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Marita Metz-Becker: Drei Generationen Hebammenalltag

Rezensiert von Dr. phil. Christina Maiwald, 06.01.2022

Cover Marita Metz-Becker: Drei Generationen Hebammenalltag ISBN 978-3-8379-3056-6

Marita Metz-Becker: Drei Generationen Hebammenalltag. Wandel der Gebärkultur in Deutschland. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2021. 310 Seiten. ISBN 978-3-8379-3056-6. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR.
Reihe: Forschung psychosozial.

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Thema

Das rezensierte Buch beschreibt sowohl den Wandel des deutschen Hebammenberufes zwischen den Jahren 1950 und 2019 als auch die Geschichte des Hebammenberufes im 19. Jahrhundert.

Die Kulturwissenschaftlerin Marita Metz-Becker informiert auf über 200 Seiten, auf der Basis einer durch sie und Studierende durchgeführten qualitativen Studie, über die Veränderungen in diesem Berufszweig.

Die große Zäsur fand Ende der 1960er-Jahre statt, als niedergelassenen Hebammen Festanstellungen in Krankenhäusern offeriert wurden, da ab dann Geburten als eine Regelleistung der Krankenkasse abgerechnet werden konnten (S. 73).

Die Frauengesundheitsbewegung forderte in den 1970er-Jahren die Selbstbestimmung über den weiblichen Körper. Frauenzentren und Frauenselbsterfahrungsgruppen bewirkten, dass sich der Trend zur Klinikgeburt langsam vollzog, weibliche Individuen wollten sich „als eigenverantwortliche Subjekte ihre eigene Gesundheit wieder aneignen“ (S. 145).

Das Ende der Ära der Hausgeburten, in Richtung „medikalisierte, klinische Geburt“ (S. 12), wird in diesem Buch historisch, politisch und bildungsspezifisch begründet aufgezeigt.

Unter Hebammenkunst (S. 5 ff.) ist das Handwerk der Geburtshilfe innerhalb des Berufsstandes seitens der Hebammen zu verstehen. Ein Frauenberuf mit einer „langen und wechselvollen Geschichte“ (S. 9), zu dem sicher vielen Leserinnen und Lesern hier bekannt ist, dass eine erhebliche Anzahl Hebammen aufgrund immens hoher Versicherungsprämien – 25 % Steigerung in den letzten zehn Jahren – ihren „Traumberuf“ (S. 274) aufgaben, was auch ein Grund für die steigende Kaiserschnittquote (derzeit 30,5 % in D.) sein kann. Der Bedarf an praktizierenden Hebammen ist beträchtlich, ob in der Stadt oder auf dem Land; es existiert gar eine „Landkarte der Unterversorgung“, welche vom Deutschen Hebammenverband veröffentlicht wurde (S. 271).

Eine klinisch manifestierte Geburtschirurgie droht in Deutschland Einzug zu halten, was einer Hebammenzunft, die über Generationen gewachsenes Wissen, das „sich nicht nur aus medizinischen, sondern auch aus sozialen und alltagsweltlichen Erfahrungen speist“ (S. 274), diametral entgegensteht.

Die Autorin und ihre Studierenden nutzten unter anderem die qualitativen Forschungsmethoden der narrativen Interviews und „Oral history“ (S. 10), während sie zwischen 2015 und 2018 Hebammen befragten, auch bereits verrentete. Zudem wurden Mütter und Verbandsexpertinnen interviewt, um die „Konstruktion und Rekonstruktion lebensgeschichtlicher Ereignisse, Erfahrungen und Erwartungen“ (S. 11) bezüglich der Gebärkultur und des Berufes abzubilden.

Autorin

Marita Metz-Becker (geboren 1953) habilitierte sich im Jahr 1996 zum Thema „Der verwaltete Körper. Die Medikalisierung schwangerer Frauen in den Gebärhäusern des frühen 19. Jahrhunderts“ und widmet vorliegendes Buch ihren fünf Enkelkindern, geboren zwischen 2009 und 2019.

Sie ist als Professorin an der Philipps-Universität in Marburg, am Institut für Europäische Ethnologie/​Kulturwissenschaft, tätig und mit verschiedensten Auszeichnungen bedacht. Frau Metz-Becker schrieb unter anderem an Büchern mit wie „Kindsmörderinnen“, die Frauen mit ungewollten Schwangerschaften zum Thema haben, oder „Mutterbilder“, das die Auswirkungen behandelt, die das Muttersein auf das Frauenbild mit sich bringt.

Entstehungshintergrund

Die Autorin verknüpfte als Kultur- und Zeithistorikerin die in zwei Seminaren von Studierenden der Europäischen Ethnologie zur Geschichte der Hebammenkunst an der Philipps-Universität Marburg gesammelten Ergebnisse.

In den Seminaren entstanden mithilfe der Studierenden 14 Hebammeninterviews, die durch 16 weitere mittels der Professorin selbst erhobene Interviews ergänzt wurden, welche die Autorin insgesamt analysierte.

Das Buch wurde, der „Danksagung“ folgend, kurz vor dem globalen Lockdown aufgrund einer „Pandemie“ am 08. März 2020 fertiggestellt. Der Druck des Buches wurde von der „Gerda Henkel Stiftung“ in Düsseldorf unterstützt; es wurde im Psychosozial-Verlag veröffentlicht, der in Gießen ansässig ist.

