Michael Braunschweig, Isabelle Noth et al. (Hrsg.): Gleichgeschlechtliche Liebe und die Kirchen
Rezensiert von Prof. em. Dr. rer. nat. Udo Rauchfleisch, 14.04.2021

Michael Braunschweig, Isabelle Noth, Matthias Tanner (Hrsg.): Gleichgeschlechtliche Liebe und die Kirchen. Zum Umgang mit homosexuellen Partnerschaften. TVZ Theologischer Verlag Zürich (Zürich) 2021. 188 Seiten. ISBN 978-3-290-18366-0. D: 26,90 EUR, A: 27,70 EUR, CH: 29,80 sFr.
Thema
Mit der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, die in Deutschland seit Oktober 2017 besteht und in der Schweiz im Dezember 2020 vom National- und Ständerat angenommen worden ist (wobei noch bis April 2021 die Möglichkeit besteht, dass dagegen ein Referendum eingeleitet wird, das beim Stimmvolk voraussichtlich aber wenig Chancen auf Annahme hat), sehen sich die Kirchen gezwungen, sich mit diesem Thema vertieft auseinanderzusetzen. Ist doch die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren im Eherecht für viele Kirchen eine besondere Herausforderung, da im offiziellen Verständnis der meisten Kirchen weltweit Ehe und Familie auf der besonderen Verbindung von Mann und Frau basieren. Demgegenüber begrüßen inzwischen einige Kirchen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und ermöglichen auch kirchliche Trauungen oder beabsichtigen dies.
Der Auseinandersetzung mit diesen Fragen war eine Tagung am 1. Dezember 2018 an der Universität Bern unter dem Titel „vielfältige Paare und Familien – herausgeforderte Kirchen“ gewidmet. Die Beiträge dieser Veranstaltung sind in dem vorliegenden Band zusammengestellt.
Herausgeber*innen
Michael U. Braunschweig, Dr. theol., ist Leiter der Fachstelle „Reformierte im Dialog“ der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und Oberassistent am Institut für Sozialethik der Universität Zürich.
Isabelle Noth, Dr. theol., ist Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik und Co-Direktorin des Instituts für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.
Mathias Tanner, lic. sc. theol., ist Assistent am Institut für Empirische Religionsforschung der Universität Bern und Migrationsbeauftragter bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn.
Die Autor*innen der 7 Kapitel sind Fachpersonen der Systematischen und Praktischen Theologie, der Exegese und der Sozialwissenschaften.
Entstehungshintergrund
In diesem Buch sind die Beiträge der am 1. Dezember 2018 an der Universität Bern durchgeführten Tagung „vielfältige Paare und Familien – herausgeforderte Kirchen“ zusammengestellt. „Die öffentliche Tagung lud ein zum konfessionsübergreifenden Dialog darüber, wie Kirchen und Gesellschaft mit der Vielfalt an Paar- und Familienkonstellationen umgehen sollen“ (S. 8). Sie wurde organisiert von der Fachstelle „Reformierte im Dialog“, den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und dem Institut für Praktische Theologie der Universität Bern in Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirche Region Bern und dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund. In Fachreferaten, Podiumsdiskussionen und Interviews kamen Vertreter*innen aus Kirchen, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu Wort. Ergänzt werden die hier publizierten Vorträge durch Beiträge von Isabelle Noth, David Plüss, Michael U. Braunschweig und Benjamin Schliesser, die der inhaltlichen Vervollständigung der Perspektiven dienen.
Aufbau und Inhalt
In 7 Kapiteln behandeln die Autor*innen die Themen Homosexualität in den Kirchen und die Haltung der Kirchen gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Anmerkungen und Literaturverweise finden sich in Fußnoten. Am Ende dieses Buches befinden sich Angaben zu den Autor*innen.
In der Einleitung stellen die Herausgeber*innen die Ausgangssituation dar, derentwegen sie die Tagung „vielfältige Paare und Familien – herausgeforderte Kirchen“ veranstaltet haben, und geben einen kurzen Überblick über die in diesem Band zusammengestellten Beiträge.
In seinem Beitrag „Ehe und Familie im Wandel – Entwicklungen in Recht und Politik“ stellt Michael U. Braunschweig die jüngsten Entwicklungen in Recht und Politik in der Schweiz dar. Der Autor zeigt auf, dass das Familienbild des Schweizer Familienrechts sich „deutlich an einem traditionellen Modell der auf lebenslange Dauer angelegten heterosexuellen Ehe mit ihren Kindern und damit nach wie vor an der gesellschaftlichen Realität aus der Zeit der Entstehung des ZGB um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert“ orientiert (S. 16), und dies, obwohl es inzwischen die verschiedensten anderen Familienmodelle wie Patchwork-Familien, Ein-Eltern-Familien, Konkubinatsfamilien und Regenbogenfamilien gibt.
