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Sonja Veelen: Hochstapeln

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf, 03.06.2021

Cover Sonja Veelen: Hochstapeln ISBN 978-3-7799-6382-0

Sonja Veelen: Hochstapeln. Eine kulturelle Praktik in Bewerbungs- und Personalauswahlverfahren. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. 424 Seiten. ISBN 978-3-7799-6382-0. D: 34,95 EUR, A: 35,90 EUR.
Reihe: Randgebiete des Sozialen.

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Autor

Dr. Sonja Veelen, Soziologin, arbeitet im Wissenschaftsmanagement an der Philipps-Universität Marburg. Sie befasst sich seit über 10 Jahren wissenschaftlich mit dem Phänomen des Hochstapelns in Bewerbungsverfahren.

Thema

Beim Text handelt es sich um eine 2019 als Dissertation an der Universität Marburg eingereichte wissenschaftliche Publikation, in der das Phänomen des Hochstapelns in Bewerbungs- und Personalauswahlverfahren umfänglich untersucht und hinsichtlich seiner arbeitsspezifischen und gesellschaftlichen Bedeutung kontextualisiert wird. Die Autorin analysiert ihr Datenmaterial bezüglich der Frage, inwieweit es sich beim Bewerbungs-Faking um eine gesellschaftlich geforderte oder gar geförderte Kulturpraxis handelt. Veelen nimmt sich dessen mittels einer qualitativen Interviewstudie mit 22 Personalverantwortlichen und Personalberatenden wie auch durch die Analyse von 117 Publikationen an, die der Beratungsratgeber-Literatur zuzurechnen sind.

Aufbau und Inhalt

Das Buch umfasst 424 Seiten. Auf 96 Seiten finden sich das Literaturverzeichnis (27 Seiten) und der Anhang, in dem die Autorin Hintergrundinformationen zu ihrem Forschungsdesign und zu den von ihr interviewten Personen gibt. Der Text ist in 7 Kapitel unterteilt, welche die Autorin als „Teile“ bezeichnet. Im 1. Teil (Einleitung: Bewerbungshochstapeln: eine verpönte und verbreitete Kulturtechnik), der 41 Seiten umfasst, legt die Autorin ihr Forschungsinteresse dar, skizziert den Aufbau der Arbeit und erklärt, was Leser*innen im Text erwartet. Ihre Forschungsfrage lautet, ob es systematische, strukturelle Anreize dafür gibt, dass Individuen in Bewerbungsverfahren hochstapeln (S. 14). Das Ziel der Forschungsarbeit ist es, so beschreibt die Soziologin, „zu untersuchen, inwieweit das Vorkommen fakenden Bewerbungshandelns durch die Handlungspraxis bei den Auswahlverfahren und die Deutungsangebote der Bewerbungsratgebenden erklärt werden kann“ (S. 15). Um das zu erforschen, analysiert Veelen 22 qualitative Interviews mit Personalverantwortlichen und Personalberatenden aus unterschiedlichen Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen in ganz Deutschland. Überdies schildert Veelen, 117 Publikationen der Bewerbungs-Ratgeberliteratur gesichtet zu haben. Ferner verortet sie ihre Forschung zum Hochstapeln in Bewerbungsverfahren in den Fachdiskurs zu dieser Thematik. Sie erklärt, dass es zwar diverse organisationssoziologische Untersuchungen gäbe, in denen die Regelhaftigkeit sozialer Prozesse und das Wirken von Menschen darin fokussiert würden, dass die Fokussierung speziell des Bewerbungshochstapeln allerdings kaum je vorgenommen werde. Mit Veelens Worten: „Obschon sich die soziologische Forschung demnach mit Personalauswahlverfahren beschäftigt hat und Erkenntnisse zu deren Modus Operandi liefern kann, stand die Frage nach Chancen auf Reüssieren per Bewerbungstäuschung durch diesen bei keiner der genannten und mir bekannten sozialwissenschaftlichen Arbeiten im Fokus, sodass allenfalls Ableitungen möglich sind“ (S. 23 f.). Zudem nimmt die Autorin eine begriffliche Einordnung dessen vor, was unter Täuschung, Darstellung/​Inszenierung, Betrug, Bluff, Fake, Optimierung und Hochstapeln zu verstehen ist.

