Wanda Klee, Philippe Wampfler et al.: Hybrides Lernen
Rezensiert von Dr. Torsten Mergen, 22.06.2021

Wanda Klee, Philippe Wampfler, Axel Krommer: Hybrides Lernen. Zur Theorie und Praxis von Präsenz- und Distanzlernen. Mit E-Book inside. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2021. 175 Seiten. ISBN 978-3-407-63223-4. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.
Thema
Nicht erst seit der Corona-Pandemie stellt sich die Frage, wie digitale Lernformate didaktisch und organisatorisch in schulischen Lernsettings integriert werden können. Die millionenfache Gestaltung von Fernunterricht mittels Internetplattformen und Videokonferenzsystemen hat nun in der Phase der Schulschließungen 2020 bzw. 2021 diverse didaktische und organisatorische Baustellen und Schwierigkeiten offengelegt. Der Sammelband „Hybrides Lernen“ präsentiert daher theoretische Reflexionen und praktische Hinweise, um zu zeigen, wie hybrides Lernen, also die Kombination aus Präsenz- und Distanzlernen, effektiv und lernwirksam gestaltet werden kann. Dazu bietet der Band diverse Praxisberichte aus verschiedenen Schulformen mit konkreten, unterrichtlich erprobten best-practice-Beispielen.
HerausgeberInnen und AutorInnen
Wanda Klee arbeitet als Schulleiterin am Westfalen-Kolleg in Dortmund.
Philippe Wampfler ist Deutschlehrer an der Kantonsschule Enge in Zürich und lehrt als Deutschdidaktiker an der Universität Zürich.
Axel Krommer lehrt und forscht als Akademischer Oberrat im Bereich Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Zu den 17 AutorInnen zählen DeutschdidaktikerInnen und Lehrkräfte sowie SchulleiterInnen aus Deutschland und der Schweiz.
Entstehungshintergrund
In der ersten Phase der Corona-Pandemie entstand im Frühjahr 2020 ein Arbeitspapier mit mehreren didaktischen Hinweisen zum Distanzlernen im Auftrag des Bildungsministeriums von Nordrhein-Westfalen, das von den drei HerausgeberInnen verfasst worden ist und laut Vorwort den Ausgangspunkt für den Sammelband bildet.
Aufbau und Inhalt
Der Band besteht nach einem kurzen Vorwort der HerausgeberInnen und einem kompakten Grundlagenbeitrag von Krommerund Wampfler aus drei Teilen:
- Impulse für den Fernunterricht
- Praxisbericht
- Hybrides Lernen im zeitgemäßen Unterricht
Abgerundet wird der Band durch ein AutorInnenverzeichnis.
Axel Krommer und Philippe Wampfler erläutern grundlegend unter der Überschrift „Distanzlernen, didaktische Schieberegler und zeitgemäßes Lernen“, was mit Lernen und Lehren in einer Kultur der Digitalität verbunden ist: ein Leitmedienwechsel und die Omnipräsenz von Tools, Apps und digitalen Medien im Generellen. Zugleich sei die Digitalität nur der Rahmen, in dem das Lernen so gestaltet werden müsse, dass Wissensaneignung und Kompetenzentwicklung der Lernenden aktiv und selbstbestimmt gefördert werden. Unter Verwendung einer Analogie für ihre didaktischen Settings verwenden die beiden Deutsch- und Mediendidaktiker den „didaktischen Schieberegler“ (S. 11), der auf sechs Prinzipien beruht:
- „So viel Empathie und Beziehungsarbeit wie möglich, so viele Tools und Apps wie nötig.“ (S. 6)
- „So viel Vertrauen und Freiheit wie möglich, so viel Kontrolle und Struktur wie nötig.“ (S. 6)
- „So viel einfache Technik wie möglich, so viel neue Technik wie nötig.“ (S. 6)
- „So viel asynchrone Kommunikation wie möglich, so viel synchrone wie nötig.“ (S. 6)
- „So viel offene Projektarbeit wie möglich, so viele kleinschrittige Übungen wie nötig.“ (S. 6)
- „So viel Peer-Feedback wie möglich, so viel Feedback von Lehrenden wie nötig.“ (S. 6)
Situativ, also je nach Anteil von Präsenz- oder Distanzlernen, und orientiert am Lernstand der Lernenden könnten die Schieberegler zur Planung und Organisation der Lernsettings variabel eingesetzt werden.
Im ersten Teil des Sammelbandes erläutern die drei HerausgeberInnen die Bedeutung der Axiome des didaktischen Schiebereglers und zeigen, dass Distanzunterricht dann effizient und lernwirksam organisiert ist, wenn die Lernumgebungen vor allem auf die jeweilige Lerngruppe abgestimmt, anregend und lernerzentriert mit optimiertem Technikeinsatz gestalten sind, „indem man [als Lehrkraft] im Zweifelsfall einfache technische Lösungen bevorzugt“ (S. 21).
