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Monika Althoff: Fallsupervision

Rezensiert von Prof. Dr. Jutta Harrer-Amersdorffer, 23.04.2021

Cover Monika Althoff: Fallsupervision ISBN 978-3-8379-3040-5

Monika Althoff: Fallsupervision. Diskursgeschichte und Positionsbestimmung. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2020. 419 Seiten. ISBN 978-3-8379-3040-5. D: 49,90 EUR, A: 51,30 EUR.
Reihe: Therapie & Beratung.

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Thema

Im Klappentext wird die Thematik wie folgt zusammengefasst: Monika Althoff rückt die Fallsupervision in den Fokus von Supervision und Beratungsforschung und konzipiert sie als eigenständiges Forschungsformat neu. Dazu greift sie sowohl auf Theorien der Sozialen Arbeit zurück als auch auf sozialwissenschaftliche und tiefenhermeneutische Ansätze. So werden unterschiedliche Fallverständnisse mit ihren spezifischen Deutungsmustern nachgezeichnet und für die Beratungspraxis, in der die Lebenslagen und Lebenswirklichkeiten der Beteiligten im Vordergrund stehen, fruchtbar gemacht.

AutorIn oder HerausgeberIn

Monika Althoff, Dr.in phil., ist Professorin für Soziale Arbeit an der IUBH Internationale Hochschule. Sie lehrt und forscht zu Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Beratung, Supervision, Fallanalysen und Kinderschutz. Als freiberufliche Supervisorin (DGSv) berät sie in psychosozialen Arbeitsfeldern (Angaben des Verlags).

Entstehungshintergrund

Das Werk wurde 2020 als Dissertation an der Universität Bielefeld zugelassen.

Aufbau

Eingangs beschreibt die Autorin das eigene Forschungsinteresse und grenzt den Gegenstandsbereich der Literaturarbeit klar ab. Die Arbeit ist in zwei zentrale Teile aufgegliedert.

Teil I umfasst die Rekonstruktion des Diskurses zum Fall in der Sozialen Arbeit und der Supervision. In zwei Kapiteln beschreibt die Autorin zunächst den ideengeschichtlichen Hintergrund der Methodik Fallarbeit sowie den Anspruch an die Professionalisierung in therapeutischen und aufklärungsorientierten Settings. Auch die Hinwendung zur Dienstleistungsorientierung findet in diesen Ausführungen einen Niederschlag.

In Teil II der Arbeit widmet sich Monika Altmann der sozialtheoretischen Begründung der Fallsupervision. In drei Unterkapiteln geht die Autorin zunächst auf die Sozialtheorien ein. Anschließend setzt sie sich mit der Verbindung und Abgrenzung zwischen Psychoanalyse und Fallsupervision auseinander. Abschließend diskutiert die Autorin die Übertragungs- und Beziehungsanalyse als Werkzeuge einer Theorie der Emotionen. Das Werk endet mit einem zusammenfassenden Fazit sowie einem Ausblick in künftige Entwicklungslinien.