Vor diesem Hintergrund hat das eidgenössische Parlament den Schweizer Bundesrat 2012 beauftragt, in einem Bericht aufzuzeigen, wie die rechtlichen Grundlagen den gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Bedingungen angepasst werden können, wobei den unterschiedlichen Lebensformen gleichberechtigt Rechnung zu tragen sei. Aus diesem Bericht wurde ersichtlich, „dass das im herrschenden Recht vorfindliche Familienbild nicht die volle gesellschaftliche Realität familialer Konstellationen abbildet“ (S. 21).
In der Folge zeigte sich, dass der Bundesrat zögerlich blieb und bei der Revision des Familienrechts nicht selbst aktiv werden wollte. Wie Braunschweig ausführt, ist diese Zurückhaltung nicht verwunderlich, da in der Diskussion um die Revision des Familienrechts zwei divergierende Vorstellungen über die Rolle des Staates im Umgang mit Ehe und Familie aufeinanderprallten: „Die eine geht davon aus, dass der Staat einen Idealtyp von Familie vor Augen hat und diesen besonders schützen und fördern darf bzw. muss. Die andere sieht das Familienleben in seiner Vielfalt als dem Staat vorgegeben an und die staatliche Rolle darin, tatsächlich gelebte Familienbeziehungen zu schützen und zu fördern“ (S. 25, zit. nach E. M. Belser und A. Egbuna-Joss).
Bei der in der Folge geführten Debatte um die „Ehe für alle“ war grundsätzlich zu klären, ob der Weg der Verfassungsänderung beschritten werden müsste oder ob der Weg der Gesetzgebung gewählt werden könne. Zwischen diesen beiden gegensätzlichen Ansichten stehen die vom Bundesamt für Justiz mit „offener Verfassungsrahmen“ und „aktualisierter Verfassungsrahmen“ betitelten Auffassungen, wobei dem Bundesamt für Justiz letztlich der „offene Verfassungsrahmen“ die plausibelste Lösung zu sein schien. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare drängte sich auch aufgrund des Diskriminierungsverbots (Art. 8 BV) und der Notwendigkeit der Gleichbehandlung auf. Die Hauptpunkte der Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare gegenüber Ehepaaren verschiedenen Geschlechts betreffen das Adoptionsrecht und den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin.
Wenn die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in Kraft träte, würde dies „Ausdruck eines substanziellen Paradigmenwechsels“ (S. 9) sein.
In ihrem Beitrag „Gleichgeschlechtliche Paare: sexuelle Orientierung, Beziehungsqualität, Elternschaft und gesellschaftliche Akzeptanz“ gibt Nathalie Meuwly einen Überblick über die Forschungslage zu gleichgeschlechtlichen Paaren und Kindern aus Regenbogenfamilien. Diese Klärung aus psychologischer und sozialwissenschaftlicher Sicht ist insofern wichtig, als in der Diskussion um die Ehe für alle immer wieder die Fragen auftauchen, ob sich in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften eine andere oder ähnliche Dynamik wie in heterosexuellen Partnerschaften findet, ob es Ähnlichkeiten oder Unterschiede bezüglich der Elternschaft zwischen diesen Partnerschaften gibt, und insbesondere, wie sich die Kinder in Regenbogenfamilien entwickeln.
In dieser Hinsicht ist die Forschungslage eindeutig: „Die Qualität von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ist in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit heterosexuellen Partnerschaften“ (S. 40). In etlichen Studien hat sich indes ein deutlicher Unterschied dergestalt gezeigt, dass gleichgeschlechtliche Paare eine ausgeglichenere Arbeitsteilung der Hausarbeit haben, wobei die Arbeitsteilung bei gleichgeschlechtlichen Paaren weniger durch traditionelle Rollenbilder geprägt ist.
Was die Elternschaft in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften betrifft, gleichen sich homo- und heterosexuelle Paare weitgehend. Unabhängig von der sexuellen Orientierung ist es für eine gute Elternschaft wichtig, „wie gut sich die Elternteile als Team in der Erziehung ergänzen“ (S. 43). Wie bei der Hausarbeit „neigen gleichgeschlechtliche Eltern eher dazu, die Erziehung der Kinder gleichmäßiger auf die Partner*innen zu verteilen. Zudem sind Co-Mütter und Co-Väter häufig involvierter in die Kindererziehung als heterosexuelle Väter“ (S. 43).
Eine zentrale Frage bei der Ehe für alle ist die, ob eine Regenbogenfamilie den Kindern einen für ihre Entwicklung gedeihlichen Rahmen bietet. Aus der Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass die wichtigste Determinante eine emotional tragfähige Beziehung zu einer verlässlichen Bezugsperson ist. Die Autorin zitiert die bekannten, heute vorliegenden Studien, die in verschiedenen westlichen Ländern (Deutschland, Belgien, England, Niederlande, USA und Australien) durchgeführt worden sind und sich angesichts des ähnlichen kulturellen Hintergrundes auch auf die Schweiz übertragen lassen. Diese Studien weisen übereinstimmend darauf hin, dass Kinder aus Regenbogenfamilien im Vergleich mit Kindern aus heterosexuellen Familien kein größeres Risiko haben, psychische Störungen, Verhaltensauffälligkeiten und Selbstwertprobleme zu entwickeln.