Im zweiten Teil kommen mehrere Lehrkräfte und in allen Phasen der Lehrerbildung Tätige zu Wort, die in knappen, zumeist drei- bis vierseitigen Beiträgen einen konzisen Eindruck davon vermitteln, wie sie die theoretischen Überlegungen zum Distanzlernen praktisch umgesetzt haben. Die Berichte zur respektive aus der Unterrichtspraxis fungieren als Inspirationsquelle für Lernarrangements an unterschiedlichen Schulformen und beziehen sich auf verschiedene Lernsituationen: Stefanie Maurer berichtet etwa unter der Überschrift „Beziehungsräume schaffen“ davon, wie „Beziehungsräume in der Grundschule“ (S. 27) digital kreiert werden können, etwa durch Schulmessenger oder Padlet-Einsatz. Simon Maria Hassemer widmet sich dem eigenverantwortlichen Lernen im Distanzlernen und den Erfahrungen mit Klassencoachinggesprächen in der Phase des Wiedereinstiegs in den Präsenzunterricht. Christian Nagels Beitrag „Synchrones und asynchrones Lernen im Bildungsgang Abitur-Online“ zeigt, dass seit vielen Jahren in Modellprojekten Kombinationen von Präsenz- und Distanzunterricht erprobt werden. Auch für den Bereich der Sonderpädagogik gibt es projektartige Lernarrangements, die etwa auf Projektlernen und dem Gamification-Ansatz beruhen können, wie Philipp Staubitz zum „Projektlernen am SBBZ Lernen“ erläutert. Die Bedeutung der Projektarbeit für das digitale Lernen beleuchtet Tom Mittelbachs Beispiel einer Gemeinschaftsschule. Florian Emrich fokussiert den „Fernunterricht in der Grundschule“ und zeigt, wie die geschickte Auswahl einer Lernplattform wie Learning View die Voraussetzung bildete, um Lernbeziehungen aufrechtzuerhalten, und welche digitalen Unterstützungssysteme erforderlich sind, um das Lernen zu fördern. Andrea Eichler-Seitz und Mona Frommer demonstrieren „Praxisbeispiele zu Peer-Feedback und Feedback von Lehrenden“ (S. 52) mittels Einsatz von Padlets bzw. von Audiofeedback mit QWIQR und formativem Assessment in digitaler Form: „Digitale Tools wie Socrative, Forms, Quizizz oder auch Kahoot und andere mehr bieten die Möglichkeit, durch Multiple-Choice-Abfragen Diagnosen und automatisierte Rückmeldungen über den Lernstand der Lernenden zu generieren.“ (S. 55) In zwei Beiträgen geht Mitherausgeber Philippe Wampfler auf „Erkenntnisse aus dem #digifernunterricht-Projekt“ (S. 69) und „Erkenntnisse aus dem Notfallfernunterricht“ (S. 75) ein. Eine wichtige Erkenntnis dieser Beiträge lautet: „Technik, Didaktik, Erfahrungen und Reflexion müssen ineinandergreifen.“ (S. 73).
Im dritten Teil zeigen sieben Beiträge, wie Bildung und Lernen zukünftig organisiert und gestaltet sein sollten, um die technischen Potenziale mit Lernwirksamkeit und Handhabbarkeit zu verbinden. In nuce zeigen die Texte, dass es nach der Pandemie weiterhin zu einer kontinuierlichen und reflektierten Veränderung des bestehenden, zumeist analog gedachten Unterrichts im Klassenraum kommen wird. Dem entsprechend diskutieren Philip Stade und Philippe Wampfler Mischformen von Präsenz- und Fernunterricht, wobei sie verschiedene Zugänge zu Blendid Learning im Allgemeinen und Flipped Classroom im Besonderen beleuchten und in den „Kontext post-digitaler Bildung“ (S. 84) einordnen: „Die Entscheidung, ob und wie digitale Medien in Bildungsprozessen eine Rolle spielen, wird aus post-digitaler Perspektive irrelevant: In den Fokus der Überlegungen rückt eine ganzheitliche Schulentwicklung, bei der von einer Kombination digitaler und nicht-digitaler Lernformen ausgegangen wird.“ (S. 84) Adriane Langela-Bickenbach und Philippe Wampfler widmen sich im Folgenden intensiv der Gestaltung von lernwirksamen Videokonferenzen und entwickeln eine „Didaktik der Videokonferenz“ (S. 100), die verschiedene methodische und didaktische Gestaltungsmöglichkeiten entfaltet, um Wissensvermittlung und Leistungsbewertung, Lernen durch Kollaboration in synchroner und asynchroner Weise in eine Balance zu bringen. Auf der Basis von Erfahrungen mit Fernunterricht an der Kantonsschule Willisau in der Schweiz gehen Monika Stiller Thoms, Frauke Thoms und Frederik Thoms der Frage nach der „Motivation im Fernunterricht“ (S. 116) nach. Sie erläutern Qualitätsmerkmale von Fernunterricht, die darauf basieren, dass alle an