Im 2. Teil des Buches (Bedingungen, Möglichkeiten und Techniken von Hochstapeln in den Auswahlverfahren „Unterlagensichtung und Einstellungsinterviews – Hypothetische Ableitungen aus dem Forschungsstand und Überleitungen zur empirischen Untersuchung“), der insgesamt 57 Seiten umfasst, schildert die Autorin zunächst den Forschungsstand und stellt darauf bezugnehmend die allgemeinen Voraussetzungen, die Funktionsweisen und zur Anwendung kommenden Techniken des Hochstapelns vor (S. 57 ff.). Sie legt dar, dass die Erfolgsaussichten des Täuschens u.a. von der Situation und Art der Qualifikation abhingen, über die zu verfügen etwaige Hochstapler*innen vorgeben. „Ein falscher Pilot hat es in einer Hotelbar (Situation) tendenziell leichter, von der vermeintlichen Rechtmäßigkeit seiner Rolle zu überzeugen als im Cockpit“ (S. 61), erklärt Veelen beispielhaft. „Am Steuer einer Boeing wäre er hingegen gezwungen, seine angeblich erlernten, inkorporierten Fähigkeiten praktisch unter Beweis zu stellen und das Flugzeug ordnungsgemäß in die Luft und wieder auf den Boden zu bringen“ (ebd.). Um zu erläutern, wie es sein kann, dass Menschen eine Täuschung nicht bemerken, nimmt Veelen auf die Unterscheidung zweier Denksysteme des Psychologen Daniel Kahneman Bezug, der beide Systeme in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken (2012) umfassend erläutert. Wir Menschen nutzen grundsätzlich beide Systemen, je nach Situation aber eher das eine oder das andere. Schnelles Denken läuft weitgehend unbewusst und bei ad-hoch-Entscheidungen, langsames Denken dagegen erfolgt rational bei komplexen Aufgaben, benötigt aber mehr Zeit. Grundsätzlich sei das Zusammenspiel beider Systeme sehr gut, schildert die Autorin, die Leistungsfähigkeit von System 1 werde aber durch kognitive Verzerrungen beeinträchtigt, sodass es unter Umständen für systematische Fehler anfällig sei, was sich Menschen zunutze machten, die betrügen (wollen) (S. 64).

Ihre Darlegungen zu dieser Thematik zusammenfassend erklärt Veelen: „Hochstapelnde können ihre Täuschung nur mit einiger Erfolgsaussicht vollbringen, wenn sie in der Lage sind, die an sie gerichteten Codeabfragen mit den aus Sicht des Publikums korrekten Losungen zu beantworten, und wenn deren symbolische Vermittlung wiederum so beschaffen ist, dass der Widerspruch zwischen dem Nominellen und dem Realen nicht rasch oder leicht zu entdecken bzw. zu entlarven ist“ (S. 70). Als zentralen Ansatzpunkt des Bewerbungs-Faking benennt die Autorin die Unterlagensichtung, die im Rahmen des Auswahlprozesses erfolgt. Sie legt dar, auf was Personalauswählende besonders schauen, wie der Sichtungsprozess oft abläuft und inwieweit bzw. wodurch ein Impression Management gelingt, das zu einer Einladung zum Vorstellungsgespräch führt. Veelen gibt indes auch zu bedenken, dass nicht nur die objektiven Faktoren eine Rolle dabei spielten, sondern in bedeutendem Maße auch die Persönlichkeit der- oder desjenige*n, der/die die Bewerbungsunterlagen sichtet (S. 77). „Insofern gibt es tendenziell, aber nicht mit Sicherheit und nicht in jedem Fall zum ‚Durchlass‘ führende Lösungen“, erklärt Veelen. Besonders anfällig für Täuschungen sind der Autorin zufolge Unternehmen, welche die Vorauswahl ausschließlich auf Basis der Angaben tätigen, die Bewerbende in Anschreiben und Lebenslauf machen. Darin nämlich könne „beliebig viel inkorporiertes kulturelles und auch institutionelles Kapital, wie Bildungsabschlüsse, akademische Titel und Arbeitserfahrungen behauptet“ werden. Die Diskrepanz von Soll und Ist könne also per Lüge überbrückt werden (S. 78). Ob eine solche Lüge entdeckt werde, hänge maßgeblich von der Überprüfungsmethode wie auch davon ab, wie umfassend das Faking aufseiten der Bewerber*innen erfolge.

Hinsichtlich der Frage, ob und wie in Unternehmen tatsächlich ein Abgleich von behauptetem und realem Können bzw. Kapital erfolge, schildert die Wissenschaftlerin, dass dazu nur wenige Forschungsbefunde vorlägen, welche sie dann vorstellt. Sie legt ebenfalls dar, was aus der Forschung über die Häufigkeit des Bewerbungs-Faking bekannt ist. Abgesehen von der Vorstellung der bestehenden Untersuchungen zu der Thematik gibt Veelen auch zu bedenken, dass Schätzungen aus den USA, dass 40 bis 70 Prozent aller Lebensläufe Täuschungen enthielten, auf nicht verifizierten Einschätzungen statt auf wissenschaftlich erhobenen Daten beruhten. Sie resümiert, „dass es nur sehr wenige Daten darüber gibt, ob und wie Unternehmen die Angaben und Dokumente von Bewerbenden überprüfen“ (S. 91). Jene Forschungsdaten, die zur Frage von Falschangaben in Lebensläufen existieren, indizierten, dass eine nicht unerhebliche Zahl an Falschangaben darin zu konstatieren seien (ebd.). Es gäbe aber, so Veelen, gute Chancen, „dass Hochstapeln an dieser Stelle [gemeint ist die Unterlagensichtung] unentdeckt bleibt und die fokussierte soziale Praktik somit eine im Hinblick auf Einstellungschancen erfolgversprechende sein könnte“ (ebd.). In der zweiten Phase des Auswahlprozesses, im Einstellungsinterview, sei die Frage, ob etwaiges Hochstapeln auffliege, abhängig von der Art des Interviews (Strukturierungsgrad) wie auch von den jeweiligen Fragestellungen. Eine große Bedeutung käme in jedem Fall indes dem Impression Management zu, also der Frage, wie gut man sich durch Wortwahl, Gestik, Mimik und Auswahl dessen, was man erwähnt oder unerwähnt lässt, präsentiert.