Ein Argument von Gegnern der Regenbogenfamilien ist die Befürchtung, die in solchen Familien aufwachsenden Kinder könnten stigmatisiert werden und dadurch Traumatisierungen erleiden. Obwohl Kinder aus Regenbogenfamilien tatsächlich über Erfahrungen mit Hänseleien und Beleidigungen berichten – wobei allerdings keine Vergleichszahlen von Kindern aus heterosexuellen Familien vorliegen –, haben diese sozialen Faktoren doch offensichtlich keine nachhaltigen negativen Auswirkungen, wenn man bedenkt, dass die Kinder aus Regenbogenfamilien kein geringeres Selbstwertgefühl und kein schlechteres psychisches Wohlbefinden aufweisen.
Die Forschung zeigt schließlich, dass die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Orientierungen sowie die Anerkennung und rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften einen erheblichen positiven Einfluss auf die Regenbogenfamilien und die darin aufwachsenden Kinder haben. In Anbetracht dieser Forschungslage kommt Nathalie Meuwly zum Schluss: „Auch Kinder profitieren von einer verbesserten gesellschaftlichen und rechtlichen Anerkennung der Beziehung der Eltern respektive der ganzen Familie“ (S. 49).
Nach diesen rechtlichen, sozialwissenschaftlichen und psychologischen Auseinandersetzungen mit dem Thema der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften befassen sich die folgenden Beiträge aus theologischer Perspektive mit diesem Thema.
Der Beitrag von Benjamin Schliesser „Schriftverständnis und Hermeneutik biblischer Aussagen zur Homosexualität“ war nicht Teil der Tagung von 2018, sondern wurde von den Herausgeber*innen in diesen Band aufgenommen, um die Diskussion um eine bibelwissenschaftliche Perspektive zu ergänzen. Der Autor verweist darauf, dass es in der Kirche kaum eine Streitfrage gibt, „die stärker polarisiert und in der schärfer polemisiert wird, als die Frage der Homosexualität“ (S. 51). Da man davon ausgehen müsse, dass die exegetischen Argumente weitgehend ausgetauscht sind und insofern aus bibelwissenschaftlicher Perspektive keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, möchte der Autor in seinem Beitrag die strittigen biblischen Passagen nicht ein weiteres Mal beleuchten, sondern auf die Denkvoraussetzungen der verhärteten Fronten schauen und nach den Gründen für die allenthalben anzutreffenden Verständnisblockaden und Kommunikationsbarrieren fragen. Er versteht deshalb seinen Beitrag „als ein Plädoyer für hermeneutische Transparenz, Klarheit und auch Bescheidenheit – und gegen ein vorschnelles Urteilen und Verurteilen“ (S. 52).
Der Autor nennt drei Aspekte, die bei der Auseinandersetzung mit allen Erscheinungen und Themen zu beachten sind:
- das subjektive Vorverständnis, mit dem die Betrachter unter anderem aufgrund ihrer persönlichen Sozialisation, ihrer theologischen, geistlichen und intellektuellen Prägung sowie ihrer Vorstellung bezüglich der Autorität der biblischen Texte an einen Text herangehen;
- die intersubjektiven Mentalitäten, d.h. die „historisch und sozial determinierten Dispositionen des Bewusstseins“ (S. 53), welche die Koordinaten des Denkens und Handelns bestimmen und den Rahmen für die Deutung der gesellschaftlichen Wirklichkeit und damit auch der biblischen Texte setzen; dabei unterscheidet Schliesser in Anlehnung an Heinzpeter Hempelmann die drei Basismentalitäten prämodern-traditionsorientiert, modern-kritisch und postmodern-pluralistisch;
- die transsubjektiven Megatrends, die „Tiefenströmungen, die die Welt langsam, dafür aber langfristig verändern“ (S. 56), weltweit wirken und die Lebenswelt des Einzelnen sowie die Gesellschaft auf allen Ebenen und in all ihren Institutionen, so auch die Kirche, durchdringen.
Von allen drei genannten Faktoren wird die kirchliche Debatte um Homosexualität beeinflusst.
Auch wenn der Autor die Debatte über die Homosexualität in der Bibel nicht noch einmal ausführlich führen möchte, erscheint es ihm doch wichtig, kurz die Homosexualität im Alten Testament, die Homosexualität im Römerbrief und auch die Homosexualität in Rom zurzeit von Paulus zu diskutieren.
