Christine Wimbauer: Co-Parenting und die Zukunft der Liebe
Rezensiert von Prof. Dr. Hans Günther Homfeldt, 28.05.2021

Christine Wimbauer: Co-Parenting und die Zukunft der Liebe. Über post-romantische Elternschaft.
transcript
(Bielefeld) 2021.
310 Seiten.
ISBN 978-3-8376-5503-2.
D: 29,00 EUR,
A: 29,00 EUR,
CH: 35,70 sFr.
Reihe: X-Texte zu Kultur und Gesellschaft.
Thema
Als Familienkonzept gewinnt Co-Parenting gegenüber der romantischen Liebe als Voraussetzung und Grundlage für Familiengründung an Bedeutung. Die Semantik von Liebe sei wandelbar, betont Christine Wimbauer. Was sie bedeutet, variiert im historischen Verlauf und zwischen verschiedenen kulturellen Räumen. So gibt es verschiedene Liebesformen. Und was bedeutet dies für neue Familien- und Beziehungsformen? Dies erkundet das Buch der Autorin, indem gleichzeitig die gesellschaftspolitischen Herausforderungen thematisiert werden.
Autorin
Christine Wimbauer ist Professorin für Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich soziale Ungleichheiten, vor allem zwischen den Geschlechtern. Thematische Schwerpunkte sind Paarbeziehungen, Anerkennung, Arbeit, Liebe, Familie und Sozialpolitik. Im Vorwort merkt die Autorin an (S. 9): „Nun forsche ich seit über 20 Jahren […] zu Liebe und Paarbeziehungen – und fördere dabei immer wieder vielfältige Ungleichheiten im Rahmen von Liebesbeziehungen und zwischen den Geschlechtern zutage“.
Entstehungshintergrund
Die Monographie entstand im Rahmen eines von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts zu „Co-Parenting und Future Love – Elternschaft jenseits des Liebesglücks und die Zukunft der paarförmigen Liebe“. Zudem hat die Autorin empirisch mit dem DFG – Projekt „Ambivalente Anerkennungsordnung. Doing reproduction und doing family jenseits der Normalfamilie“ kooperiert. Ferner ist das DFG-Projekt „Ungleiche Anerkennung? 'Arbeit' und 'Liebe' im Lebenszusammenhang prekär Beschäftigter“ eine wichtige Informationsquelle für die vorliegende Monographie.
Aufbau
Im Band werden in vielfältiger Weise Fragen zu Liebe und Co-Parenting von der Autorin aufgeworfen. Von zentraler Bedeutung, theoretisch wie empirisch, ist die Frage, welche Aspekte von Co-Parenting „für welches der eröffneten Szenarien – Dystopie, pragmatisch-egalitäres Zukunftsmodell oder gar egalitäre postgender Utopie – sprechen“ (S. 28). Folgerichtig beschäftigt sich das zweite Kapitel mit der Liebe, ausführlich eingangs mit der romantischen Liebe. Dem dritten Kapitel geht es um die moderne Kernfamilie. Sie geht von romantischer Liebe und Bindung aus. Mit dem vierten Kapitel rückt Co-Parenting mit der Erläuterung des Begriffs und das methodische Vorgehen ins Zentrum des Darstellungsinteresses. Darauf aufbauend werden im fünften Kapitel Antworten zu Beweggründen, Hoffnungen und Ängsten vor der Familiengründung gegeben. Das sechste Kapitel zeigt Emanzipationspotenziale von Co-Parenting jenseits der romantischen Paarbeziehung auf, während das siebte Kapitel Erkenntnisse von der anderen Seite der Medaille liefert: Herausforderungen, Fallstricke und strukturelle Schwierigkeiten. Das achte Kapitel fasst Ergebnisse zusammen und benennt gesellschaftspolitischen Handlungsbedarf sowie Themen für weitere Forschungen. Das neunte Kapitel schlussendlich formuliert weitergehende Konzepte, die über die romantische Zweierliebe hinausgehen.
Inhalt
Das erste Kapitel aspektiert facettenreich Liebe, Familie und Co-Elternschaft. Es geht um Elternschaft und Familie im historischen Wandel, um die verschiedenen Formen von Liebe und um die Begriffsbestimmung von Co-Parenting. Gefragt wird ferner nach der Zukunft der romantischen Liebe. Die Autorin stellt die Frage, ob es für die Einzelnen nicht viel pragmatischer und ungefährlicher, weniger schmerzend und vernünftiger sei, schlicht auf die romantische Liebe zu verzichten (S. 26). Die alternative These lautet: Co-Parenting könnte sich als pragmatisches, egalitäres oder utopisches Familienmodell der Zukunft erweisen (S. 27).
