Johanna Muckenhuber (Hrsg.): Disruption der Arbeit?
Rezensiert von Prof. Dr. Thomas Elkeles, 25.03.2022

Johanna Muckenhuber (Hrsg.): Disruption der Arbeit? Zu den Folgen der Digitalisierung im Dienstleistungssektor. Campus Verlag (Frankfurt) 2021. 260 Seiten. ISBN 978-3-593-51334-8. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.
Thema
Der Band nimmt in einem interdisziplinären Überblick Folgen der Digitalisierung am Arbeitsmarkt im privaten wie öffentlichen Service- und Dienstleistungsbereich in den Blick. Eine „Disruption“, also eine abrupte Änderung der Arbeit durch neue Technologien, wird noch im Titel als Frage gestellt, jedoch gleich zu Beginn dann als solche verneint. Vielmehr handele es sich um „Wandlungsprozesse mit einem phasenweise langsameren und phasenweise stark beschleunigtem Verlauf“ (S. 16). Da zudem der Begriff Digitalisierung recht unterschiedlich gebraucht wird, müsse in den einzelnen Bereichen im Einzelfall festgestellt werden, was hier in den verschiedenen Bereichen bzw. im Dienstleistungssektor gemeint sei.
Herausgeberinnen und Herausgeber
Privat-Dozentin MMag. Dr. Johanna Muckenhuber lehrt am Institut für Soziale Arbeit an der Fachhochschule JOHANNEUM Graz.
Martin Griesbacher, MA, ist Mitarbeiter und Koordinator am Forschungsnetzwerk Human Factor in Digital Transformation an der Universität Graz.
Josef Hödl, Ing., ist extern Lehrender für Soziologie und empirische Forschungsmethoden am Institut für Soziale Arbeit an der Fachhochschule JOHANNEUM Graz.
Laura Zilian, MSc., ist Mitarbeiterin am Institut für Systemwissenschaften, Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz.
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch entstand in der Folge der interdisziplinären Denkwerkstatt Graz, die am 21. und 22.Mai 2019 unter dem Leitthema ‚Folgen der Digitalisierung im Dienstleistungssektor‘ in Graz stattfand, gefördert vom Arbeitsmarktservice Steiermark und Österreich. Die Denkwerkstätte Graz findet bereits seit einigen Jahren als Kooperation des Studienganges Soziale Arbeit der FH Johanneum und des Instituts für Soziologie des Zentrums für Sozialforschung der Karl-Franzens-Universität Graz statt.
Die Beiträge der Referentinnen und Referenten von der 2019-Tagung für das Buch stammen überwiegend aus österreichischen Instituten verschiedener Fachrichtungen, darüber hinaus auch von der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound, Dublin) und vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB, Nürnberg).
Aufbau
Der Band gliedert sich in vier Abschnitte. Der erste, „Digitalisierung im Überblick“, enthält einen Beitrag zu Digitalisierung und Arbeitsmarkt“ (Enzo Weber) und einen zur Herausforderung für das Arbeitsrecht (Günther Löschnigg). Der zweite Abschnitt, „Neue Kompetenzanforderungen am Arbeitsmarkt“ enthält drei empirisch ausgerichtete Beiträge zu österreichischen Regionen oder Österreich insgesamt. Der dritte Abschnitt versammelt unter der Überschrift „Spezielle Herausforderungen der Digitalisierung“ fünf verschiedene Beiträge, u.a. zu Vertrauen in der Mensch-Roboter-Kollaboration, hoch segregierter Arbeitsmarktbereiche oder zu Sorgebeziehungen im Haushalt. Der vierte Abschnitt nennt sich „Felder der Digitalisierung“ und behandelt in fünf Beiträgen Themen wie die Digitalisierung im Pflegebereich, Digitalisierung der Hochschullehre, Soziale Arbeit im Spannungsfeld der Aneignung und Vermittlung von Medienkompetenz und Web Literacy sowie Inklusion in neuen Arbeitswelten als Basis für digitale Assistenz.
Inhalt
Die einzelnen Beiträge versuchen jeweils für ihr Feld zu klären, welche Rationalisierungs- und Automatisierungspotenziale Digitalisierung und „disruptive Technologien“ wie mobile Roboter, Big Data und künstliche Intelligenz haben, welche ökonomischen und gesundheitlichen Folgen sie nach sich ziehen und wie sich Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen verändern.