Aufbau

Im ersten Abschnitt, der Einleitung, wird die Methode erläutert. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der „Geschichte des Hebammenberufes im 19. Jahrhundert“, das dritte Kapitel mit der „Zweiten kopernikanischen Wende“, mit dem Ende der Hausgeburt im 20. Jahrhundert. Das vierte Kapitel widmet sich „Generationen und Traditionen“, das fünfte stellt einen Exkurs dar: „Was wollen die Frauen? Mütter erzählen“, das sechste Kapitel thematisiert mit „Die sichere Geburt“ „Risikodiskurse“, worauf im siebten Kapitel die „Verbandspolitischen Forderungen“ aufgegriffen werden, worauf dann der „Epilog“ folgt.

Inhalt

Den Gebärenden ein Gefühl von Sicherheit und Schutz zu vermitteln, den Frauen einen sicheren Rahmen für ihre Geburt zu schaffen und de facto sichere Geburten durchzuführen, unter anderem diese Tätigkeiten fallen seit jeher in den Aufgabenbereich der Hebammen. Diese Kernaufgaben veränderten sich in den 1970er-Jahren zunehmend, denn Medikalisierung und Pathologisierung (S. 74), unter dem Mythos der (vermeintlichen) Sicherheit, zogen in die Geburtshilfe ein.

Sowohl gesellschaftliche, historische und politische als auch ökonomisch veränderte Rahmenbedingungen ließen die Anzahl der „klinischen Geburten“ in den letzten Jahrzehnten steigen.

Das Buch vergegenwärtigt den Wandel des Berufes über drei Generationen hinweg: Von der Universalfachfrau in Sachen natürlicher Geburtshilfe mit familiärer Einbindung (S. 83) über die Hebamme, welche in der NS-Zeit eine Offiziersstellung innehatte (S. 37), um die „Geburtsschlacht“ zu leiten (zitiert nach Lisner 2006, S. 224), bis hin zur Dienerin des Arztes, die sich um „Patientinnen“, nicht um Gebärende, zu kümmern habe (S. 243).

Der Deutsche Hebammenverband informiert auf seiner Homepage:

Zitat: „Die Hebamme ist die Fachfrau rund um die Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach. Sie arbeitet auf der Grundlage des Hebammen-Gesetzes (HebG vom 04. Juni 1985), der Berufsordnungen der Länder und den Mutterschaftsrichtlinien (S. 180). Zu jedem Zeitpunkt Ihrer Schwangerschaft können Sie mit der Hebamme Ihrer Wahl in Verbindung treten und sie um Rat fragen. Sie wird Sie zu allen Fragen der Schwangerschaft, Geburt, des Wochenbetts und der Zeit danach beraten. Ihre Hebamme ist eine wichtige Kontaktperson während Ihrer Schwangerschaft und betreut Sie rundherum vom Beginn ihrer Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit“ (S. 180).

Mutterschaftsrichtlinien, welche im Hebammen-Gesetz (HebG vom 04. Juni 1985) festgeschrieben sind, kennzeichnen den Beruf (S. 180).

Der Faktor „Sicherheit“ war immer ein Thema! Während die Frauen lange Vertrauen in eine natürliche, animalisch geprägte Gebärkultur hatten, zog im Rahmen der „Hierarchisierungsbestrebungen in der Geburtshilfe“ um das Jahr 1800 herum (S. 22 ff.) eine gewisse Instrumentengläubigkeit (Beispiel: ärztlich eingeleitete Zangengeburt) ein.

Dies bedeutete eine Abkehr vom aktiven Gebären zum passiven Entbinden, das um 1800 mit der „Verwissenschaftlichung der Geburtshilfe“ (S. 22) seinen Lauf nahm.

Aus der umfassenden und kontextdifferenzierten Darstellung des Buches fokussiert sich die Rezensentin im Folgenden auf die „Sicherheit“, bei Geburten der Gebärenden Sicherheit zu vermitteln (S. 51) und das Ungeborene in seinem, seit Menschheitsgeschichte, individuellen Geburtsprozess sicher ins Leben zu begleiten. Dies bildet den Schwerpunkt der Hebammentätigkeit, was auch im Buch immer wieder Erwähnung findet.

Schwangere besitzen heterogene Sicherheitsbedürfnisse, wenn sie ihr Kind auf die Welt bringen, was in erster Linie in Abschnitt VI: Risikodiskurse: „Die sichere Geburt“ verdeutlicht wird. Die Entscheidung, an welchem Ort (und bestenfalls unter welchen Umständen) eine Frau ihr Kind gebärt, sollte ihr – nach Rücksprache mit ihrer Hebamme –, ohne Sorgen „anzuheizen“, überlassen bleiben (S. 273).

Was ist eine „normale“ Geburt?

Für die Hebamme gehören „auch die Beckenendlage“ (S. 67), „Zwillingsschwangerschaften“ (S. 241) zu einer normalen Geburt dazu, für die Ärzteschaft dagegen ist der Kaiserschnitt üblich (S. 67), der allerdings „noch im 19. Jahrhundert als >geburtshilfliche Verzweiflungstat< galt“ (S. 240).

Die Autorin informiert, dass sich einige Ärzte wieder auf die „eigentliche Entbindungskunst“ besinnen und selbst bei vorliegender „Steißlage vaginal entbinden“ (S. 67), was, der Autorin folgend, geradezu als ein signifikanter Pluspunkt auf der Webseite einer Klinik herausgearbeitet werden kann. Letztlich gehe es auch in der Ausbildung darum, mit den Hebammenschülerinnen Fertigkeiten zu trainieren und nicht lediglich die Assistenz bei Kaiserschnitten (S. 241).