Diese Überlegungen leiten zu den hermeneutischen Folgerungen, die der Autor am Beispiel von Römer 1, 26 – 27 darstellt. Schliesser geht von der von Karl Barth vorgenommenen Unterscheidung zweier Paulusperspektiven aus: Paulus spricht als Sohn seiner Zeit zu seinen Zeitgenossen und Paulus spricht als Prophet und Apostel des Gottesreiches zu allen Menschen aller Zeiten.
Die erste hermeneutische Option (Paulus spricht als Kind seiner Zeit) betrachtet die Äußerungen von Paulus als zeitbedingt und daher nicht bindend. Seine Darstellung und Kritik der Homosexualität „wurzeln in der traditionellen jüdischen Ethik, sind aber auch an die Stoa anschlussfähig“ (S. 71). Für Paulus gab es keinen Grund, sein Vorverständnis zu hinterfragen. Dies ist gemäß dieser Option die Aufgabe von Exegese und Theologie heute. Eine solche Hermeneutik sieht sich allerdings verschiedenen Fragen gegenüber, so etwa der Frage ob man nicht mit gleicher Begründung „auch andere, gesellschaftlich (noch) nicht anerkannte Beziehungsformen akzeptieren und kirchlich bejahen (z.B. bisexuelle, polyamouröse Verbindungen)“ müsse (S. 73) oder „Warum und mit welchen Argumenten werden neutestamentliche Normen im Bereich der Sexualethik anders gewichtet als Aussagen zur Sozialethik“ (S. 73) etc.
Gemäß der zweiten hermeneutischen Option (Paulus spricht als Apostel) äußert Paulus eine ewige ethische „Wahrheit“. Diese Option „beruft sich auf das Prinzip der Autorität der Schrift als ‚Richter, Regel und Richtschnur’ in allen Fragen des Glaubens und Lebens. Sie gründet in einer Ehrfurcht vor der Schrift als dem Wort des lebendigen Gottes, im Bedürfnis, sie richtig verstehen und nach ihren Anweisungen leben zu wollen“ (S. 74). Dieser Position lässt sich gemäß Schliesser entgegenhalten, dass der bloße Verweis auf den Wortlaut der Bibel nicht ausreicht, um theologische und ethische Fragen der Gegenwart zu klären. Auch diese hermeneutische Position müsste sich verschiedenen kritischen Fragen stellen wie „Welche Einzelvorschriften des alttestamentlichen Kultgesetztes für Christen verbindlich und welche ‚Gräuel’ heute tolerierbar sind?“ (S. 75).
In einem Epilog zeigt der Autor eine dritte Möglichkeit auf, nämlich „Paulus als Konfliktmanager“ (S. 76/77): So gibt eine Passage im Römerbrief gemäß Schliesser „eine frische Perspektive in die Debatte“, nämlich Römer 14 – 15. In dieser Passage geht es in Rom um den Streit zweier Gruppen, den „Starken“ und den „Schwachen“, über die Gültigkeit von Speisevorschriften. Die Streitparteien stehen kurz davor, sich gegenseitig zu „exkommunizieren“ (S. 76). In dieser Situation greift Paulus ein, um die Verständnisblockaden und Kommunikationsbarrieren zu überwinden und die Einheit zu wahren, indem er die „Starken“ in die Verantwortung ruft und die „Schwachen“ schützt: „Wer durch sein Essen Anstoß (für den Schwachen) verursacht, tut das Böse. (…). Wer Spaltungen bewirkt, wenn er isst, der ist schon gerichtet, denn es kommt nicht aus dem Glauben. Was aber nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde“ (Römer 14, 20–23). Zuvor hat Paulus eindringlich vor gegenseitigen Verurteilungen gewarnt: „Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder?“ (Römer 14, 10). Daraus ergibt sich für Schliesser die Folgerung: „Das ist das Motto des Paulus in einer innerkirchlichen Auseinandersetzung: ‚Jeder von uns lebe dem Nächsten zu Gefallen, ihm zum Wohl, um ihn aufzubauen’ (Römer 15,2)“ (S. 77).
„Homosexualität und homosexuelle Partnerschaften sind in der römisch-katholischen Kirche ein emotional hoch besetztes Thema und führen bei jeder Diskussion zu eindeutiger Lagerbildung“ (S. 79). Diesen Satz stellt Manfred Belok an den Anfang seines Beitrags „Von der Ausgrenzung zur Akzeptanz homosexueller Partnerschaften in der römisch-katholischen Kirche. Eine pastoraltheologische Stellungnahme“. Der Autor verweist darauf, dass „Theologie“ und „Kirche“ kein einheitlicher Block ist, sondern drei Subjekte umfasst, die in dieser Diskussion je zu Wort kommen müssen. Es geht zum einen um die „Kirche“ als die Gemeinschaft der an Jesus Christus Glaubenden. Zum zweiten ist „Kirche“ mit dem Lehr-, Leitungs- und Hirtenamt in der Glaubensgemeinschaft eine hierarchisch strukturierte Institution. Und drittens gehört zur „Kirche“ die Theologie, als das wissenschaftliche Lehramt, verortet im strukturellen Rahmen der Institution Kirche als deren kritische Reflexionsinstanz. Deshalb sind gemäß Belok alle lebensrelevanten Themen „nur im Dialog zwischen der Glaubensgemeinschaft (Volk Gottes), dem kirchlichen Lehramt (Papst und Bischöfe) und dem wissenschaftlichen Lehramt (Theologie)“ möglich (S. 83).