Inhalt

Bereits aus dem Titel des Buches wird das Forschungsinteresse und der Gegenstandbereich der Dissertation sehr deutlich: die Fallsupervision. Dazu rekonstruiert die Autorin zunächst ganz allgemein die Geschichte der Fallarbeit in der Sozialen Arbeit. Unter dem Titel Soziale Arbeit und ihre Ideengeschichte der Fallarbeit bietet Althoff einen Überblick über die Ursprünge des Case Works. Als Ausgangslage wird dazu die Situation der Armenpflege näher beschrieben, bevor unter Einbezug der Bürokratisierung eine Hinwendung zur professionalisierten und methodenorientierten Fallarbeit erfolgt. Althoff beschreibt die Fallarbeit als Element der Rationalisierung und stellt damit die Paradoxie zwischen einer ökonomisch-orientierten Fallsteuerung und einer professionalisierten Fallarbeit in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Deutlich stellt sie das Spannungsfeld der Fachkräfte zwischen den gesellschaftlich-organisationalen und professionellen Anforderungen im Rahmen einer fundierten Fallarbeit heraus. Auch in den weiteren Ausführungen zur Fallarbeit verdeutlicht die Autorin die Spannungsfelder des methodischen Handelns zwischen Sozialtechnologie und Professionalisierung. Bezugnehmend auf Alice Salomon wird ein Überblick über die Geschichte und die divergierenden Positionen der Sozialen Diagnose gegeben. Weiterführend führt die Autorin auch die Entwicklungslinien der Fallarbeit unter Einfluss des zweiten Weltkriegs aus. Der geschichtliche Diskurs unter dem Credo „vom Feld zum Fall“ mündet in der Auseinandersetzung mit psychoanalytischen und therapeutischen Ansätzen und den daran anschließenden Reformationsbewegungen in den 1960er und 70er Jahren. Hier beeindruckt die inhaltliche Breite der Autorin: Zahlreiche Denktraditionen und sich daraus ableitende Handlungsweisen finden in den Ausführungen ihren Niederschlag. Althoff konkretisiert u.a. den „engagierten Dialog“ von Marianne Hege oder die Lebensweltorientierung nach Hans Thiersch.

In einem nächsten Gedankenschritt widmet sich Althoff nun der zweiten Moderne und der damit einhergehenden Individualisierung und Pluralisierung. Bezugnehmend auf diverse soziologische und philosophische Entwicklungslinien etwa von Hartmut Rosa oder Ulrich Beck skizziert die Autorin eine kurze Gesellschaftsanalyse. Auch hier werden jeweils kritische Diskussionslinien angeführt, wodurch die Ausführungen eine breite Perspektive auf gegenwärtige Phänomene eröffnen. Ausgehend von diesem theoretischen Fundament beschreibt Althoff den Prozess der Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit. Exemplarisch werden dazu die Managerialisierung verschiedener Tätigkeitsbereiche und explizit das Case Management angeführt. Sie verdeutlicht hieraus auch eine mögliche Deprofessionalisierung der Sozialen Arbeit. Durch einen hoch bürokratischen Einsatz von Methoden unter der Zielsetzung der Effizienz und Effektivität stehen nicht ein reflexives Selbstverständnis und professionelles Wissen im Fokus, sondern messbare und kontrollierbare Ergebnisse. Die Ideologie des Managerialismus ist, dass sich gesellschaftliche Problemstellungen durch Managementtechniken und einer strengen Disziplinierung der Fachkräfte lösen lassen. Anschließend an diese Ausführungen beleuchtet die Autorin die Bedeutung für die Professionalisierung der Sozialen Arbeit. Auch hier weist das Werk eine enorme Fülle an Themenstellungen auf. So werden verschiedene professionstheoretische Zugänge der Fallarbeit umrissen und diskutiert. Auch Konkretisierungen, wie die Multiperspektivische Fallarbeit nach Burkhardt Müller, werden im Rahmen dieser Ausführungen näher erläutert.

Nach diesem sehr umfangreichen Einblick in die Ideengeschichte der Fallarbeit allgemein und der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Spannungsfeldern sowie der Vorstellung ausgewählter Professionstheorien der Sozialen Arbeit, schlägt die Autorin die Brücke über das Konzept der Praxisberatung zur Supervision. Auch hier wird ein umfassender historischer Rekurs auf diejenigen diversen Entwicklungslinien angeführt, welche die Institutionalisierung der Supervision und deren Antinomien verdeutlichen. Hier werden der Psychoboom im Rahmen der Supervision und der damit einhergehende Deutungsverlust der Sozialen Arbeit bei gleichzeitigen Professionalisierungsbemühungen der Sozialen Arbeit im Rahmen einer festen Implementierung und Institutionalisierung der Supervision diskutiert. Der Autorin entgeht es nicht, auch hier die divergierenden Entwicklungsschritte der Supervision als Organisations- und Fallberatung und die damit einhergehenden unterschiedlichen Modelle und Haltungen der Supervisor:innen auszuführen. Neben der organisationalen Entwicklung der Supervision erläutert Althoff auch die inhaltlichen Entwicklungslinien und die Ausweitung der Tätigkeitsfelder. Hier führt sie aus:

  • konstruktiv-systemische Supervision
  • Systemische Familientherapie und -beratung
  • Lösungsorientierte Beratung
  • Methodenorientierte systemische Beratung
  • Rollentheorien und Sozialisationsprozesse
  • Interaktionistische Ansätze und deren Entwicklungslinien bzw. Schwerpunkte

Auch hier runden eine kritische Auseinandersetzung sowie ein Fazit für die Fallsupervision die Ausführungen ab.

In Teil II ihrer Abhandlung legt die Autorin den Schwerpunkt auf die sozialtheoretische Begründung der Fallsupervision. Als besonders gelungen und hochinteressant soll hier vertieft Kapitel 5 der Ausführungen vorgestellt werden. Die Autorin greift die Widersprüche des professionellen Handelns auf und stellt in diesem Kapitel verschiedene Zugänge zur Fallsupervision heraus. Als divergierende Zugänge wählt die Autorin die rekonstruktiven Ansätze zur Supervision. Einleitend wird eine kurze Einführung in die Objektive Hermeneutik nach Ulrich Oevermann gegeben. Anknüpfend an diese Ausführungen skizziert Althoff die Paradoxien des beruflichen Handelns und der Fallanalyse nach Fritz Schütze. Einen besonderen Mehrwert bietet die Abhandlung durch die Bewertung und die Bedeutung der angeführten Ideen und Theorien für die Fallsupervision. Hier stellt die Autorin v.a. die Haltung der Fachkräfte und das unauflösliche Paradoxon zwischen Organisationsbedingungen und einem herrschaftsfreien Arbeitsbündnis zwischen Klient:in und Fachkraft heraus. Die Fachkraft kann diesen Zwiespalt weder einseitig auflösen noch ignorieren ohne eine systematische und kritische Reflexion, da dieses Spannungsfeld unmittelbare Auswirkungen auf den Supervisionsprozess zeigt. Hierbei ist ein kritisches Fehlerbewusstsein unabdingbar, während ein Verstecken der Fachkraft hinter Verwaltungsroutinen ein Scheitern in der Fallbearbeitung provoziert. Eine Fallreflexion kann nur im Rahmen einer kommunikativen Auseinandersetzung gelingen. Es Bedarf – ganz in der Tradition von Jürgen Habermas – eines Diskurses zur Fallanalyse. Weiter nimmt die Autorin noch Bezug auf das Konzept des Habitus nach Pierre Bourdieu. Als Fazit führt sie an, dass die Fachkräfte ein Bewusstsein für die Verschiedenheit eines dokumentierten, erzählten und erlebten Falls entwickeln müssen und die verschiedenen Wahrnehmungsweisen auch je eigene Spezifika in der Fallbearbeitung und -lösung mit sich bringen.

Im abschließenden Fazit und Ausblick fasst die Autorin die eigenen Ausführungen zusammen und stellt einzelne Positionen pointiert zusammen. Theorien dienen stets der Komplexitätsreduktion und stellen eine Engführung der Wirklichkeit dar. Damit multidisziplinäre Theorien sich nicht im Eklektizismus verlieren ist eine kritisch-reflexive Verständigung nötig. Gerade dieser Diskurs kann für die Supervision einen wertvollen Beitrag leisten. Als zentrales Merkmal gilt es, die Grenzen der einzelnen Theorien zu erfassen, und sich zu verdeutlichen, dass eine einzelne Theorie nie einen Fall in all seinen Facetten erklären kann.