Hebammen haben nach § 5 (HebG) die „notwendige Fürsorge“, oder gar ihre Hebammenkunst (S. 64 ff.) bei „normalen Geburten“ (§ 5 HebG) auszuüben. Was als „normal“ oder anormal zu bezeichnen ist, wird im Kapitel „Generationen und Traditionen“ (S. 45 bis S. 190) ausführlich geschildert. Geburten sind seit Menschheitsgeschichte Frauensache; Frauen bedürfen beim Gebären eines geduldigen Zuspruchs in Bezug auf die vorhandene Kraft und dem Sicheinstellen auf die Geburt (vgl. S. 53).

Ein Berufszweig, welcher durchaus manuelles Geschick benötigt (S. 67), macht die Hebammen und den Hebammenberuf unersetzlich.

Kenntnis darüber, „wo Normalität aufhört und die Pathologie anfängt“ (S. 53), muss den Hebammenschülerinnen gelehrt werden, denn „Anomalitäten“ zu erkennen, „gehört ja mit zu dem Wissen, was man angeeignet bekam“, so eine befragte Hebamme (S. 53).

Die Hebammenkunst speist sich auch aus ruhigem, manuellem Geschick, selbst wenn Herztöne absinken oder das Kind „verkehrt herum kommen“ will (S. 68). Die Hebammen zeigten dem klinischen Personal, z.B. während Untersuchungen mit dem Hörrohr und durch die Hebammenkoffer-Ausstattung, wie es geht (S. 68), und ermöglichten diesen die Teilhabe an einer alten Handwerkskunst. Hebammen haben „zu allen Zeiten“ für die ihnen anvertrauten Frauen eingestanden. „Technisierung, Hospitalisierung und Medikalisierung der Geburt“ sahen die Hebammen „stets kritisch“ (S. 274).

Hier wird nun, zum Überblick für die Leserschaft, mit der außerklinischen Geburtshilfe begonnen und dieser wird dann die klinische Geburt bezüglich des „Sicherheitsbegriffes“ gegenübergestellt.

Außerklinische Geburten

Vorsorgeuntersuchungen auf Krankenkassenkosten in Anspruch nehmen zu können, könne „Selbstvertrauen vermitteln“ (S. 181) und zum „guten Geburtserlebnis“ (S. 181) führen – zuvorderst, so wird im Buch betont, wenn die Vorsorge von Hebammen durchgeführt wird (S. 181) und nicht von Ärzten. In Arztpraxen, lässt die Autorin anklingen, werden die Frauen eher verängstigt, verunsichert und pathologisiert (S. 181).

Das lebendige Hebammenwissen mit Fähigkeiten und Fertigkeiten wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Einige befragte Hebammen arbeiteten selbst nach dem Renteneintrittsalter noch jahrelang (z.B. bis zum Alter von 90 Jahren) weiter und standen ‒ in einem Fall ‒ der Schwiegertochter, die auch Hebamme wurde, „mit Rat und Tat zur Seite“ (S. 45 f.).

Hebammen übernachteten durchaus gelegentlich im Haus der Gebärenden, waren und sind sich ihrer Kompetenzen bewusst, die sie „auch bei schwierigen Geburten unter Beweis stellten“ (S. 83). Selbst die erste Geburt, die eine befragte Hebamme anno 1953 „ganz alleine“ durchführte, fand ihrer Aussage nach in Gelassenheit statt (S. 65). „Mit erstaunlicher Selbstsicherheit“, „voller Energie“ widmeten sich die jungen Hebammen damals ihrem Dienst und „kamen ohne ärztlichen Beistand und Medikamente zurecht“ (S. 83 f.).

Zu einer Geburt „gehören Ruhe und Gelassenheit“, so eine Hebamme, für die eine Hausgeburt „alltäglich und eigentlich das Normale war“ (S. 52). Früher waren die Hebammen viel mehr in das Familiengeschehen eingebunden, weil evtl. schon vorherige Geburten zu Hause bei der entsprechenden Familie stattfanden (S. 64), und es verkörperte mithin für sie kein Problem, wenn die Wehen um zwei Uhr nachts starteten (S. 55). Hebammen schätzten das »Häusliche« und »Kuschelige« bei Hausgeburten, im Vergleich zur Klinikgeburt, sehr (S. 62). Dass sich die Frauen wohlfühlten und besonders dass sie nicht unter Zeitdruck gerieten, war für die Hebammen von erheblichem Belang (S. 51 ff.).

Die Abkehr von der Hausgeburt zur überwiegend in Kliniken stattfindenden Geburt gestaltete sich in den 1960er-/​1970er-Jahren regional unterschiedlich. In den Großstädten wurden „schon ca. 15 bis 20 Prozent der Kinder in einer Klinik geboren“, wohingegen traditionelle Hausgeburten auf dem Land noch bis in die 1960er-Jahre hinein üblich waren (S. 45), als »normal« galten sowie »normal« verliefen (S. 63). Das gesamte Dorf wählte bis in die 1960er-Jahre hinein seine zuständige Hebamme. Sie galt als Koryphäe in ihrem Metier, als „Vertraute, Beraterin, Zuhörerin, Freundin und oft auch mütterliche Figur“ (S. 85), als „Autorität“ eh (S. 83).

Rituale, wie eine Nottaufe durchzuführen, oder den von der Dorfhebamme angeleiteten „Taufzug“, als Umzug durchs Dorf (S. 76), durchzuführen, sind heutzutage kaum mehr vorstellbar.

Landhebammen halfen im Laufe ihres Berufslebens über 2.500 Menschen dabei, das Licht der Welt zu erblicken, was einen unermesslichen Erfahrungsschatz ausmacht. Keine „Maschine kann einen Menschen mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen ersetzen“ (S. 70).