In Übereinstimmung mit Kardinal Kasper spricht der Autor von einem „vertikalen Schisma“, von einem „Auseinanderdriften zwischen den deklarierten Prinzipien und einer davon erheblich abweichenden Praxis“, von einer „normativen Schere zwischen kirchenamtlicher Lehre und Lebenswirklichkeit, d.h. zwischen den normativen Vorgaben des kirchlichen Lehramtes zu den einzelnen Beziehungsformen und den vorfindbaren gelebten Beziehungsrealitäten“ (S. 86).
Aufgrund dieser Situation sieht Belok aus der Sicht der Praktischen Theologie bzw. Pastoraltheologie in mehrfacher Hinsicht Handlungsbedarf: Es geht darum, empathisch die Perspektive schwuler Männer und lesbischer Frauen einzunehmen (S. 88–90), der bleibenden Selbstverpflichtung des Zweiten Vatikanischen Konzils treu zu bleiben (S. 90–91), die Gottebenbildlichkeit eines jeden Menschen anzuerkennen, unabhängig von bzw. einschließlich seiner sexuellen Orientierung (S. 91–93), den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Homosexualität zu akzeptieren (S. 93–97), mit den immer wieder in der Diskussion der Homosexualität zitierten Bibelstellen verantwortlich umzugehen (S. 97–104) und die biblische Kategorie der „Zeichen der Zeit“ als Prinzip der theologischen Deutung von Wirklichkeit ernst zu nehmen (S. 104–105).
In seinem „Plädoyer für einen mentalitätsverändernden Perspektivenwechsel“ (S. 105–111) führt der Autor aus, dass die Ehe als – staatliche – Institution eine kulturelle Errungenschaft ist, welche die Liebes- und Lebensgemeinschaft zweier erwachsener Menschen schützt und darauf ausgerichtet ist, die wechselseitigen Rechte und Pflichten in der Daseinsfürsorge und Daseinsvorsorge zu regeln, um so Rechtssicherheit herzustellen und den Schwächeren zu schützen. Unter theologischem Aspekt gilt entsprechend dem Zweiten Vatikanischen Konzil, „dass die Ehe, der eheliche Bund, als eine Lebens-, Liebes- und Schicksalsgemeinschaft zu verstehen ist, in der zwei Menschen in verlässlicher Liebe und Treue verbindlich füreinander lebenslang Verantwortung übernehmen, und dass die Ehe zuallererst auf das Wohl der Ehegatten und nicht – in Umkehrung früherer Gewichtung – primär auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist“ (S. 108). Dies, so der Autor, gilt für heterosexuelle wie für homosexuelle Paare.
Auch im Hinblick auf den sakramentalen Charakter der Ehe sieht Belok kein Problem in Bezug auf die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare: „Vom Sakramentenverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils, das Sakramente als ‚Beziehungszeichen’ und somit die Liebe zwischen Frau und Mann als Zeichen der Liebe Gottes zum Menschen versteht, gibt es keinen Hinderungsgrund, auch die Liebe zwischen gleichgeschlechtlichen Personen, die einander verbindlich, verlässlich und auf Dauer Liebe und Treue zusagen, als Zeichen der Liebe und lebenslangen Treue Gottes zum Menschen wahrzunehmen“ (S. 110).
Schließlich verweist der Autor auch darauf, dass in 27 Ländern das Recht auf Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Partner*innen besteht. In den Äußerungen von Papst Franziskus sieht Belok den Beginn einer neuen, offeneren Haltung der Homosexualität und der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gegenüber. Auch wenn sich der Papst etwa in dem Dokumentarfilm „Francesco“ und in verschiedenen Äußerungen nicht für eine Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partner*innen ausgesprochen habe, sei es doch „das erste Mal überhaupt, dass sich mit Papst Franziskus ein Papst öffentlich und explizit sowohl für die juristische Anerkennung wie auch für die innerkirchliche Akzeptanz homosexueller Partnerschaften ausspricht. Dies kommt einem Paradigmenwechsel (…) gleich“ (S. 115).
In einem abschließenden Kapitel kommt der Autor zum Schluss, dass das Lehr-, Leitungs- und Hirtenamt der katholischen Kirche nicht umhin kann, „sich den humanmedizinischen und sozialwissenschaftlichen eindeutigen Forschungsergebnissen zu Homosexualität endlich zu stellen sowie dem gesellschaftlichen Wandel in der Einschätzung und Bewertung von Homosexualität Rechnung zu tragen, sich also der Wirklichkeit zu stellen und sie anzuerkennen, anstatt sich dieser wider besseres Wissen weiterhin zu verschließen“ (S. 116). Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität biete der Kirche „die Chance (…), die Lehre der Kirche weiterzuentwickeln“ (S. 118).