Anhand ihrer Untersuchung von Stellenausschreibungen und der Notwendigkeit von Kenntnissen im Bereich neuer Informations- und Kommunikationstechnologien identifizieren Nicole Palan und Andreas Schober die Stadt Graz als Jobmotor für Stellen mit Informations- und Technologiegehalt, sehr unterdurchschnittlich zeige sich dies jedoch für ost- und südsteirische Regionen. Zu achten sei darauf, dass bereits im unteren Bildungssegment einfache IT-Kenntnisse stark an Bedeutung zunähmen und einfache Basis-IT-Kenntnisse für Höherqualifizierte immer stärker zum Standard gehörten und immer spezifischere Kenntnisse notwendig seien (S. 62 f.).
Stella Zilian und Laura Zilian berichten anhand von ihnen ausgewerteter repräsentativer Daten der Jahre 2011/2012 vom Ausmaß digitaler Ungleichheit in Österreich anhand der Schlüsselkompetenz ‚digitales Problemlösen“. Diese digitale Ungleichheit sollte als Symptom bestehender Ungleichheitsstrukturen verstanden werden. Für politische Entscheidungsträger, wenn diese denn tatsächlich digitale Inklusionspolitik betreiben sollten, wäre es „zielführender, den Fokus auf die bekannten Dimensionen der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft zu legen“ (S. 80).
Julia Bock-Schappelwein legt auf Basis der Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung von Statistik Austria eine Bestandsaufnahme der unselbstständigen Beschäftigung nach Tätigkeitsschwerpunkten in Österreich vor. Dahinter steht die internationale Diskussion um das Automatisierungspotenzial von Routinetätigkeiten. Mit dieser Datengrundlage und diesem Kategorisierungsraster ließen sich künftige Entwicklungen z.B. mit Blick auf geschlechts-, sektor-, branchen- oder regionale Besonderheiten antizipieren und rechtzeitig Weichenstellungen seitens der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik treffen (S. 95).
Johanna Muckenhuber, Gerlinde Janschitz und Thomas Klebel berichten anhand von zwölf qualitativen Interviews mit Angestellten des gehobenen Pflegepersonals in der Steiermark von deren Erfahrungen mit der Umsetzung von Digitalisierung in der Pflege. Darunter verstehen diese die Einführung einer digitalen Pflegedokumentation, die im Wesentlichen als positiv wahrgenommen wird im Gegensatz zur Pflegerobotik, die den Interviewten als unrealistisch erscheint, in naher Zukunft Pflegeberufe ersetzen zu können.
In der Praxis der Sozialen Arbeit kommen digitale Technologien und soziale Medien auf vielfache Weise bereits als Arbeitsinstrument und Arbeitsinhalt zum Einsatz. Sabine Klinger und Andrea Mayer berichten basierend auf zwölf Gruppendiskussionen und sieben Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit davon, wie sich Fachkräfte Medienkompetenz und Web Literacy aneignen sollen und wie sie diese vermitteln sollen. Hier brauche es im Anschluss an die Ausbildung nicht nur punktuelle Schulungen und Weiterbildungsangebote, sondern generell Zeit und Raum für den Austausch und die Auseinandersetzung damit.
Diskussion
Wie kaum anders zu erwarten, ergibt eine Sammlung von 15 Aufsätzen ein recht heterogenes Bild von einzelnen Digitalisierungsfragen im breit gefächerten Dienstleistungssektor. Ob das Bild runder geworden wäre, wenn alle Referentinnen und Referentinnen eine schriftliche Fassung für diesen Tagungsband abgegeben hätten, ist keineswegs gesagt. Vielleicht hätte dies die Heterogenität sogar noch gesteigert, wie man dies von etlichen Sammelbänden zu dieser Thematik kennt. Die fast schon plakative Fragestellung im Titel, ob es zu einer Disruption komme, vermag hier nur vordergründig eine Klammer herzustellen.
Fazit
Die plakative Fragestellung im Titel nach einer Disruption der Arbeit wird bereits in der Einleitung zurückgenommen. Denn die Beiträge würden zeigen, dass wir im Dienstleistungssektor weniger eine Disruption – also eine abrupte Änderung durch neue Technologien – als viel mehr Wandlungsprozesse mit einem phasenweise langsameren und phasenweise stark beschleunigtem Verlauf beobachten können “ (S. 16).
Rezension von
Prof. Dr. Thomas Elkeles
bis 2018 Hochschule Neubrandenburg, FB Gesundheit, Pflege, Management
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