Üblich bei der außerklinischen Geburt ist, dass sich die Frau sowohl die Gebärposition als auch die Position im Raum eigenverantwortlich frei wählen kann. Die beste Position ist die hockende, bei der die Gebärende die kognitive Kontrolle vergessen kann, was für türkische Frauen – den deutschen Hebammen ganz neu – (S. 72) bis zum Ende der 1960er-Jahre die übliche Position war. Das bedeutet, dass den Dorfhebammen türkische Frauen verblieben, die noch zu Hause gebären wollten. Allerdings zogen danach auch die Türkinnen vor, im Krankenhaus zu gebären.

Dass dann sämtliche Kosten für die Klinikgeburt von der Krankenkasse übernommen wurden, bedeutete eine Kehrtwende für die außerklinische Geburt. Ob der Trend wirklich im Sinne der Gebärenden ist, macht diese Aussage einer der „Letzten Landhebammen“ deutlich: Die Keimlast war „bei einer Hausgeburt minimal, in der Klinik hingegen hoch“ (S. 71).

Die Landhebammen und die Hebammen in den Geburtshäusern vertrauten sich selbst, ihren persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ihrem beruflichen Handwerkszeug an sich, was ihnen und somit den schwangeren Frauen Sicherheit vermittelte.

Klinische Geburt

Die Autorin formuliert, dass das „Ende der Hausgeburt im 20. Jahrhundert“ stattfand, obwohl die Hebammen „gut zurechtkamen ohne die Medizin“ (S. 84).

Wie vorgehend aufgeführt, schien es auch politische, wissenschaftliche, medizintechnische und wirtschaftliche Gründe für den Übergang von der Hausgeburt zur klinischen Geburt gegeben zu haben. Sowohl ein neu definiertes oder implementiertes Sicherheitsverständnis bzw. angstbehaftetes Unsicherheitsgefühl als auch eine Neudefinition von „Risikoschwangerschaft“, durchaus teilweise „mediengesteuert“ (S. 56), mögen dazu beigetragen haben. Fraglich ist, warum Frauen selbst glaubten, eine Risikoschwangerschaft auszutragen, wenn sie lediglich über 35 Jahre alt sind. Selbst diese Frauen tendierten dazu, im Krankenhaus (wieso eigentlich „krank“?) zu gebären, auch wenn die Geburt aufgrund des Alters der Frau gar nicht gefährlich sein muss (S. 235 ff.).

Deswegen gelten heutzutage „Frühgeburten, Beckenendlage, Zwillinge“ als Risikoschwangerschaften (S. 63), welchen sich die befragten Landhebammen damals, zusammen mit dem niedergelassenen Landarzt, bei der Gebärenden zu Hause widmeten. Einige Hebammen empfanden für ihr berufliches Handeln Sicherheit, wenn sie erfahrene Kolleginnen hinzuziehen konnten und nicht, wie in der freien Praxis, allein auf sich gestellt waren (S. 96). Möglicherweise wurde bei ihnen während der Ausbildung Angst geschürt, was sie ohne ärztliche Begleitung zu tun haben und mit Ärzten auf der sicheren Seite sind (S. 96). Der Dienst im Krankenhaus eröffnet den Hebammen die Gelegenheit, die Verantwortlichkeit abgeben zu können (S. 96). Dagegen steht: „Im hierarchischen System einer Klinik sind der Hebammenkompetenz in Relation zur ärztlichen Kompetenz jedoch strenge Grenzen gesetzt“ (S. 97). Eine Klinikgeburt zeichnet sich meist, abgesehen von „aggressiven Keimen“ in der Klinik (S. 71), durch den „obligatorischen Dammschnitt“ (S. 97), CTG, Geburt in der Rückenlage und „fehlende Eins-zu-eins-Betreuung“ aus (S. 97), um – das ist das Ziel ‒, möglichst reibungslos und ökonomisch nützlich zu verlaufen. Einen „wichtigen Satz“ einer interviewten Hebamme hebt die Autorin hervor: „Die Klinikhebammen müssen einfach viel wissen, um wenig zu tun“ (S. 97).

Sie müssen sich sowohl mit technischem Equipment, wie der Apparatemedizin, und der Pharmazie auskennen als auch eine besondere Gebärposition, nämlich die passiv liegende Position, propagieren (S. 94), obwohl den Hebammen die Effektivität z.B. einer Wannengeburt bekannt war und ist (S. 94). Einige Hebammen sehen den Dammschnitt unkritisch in der klinischen Geburtshilfe gar „als Notwendigkeit“ an (S. 94).

Für das häufige Intervenieren in den Geburtsprozess mittels einer Peridualanästhesie (künstliche Einleitung der Wehen, PDA) kritisieren Hebammen die Ärzteschaft, denn diese Intervention kann nachfolgend „oft negative Folgen einer Saugglockengeburt oder anderer operativer Eingriffe“ (S. 241) mit sich bringen.

Geburten ohne PDA laufen eigentlich unkomplizierter ab“, allerdings sind Gebärende mit PDA besser zu kontrollieren, gab eine Hebamme zu (S. 202). Nicht allein im klinischen Setting verabreichte PDAs, auch Kaiserschnittquoten werden im Buch kritisch betrachtet: Selbst einen befragten Gynäkologen stimmt bedenklich, dass die Kaiserschnittquote mittlerweile „bei 35 %, in einigen Kliniken bei 50 %“ sei (S. 97).

