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Frank Adloff, Steffen Mau (Hrsg.): Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität

Rezensiert von Dr. Christian Stegbauer, 27.12.2005

Cover Frank Adloff, Steffen Mau (Hrsg.): Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität ISBN 978-3-593-37757-5

Frank Adloff, Steffen Mau (Hrsg.): Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität. Campus Verlag (Frankfurt) 2005. 308 Seiten. ISBN 978-3-593-37757-5. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 43,70 sFr.
Reihe: Theorie und Gesellschaft - 55.

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Thema

Das Buch nimmt eine der soziologischen Grundkategorien in den Fokus, die innerhalb der Sozialwissenschaften heutzutage wohl mit am meisten unterschätzt wird. Eine der im Text angeführten Ursachen für die Unterschätzung sei, dass Reziprozität, die vor allem an archaischen Gesellschaften erforscht wurde, nach Auffassung der modernen Theoretiker, etwa Luhmann, eben auch nur für segmentär differenzierte Gesellschaften eine Bedeutung habe. In unserer modernen funktional gegliederten Gesellschaft hingegen sei dafür kein Platz mehr. Dort wo sich Reziprozität beobachten lasse, sei diese ins Private und damit an den Rand gedrängt, wie am Beispiel des Buches "Schenken" von Helmuth Berking klar gemacht wird. Diese Zurückdrängung der Reziprozität aus der Gesellschaft kontern die Autoren mit ihrer These, dass "der Übergang zur modernen Gesellschaft zwar mit einer Ausdifferenzierung sozialer Sphären, nicht aber mit einem Verschwinden reziproker Austauschverhältnisse" einhergehe.

Inhalt

Das Buch ist als eine Auseinandersetzung mit dieser These angelegt. Es wird aber keine Abhandlung vorgelegt, sondern ein Sammelband, der klassische und neuere Texte zur Bedeutung der Reziprozität in der Gesellschaft vereinigt. Das Buch ist in vier Teile gegliedert.

  1. Es beginnt mit einer Einführung und Einordnung der verschiedenen Texte in die neuere Diskussion.
  2. Es folgen zwei wesentliche Werke, die im Buch der Ethnologie bzw. Anthropologie zugeordnet werden, nämlich Marcel Mauss "Gabe" und Marshall Sahlins "Soziologie des primitiven Tausches". 
  3. Dem folgen fünf Klassiker der Soziologie, nämlich Simmels "Exkurs über Treue und Dankbarkeit", Gouldners Kapitel über die Wohltätigkeitsnorm aus dem Buch "Reziprozität und Autonomie",  ein Abschnitt von Peter Blau zum sozialen Austausch, das Kapitel "Die Ökonomie der symbolischen Güter" von Pierre Bourdieu aus dem Buch "Praktische Vernunft". Ergänzt werden die Klassiker durch einen Abschnitt von Alain Caillé, "Die doppelte Unbegreiflichkeit der reinen Gabe".
  4. Der letzte Teil des Buches wird von fünf neueren Beiträgen gebildet, in denen Überlegungen zur Reziprozität angewendet werden. Unter anderem geht es hierbei um Generationen- und Arbeitsbeziehungen, Entwicklungshilfe, Spenden und um den Wohlfahrtsstaat.

Die Autoren siedeln ihre eigene Argumentation jenseits der zwei grundsätzlich divergierenden Konzepte zur Interpretation der Reziprozität an. Bei den beiden Konzepten handelt es sich zum einen um eine individualistische und zum anderen um eine diesen Überlegungen skeptisch gegenüberstehende nicht-individualistische, eher an Normen orientierte Tradition. Die antagonistische Gegenüberstellung dieser beiden Richtungen, so die Argumentation der Autoren, verstelle den Blick auf die nicht reduzierbare Eigenlogik der Gabe. Diese sei gleichzeitig Ausdruck der Freiwilligkeit und der Verpflichtung.

Diskussion

Die Beiträge der Klassiker sind zum Teil stark gekürzt und dadurch auf das Wesentliche reduziert. Der Rezensent ist mit der von den Herausgebern getroffenen Auswahl völlig einverstanden. Allerdings stellt sich die Frage, welche Texte vermisst werden. Hier fällt einem zuerst Malinowski und die Struktur des Kularings ein, auf den auch im Text wesentlich Bezug genommen wird und der als klassische Grundlage unverzichtbar ist. Ebenso hätte man sich einen Text von Levi-Strauss und zur Ergänzung vielleicht auch noch einen von Homans gewünscht. Allerdings ist das Buch mit über 300 Seiten lange genug, zumal es in einem sehr kleinen nicht besonders lesefreundlichen Type gesetzt ist.

Auch wenn die Austauschtheorie vorkommt, könnte man inhaltlich kritisieren, dass zumindest teilweise der Eindruck entsteht, als beschränke sich Reziprozität zu sehr auf die Auseinandersetzung mit der Gabe. Dieses Konzept hat seine Schwächen etwa wenn es um die Erklärung von anonymen Spenden geht. Anstatt der Gabe eine Eigengesetzlichkeit zuzuordnen, würde die Anwendung der Reziprozität des Standortes ausreichen, um nicht auf so fragwürdige Konzepte wie Altruismus zurückgreifen zu müssen. Aus Sicht des Rezensenten wäre hier ein Rekurs etwa auf die Reziproziät der Perspektive (etwa bei Alfred Schütz) und auf die formale Soziologie angebracht gewesen.

Fazit 

Insgesamt gesehen, kann man den Sammelband als einen (freilich nicht ganz kompletten) Reader auffassen, der sich hervorragend für den Einsatz in Lehrveranstaltungen eignet. Bei der Reziprozität handelt es sich um eine der Grundkategorien, aus der heraus sich ein Verständnis für Soziologie bei den Studierenden sehr gut vermitteln lässt. Das Buch umfasst  wesentliche Klassiker mit unterschiedlichen theoretischen Perspektiven. Bei den neueren Beiträgen wurde darauf geachtet, dass unterschiedliche sich nicht überschneidende Bereiche einbezogen werden. Die Relevanz der klassischen Texte wird zudem dadurch unterstrichen, dass die neueren Aufsätze auf eben genau diese Klassiker immer wieder verweisen.

Rezension von
Dr. Christian Stegbauer
Universität Frankfurt
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Es gibt 1 Rezension von Christian Stegbauer.

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ISSN 2190-9245