Das zweite Kapitel beginnt mit einem Abriss über die Geschichte der westlich-mitteleuropäischen Paarliebe und ihre Merkmale. Es werden die zentralen Merkmale der Heteronormativität und Paar- bzw. Mononormativität herausgestellt Diese Form der Liebe ist die gesellschaftlich legitime und rechtlich gesicherte Variante des Zusammenlebens, die Frauen über Jahrzehnte auf die häusliche Sphäre festgeschrieben hat. Christine Wimbauer stellt die Versprechen und Vorteile der dyadischen Struktur der romantischen Paarbeziehung wie auch die Uneinlösbarkeit und Widersprüche romantischer Liebesversprechen heraus. Zur Uneinlösbarkeit ist zu rechnen, dass die Summe an Ansprüchen an die Liebesbeziehung zu groß ist. Oftmals richten sich die Ansprüche an Frauen. Jene schreiben als wirkmächtige Idee hierarchische Geschlechterverhältnisse fest und werden im Falle des Scheiterns der Liebe in der Regel dann individualisiert. Belegt und veranschaulicht werden Aussagen durch Interviewauszüge.
Im dritten Kapitel geht es um Merkmale und um die Monopolstellung der Liebe, um Liebe und Elternschaft sowie ihren Wandel in der modernen Klein- oder Kernfamilie. Was kann sie leisten und was nicht? Christine Wimbauer konstatiert (S. 61): „Nach ihrem normativen Gehalt ist sie bedingungslos und fordert notfalls auch die Selbstaufgabe der Mutter, wenn das Wohl und Wehe ihres Kindes auf dem Spiel stehen“. Die geschlechterungleiche bürgerliche Normalfamilie sei biologisch und biologistisch fundiert, als solche institutionalisiert und Blutsverwandtschaft ist dabei als zentrale Solidargemeinschaft als unauflöslich gedacht. Des Weiteren werden die Motive und Vorzüge der modernen Kleinfamilie ausbuchstabiert (z.B. der emotionale Nutzen) und ihnen anschließend „Fallstricke“ und Mythen (Mythos der Mutterliebe, S. 72) gegenübergestellt. Im zweiten Teil des Kapitels wird der seit den 70ger Jahren einsetzende Wandel und die Pluralisierung der Familienformen thematisiert. Er reicht bis zur Familie als Herstellungsleistung, als „doing familiy“.
Das vierte Kapitel gelangt folgerichtig zur Familienform der Co-Elternschaft. Sie steht im Zentrum des Buches mit der Frage: Ist Co-Parenting eine Alternative zur Normalfamilie oder eine alternative Normalfamilie? Der Forschungsstand ist äußerst spärlich. Eingangs wird Co-Parenting noch einmal näher bestimmt. Es meint, „wenn zwei oder mehr Menschen (egal welchen Geschlechts) bewusst zusammen eine Familie gründen (im Sinne von gemeinsam Kinder haben) und gemeinsam Elternverantwortung übernehmen, ohne dass sich die (beziehungsweise alle) Eltern wechselseitig lieben“ (S. 88). Im Regelfall sollten sich die biologischen Eltern auch früher möglichst nicht romantisch geliebt haben, da es sich sonst in der aktuellen Form um eine Patchworkfamilie handeln würde.
Im zweiten Teil des knappen vierten Kapitels thematisiert Christine Wimbauer die Datengrundlage und das Forschungsmaterial. Die Studie zieht wissenschaftliche Forschungsmaterialien, publizierte Erfahrungsberichte, Ratgeber, vor allem aber ausführliche, teilbiographische und teilnarrative Interviews mit Paaren aus früheren Untersuchungen der Autorin als Datengrundlage heran. Die wichtigsten verwendeten Daten und Materialien sind im Anhang aufgelistet.
Die Autorin stellt, wie erwähnt, in ihrem Buch vielfältige Fragen zur Sache. Das fünfte Kapitel bietet Antworten an auf die Fragen: Was bringt die Menschen dazu, eine Co-Eltern-Familie zu gründen, ohne ein (Liebes-)Paar zu sein? (S. 97). Was sind die Beweggründe, Hoffnungen und Wünsche? Anhand der empirischen Materialien zeigt sich, dass Liebe zu den Kindern keine Idealisierung ist. Sie ist für alle Befragten grundlegend. Aber wie steht es um alle anderen Erwartungen jenseits der Elternliebe? Um die Freundschaft zwischen den Eltern, um die Passung der Co-Eltern zueinander, um eine egalitäre Arbeitsteilung, um geteilte Sorge, um Befürchtungen, Ängste und Zweifel, um das Auf-Dauer-Stellen der gemeinsamen Elternverantwortung und schließlich um eine Kollision der Co-Eltern-Beziehung mit zusätzlichen Liebesbeziehungen? Über Vieles haben Co-Eltern offenbar vor dem Co-Parenting nachgedacht.