„Wissenschaftliche Erkenntnisse und Neuerungen in der klinischen Geburtsmedizin verhalfen dem Ansehen der Klinikgeburt in der bundesdeutschen Bevölkerung zum Durchbruch“ (S. 101), was die Autorin auch im Hinblick auf den Einfluss der Politik auf den Beruf und die Stellung der Frau in der Gesellschaft entfaltet. „Das öffentliche Gesundheitswesen wurde“ im Nationalsozialismus „in die Politik des Regimes integriert“ (S. 36) und als „Prestigegewinn“ wird im Buch geschildert, dass eine „Hinzuziehungspflicht der Hebammen“ gesetzlich verankert wurde (S. 36).

Das Geburtsbett wurde zu NS-Zeiten „zum Schlachtfeld der Frau“ erklärt, wobei die Hebammen den „Status eines Offiziers“ innehatten (S. 37). Allerdings sind Hebammen damals in ein „ambivalentes Doppelmandat“ gerutscht: einesteils „als Vertraute der Frauen“, anderenteils als „Vertraute des Staates“ (S. 37).

Diskussion

Der Fokus dieser Rezension wurde auf den Aspekt der „Sicherheit“ gelegt; hier wurde grob skizziert, was eine „natürliche Geburt“ von einer „Risikogeburt“ unterscheidet. Außerdem wurde in dieser Rezension auszugsweise geschildert, welche Möglichkeiten des Gebärens (außerklinische Geburt) bzw. des Entbindens (klinische Geburt) unter hebammenfachkundlicher Begleitung derzeit in Deutschland existieren. Benanntes ist methodisch nachvollziehbar und faktenbasiert im Buch dargestellt.

Die Klinikhebammen vertrauen der Apparatemedizin, dem kollegialen Austausch und schätzen die mögliche Abwälzung von Haftungsfragen im Krankenhaus, was ihnen Sicherheit vermittelt. Die Hausgeburtshebammen dagegen vertrauen eigenverantwortlich ihren fachlichen, manuellen und persönlichen Fähigkeiten sowie Fertigkeiten bezüglich eines Berufes, der so alt ist wie die Menschheit.

Sicherheit vermittelt letztlich das Vertrauen in die Natur und in die menschlichen oder animalischen Triebe, welche das Ungeborene heraustreiben. Sicherheit vermittelt ferner der werdende Mensch, das lebende Wesen, das sich selbst, aus eigener Kraft, aktiv aus dem Geburtskanal herausdrückt.

Für beide Gruppen gilt: „Obwohl es nicht mehr Geburtsschäden als früher gibt, haben sich durch den medizinischen Fortschritt die Behandlungs- und Pflegekosten pro Versicherungsfall dramatisch erhöht“, was eine „gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die auf dem Rücken der Hebammen ausgetragen wird“, kennzeichnet (S. 271).

Hebammen üben vehement Kritik am bestehenden Gesundheitssystem (S. 274) und verändern oft auch aus oder gar insbesondere aus ökonomischen Gründen ihren beruflichen Schwerpunkt oder ziehen sich komplett aus dem Beruf heraus. Bedenklich ist, dass im Zuge dessen das profunde Wissen der Geburtshilfe, das früher von Generation zu Generation weitergegeben wurde, verloren zu gehen droht.

Die Schwangeren, mit dem Recht auf „die freie Wahl des Geburtsortes“, stehen zunehmend allein da: Das diesbezügliche Wahlrecht bezüglich der Geburtsbegleitung und des Geburtsortes wird „unterlaufen“ (S. 271). Im Hebammengesetz heißt es so treffend, die Schwangere könne „mit der Hebamme Ihrer Wahl in Verbindung treten“(S. 180).

Aber woher nehmen?

Bewertung:

Der Buchtitel „Drei Generationen Hebammenalltag – Wandel der Gebärkultur in Deutschland“ ist treffend, das Titelbild dagegen grotesk: Die Grau- und Schwarztöne der Buchhauptseite langweilen, viel mehr noch ist es irreführend, da ein lederfarbener „Arztkoffer“ mit darüberliegendem Stethoskop abgebildet ist. Geht es in dem Buch um den Arztberuf oder ganz und gar um ein anderes Metier, wie es das der Hebammen ist? Immerhin wird auf über 270 Seiten der Hebammenberuf als Handwerkskunst thematisiert, die nicht nach der Logik der Pharmazie und/oder der Medizintechnik funktioniert.

Der Hebammenberuf nutzt somit gerade nicht das für Ärzte markante und kennzeichnende Stereoskop. Zitat aus dem Buch: Hebammen nutzen „kein Stethos“ (Kurzform von Stethoskop) (S. 69), sondern das Hörrohr und tragen für Hausbesuche einen auf Seite 65 abgebildeten Hebammenkoffer bei sich. Genau diese Differenz zwischen diesen beiden Berufsgruppen ‒ den Ärzten und den Hebammen ‒ wird von Marita Metz-Beckerin ihrem Buch entfaltet.

Der Psychosozial-Verlag hat mit dem Titelbild das Thema verfehlt.

Eine befragte Hebamme z.B. zweifelt an der Genauigkeit von „Maschinen“, wie dem intrauterinen Ultraschall, was Gewicht und Geschlecht angeht, und vertraut am meisten ihren Händen (S. 70). Im Buch wird überdies ausführlich ausgeführt, dass Schwangere unterschiedlich gelagerte Sicherheitsbedürfnisse für sich und ihr Ungeborenes aufweisen.