Als im Sommer 1995 in der Berner Nydeggkirche der Pfarrer Klaus Bäumlin die erste Segnungsfeier für ein gleichgeschlechtliches Paar durchführte, war dies in theologischer Hinsicht wie auch für die Öffentlichkeit ein außergewöhnliches Ereignis. David Plüss und Isabelle Noth analysieren in ihrem Beitrag „Fürbitten, segnen oder trauen? Analysen 25 Jahre nach der ersten Segnung eines schwulen Paares in der Schweiz“ diese Segnungsfeier liturgiewissenschaftlich und evaluieren sie aus heutiger Sicht.
Der Pfarrer hatte sich zwar vorgängig an den zuständigen Synodalrat gewendet und ihn über sein Vorhaben informiert. Nach Durchführung dieser Feier wurde jedoch in verschiedener Hinsicht erhebliche Kritik am Vorgehen von Klaus Bäumlin geäußert. Dem Pfarrer wurde „pastoraler Ungehorsam“ vorgeworfen, weil nach Ansicht des Synodalrats der Unterschied zwischen der vollzogenen Feier für ein schwules und jener für ein heterosexuelles Paar zu wenig betont worden sei.
Das Konzept der Segnungsfeier enthielt für Bäumlin drei Bedingungen: zum ersten musste die Partnerschaft verbindlich und auf Dauer angelegt sein; zum zweiten musste es dem Paar „wirklich“ um Gottes Zuspruch und Segen gehen und drittens war Bäumlin die Öffentlichkeit der Feier wichtig, damit die „Geschichte der Tabuisierung und Verdeckung gleichgeschlechtlicher Liebe (…) keinesfalls liturgisch fortgeschrieben werde“ (S. 125). Zudem sollte die Feier im Rahmen der Kirchenordnung erfolgen, die weder dem Geist noch dem Buchstaben nach eine Segnungsfeier für gleichgeschlechtliche Paare verbot. Dabei hielt der Pfarrer sich an die wesentlichen Elemente des reformierten Gottesdienstes: Verkündigung des Evangeliums, Gebet, Fürbitte, Segen und Kollekte. Schließlich sprach Bäumlin nicht von „Trauung“, da die Trauung zivilrechtlich geregelt sei und die kirchliche Trauungsfeier die standesamtliche Trauung voraussetze, was bei gleichgeschlechtlichen Paaren nicht möglich sei, da es derzeit keine standesamtliche Trauung gab. In theologischer und liturgischer Hinsicht sah der Pfarrer allerdings keinen Unterschied zwischen dem klassischen Hochzeitsgottesdienst und der Segnungsfeier für gleichgeschlechtliche Paare. In beiden Fällen gehe es darum, dass die Partner*innen „geloben, sich im Vertrauen auf Gottes Verheißung die Treue zu halten“ und ihre Ehe/Partnerschaft „in der Verantwortung vor Gott zu leben“ (S. 128). Aus diesem Grund folgte der Segnungsteil „in der Struktur, inhaltlich und bis hin zu einzelnen Formulierungen der Liturgie der Trauung“ (S. 135).
Die Autorin und der Autor dieses Beitrags analysieren im Folgenden die strittigen Punkte, die Bäumlin den Vorwurf des Synodalrats vom „pastoralen Ungehorsam“ eintrugen. Auch wenn sich die Situation heute gegenüber 1995 stark verändert hat, sind diese Streitpunkte doch nach wie vor von Bedeutung, da sie liturgiepraktische Fragen berühren und für die aktuelle Debatte von Belang sind.
Nach wie vor geht es um die Frage, ob es ein Fürbitte-Gottesdienst oder eine Segnungsfeier sein solle, wie deutlich sich die Segnung eines gleichgeschlechtlichen Paares von einer Trauung heterosexueller Paare unterscheiden solle und ob es eine öffentliche Feier oder eine geschlossene Gesellschaft sein solle.
Die Autorin und der Autor kommen zum Schluss, dass sich seit der Segnungsfeier von Bäumlin sehr viel verändert habe und viele Kirchen liturgische Vorlagen für solche Feiern für gleichgeschlechtliche Paare entwickelt und den Gemeinden zur Verfügung gestellt haben. Allerdings sei das Verhältnis zwischen homosexuellen Menschen und der Kirche noch immer „hochgradig ambivalent“ (S. 140). Dies entspreche „der zum Teil noch immer vehementen Homophobie konservativer Kreise innerhalb der Kirche“ (S. 140), was sich nicht zuletzt auch in den jüngsten Debatten unter Schweizer Pfarrerinnen und Pfarrern in den Sozialen Medien um die „Ehe für alle“ zeige.