Der 3. Teil der Forschungsarbeit (Interviewanalyse) hat 126 Seiten und beinhaltet die Aufbereitung und Analyse des seitens der Forscherin gewonnenen Interviewmaterials. Sie schildert, was ihre Gesprächspartner*innen bzgl. dessen darlegen, worauf sie in Vorstellungsgesprächen und bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen achten. Ferner erläutert sie, welche Implikationen sich daraus bzgl. der Wahrscheinlichkeit ableiten lassen, ob Hochstapeln aufgedeckt wird bzw. ob es den Gesprächspartner*innen überhaupt darum geht, dieses systematisch aufzudecken. Die Erkenntnisse dazu zusammenfassend postuliert Veelen: „Die Analyse und Widergabe der Selbstauskünfte aus dem Feld zeigt, dass weder die Bewerbungspapiere selbst noch darin enthaltene Angaben einem systematischen, flächendeckenden Verifizierungsversuch unterliegen“ (S. 131). Relevant sei oft nicht, ob die vermeintlichen Qualifikationen und Wissensbestände wirklich vorhanden sind, sondern, ob diese als vorhanden angegeben werden. „Eine Diskrepanz zwischen Realem und Nominellen ist somit symbolisch durch Lüge über angeblich vorhandenes Kapital überbrückbar“, schlussfolgert die Autorin (S. 132). Ebenfalls stellt sie heraus, dass das Gros der von ihr Interviewten die Frage verneint, ob sie mit täuschendem Bewerbungsverhalten rechnen, was Veelen insofern als paradox bewertet, als manche Gesprächspartner angeben, bereits gegenteilige Erfahrungen gemacht zu haben. Die Soziologin erläutert, was es damit auf sich hat und gibt zu bedenken: „Die Personalverantwortlichen wissen […] trotz aller Bemühungen und dem wiederholt geäußerten Glauben an ihre eigene Fake-, Passungs- und Persönlichkeitserkennungskompetenz, dass sie keine umfängliche Gewissheit über wahrhaft vorhandene Motive, Persönlichkeitseigenschaften und andere soziale Kompetenzen oder Kapitalien bekommen, dass während des zeitlich begrenzten Auswahlprozesses nur eine Annäherung möglich ist“ (S. 177).

Ihre Untersuchung habe ergeben, so schildert Veelen, dass die von ihr Interviewten ein ambivalentes Verhältnis in Bezug auf unehrliches Bewerbungshandeln hätten (S. 188 f.). Obwohl sie wüssten, dass ihre Kompetenz im Erkennen des Faking fehlbar ist und dass sie ein Schauspiel schon aufgrund der begrenzten Zeit und Spezifik der Situation nicht immer „durchschauen“ könnten, „glauben sie, Jobanwärter_innen versuchten nur sehr selten zu düpieren und schafften dies auch nur in Ausnahmefällen“ (S. 189). Die Tatsache, dass es nur selten vorkomme, dass eigestellte Personen die Leistung im Job dann nicht erbrächten, die zu erbringen sie durch Faking im Rahmen des Auswahlprozesses in Aussicht stellten, bewerten die Interviewten als Indiz für ihre eigene Fähigkeit, Hochstapler*innen in den meisten Fällen erkennen zu können. Abgesehen von diesen individuellen Fähigkeiten beleuchtet die Autorin auch institutionelle Faktoren, die bewirken (können), dass Menschen, die einmal eingestellt wurden, nicht wieder entlassen werden, dass die Einstellungsentscheidung also im Nachgang Legitimierung selbst dann erfährt, wenn nicht die gewünschte Leistung erbracht wird. Ein weiterer Befund aus den Interviews ist Veelen zufolge, „dass Soft Skills tendenziell wichtiger werden und Fachqualifikationen auf manchen Positionen den Rang streitig machen“ (S. 199). Darüber hinaus reflektiert die Autorin, ob das Bluffen, das Bewerber*innen ggf. zur Schau stellen, nicht sogar eine implizit gewünschte Eigenschaft der Unternehmen sei, die im Job geradezu nötig sei bzw. nützlich sei (S. 205 ff.). Sie kommt zum Ergebnis, dass Ehrlichkeit in Job-Interviews zwar gewünscht, aber nicht zwingend jobförderlich sei. „Aus Bewerbendensicht erscheint es als folgerichtig, wenn nicht notwendig, im Zweifel durch passende Antworten zu überzeugen und nicht durch wahre, auch wenn das Lügen inkludiert“, schreibt Veelen (S. 218). Letztlich werde die Anwendung hochstaplerischen Verhaltens indirekt durch die Praxis der Personalauswahl gefördert, legt die Soziologin bezugnehmend auf die Interviewaussagen ihrer Gesprächspartner*innen dar. Dies resultiere „wiederum zum Teil aus strukturellen Gegebenheiten […], denen die soziale Praxis der Personalauswahl unterliegt“ (S. 223).

