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Jürgen Beushausen, Andreas Schäfer: Traumaberatung in psychosozialen Arbeitsfeldern

Rezensiert von Prof. Dr. Carsten Rensinghoff, 04.06.2021

Cover Jürgen Beushausen, Andreas Schäfer: Traumaberatung in psychosozialen Arbeitsfeldern ISBN 978-3-8252-5606-7

Jürgen Beushausen, Andreas Schäfer: Traumaberatung in psychosozialen Arbeitsfeldern. Eine Einführung für Studium und Praxis. UTB (Stuttgart) 2021. 330 Seiten. ISBN 978-3-8252-5606-7. D: 22,90 EUR, A: 23,60 EUR, CH: 29,90 sFr.

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Thema

Die Publikation befasst sich mit einem Thema, mit dem die Soziale Arbeit häufig konfrontiert ist – und das sind traumatisierte Menschen. „In diesem grundlegenden Buch erhalten (angehende) psychosoziale Fachkräfte methodische Hilfen und Informationen zu Traumata sowie sozialwissenschaftlichen und gesundheitsbezogenen Konzepten“ (Klappentext).

Autoren

Dr. Jürgen Beushausen ist an verschiedenen Hochschulen Lehrbeauftragter. Am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Hochschule in Emden ist er Supervisor, Berater/​Therapeut und in der Fortbildung zu psychosozialer Beratung und Traumaberatung tätig

Andreas Schäfer studierte im Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit an der Hochschule in Emden. Er arbeitet gegenwärtig im ARCHE Zentrum Bremerhaven,

Aufbau

  1. Trauma
  2. Einführung in die Beratung
  3. Vom Trauma zur Traumaberatung
  4. Konzeptionelle Ansätze
  5. Praxis – Haltungen und Aufgaben der Traumaberatung
  6. Traumaberatung in psychosozialen Arbeitsfeldern
  7. Hilfreiche Methoden
  8. Besondere Problematiken
  9. Selbstfürsorge der Helfer

Inhalt

Der Einstieg in die Traumaberatung erfolgt durch einen geschichtlichen Überblick zur Psychotraumatologie. Dass sich schreckliche Ereignisse auf das Empfinden und das Bewusstsein auswirken wurde erstmalig 1867 beschrieben. Angst, Schlafstörungen, Albträume, Konzentrationsstörungen und zahlreiche Symptome wurden dem Railway Spine Syndrom zugeordnet. Im ersten Weltkrieg wurde das Zittern von Soldaten während und nach dem Gefecht als Kriegszittern bezeichnet. Im zweiten Weltkrieg wurden v.a. somatoforme Störungen, die sich als Störung des Gastrointestinaltraktes zeigten, beschrieben.

Die Verfasser bedienen sich der Traumadefinition von Peter Riedesser und Gottfried Fischer, wonach „ein Trauma durch ein ‚vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten [entsteht], das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt‘“ (S. 21).

Bei den Traumafolgestörungen werden die akuten Belastungsreaktionen, als da z.B. wären Überaktivität, desorganisiertes Verhalten, vegetative Reaktionen, von den posttraumatischen Belastungsstörungen und den komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen unterschieden.

Bei der Beratung handelt es sich um eine Interaktion zwischen wenigstens einer beratenden und einer ratsuchenden Person. Die Beratung hat zum Ziel, dass die ratsuchende Person im Beratungskontext eine mögliche Problemlösung für die belastende Situation entwickelt. Es soll eine Selbstbefähigung erreicht werden, um so dann Entscheidungen und Handlungen umsetzen zu können. Für eine gelingende Beratung sind folgende Merkmale notwendig:

  • Professionalität;
  • Erreichbarkeit;
  • Uneigennützigkeit;
  • Nichtverstrickung;
  • Vermittlung an weitere Hilfsquellen;
  • ganzheitliche Betrachtung der Lebenswelt.

In der der professionellen Beratung erarbeitet der Berater gemeinsam mit der ratsuchenden Person einen Lösungsweg.

Bei der Unterscheidung von Beratung und Therapie, wird die hierfür zur Verfügung stehende Literatur analysiert und problematisiert. Es wird vorgeschlagen diese gängige berufsständische Unterscheidung aufzugeben und vielmehr das konkrete Handeln der Helfenden in den Mittelpunkt zu stellen. Unter Beratung versteht man eine Interaktion, die Reflexionen von Sachverhalten beinhaltet und somit ein subjektiv bedeutsames Lernen bewirkt.

Traumatische Belastungen stellen eine große Herausforderung dar, die im günstigsten Fall über ein interdisziplinär gestaltetes Hilfesystem adäquat bearbeitet werden kann. Für die Traumaberatung ist ein integrativer personenzentrierter psychosozialer Ansatz die Basis.

Im Zentrum der Traumaberatung stehen der Aufbau einer professionellen Beziehung und die Produktion ressourcenorientierter Selbstheilungsprozesse. Dazu werden, aufgrund der Doppelverortung der psychosozialen Beratung, zusätzlich klinische Kenntnisse benötigt. Im Vordergrund steht die Bewältigung von Traumafolgeproblemen, die lebens- und alltagsorientiert erfolgt, denn: „Gerade eine stabile und sichere Umgebung ist für Betroffene oftmals Voraussetzung, um traumatische Erlebnisse besser zu verarbeiten“ (S. 57).

In der Traumadiagnostik, die bei der Beratungsplanung der Traumaberatung vorausgeht, steht die Suche nach Ressourcen an vorderster Stelle.