Gerade im Bereich der Fallsupervision zeigt sich eine kritische Auseinandersetzung mit der Ökonomisierung als unabdingbar. Im Rahmen der Individualisierung werden Lebenswege und -welten zu Fällen herunter gebrochen und rational transformiert. Durch eine starre Bürokratisierung kann es zu einem routinierten Abarbeiten kommen. Die Reflexion der verschiedenen Denktraditionen ermöglicht ein Durchdringen des Falls aus unterschiedlichen Perspektiven und den je damit – für den Fall – einhergehenden Deutungsmustern. In der gegenwärtigen Supervisionsdiskussion gilt es dieses diskursive Verständnis weiterzutragen. „Fallsupervision als Lern- und Denkraum hat die Aufgabe, die zukünftigen wissenschaftlichen, konzeptionellen und praktischen Herausforderungen zu bewältigen und dazu ihre kritische und ethische Orientierung wie auch ihre reflexiven Kompetenzen einzusetzen“, so die Autorin abschließend.

Diskussion

Die Ausführungen von Monika Althoff bieten einen sehr guten Zugang und Überblick über die rekonstruktiven und lebensweltlichen Zugänge zur Fallarbeit und Fallsupervision. Das Werk ist stark inhaltsgeladen und fasst neben einem historischen Diskurs v.a. in den genannten Denktraditionen den gegenwärtigen Stand in Fallarbeit und -supervision prägnant zusammen. Als besonders wertvoll und erwähnenswert sind die kritischen Bewertungen und Diskussionen zu den einzelnen Ansätzen zu beschreiben. Die kritische Haltung gegenüber ökonomischen und managerialistischen Ansätzen verdeutlichen die Ausrichtung des Werkes. Auch in diesem Feld werden die Spannungslinien, denen die Fachkräfte in den Arbeitsfeldern ausgesetzt sind, aufgegriffen und diskutiert. Die Autorin bleibt stark in der hermeneutisch-rekonstruktiven Tradition und stellt dort gegenwärtige Positionen ebenso vor, wie auch die entsprechende Historie. Offen bleibt eine Auseinandersetzung mit der Evidenzbasierung im angeführten Feld, was der Arbeit aufgrund der inhaltlichen Fülle und dem großen Umfang der genannten Theorien und Diskursen jedoch keinen Abbruch tut, sondern vielmehr die geforderte reflexive Professionalisierung der Autorin verdeutlicht.

Fazit

Das Werk „Fallsupervision. Diskursgeschichte und Positionsbestimmung“ bietet einen umfangreichen Ein- und Überblick über die Themenstellungen Fallarbeit und Fallsupervision. Durch den breiten historischen Rekurs und die inhaltsreiche Analyse der verschiedenen Theoriepositionen in der Fallarbeit leistet das Werk gerade im hochschulwissenschaftlichen Diskurs einen wertvollen Beitrag. Die Einordnung und Bewertung der einzelnen Theorierichtungen aus der Perspektive der Fallsupervision sowie die kritische Auseinandersetzung mit den einzelnen Zugängen trägt zum Verständnis und der Einordnung der Fallsupervision als Reflexionsinstrument und als Ansatz zur Professionalisierung in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit bei. Durch die prägnante Skizzierung der einzelnen Theorierichtungen und Handlungsweisen bietet es einen sehr guten Überblick über rekonstruktive und hermeneutische Denktraditionen. Ökonomische und managerialistische Entwicklungslinien werden kritisch analysiert und das damit einhergehende Gefahrenpotenzial für eine reflexiv-fundiert gedachte Professionalisierung der Profession klar herausgearbeitet. Das Werk ist arbeitsfeldübergreifend und vor allem für Lehre und hochschulischen Diskurs uneingeschränkt empfehlenswert.

Rezension von
Prof. Dr. Jutta Harrer-Amersdorffer
Professorin für Theorie und Handlungslehre der Sozialen Arbeit, Technische Hochschule Nürnberg
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Es gibt 15 Rezensionen von Jutta Harrer-Amersdorffer.

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ISSN 2190-9245