Im 4. Teil des Textes (Ratgeberanalyse) rekurriert Veelen darauf, welche Schlussfolgerung sich im Hinblick auf die Förderung hochstaplerischen Verhaltens aus der Bewerbungsratgeber-Literatur ziehen lassen. „Was Fakten nicht liefern, könne schauspielerisch inszeniert und entsprechend dargestellt werden“ – so fasst sie den Tenor dessen zusammen, was sich aus den Ratgebern erschließen lasse (S. 229). Auch Umformulierungen würden in Ratgebern als Möglichkeit der Unterlagenoptimierung hervorgehoben. Erziehungszeiten könnten etwa als „Familienmanagement“ und Schwarzarbeiten als „Nachbarschaftshilfe“ ausgegeben werden, referiert die Autorin den Tenor der Ratgeber. Des Weiteren nimmt sich Veelen der Frage an, ob die oben genannten Tipps als Vorschläge zum Hochstapeln definiert werden können. Um das zu eruieren, prüft sie in ihrer Dokumentenanalyse, „ob es sich bei dem, was [laut Ratgeber] schriftlich hinzugefügt werden soll, um real Vorhandenes, Geleistetes, Erlerntes etc. handelt, oder ob Ergänzen in diesem Fall als Synonym fürs Erfinden von Kapital steht“ (S. 232). Ihre Erkenntnis aus dieser Analyse ist, dass es Tipps gäbe, die ein hohes Potenzial aufwiesen als Hochstapeln beurteilt zu werden, dass der Großteil der Tipps, die sich in Ratgebern finde, aber im Bereich des Eindrucksmanagements bliebe. „Zu lügen und Erfindung raten sie, wenn überhaupt, nur indirekt, indem sie Auskunft über angeblich jobchancenfördernde Default-Wert-Füllungen geben, sodass ihre Tipps in Bezug auf Bewerbungshochstapeln als inspirierend, nicht aber als handlungsanweisend bezeichnet werden können“, erklärt Veelen (S. 240).

Im Hinblick auf das in den Ratgebern propagierte Verhalten in Vorstellungsgesprächen kommt die Autorin zu folgendem Urteil: „Insgesamt vermittelt die analysierte Ratgeberliteratur, es gebe im Auswahlinterview so etwa wie richtige und falsche […] Antworten bzw. Jobinteressierte hätten bessere Einstellungschancen, wenn sie bestimmten Fragen nur mit bestimmten Entgegnungen bedienten […].“ Da nicht alle Bewerber*innen so antworten können, dass all ihre Darlegungen korrekt sind (weil sie manche Kapitalien schlichtweg nicht mitbringen), werde Kandidat*innen, die negativ beschriebene Antworten geben müssen, so sie ehrlich bleiben wollen, implizit vor Augen geführt, dass Lügen manchmal probat sei, wenn man den Job erhalten wolle. Auf Ehrlichkeit sollte vor allem immer dann verzichtet werden, so schildert Veelen die Kernaussage aus einem Ratgeber, „wenn Bewerbende erstens nicht zu dieser verpflichtet seien und zweitens dadurch weniger vorteilhaft erscheinen würden, es also ihrem Image schade“ (S. 251). Als interessant hebt die Soziologin auch hervor, dass Bewerbungsratgeber insofern ein Phänomen darstellen, als Hochstapeln in der Gesellschaft allgemein als verpönt gilt und durchweg negativ konnotiert ist. Leser*innen von Bewerbungsratgebern würden allerdings systematisch mit dem Gedanken vertraut gemacht, die in anderen gesellschaftlichen Bereichen geltende Norm hätte im Kontext des Bewerbungshandelns keine Bedeutung (S. 256). Es werde zwar im Gros der Ratgeber nicht explizit empfohlen, zu lügen, sehr wohl werde aber insinuiert, dass dies ggf. ein probates Mittel sei, um sich gut zu verkaufen, solange die Lüge nicht evident sei und sofern eine geringe Chance auf Aufdeckung bestehe.