Schwangere, auf der Suche nach Informationen, nutzen Internetdienste wie die Suchmaschine Google, die sie in die Hände und zur Überwachung durch Ärzte hinbewegen. Zitat: „[Ä]rztliche Vorsorgeuntersuchungen und Gesundheitschecks“ seien „unverzichtbar“, formuliert die AOK (S. 181), anstatt den Mutterpass von der betreuenden Hebamme ausfüllen zu lassen (S. 181), so die Autorin.

Die Hebamme, als Frau ‒ an der Seite der Gebärenden ‒ ist heute bedeutsamer denn je, da, wie es früher eher üblich war, Mütter, Großmütter, Freundinnen nicht unbedingt zu dieser speziellen Zeit im Leben einer Frau dabei sind. Vornehmlich alleinerziehende Frauen benötigen Fürsorge, dass sich jemand um sie und den Säugling kümmert, auch noch in der Zeit nach der Geburt. Viele Probleme (z.B. Nachblutungen) erübrigen sich, wenn Mutter und Säugling ein bis zwei Stunden nach der Geburt, im geschützten Raum, für sich haben. Frauen wollen per se in ihrem Tempo gebären (S. 172).

Die Hebamme ist bestrebt, die künstlich hergestellte Fremdbestimmtheit auszuschalten (S. 173), indem auf die Interaktion zwischen Frau und Hebamme fokussiert wird (S. 173). In den Blick rückt überdies die Stärkung des Vertrauens in den weiblichen Körper, weswegen die Frau als „starkes Geschlecht“ (S. 169) anerkannt wird. Des Weiteren gilt es, dem Ungeborenen zu vertrauen, wie und wann es geboren werden möchte. Dies kommt im Krankenhaus zu kurz, weil dort auf die Uhr geschaut wird (S. 178 f.) und OPs, wie Kaiserschnitte es sind, geplant werden müssen.

Der Wunsch, den Mutterpass ärztlicherseits ausgefüllt zu bekommen, stammt von den Schwangeren, möglicherweise, wie zur Sprache gebracht, angeregt durch soziale Netzwerke (S. 181). Nun wissen die Frauen, die dieses Buch lesen, dass die Vorsorgeuntersuchungen lt. interviewten Hebammen in den Aufgabenbereich der Hebammen fallen (S. 181). Mit der Entscheidung, wer die Vorsorgeuntersuchungen durchführt, werden „die Weichen“ gestellt, wie, wo und unter welchen Bedingungen die Frau entbinden wird (S. 181), was auch als schicksalhaft für den Säugling zu bewerten ist.

Aus den erwähnten Gründen und seit 03/2020 womöglich wegen der „Pandemie“ verunsicherte (und eher verkopfte) Schwangere können sich kaum vorstellen, wie einfach, intuitiv und animalisch in „Eigenkraft“ (S. 74) „gekreist“ werden kann, um ein menschliches Wesen auf die Welt zu bringen.

Es scheint sich um einen Teufelskreis zu handeln: Die Krankenhausatmosphäre kann die Schwangere ängstigen, die Schulmedizin interveniert z.B. mit der Vorgabe, wie die Gebärposition auszusehen hat, und dem Ungeborenen geht es (dadurch womöglich) schlecht.

Handelt es sich nicht um das Normalste von der Welt, mit der Unterstützung einer Hebamme ein Kind auf die Welt zu bringen? Wird die Gebärende in Ruhe gelassen, nicht unablässig angesprochen, kann sie sich unbeobachtet fühlen, ist sie voll eines Hormon-Cocktails, um das Kind zu dem Zeitpunkt, zu dem auch das Kind bereit ist, auf die Welt zu kommen, zu gebären.

Post-pandemisch ist für das Jahr 2022 seitens der Politik ein digitaler Mutterpass geplant. Darüber hinaus wird eine „Geburtschirurgie“, anstatt Hebammenkunst, befürchtet (S. 15). Schon jetzt sei die Kaiserschnittrate, welche 2010 die WHO allenfalls für 10 % bis 15 % der Geburten für indiziert hält, in Deutschland mit 30,5 % zu hoch (S. 10).

Welche Auswirkungen derartige Pläne, wie ein digitalisierter Mutterpass, auf Mutter, Kind, Geburtsort und Art der Geburt haben, sei dahingestellt.

Das Buch, welches auf einer zwischen 2015 und 2018 an der Philipps-Universität Marburg durchgeführten qualitativen Studie, mittels 30 von der Autorin persönlich ausgewerteten Interviews, basiert, beschreibt profund die prozesshaften Veränderungen der hebammenspezifischen Berufsbiografien und fügt diese professionell in die aktuelle kulturwissenschaftliche Forschung ein.

„Komplikationslose Geburten“ betrachteten Ärzte einst nicht als ihr Aufgabengebiet (S. 23), das sei der Aufgabenbereich der Hebammen. Die Gründe, warum sich dann nun trotzdem immer mehr Schwangere operativen, anästhesierten Kaiserschnitten unterziehen, kann sich der Leser/die Leserin nach der Lektüre des Buches selber herleiten, was als sehr aufschlussreich beurteilt wird. Die Tendenz von einer natürlichen Gebärkultur im Rahmen der Hebammenzunft hin zu einer medikalisierten Gebärchirurgie durch Ärzte wird im rezensierten Buch kulturwissenschaftlich, auf Datenbasis, entfaltet und analysiert.