Unterricht Beteiligten bereichernde Lernprozesse erleben, wenn sie „aktiv und regelmäßig miteinander kommunizieren, konstruktives und wertschätzendes Feedback geben und erhalten, (…) Individualisierung fördern, Selbstwirksamkeit erfahren“ (S. 123). Zentraler Gedanke in diesem Kontext ist, wie Dejan Mihajlović ausführt, die „Partizipation im Fernunterricht“ (S. 124). Aber auch die schulischen Prüfungsformate befinden sich im digitalen Wandel. Christian Albrecht konstatiert dazu am Beispiel von Open Media-Klausuren und Take Home-Exams: „Zeitgemäße Prüfungsformate orientieren sich also vor allem an der Förder- und Berichtsfunktion, während die Bedeutung der Selektionsfunktion in den Hintergrund treten muss.“ (S. 132). Dies bedingt auf Seiten der Lernenden aber auch vertiefte Reflexionskompetenzen, wie Anna Reuter als „Gelingensbedingung in hybriden Lernprozessen“ konstatiert. In asynchronen, digital organisierten Lernphasen sind die Schülerinnen und Schüler darauf besonders angewiesen, da sie vermehrt eigenverantwortlich arbeiten und selbstbestimmt über den Lernweg entscheiden müssen. Abgerundet wird der Sammelband durch Dorothea Wichmanns Überlegungen zu „Sonderpädagogische[r] Förderung in Distanz“ (S. 158). Darin plädiert sie für den Einsatz eines Planungsrahmens, der explizit den Besonderheiten der heterogenen Lerngruppen gerecht wird und vor allem auf Kollaboration beruht, die auch über digitale Tools im Bereich des Schreibens interaktiver Hypertextgeschichten, die Erstellung von Erklärvideos oder die Erarbeitung digitaler Touren ermöglicht werden könne. Insofern zeigen die verschiedenen Beiträge in diesem Teil, dass Lernen in der Kultur der Digitalität unweigerlich mit einer Veränderung der Ausrichtung des Bildungssystems auf neue Lernformate hin verbunden sein wird.
Diskussion
Der von Wanda Klee, Philippe Wampfler und Axel Krommer herausgegebene und mitgestaltete Sammelband greift ein wichtiges Thema auf, das auch zukünftig noch intensiv diskutiert werden wird: Wie soll das Lernen in einer Kultur der Digitalität aussehen und wie soll es gestaltet werden? Vor allem der Theorieteil des Sammelbandes, aber auch die resümierenden Einzelbeiträge bieten einen profunden Einblick zum Lernen in einer Kultur der Digitalität und ermöglichen durch vielfältige Literaturverweise eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Thematik.
Des Weiteren dokumentiert der Sammelband durch die Praxisbeiträge die Wirkungen der Corona-Pandemie bzw. der Schulschließungen sowohl auf die Schulorganisation als auch auf die Bildungsdiskussionen im Jahre 2020. „Hybrides Lernen“ ist zu einem Leitbegriff entsprechender Diskurse geworden, der Sammelband schafft hierfür in vielerlei Richtung einen Überblick. Die Beitragenden, Lehrkräfte, Schulleitungsmitglieder und Bildungswissenschaftler*innen, geben einen interessanten und facettenreichen Einblick in die Erfahrungen und Problemkonstellationen während der ersten Monate der Corona-Pandemie und informieren über die Versuche, Schule und Unterricht unter schwierigen Bedingungen digital am Laufen zu halten und möglicherweise auf neue Grundlagen zu stellen.
Fazit
Der Sammelband „Hybrides Lernen. Zur Theorie und Praxis von Präsenz- und Distanzlernen“ bietet mit 18 Kapiteln von 17 AutorInnen eine umfangreiche Aufsatzsammlung zur Gestaltung von Fernunterricht und der Verknüpfung des bekannten analog-synchronen Unterrichtsarrangements mit neuen Formaten. Die Beiträge ermöglichen fundierte Einblicke sowohl in theoretische Zugänge als auch praktische Erfahrungen mit Hybridunterricht. Dabei legen die AutorInnen erkennbar einen großen Wert auf die Kompetenzentwicklung der Lernenden, aber auch auf die der Lehrenden bei der Gestaltung und der Evaluation neuer Lernformen unter den besonderen Voraussetzungen der Corona-Pandemie. Die sechs Prinzipien des didaktischen Schiebereglers als Planungs- und Gestaltungswerkzeuge für anregende Lernszenarien sind sicherlich die Basis des Bandes, der einen lesenswerten und spannenden Einblick in das neue Lernen in einer Kultur der Digitalität ermöglicht.
Rezension von
Dr. Torsten Mergen
Universität des Saarlandes, Fachrichtung 4.1
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