Dennoch müsse heute festgestellt werden, dass sich mit der Erarbeitung offizieller liturgischer Formulare und den Empfehlungen von Kirchenleitungen für Segnungsfeiern „der Streit um die Segnungsfeier erledigt (habe). Die Position Bäumlins und des Kirchgemeinderates Nydegg hat sich kirchlich breit durchgesetzt“ (S. 141). Hingegen bleibe „die liturgische Aufgabe einer erkennbaren Differenz zwischen einer Trauung und einer Segnungsfeier bis zur zivilrechtlichen Einführung der ‚Ehe für alle’ bestehen und wird unterschiedlich gelöst“ (S. 141). „Die Orientierung an der Theologie und Liturgie der Trauung scheint uns stringent und unumgänglich, wenn die unsägliche Geschichte theologischer Homophobie nicht fortgeschrieben werden soll“ (S. 141).
Der letzte Beitrag von Frank Mathwig „Wie viel Segen für welche Ehen? Die aktuelle Ehediskussion in der Schweiz aus reformiert-kirchlicher Sicht“ ist erstmals erschienen in der „Theologischen Zeitschrift“ (2019/03). Vor dem rechtlichen Hintergrund, dass nach dem schweizerischen Zivilrecht eine religiöse Eheschließung die Ziviltrauung voraussetzt, stehen den Kirchen heute grundsätzlich vier Optionen offen:
- „die gleichen kirchlich-liturgischen Rituale für alle zivilrechtlich anerkannten Beziehungsformen (Ehe und eingetragene Partnerschaft);
- die unterschiedliche Behandlung von heterosexuellen Ehepaaren und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften (Trauung oder Segnung)
- die Beschränkung auf die Trauung ausschließlich heterosexueller Ehepaare oder (nur theoretisch)
- der Verzicht auf jede kirchliche Feier als Ausdruck der vollständigen Säkularisierung der Ehe“ (S. 144).
Die evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz praktizieren die zweite und dritte Variante, wobei die zweite Variante in der deutschsprachigen Schweiz vorherrscht, während in der welschen Schweiz sehr kontrovers über die zweite und dritte Option diskutiert wird.
In den aktuellen Kontroversen um Ehe und Familie unterscheidet der Autor die drei Interessengruppen: die Traditionalist*innen (die einen gesellschaftlichen oder politischen Legitimationsverlust der überkommenen ehelichen und familiären Lebensformen und -entwürfe befürchten), die Reformer*innen (die ihre von traditionellen Vorstellungen abweichenden Lebensformen in ein erweitertes Konzept von Ehe und Familie integrieren wollen) und die Wellenreiter*innen (die die Ehe- und Familiendebatten als Symptom für andere gesellschaftliche Konfliktkonstellationen betrachten). „Die erste Gruppe verteidigt die Exklusivität des heterosexuellen Ehe- und Familien-Status, die zweite Gruppe kämpft um den Einlass gleichgeschlechtlicher Paare in die traditionelle Ehe- und Familien-Welt und die dritte Gruppe rückt das Thema Ehe und Familie vor einen umfassenden identitäts- und symbolpolitischen Horizont“ (S. 148).
In seiner Analyse konstatiert Mathwig in pointierter Weise: „Die aktuellen Rechtsentwicklungen treffen die Kirchen auf dem falschen Fuß. Einerseits fehlen ihr eine reflektierte Position in diesen Fragen (auch im Blick auf die gesetzlichen Regelungen), andererseits erhöht der Staat den Druck auf eine Klärung des kirchlichen Ehe- und Familienverständnisses in einer Zeit, in der sich an diesem Thema in manchen Kirchen die Geister scheiden und ihre Einheit zu zerbrechen droht“ (S. 146/147). Der Autor sieht die Kirche in mindestens dreifacher Hinsicht herausgefordert: erstens sei eine theologische Antwort im Raum der Kirche notwendig, zweitens müsse eine rechtsethische Positionierung auf staatlicher Ebene erfolgen und drittens sei von ihr eine theologisch-ethische Verhältnisbestimmung der beiden Diskurs- und Handlungssphären verlangt.
Die aktuelle kirchliche Ehediskussion sieht der Autor vor allem durch zwei „Absetzbewegungen belastet: auf traditioneller Seite durch die distanzierende Objektivierung der Betroffenen als die anderen und auf reformerischer Seite umgekehrt durch eine inszenierte Solidarität mit den anderen. Obwohl beide Sichtweisen Homosexualität diametral entgegengesetzt beurteilen, stimmen sie in ihrer Distanzierung gegenüber Lesben und Schwulen überein. Beide verweigern sich auf je eigene Weise dem Versöhnungs- und Gemeinschaftsanspruch des Evangeliums“ (S. 184). Um zu einer konstruktiven Lösung zu kommen geht es nach Mathwig im Kern um zwei Fragen: „1. Wie entspricht Kirche in ihrem Reden und Handeln dem von ihr verkündeten Anspruch Gottes auf das ganze menschliche Leben? 2. Wie spiegelt sich im kirchlichen Umgang mit Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung die christliche Zusage von einem Leben in Fülle (Joh 10, 10) wider? Könnten sich die Konfliktparteien auf diese Fragen einigen, wäre die kirchliche Debatte schon einen großen Schritt vorangekommen“ (S. 185).