Das Gebären in ärztlich geleiteten „Accouchieranstalten“ besaß „keinen guten Ruf“ (S. 24) und der Aufenthalt sowie die Geburt des Kindes kamen einzig (auch teilweise in ausweglosen Situationen) für „ledige und arme Schwangere“ (angelehnt an Zitat) in Betracht. Die Schwangeren bezahlten dort im Namen der Wissenschaft, da zu Studienzwecken, wie in einer „Strafanstalt“, „mit ihrem Leben“ (S. 25). Die Ärzte beobachteten wie in einem „Sektionslocal“ (S. 28) das Naturschauspiel und probierten sich aus (S. 27). Die Akademisierung hat somit die Menschen auch von der Natur entfremdet, wie am Beispiel der Accouchieranstalten von der Autorin veranschaulicht (ab S. 24), als auch von der Tatsache, dass die „Anwendung von Heilkräutern oder meditativen Techniken“ aufgegeben werden sollte (S. 18 f.).

Dieser kurze historische Exkurs, der im Buch interessant auf 10 Seiten geschildert wird, verdeutlicht die fachliche Diskrepanz und Unterschiedlichkeit zwischen dem Arzt- und dem Hebammenberuf.

„Wissenschaftliche Erkenntnisse und Neuerungen in der klinischen Geburtsmedizin verhalfen“ in den 1960er-Jahren „dem Ansehen der Klinikgeburt in der bundesdeutschen Bevölkerung zum Durchbruch“ (S. 101). Klinikgeburt bedeutet, „Fall“ zu sein, häufig liegend.

Quantifizierbare Daten, CTG, Blutdruck Blutwerte etc., werden regelmäßig erhoben und dokumentiert, was den Geburtsprozess beeinträchtigen kann, da die Kreisende observiert wird und davon abgehalten wird, in sich versinken zu können.

Ein Berufsbild, welches von vielen Hebammen (weiterhin) als Traumberuf bezeichnet wird, und ein Beruf, welchen Deutschland so dringend benötigt, um Frauen zu empowern, dass sie sich und ihrem Körper und nicht nur auf die (vermeintliche) Sicherheit der Apparatemedizin und auf die Personen im weißen Kittel vertrauen, wird von Marita Metz-Becker ausführlich entfaltet.

Es ist einem Flächenbrand gleich: Der Bedarf an Hebammen ist extrem hoch. Auch im Krankenhaus ist die Hebamme die Anwältin für die Schwangere, sie ist auf der Seite der Schwangeren. Die Hebammen sollen die Schwangeren schützen, aber der „Machtkampf“ zwischen Ärzten und Hebammen, gerade im Krankenhaus, ist groß. Ob sich die Schwangere, auch aufgrund der herrschenden Hierarchie im Krankenhaus, in derartiger Atmosphäre entspannen kann, ist fraglich.

„Die Eigenkraft für die Entbindung, dass sie das selber schaffen“ (S. 74), formulierte eine befragte Hebamme als elementar für die Gebärenden. Die Frauengesundheitsbewegung der 1970er-Jahre wollte keine „programmierte Geburt“ (S. 176) und dennoch ist es jetzt dazu gekommen, dass Schwangere freiwillig ‒ selbst für komplikationslose Geburten ‒ ins Krankenhaus (Betonung auf „krank“) gehen und sich sowohl der Apparatemedizin als auch der Pharmazie ausliefern.

Dort leiden Hebammen persönlich und fachlich unter anderem unter „Spannungen mit der Ärzteschaft“ (S. 176). Darüber hinaus belasten „das Machtgefälle in der Klinik und die“ berufsspezifische „Überarbeitung der Hebammen, die drei Geburten gleichzeitig betreuen müssen“ die Klinikhebammen (S. 178).

Allerdings stellt der wesentliche Aufgabenbereich der Hebammen die Interaktion mit der Schwangeren dar. Es gilt, die Frauen zu stärken und ihnen die wertschätzende, respektvolle und vertrauensstärkende Sicherheit, die ihnen ihr Körper bietet, zu vermitteln. Stattdessen entwickelt sich die „Gebärkultur in Deutschland“ zur Geburtsmedizin, was unter Umständen politisch (S. 36 ff.) und medial (S. 181) gewollt ist und somit lanciert wird.

Es kommt, häufig auch aufgrund PDA, medizintechnisches Equipment, wie die Geburtszange, zum Einsatz, anstatt „mit animalischer Ergebenheit die Hilfe der Natur abZUwarten“ (S. 23 eigene Hervorh.).

Anschauliche Abbildungen (Bsp. Das Abtasten der Frau durch die Geburtshelfer, indem diese der stehenden Frau, ohne Blickkontakt, unter ihr Kleid greifen, S. 27) veranschaulichen die Machtverhältnisse. Für einen eventuellen Nachdruck sei darauf hingewiesen, dass die Abb. 11 (Wöchnerinnenschüssel) doppelt enthalten ist. Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass die Interviews in sieben westlichen Bundesländern geführt wurden, d.h., der Wandel des Hebammenalltages vor, während und nach der DDR-Ära (in der DDR fanden überwiegend Klinikgeburten statt) kommt bezüglich des Buchtitels „Wandel der Gebärkultur in Deutschland“ kaum zum Tragen. Mehr Informationen zu den Auswahlkriterien genauso wie zur Analysetechnik der empirisch erhobenen, transkribierten Interviews wären von Interesse.

Aus jeder Zeile ist die große Wertschätzung der Autorin zum Berufsstand der Hebamme erkennbar, die den Gebärenden von Berufs wegen Sicherheit zu vermitteln hat. Einige Schwangere, die als Ort der Geburt das Krankenhaus präferieren, scheinen die Sicherheit so hoch anzusetzen, dass sie bereit sind, die (ehemals) freien Entscheidungen wie Gebärposition, Gabe von Pharmaka, Anwesenheit von nahestehenden Menschen, Raumgestaltung, Behandlung des Säuglings nach der Geburt etc. nachrangig einzuschätzen.