Veelen interpretiert zusammenfassend, dass Personalauswahl ein framing sei, welches „Kompetenzdarstellung und zuweilen auch Hochstapeln beim Bewerben fördert und erfordert“ (S. 274). Die Ratgeberliteratur befördere das Hochstapeln, „indem sie Tipps und Anleitungen zu diesem bietet und die Deutung verbreitet, es handele sich dabei um legitime, notwendige, erwartete und angemessene Ausführungen des Bewerbungsskripts“. Dadurch, dass in den Ratgebern die Bedeutung des überzogenen Selbst-Marketings und die Relativität dessen betont werden, was „wahr“ ist, gerieten, so erklärt die Soziologin, auch solche Bewerber*innen, die eigentlich nicht hochstapeln wollen, alsbald unter Zugzwang. Wenn grundehrliche Bewerber*innen mit ihrer Ehrlichkeit keinen Erfolg haben und merken, dass sie ob ihres nicht perfekten Lebenslaufes oder aufgrund dessen, dass sie über gewünschte Fähigkeiten nicht verfügen, kaum bei Unternehmen punkten können, würden sie durch die Ratgeber-Literatur systematisch dahin gedrängt, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Das Bewerbungshochstapeln sei, so schreibt die Autorin, „die Ausführungsvariante einer sozialen Praxis die für Bewerbende mit geringerem Kapital als dem geforderten, höhere Jobchancen verspricht als eine die sich an den normativen Umgang mit dem Skript hält, und die zudem von Bewerbungsratgebern als für nahezu alle Bewerbenden notwendig und durch die Auswahlkriterien gefordert und gefördert vermittelt“ werde (S. 278).

Im 5. Teil (Zwischenfazit: Ergebnisse der empirischen Untersuchung), der mit 4,5 Seiten sehr kurz gehalten ist. reflektiert die Autorin nochmals zusammenfassend die Ergebnisse ihre empirischen Untersuchungen. Sie legt dar, dass Unternehmen auf der einen Seite Ehrlichkeit von Ihren Bewerber*innen erwarteten und ihnen diesbezüglich auch einen großen Vertrauensvorsprung geben, dass die Unternehmen aber eben auch wüssten, dass sie 100 % Ehrlichkeit kaum je erwarten können (allein schon, weil es auch gesetzlich das Recht zur Lüge bei bestimmten Fragen gibt). Die Auswahlpraxis, wie sie in Betrieben heute oft vorkommt, ist, folgt man den Ergebnissen aus Veelens Studie, „potenziell durchlässig für Bewerbungshochstapeln“ und bietet „indirekt auch tendenziell Anreize zu diesem“ (S. 281). Die Strukturen, wie Personalauswahl erfolge und die damit einhergehenden Sachzwänge (Auswahldruck, beschränktes Zeitkontingent, Wunsch, einmal getätigte Entscheidungen nicht zu revidieren usw.) bewirkten letztendlich, dass Bewerbungshochstapeln gefördert wird.

Im 6. Teil (Ergänzung und Diskussion der Ergebnisse durch Bezugnahme auf Forschungsbefunde, Theorien und Gegenwartsdiagnosen der Soziologie und angrenzender Wissenschaften) ordnet Veelen ihre Befunde in den internationalen Fachdiskurs zum Thema Bewerbungshochstapeln ein und validiert diese. Sie legt zudem dar, was das Phänomen des Hochstapelns, das sich ja nicht nur in Bewerbungsprozessen findet, sondern in so ziemlich allen gesellschaftlichen Systemen, über die Gesellschaft insgesamt aussagt. Die Wissenschaftlerin legt dar, dass Hochstapeln als Anpassungsreaktion an die Herausforderungen der 2. Moderne gesehen werden könne und Hand in Hand gehe mit dem Zeitgeist-Phänomen der enthemmten Selbstdarstellung, die in (sozialen) Medien allenthalben gefördert werde. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Deutung erscheine es plausibel, dass Individuen strukturell bedingt zu einer kollektiv enthemmten Nutzung hochstaplerischer Bewerbungsskriptanwendungen neigen“, meint Veelen (S. 314). Rationalisierungs- und Flexibilisierungsanforderungen, die den Arbeitsmarkt der 2. Moderne in der Beck’schen „Weltrisikogesellschaft“ prägen, evozierten auch im Hinblick auf die Moral eine flexible Auslegung dieser. Es werde „ein nicht intentionell, aber in der Folge weniger soziales und vor allem den eigenen Bedürfnissen nutzendes Agieren evoziert“ (ebd.). Die Zeichen der Zeit wiesen „deutlich in die Richtung einer zum Hochstapeln motivierenden Ära, in der Bewerbungshochstapeln als exemplarische Präzisierung allgemeiner Tendenzen, als Symptom und Ausprägung eines gesellschaftlichen Trends eingeordnet werden kann“ (S. 315), lautet Veelens Fazit.