Diskussion
Michael U. Braunschweig, Isabelle Noth und Mathias Tanner leisten mit diesem Buch einen wichtigen Beitrag zum Umgang der Kirchen mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Die oft hoch emotional geführte innerkirchliche Diskussion um die gleichgeschlechtliche Liebe ist seit langem von großen Divergenzen geprägt. Aus diesem Grund ist eine Standortbestimmung, wie sie in den sieben Beiträgen dieses Buches vorgenommen wird, von großer Bedeutung. Die Ausführungen der Autor*innen überzeugen in jeder Hinsicht. Sie sind ausgewogen, beleuchten kritisch die verschiedenen Argumente, konfrontieren sie mit der historischen Entwicklung und setzen sie in Beziehung zu den rechtlichen, sozialen und humanwissenschaftlichen Kenntnissen der Gegenwart.
Auch wenn das Fazit bei mehr oder weniger allen Beiträgen eher düster aussieht, zeigen die Autor*innen doch immer wieder auch Wege auf, wie die Konfliktparteien in einen fruchtbaren, konstruktiven Dialog treten können und wo bereits Schritte unternommen worden sind, die sich als effizient erwiesen haben. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch der Hinweis der Autor*innen, dass die Kirchen angesichts der rechtlichen Situation in verschiedenen Ländern (eingetragene Partnerschaft und gleichgeschlechtliche Ehe) von den staatlichen Instanzen gleichsam „überholt“ werden. Daraus ergibt sich für die Kirchen die Notwendigkeit, ihre Positionen zu überdenken und zu handeln.
Dabei verweisen die Autor*innen mit Recht darauf, dass Wertschätzung, Akzeptanz und Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und Liebebeziehungen im Grunde keine Streitpunkte sein müssten, sondern auf dem Boden der biblischen Botschaft fast eine Selbstverständlichkeit sein könnten.
Leider ist die Hoffnung, die Manfred Belok gegenüber der neuen Pastoralkultur von Papst Franziskus äußert, in jüngster Zeit stark in Frage gestellt worden. Hat doch die Glaubenskongregation im März 2021 ausdrücklich ein „Nein“ in Bezug auf die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ausgesprochen. Das viele Mitglieder, auch im Klerus der katholischen Kirche am meisten Schockierende dabei ist, dass dieses Papier von Papst Franziskus abgesegnet worden ist! Hoffnungsvoll kann allerdings die Tatsache stimmen, dass – wohl erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche – eine keineswegs kleine Zahl von Bischöfen und Seelsorgern aus verschiedenen Ländern öffentlich Stellung gegen dieses „Nein“ der Glaubenskongregation genommen und betont hat, dass sie, ungeachtet dieses Dekrets, gleichgeschlechtliche Paare segnen würden.
Nicht zuletzt wegen des jüngsten Dekrets der Glaubenskongregation, aber auch wegen der nach wie vor zum Teil heftig geführten Kontroverse um die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in der evangelischen Kirche, hat das von Braunschweig, Noth und Tanner herausgegebene Buch hohe Aktualität. Trotz ihrer Wissenschaftlichkeit sind die sieben Beiträge so verfasst, dass sie auch Laien gut verständlich sind.
Ein Wunsch für eine neue Auflage: Wenn die Leser*innen zitierte Autor*innen und die entsprechenden Publikationen suchen, ist es sehr mühsam, sie in den Fußnoten zu finden. Wenn es schon kein Literaturverzeichnis am Ende des Buches gibt (was sehr hilfreich wäre), brauchte es wenigstens ein Autor*innenregister.
Fazit
Ein sehr informatives Buch, das in sieben Beiträgen den Stand der aktuellen Diskussion um das schwierige Verhältnis zwischen gleichgeschlechtlicher Liebe/​Partnerschaft und den christlichen Kirchen in differenzierter Weise darstellt. Die jüngsten negativen Äußerungen der katholischen Glaubenskongregation zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare belegen die Aktualität dieses Themas und weisen darauf hin, wie wichtig es ist, dass sich Kirchen und Gesellschaft intensiv mit diesen Fragen auseinandersetzen.
Rezension von
Prof. em. Dr. rer. nat. Udo Rauchfleisch
Klinische Psychologie Universität Basel, Psychoanalytiker (DPG, DGPT)/psychologischer Psychotherapeut in privater Praxis in Basel
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