Eine befragte Klinikhebamme hoffte häufig, der Arzt möge seine Hände von der Gebärenden nehmen und diese lieber in seiner Manteltasche lassen. Dies alles, weil die Schwangere meint, sich in der Klinik sicherer zu wähnen, wo Krankenhauskeime grassieren und Sepsis drohen könnte. Hier passt ein sinngemäßes Zitat von John F. Kennedy: Wer Sicherheit über Freiheit stellt, hat beides nicht verdient.

Einerseits mag die von der Autorin beschriebene Frauengesundheitsbewegung der 1970er-Jahre, welche „gegen Medikalisierung weiblicher Sexualität bei Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und Menopause“ argumentiert (S. 74), aktuell vonnöten sein, andererseits mag mit ihr eine (gesellschafts-)politische Stärkung des Hebammenberufes verbunden sein, auch aufbauend auf der Aussage der Frauenbewegung „mein Bauch gehört mir“. Hebammen sind versiert in der Einschätzung von „normalen Geburten“ und erkennen „Anomalien“ (S. 53), die ihre Hebammenkunst eventuell zu stark herausfordern könnten. Etwas Normalität in der Geburtshilfe würde den Müttern aber auch gesellschaftspolitisch nicht schaden, worauf die Autorin hinweist, indem sie bedauert, dass es immer schwieriger wird, „ein Kind außerklinisch oder in einer hebammengeleiteten Einrichtung zur Welt zu bringen“ (S. 271).

Das Berufsbild einer Hebamme ist vielfältig und, wie bereits notiert, wird diese Tätigkeit von vielen interviewten Hebammen als „Traumberuf“ bezeichnet. Im Buch wird ausführlich geschildert, dass Hebammen bis ins hohe Alter gefragte Persönlichkeiten sind, etwa wegen ihrer Kenntnis über die Hebammenheilkunde. Sogar geistlicher oder spiritueller Beistand war/ist möglich, denn Hebammen führten, wie angeklungen ist, früher den Taufzug an oder die Nottaufe durch. Hebammen besaßen früher noch das manuelle Geschick, das „Handwerk“ (S. 67), und konnten die Kunstgriffe bei Beckenendlage (S. 66), welche sie normal entbanden (S. 66). Die Nabelschnur solange wie möglich an der Plazenta zu lassen, war geläufig; selbst die Nabelschnur um den Hals des Säuglings war für sie kein Problem, weil dies de facto sehr häufig der Fall ist.

Die Hände der Hebamme, Geburtsrituale, ihr Hebammenkoffer, inklusive Hörrohr, um der Kraft des Herzens zu lauschen, sind bewährt, sie scheinen sinnvoller als jedes Stethoskop und womöglich besser als ein CTG. Wissenschaftlich fundiert wurden die Forschungsergebnisse zur Gebärkultur in den historischen wie in den politischen und in den wirtschaftlichen Kontext gesetzt, um die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des Hebammenberufes zu beschreiben.

Alarmierend (aber auch durchaus ermutigend formuliert) werden aktuelle Erfordernisse, was den Berufsstand angeht, dargestellt, um den Fortbestand der Hebammenzunft und letztlich das Überleben der Menschheit zu gewährleisten.

Fazit

Das Werk kann als eine Hommage an den Hebammenberuf bezeichnet werden und gilt jeder Hebamme in Deutschland, die derzeit noch ihren erlernten Beruf ausübt, und selbstverständlich den früher tätigen Hebammen.

Ein „waches politisches Interesse“ (S. 274) ist besonders seit 2020 angezeigt, damit nicht wieder „das öffentliche Gesundheitswesen“, zulasten der Gebärenden, Mütter und Säuglinge, in „die Politik des Regimes“ integriert wird (S. 36). Die Hebamme ist eine Menschenbegleiterin in außergewöhnlichen Lebenssituationen, die bestenfalls in Generationen gewachsenes Wissen erlangt hat. Eine Frau, die über Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügt, welche „sich nicht nur aus medizinischen, sondern auch aus sozialen und alltagsweltlichen Erfahrungen speist“ (S. 274). Diesem Berufsstand sollte größte Wertschätzung gezollt werden.

Es handelt sich um ein äußerst empfehlenswertes Buch, basierend auf empirisch erhobenem Datenmaterial inklusive Literaturanalyse bezüglich des Hebammenberufes der letzten 200 Jahre (S. 15).

Besonders lesenswert ist dieses Werk sowohl für am Berufsstand Interessierte als auch für Schwangere, für Mütter und Väter, für Politiker und Medienvertreter sowie für alle, die sich für Menschlichkeit und Menschenwürde, besonders unter der Geburt, fernab von ökonomischen und politischen Interessen, stark machen. „Es ist nicht egal wie wir geboren werden“, so Michel Odent.


[1] https://www.dhm.de/archiv/​ausstellungen/​kennedy/​mup_polbil.htm (15.10.2021)

Rezension von
Dr. phil. Christina Maiwald
Dipl.-Sozialwirtin
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Es gibt 13 Rezensionen von Christina Maiwald.

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Zitiervorschlag
Christina Maiwald. Rezension vom 06.01.2022 zu: Marita Metz-Becker: Drei Generationen Hebammenalltag. Wandel der Gebärkultur in Deutschland. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2021. ISBN 978-3-8379-3056-6. Reihe: Forschung psychosozial. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28173.php, Datum des Zugriffs 08.10.2024.


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