Im 7. Teil (Schlussbetrachtungen. Bewerbungs-Hochstapeln als zeitgenössisch typische Kulturpraktik), der 9 ½ Seiten umfasst, fasst die Autorin ihre Erkenntnisse nochmals zusammen und reflektiert die Reichweite wie auch die Verallgemeinerbarkeit ihrer Ergebnisse. Sie schildert, dass diese sich auf Unternehmen in Deutschland beschränkten, in denen die Sichtung der Bewerbungsunterlagen und das Vorstellungsgespräch die beiden relevanten Auswahlkriterien sind (auf Unternehmen, in denen im Rahmen der Personalauswahl in Ergänzung dazu z.B. auf Intelligenztests, Assessment-Center und Persönlichkeitseigenschaftsdiagnostiken zurückgegriffen wird, lassen sich die Befunde also nicht anwenden). Zur theoretischen Relevanz ihrer Befunde bemerkt die Autorin, diese trügen „zum allgemeinen Erkenntnisgewinn über eine bislang in der (soziologischen) Forschung kaum beleuchtete soziale Praktik bei, deren Auswirkungen sowohl auf Akteurs- als auch Organisations- und gesamtgesellschaftlicher Ebene problematisch sein können“ (S. 325 f.). Zudem liefere die Arbeit auf Basis der Analyse der Ratgeber-Literatur Informationen dazu, wo die Grenze von Impression Management und Hochstapeln verlaufe und inwieweit die Ratgeber letzteres beförderten, konstatiert die Autorin.

Diskussion

Wie lässt sich das Buch von Sonja Veelen nun einordnen? Sind die Schilderungen plausibel? Sind sie verständlich geschrieben? Und wer profitiert von der Lektüre? Zur ersten Frage ist zu sagen, dass das Buch einen wichtigen Beitrag zum Fachdiskurs über Hochstapeln in Bewerbungsprozessen allein schon deshalb liefert, weil besagter Fachdiskurs im deutschsprachigen Raum bisher nur spärlich existiert – jedenfalls in der Wissenschaft. Das ist insofern bemerkenswert, als der Themenkomplex Arbeit und Arbeitswelt in der Soziologie von zentraler Bedeutung ist. Es finden sich unzählige Bücher, Forschungsberichte und sonstige Texte zur Belastung bei der Arbeit, zur historischen Entwicklung der Arbeit, zur Arbeitsorganisation, zum Verhältnis von Arbeit und Politik, zu den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit wie auch zur Veränderung der Bedeutung der Arbeit in der Gesellschaft. Der Frage, wie Menschen verfahren, um an der Arbeitswelt zu partizipieren, wird in Deutschland aber von wissenschaftlicher Seite bisher wenig Beachtung geschenkt. Sonja Veelen nimmt sich in „Hochstapeln“ also eines Themenkomplexes an, der noch kaum erforscht ist. Das ist auch insofern bemerkenswert, als die Darlegungen der Soziologin deutlich machen, dass Hochstapeln ein recht weit verbreitetes Phänomen in Bewerbungsprozessen sein dürfte. Das Verdienst der Autorin ist es, die diesbezüglich existierende Erkenntnislücke zu verkleinern. Erfreulich ist dabei, dass ihr Text abgesehen von manchen Schachtelsätzen für eine wissenschaftliche Ausarbeitung gut zu lesen und relativ leicht zugänglich ist, auch wenn man kein Vorwissen zu der Materie mitbringt. Die Autorin nutzt zwar, wie für einen wissenschaftlichen Text üblich, viele Fachtermini und einige Anglizismen, sie erklärt aber stets, was damit gemeint ist (was für eine Doktorarbeit, deren Zielgruppe primär Wissenschaftler*innen sind, nicht selbstverständlich ist).

Das Werk ist alles in allem plausibel aufgebaut, gut geschrieben und erkenntnisreich. Einige Stellen fallen recht redundant aus, liefern also keinen Erkenntnis-Mehrwert, da die Autorin das dort Geschriebene schon zuvor dargelegt hat, den positiven Gesamteindruck mindert das aber nicht, zumal Redundanz allemal besser ist, als potenziell relevante Dinge gar nicht zu erwähnen. Die Lektüre kann Personen, die in der Personalauswahl tätig sind, eine Hilfestellung sein, um eigene blinde Flecke zu reflektieren und die Recruiting-Praxis zu optimieren bzw. zu validieren. Nützlich ist das Buch auch für Bewerber*innen, die sich fragen, wie viel Übertreibung, Umformulierung, Verdrehung von Fakten, Kompetenzsuggestion und Auslassung noch als legitim zu werten ist, wo die Grenze zum Betrug verläuft und wie es um die Wahrscheinlichkeit steht, dass das eigene Hochstapeln im Bewerbungsprozess auffliegt. Dass sich im 3. Kapitelteil Interviewexzerpte und die Reflexionen der Autorin zu diesen abwechseln, hält den Text an manchen Stellen sogar recht spannend, was für wissenschaftliche Texte eine Seltenheit ist und bei einer rein theoretischen Arbeit nicht der Fall gewesen wäre. Was den Duktus und das Layout anbelangt, orientiert Veelen sich am üblichen Standard für sozialwissenschaftliche Texte. Folgerichtig finden sich viele Verweise auf Quellen im Text, welche die Aussagen der Autorin substantiieren. Dass sich das Quellenverzeichnis auf 27 eng bedruckte Seiten erstreckt, zeigt, wie umfassend sich die Wissenschaftlerin mit der Materie auseinandergesetzt hat. Die Arbeit hat zudem ganze 256 Fußzeilen, die nicht nur aus Literaturangaben bestehen, sondern teils zu wissen Interessantes bereithalten, was zwar für das Textverständnis nicht essenziell ist, aber doch zum Gesamtverständnis des im Fließtext Dargelegten beitragen.