Wie sich die verschiedenen Facetten des Zusammenlebens in ihrer Umsetzung anhand von Interviews und einigen anderen Quellen zeigen, das ist Gegenstand des sechsten Kapitels. Was sind potentielle Vorteile und Versprechen von Co-Parenting jenseits der romantischen Liebe? Vor diesem Hintergrund geht es um bewusste Familiengründung, Familienglück jenseits des Eltern-Liebes-Paares, um emotionale Entlastung und geringeres Konfliktpotenzial der Elternbeziehung. Im Mittelpunkt steht das Kindeswohl und die Liebe zum Kind als Basis aller Beziehungen. Breiteren Darstellungsraum nehmen Reflexionen zu Vorteilen von mehr als zwei aktiven Eltern ein mit der Zielrichtung von „mehr Menschen, mehr Schultern, mehr Tat“ (S. 140 ff.), auch mehr Geschenke, aber auch Befreiung der Kinder von der Abhängigkeit von zwei Eltern und damit ein frühes Erleben von Pluralität von verantwortungsvoller familialer sowie freundschaftlicher Beziehungen wie auch verschiedener Liebesformen.
Im siebten Kapitel werden nach positiven Aspekten von Co-Parenting im sechsten Kapitel mögliche Schwierigkeiten benannt. Dies sind zumeist strukturelle Schwierigkeiten, aber auch alltagspraktische Mühsamkeiten wie in der Kleinfamilie auch: Bereden, Aushandeln und Absprechen. Nicht selten fällt dies aus zeitlichen und organisatorischen Gründen schwer. Hinzu kommt das Fehlen von Vorbildern. Zwar bietet ein solches Fehlen auch mehr Möglichkeiten des Ausprobierens, aber ebenso mehr potenzielle Fliehkräfte aufgrund der Änderung von Gefühlen und Zerbrechens von Beziehungen.
Ein weiteres gewichtiges Thema sind ungleiche Machtverhältnisse und vergeschlechtlichte Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern – einem Kernstück der Ausführungen im siebten Kapitel – und auch Verantwortungsdiffusion, ungleiche Ansprüche, mangelnde Anerkennung und gewaltvolle Mehrheitsentscheidungen (S. 159). Zwar werden die Verantwortung und Sorge für das Kind geteilt, aber nicht die Verantwortung und Sorge füreinander wie in der romantischen Liebe. Wichtig können Nichtpassung, ungleiche Ansprüche und Anerkennungsdefizite werden. Co-Eltern sorgen sich oftmals um Ausgrenzung und Diskriminierung ihrer Kinder. In einem weiteren Abschnitt bearbeitet Christine Wimbauer an Beispielen fehlende Rechte, erschwerte Bedingungen und rechtliche Herausforderungen (S. 188 ff.). Sie reichen von Sorgerecht, Auskunfts- und Besuchsrecht, Erbrecht, Kindergeldleistungen, rentenrechtliche Anerkennung der Kindererziehungszeiten bis zu Elternzeit. Im Band fordert die Autorin deshalb eine bessere rechtliche Anerkennung und Absicherung sozialer Elternschaft, insbesondere deshalb, weil die Verbindlichkeit der familialen Beziehung nicht wie im Falle der romantischen Liebe durch deren eheliche Institutionalisierung festgeschrieben ist. Das Plädoyer von Christine Wimbauer geht dahin, neben der Kleinfamilie andere Familienformen als gleichwertig anzuerkennen, in Bezug auf die Co-Eltern-Familie eine Form, die durch die Liebe zu den Kindern und die zuverlässige Sorge für diese begründet ist.
