungsaufgaben führt demnach zu einer gelungenen Identitätsarbeit sowie zu einer positiven Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden. Dies wird durch die Vielzahl an Möglichkeiten, ein Leben zu führen, in der postmodernen Gesellschaft zunehmend schwieriger.
Für Jugendliche mit niedrigen Bildungsabschlüssen ist die Identitätsentwicklung ebenfalls herausfordernd, wie in Förster-Chandas, 6. Kapitel deutlich wird. Es kann dazukommen, dass sie eine pessimistische Grundhaltung entwickeln sowie ihre Chancenlosigkeit auf den Arbeitsmarkt antizipieren. Die Resilienz kann in diesem Zusammenhang ein wichtiger Baustein sein, trotz widriger Lebensumstände einen erfolgreichen Weg auf Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt zu absolvieren. Daher erläutert die Autorin dieses Konzept in Kapitel 7.
In ihrer Zusammenfassung des theoretischen Teils ihrer Arbeit kommt sie zu dem Schluss, dass es ausschlaggebend für eine erfolgreiche Berufsausbildung ist, dass die sozialen und motivationalen Voraussetzungen der Jugendlichen vorhanden sind. Das Konzept der Ausbildungsreife kritisiert sie in diesem Zusammenhang. Sie konnte anhand des Konzepts der Resilienz verschiedene Schutzfaktoren identifizieren, die zu einer erfolgreichen Berufsausbildung beitragen und diese hat sie in das psychosoziale Beratungskonzept mit einfließen lassen.
Im zweiten Teil von Förster-Chandas Werk schließt sie ihre Untersuchung in der Jugendwerkstatt Gießen an, in der Jugendliche und Langzeitarbeitslose bei ihrem Einstieg in das Berufsleben unterstützt werden und deren soziale Teilhabe gefördert wird. Sie etablierte in dieser Einrichtung ein unerforschtes Feld, nämlich psychosoziale Beratungsangebot für Teilnehmende, die zum großen Teil aus Multiproblemfamilien stammen. Es folgen ihre Untersuchungsergebnisse und verschiedene Tabellen, mit der sie ihre Ergebnisse veranschaulicht. Sie ermittelt drei repräsentative Typen, die sie beispielhaft erläutert und ihre Ergebnisse diskutiert sie in Kapitel 10.
Diskussion
Usha Förster-Chanda stellt in ihrer Dissertation ein gesellschaftlich relevantes Themenfeld dar, da durch die Postmoderne der Übergang in Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für junge Menschen, die in benachteiligten Lebensumständen aufwachsen, zunehmend erschwert wird. Die Autorin belegt ihre Ausführungen gut mit theoretischen Forschungsergebnissen und Konzepten verschiedener Theoretiker. Der rote Faden ihrer Argumentation ist gut nachvollziehbar und die Zusammenhänge von Bildungserfolg und sozialer Ungleichheit werden anhand der Theorien wissenschaftlich erläutert. Außerdem gibt sie einen Überblick über verschiedene Konzepte der Identitätsentwicklung, die verdeutlichen, wie relevant ein guter Einstieg in Ausbildungs- und Arbeitswelt für junge Menschen ist, um eine gefestigte Persönlichkeit zu entwickeln. Der empirische Teil ihrer Arbeit ist anschaulich dargestellt anhand vieler Tabellen. Sie hat eine große Stichprobe für ihre Arbeit hinzugezogen.
Kritisch zu betrachten ist die gendergerechte Sprache ihrer Ausführungen, die die Autorin nicht einheitlich verwendet hat.
Alles in allem hat Usha Förster-Chanda eine wissenschaftlich gut belegte Arbeit verfasst, die Lösungen bietet für Menschen, die in der Gesellschaft benachteiligt werden und dementsprechend ebenfalls gesellschaftskritisch argumentiert.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Usha Förster-Chandas Werk „Jugend im Risiko“ junge Menschen in den Blick nimmt, die gesellschaftliche Benachteiligung erfahren, insbesondere auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Sie stellt anhand von wissenschaftlichen Theorien und Konzepten die Relevanz des Einstiegs ins Berufsleben für junge Menschen dar. Sie beruft sich auf bekannte Theoretiker und stellt Zusammenhänge zwischen dem Bildungserfolg und der sozialen Teilhabe her. Außerdem kristallisiert sich in ihrem Werk eine Gesellschaftskritik heraus. Die postmoderne Gesellschaft ist in ihrem Ausbildungskonzept auf Menschen ausgerichtet, die ein hohes soziales Kapital aufweisen. Bestimmte Personengruppen werden dabei exkludiert und erfahren Benachteiligung, die sich auf ihre Identitätsentwicklung und ihre gesamte berufliche Zukunft auswirkt. Mit ihrer Studie und ihrer Arbeit in der Jugendwerkstatt in Gießen, die sich an junge Menschen richtet, die häufig aus Multiproblemfamilien kommen und psychosoziale Verhaltensauffälligkeiten aufweisen, hat sie Lösungen und Perspektiven für junge Menschen entwickelt, um ihnen einen guten und sicheren Start in die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Sie arbeitet dort interdisziplinär und ressourcenorientiert und schafft Perspektiven für diese Menschen, die in der heutigen Gesellschaft oftmals ausgeschlossen und nicht beachtet werden.
Rezension von
Anna Prison
B.A. Sonderpädagogik, Fernstudentin B.A. Soziale Arbeit
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Zitiervorschlag
Anna Prison. Rezension vom 16.03.2022 zu:
Usha Förster-Chanda: Jugend im Risiko. Psychosoziale Beratung in der Benachteiligtenförderung. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2020.
ISBN 978-3-8379-2989-8.
Reihe: Forschung psychosozial.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28109.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
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