Bei den konzeptionellen Ansätzen befassen sich die Autoren mit:

  • der Lebensweltorientierung, denn durch die Traumatisierung ist die lebensweltliche Gewissheit in die eigene Person und das Vertrauen in die Menschen und die Umwelt verloren gegangen;
  • der Ressourcenorientierung: „Besondere Betrachtung erhalten hierbei die Schutzfaktoren, die nach einer Traumatisierung bei betroffenen Personen vorhanden sind“ (S. 84);
  • der Resilienzförderung, also der Fähigkeit – Traumaerfahrungen – ohne anhaltende Beeinträchtigungen zu überstehen;
  • dem biopsychosozialen Modell, dem sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer Definition von Gesundheit bedient und Letzteres ist das vollkommene körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden;
  • der Salutogenese: Es wird also danach gefragt, wie die Gesundheit gesichert werden kann und welche Faktoren bei der Gesundheitserhaltung unterstützen;
  • Risiko- und Schutzfaktoren, die mit der Resilienzförderung, die auf ein successfull outcome ausgerichtet ist, in Zusammenhang zu bringen ist;
  • Stresskonzepten, weil Traumaberatung u.a. Stressreduzierung bedeutet;
  • Empowerment, d.h. der Selbstbemächtigung oder -befähigung;
  • dem Case-Management, welches im Ziel informelle Lebensweltressourcen der Ratsuchenden und formelle Leistungen des Sozial- und Gesundheitssystems mobilisiert, vernetzt und koordiniert;
  • der Netzwerkarbeit, womit eine sozialraumbezogene Orientierung erfolgt;
  • der transgenerationalen Weitergabe traumatischer Erfahrungen, womit Gewalterfahrungen und Vernachlässigungen in Folgegenerationen gemeint sind.

Beushausen/Schäfer geben eine Übersicht über die vielfältigen Arbeitsbereiche, in denen Traumaberatung durchgeführt wird. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Suchtkrankenhilfe geworfen, um hieran die Bedeutung der Komorbidität aufzuzeigen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Traumatisierung Intelligenzgeminderter, weil gerade sie besonders anfällig sind für körperliche und seelische Erkrankungen. Hier wird sich auf die geltende Gesetzgebung im SGB IX bezogen.

Anna Gerdes befasst sich zum Thema Trauma und Schulsozialarbeit mit typischen traumatischen Situationen, die Kinder und Jugendliche erleben. Die gesetzliche Grundlage ist das SGB VIII.

Hilfreiche Methoden in der Traumaberatung sind:

  • die Mentalisierung, also „die Fähigkeit sich über das eigene Selbst und die des Anderen eine differenzierte innere Vorstellung von der Psyche und ihren Wechselwirkungen, den Erlebens- und Verhaltensbereichen (Gedanken, Gefühle, Absichten) machen zu können“ (S. 213);
  • die Emotionsregulierung, bei der den Ratsuchenden dabei geholfen werden soll, ihre häufig negativen emotionalen Zustände zu verstehen und zu regulieren;
  • die Arbeit mit inneren Anteilen: „Hierbei liegt der Schwerpunkt in der Vorstellung der Methode des inneren Teams nach Schulz von Thun“ (S. 234).

In der Traumaberatung ist der Blick auf die Traumatisierten und ebenso auf die Beratenden zu richten. Traumaberatend Tätige müssen beruflichen Deformationen vorbeugen, die sich im Burn-out-Syndrom zeigen. Hier sind Maßnahmen der Psychohygiene angezeigt, die psychologische, physiologische und arbeitsbezogene Faktoren umfasst. Ein Schwerpunkt ist bei den Helfenden die sekundäre Traumatisierung, von der scheinbar viele Helfende betroffen sind. Sie rührt u.a. aus dem Gefühl einer tiefen Sympathie für einen Menschen, der von Leiden und Unglück betroffen ist.

Diskussion

Gerade in der derzeitigen Pandemiezeit und – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – darüber hinaus, stellen wir Traumatisierungen unterschiedlichster Art fest, die in psychosozialen Arbeitsfeldern einer adäquaten Traumaberatung bedürfen. Es kann davon ausgegangen werden, dass gegenwärtig herbeigeführte politische Entscheidungen, wie Ausgangssperren, Verbot des Präsenzunterrichts o.ä. zu Traumatisierungen von Menschen führen, die eine Traumaberatung benötigen.

Letztgenanntes im Blick habend ist die Traumberatung im Feld Schulsozialarbeit für traumatische Erfahrungen z.B. nach sexuellem Missbrauch, Misshandlung und familiärer Gewalt und Mobbing sehr wesentlich.

Beushausen/Schäfer fordern Autorinnen und Autoren auf, für eine Neuauflage fehlende Themenbereiche zu bearbeiten, wie weitere konzeptionelle Ansätze Sozialer Arbeit, besondere spezifische Methoden oder interkulturelle Kontexte.

Fazit

Traumatisierte Menschen benötigen ein unterstützendes und korrigierendes Umfeld. Um das zu gewährleisten, brauchen Fachkräfte, die in psychosozialen Arbeitsfeldern tätig sind, umfangreiche Kenntnisse über die Bedeutung von Traumata und ihre Auswirkungen, Kompetenzen in der Einschätzung von Traumata und Kenntnisse der Krisenintervention.

Rezension von
Prof. Dr. Carsten Rensinghoff
Hochschullehrer für Heilpädagogik und Inklusive Pädagogik an der DIPLOMA Hochschule
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Es gibt 186 Rezensionen von Carsten Rensinghoff.

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ISSN 2190-9245