Eine Besonderheit dieser Doktorarbeit ist zweifellos ihr hoher Praxisbezug. Es ist längst keine Selbstverständlichkeit, dass soziologische Promotionen in der Praxis auch ankommen und außerhalb des hochschulischen Milieus Resonanz finden. Das kann bei dieser Arbeit anders sein, denn die Frage, wie verbreitet Hochstapeln ist, wie etwaige Hochstapler*innen vorgehen, was Personalauswahlverantwortliche tun, um sie zu identifizieren und wie wahrscheinlich es ist, dass das Faking auffliegt, hat durchaus Relevanz für die Praxis. Es steht zu vermuten, dass es nicht wenige Bewerber*innen wie auch Personalauswahlverantwortlich gibt, die sich dafür interessieren. Der Rezensent ist einer davon. Ihn hat das Buch interessiert, da er selbst in Recruiting-Prozesse involviert ist und Unternehmen dazu berät. Er setzte sich daher selbst schon so manches Mal mit der Frage auseinander, inwieweit einige in Bewerbungsschreiben getätigte Formulierungen, Auslassungen im Lebenslauf und Veränderungen der Schwerpunktsetzungen bei vergangenen Arbeitseinsätzen legitim sind, die Bewerber*innen tätigen, oder ob es sich dabei bereits um ein Faking handelt. Auch zweifelte der Rezensent als Mitglieder einer Auswahlkommission schon manches Mal an, ob das Schauspiel, das im Vorstellungsgespräch aufgeführt wird, wirklich etwas über die Kompetenz der sich dort präsentierenden Personen aussagt. Sonja Veelen ist zugute zu halten, dass sie sich dieser und weiterer Fragen wissenschaftlich fundiert annimmt. Sie untersucht, was es mit Übertreibungen, Umdeutungen, Hochstapeln oder schlichtweg Betrug in Recruiting-Prozessen auf sich hat, reflektiert mögliche Gründe für ein Hochstapeln und hypothetisiert, welche Schlussfolgerungen sich für Recruiter*innen wie auch für die Gesellschaft insgesamt daraus ziehen lassen.

Interessant ist, dass das Buch „Hochstapeln“ in der Reihe „Randgebiete des Sozialen“ erschienen ist. In der Selbstbeschreibung des Verlages heißt es dazu, dass in besagter Reihe die Frage thematisiert werde, wo Menschen aufgrund welcher Annahmen die Grenzen dessen ziehen, was sie als das Soziale ansehen. Bemerkenswert ist das insofern, als der Rezensent das Thema der Autorin mitnichten als Randgebiet ansieht. Arbeitssoziologische Studien zeigen, dass der Arbeitsmarkt im Wandel begriffen ist. Worte wie Arbeit 4.0, Flexicurity, Plattform-Economy und New Work prägen nun schon seit über 10 Jahren den Diskurs. Bildungsstatistiken machen deutlich, dass immer mehr Menschen einen Hochschulabschluss erlangen. Ein Blick auf Stellenanzeigen in Online-Portalen zeigt, dass auch immer mehr Stellen einen solchen voraussetzen. Vorausgesetzt werden darüber hinaus diverse weitere Qualifikationen, Erfahrungen und Eigenschaften. Gute Soft Skills, solide EDV-Kenntnisse und Vorerfahrung sind bei so ziemlich jeder Arbeitsstelle im Bürobereich ein Muss, selbst auf dem untersten Level. Je lukrativer die Stellen, desto mehr steigen die Anforderungen an die Bewerber*innen. Es verwundert nicht, dass Bewerber*innen sich beim Sichten mancher Stellenausschreibungen fragen, wie man das alles mitbringen können sollen, was Arbeitgeber*innen wie selbstverständlich voraussetzen, um überhaupt eine Chance auf eine Stelle zu haben. Mittels Lektüre von Bewerbungsratgebern und Bewerbungstrainings versuchen fast alle Bewerber*innen, zu punkten und die Konkurrenz auszustechen.

Wenn aber alle ähnliche Ratgeber lesen und von Coaches die gleichen Tipps bekomme, ist eine logische Konsequenz, dass sich die Präsentationen immer mehr angleichen. Wenn alle TOP sind, ist niemand mehr TOP. Folgerichtig fragen sich immer mehr Bewerber*innen, was sie in Ergänzung zu den Tipps der Bewerbungs-Expert*innen noch tun können, um als besser als die Konkurrenz wahrgenommen zu werden. Hochstapeln ist eine naheliegende Möglichkeit, sich von der Masse abzugrenzen, da die Sanktionsmöglichkeit relativ klein, der Gewinn aber groß ausfällt. Im besten Falle erhält man durch Hochstapeln den Job. Fliegt das Hochstapeln während des Bewerbungsprozesses auf, erhält man den Job nicht. Man hat somit wenig zu verlieren. Hat man sich erst einmal durchgesetzt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein etwaiges Faking nach der Einstellung auffliegt, oft gering. Die Frage, wie legitim es ist, „dick“ aufzutragen und wie „dick“ zu dick ist, ist naheliegend. Je stärker die Konkurrenz um gute Arbeitsplätze wird, desto akuter wird die Frage. Sie ist mitnichten in einem Randgebiet angesiedelt, sondern berührt einen Kernbereich unserer Gesellschaft, die in bedeutendem Maße auf Erwerbsarbeit fußt.

Letztlich zeigt die Autorin mit ihrem Werk, dass Bewerbungshochstapeln in unserer hyperflexiblen, vermeintlich meritokratischen Leistungsgesellschaft, in der Selbstdarstellung zu einem entscheidenden Kapital geworden ist und in immer mehr Kontexten ein Winner-takes-all-Phänomen zu verzeichnen ist, auf einem fruchtbaren Boden gedeiht – und wohl weiter gedeihen wird. Es verwundert denn auch nicht, dass sich prominente Fälle hochstaplerischen Verhaltens in so ziemlich allen gesellschaftlichen Systemen finden lassen, sei es etwa in der Politik (z.B. Karl Theodor zu Guttenberg) und Wissenschaft (z.B. Diederik Stapel), im Journalismus (z.B. Claas Relotius) oder in der Wirtschaft (z.B. Elizabeth Holmes). Die jüngere Zeitgeschichte macht deutlich, dass Eliten mitunter hoch stapeln. Diejenigen, die zur Elite werden wollen, tun es mitunter auch. Im Buch von Sonja Veelen wird erstmals umfassend beleuchtet, wie dieses Hochstapeln sich in Bewerbungsverfahren konstituiert, was es fordert, was es befördert und wie es betrachtet – oder bewusst nicht betrachtet – wird. Das macht das Buch lesenswert.

Fazit

„Wir alle spielen Theater“ schrieb Erving Goffman 1956 über die Selbstdarstellung von Menschen im Alltag. Sonja Veelen legt den Fokus in ihrer Dissertation nicht auf Selbstdarstellungen im Alltag, sondern auf jene Selbstdarstellungen, die Bewerber*innen in Bewerbungsverfahren an den Tag legen. Sie beleuchtet, wie Führungskräften in diesen Verfahren ihr eigenes (Nicht-)Handeln legitimieren und worauf ihre Proklamationen fußen, gut auswählen und erkennen zu können, wer als Bewerber*in (nicht) passt. Auch reflektiert die Autorin den Nährboden dafür, warum hochstaplerisches Verhalten in unserer Gesellschaft vorkommt. Sie betritt damit insofern Neuland, als im Hinblick auf diese Thematik ein Erkenntnisdefizit im wissenschaftlichen Fachdiskurs im deutschsprachigen Raum zu konstatieren ist. Wie und wann Menschen hochstapeln können, wollen und (nicht) dürfen, wird zwar in manchen Bewerbungsratgebern, YouTube-Videos und Karriere-Blogs angedeutet, wissenschaftliche Untersuchungen dazu existieren aber nur wenige. Das Verdienst Sonja Veelens ist es, die Erkenntnislücke dazu auf Basis einer qualitativen Interviewstudie sowie einer Dokumentenanalyse nachvollziehbar zu verkleinern. Die Autorin zeigt auf, wie es in Deutschland um das Phänomen des Bewerbungs-Faking bestellt ist. Wer den Text liest, erfährt, wann und wie Hochstapeln in Bewerbungsverfahren vorkommt, welche Situationen dafür prädestiniert sind und wie Personalauswahlverantwortliche vorgehen, um Hochstapler*innen zu enttarnen, sofern sie daran überhaupt ein Interesse haben. Die Lektüre kann Recruiter*innen und in der Personalauswahl tätigen Führungskräften empfohlen werden, die sich über ihre möglicherweise existierenden blinden Flecken informieren wollen. Ebenso lesenswert ist das Buch für Bewerber*innen, die Orientierung bei der Frage suchen, wie viel des Aufhübschens ihrer Bewerbungsunterlagen noch legitim ist und wie überzogen die Inszenierung des eigenen So-Seins in Bewerbungsverfahren sein darf, ohne die Grenze zum Hochstapeln zu überschreiten.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf
Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter/-pädagoge (FH), Sozial- und Organisationspädagoge M. A., Case Management-Ausbilder (DGCC), Systemischer Berater (DGSF), zertifizierter Mediator, lehrt Soziale Arbeit und Integrationsmanagement an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) in Mannheim.
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Es gibt 43 Rezensionen von Christian Philipp Nixdorf.

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Zitiervorschlag
Christian Philipp Nixdorf. Rezension vom 03.06.2021 zu: Sonja Veelen: Hochstapeln. Eine kulturelle Praktik in Bewerbungs- und Personalauswahlverfahren. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. ISBN 978-3-7799-6382-0. Reihe: Randgebiete des Sozialen. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28221.php, Datum des Zugriffs 30.11.2023.


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