Im achten Kapitel geht es um eine Zusammenfassung der zentralen Überlegungen des Buches. Überdies liefert dieses Kapitel einen Ausblick auf gesellschaftspolitisch begründeten Handlungsbedarf und auf Forschungsthemen zum Co-Parenting jenseits romantischer Liebe. Die grundlegende Annahme zum Beginn des Kapitels lautet: Familie würde durch die Liebe zum Kind und durch die Verantwortungsübernahme auf Dauer gestellt (S. 216). In Kleinfamilien wie auch Co-Eltern-Familien ist das oberste Prinzip „Alles um der Kinder Wohl und Willen“. Different ist zwischen den beiden Familienformen der Weg zur Familie. Wirklich gleich werden die Familienformen aber erst dann, wenn Normalisierungen nicht mehr vonnöten sind. Hervorgehoben wird von Christine Wimbauer erneut, dass Co-Eltern keine gemeinsame Liebesbeziehung pflegen – getragen wird der Zusammenhalt durch die gemeinsame Elternliebe und durch das dadurch getragene Zusammengehörigkeitsgefühl –, gleichwohl haben einige Co-Eltern auch romantische Liebesbeziehungen.
So wie Elternschaft und Familie eine soziale Institution sind, ist es Liebe auch. Sie ist sozial hergestellt, eine soziale Konstruktion. Wie Elternschaft und Familie ist die Liebe tagtäglich immer wieder hervorzubringen und zu leben. Alle drei sind gesellschaftlich und auch global immer wieder bedroht.
Im Abschnitt 8.2 (S. 221 ff.) geht die Autorin der Frage nach, wie es um die emanzipativen Potenziale von Co-Eltern-Familien bestellt ist. Wo unterscheiden sie sich von der bürgerlichen Kleinfamilie? Wo sind sie positiv anders, wo different? Dies wird in fünf Punkten zusammengefasst. Gesehen wird die Differenz
- in der Befreiung von der Abhängigkeit von einem männlichen Familienernährer,
- in der kindzentrierten Elternpragmatik statt liebesblindem Romantikstreben,
- im mehr Möglichkeiten für die Kinder durch Co-Eltern,
- in der Befreiung von einengenden Geschlechternormen in Regenbogenfamilien und
- in den Möglichkeiten für mehr Menschen, Eltern zu werden.
Es gibt jedoch auch Schattenseiten:
- in Gestalt alltagspraktischer Mühsamkeiten,
- dass die Abwesenheit von romantischer Liebe nicht unbedingt vor Verletzungen schützt,
- dass im Co-Parenting oftmals Emanzipationsversprechen nicht eingelöst werden (Sorgearbeit z.B. überwiegend von Müttern geleistet wird) und schließlich
- die mangelnde rechtliche Anerkennung.
Das erste Fazit ist ambivalent: Co-Elternschaft bietet Freiheiten, gleichzeitig finden sich altbekannte Ungleichheiten, und auch solche aufgrund fehlender Rechte und Vorurteile. So stellt die Autorin in Bezug auf ihre Untersuchung fest (S. 237): „Es ließen sich keine Anzeichen ausmachen für einen nahenden Übergang in ein postromantisches, postgender Zeitalter, in dem Geschlecht, geschlechtliche und sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielen würden und vielleicht noch weitergehende Egalität auf Erden herrschte“. Gleichwohl deutet sich ein gesellschaftspolitischer Handlungsbedarf an, da sich die Co-Elternschaft als Familienform nicht mehr zurückdrängen lässt und damit Lebenswirklichkeit und Rechtswirklichkeit in Kongruenz gebracht werden müssen.
Das abschließende neunte Kapitel befasst sich mit der schwierig zu beantwortenden Frage nach der Zukunft der Liebe. Dazu nimmt die Verfasserin eingangs noch einmal den Ausgangspunkt ihrer Argumentationslinie auf: „das gesellschaftlich verursachte, aber individuell erlebte Leid durch die Orientierung an der romantischen Liebs- und Zweierbeziehung“ (S. 249). Das Co-Elternschafts-Modell ohne romantische Liebe kann zwar einige Ungleichheiten verringern, aber andere nicht. Die Trennung von Liebe und Elternschaft führt nicht „zur Einlösung einer postgender-postromantischen Egalitätsutopie“ (S 249). Abschließend skizziert Christine Wimbauer jenseits aktueller Forderungen sieben Formen eines familialen Zusammenlebens und seiner Beziehungsausgestaltung:
- die antinatalistische Variante als selbstbestimmtes Ende der Menschheit aufgrund einer Entscheidung gegen Kinder,
- die polyamoren oder konsensuell nichtmonogamen Beziehungen,
- mütterliche Sorgeverbände im Matriarchat,
- Wahlverwandtschaften, Sorgegemeinschaften und freundschaftszentrierte Lebensweisen,
- den Umgang mit der Sexualität,
- das Festhalten am romantischen Liebesideal und schließlich
- den Liebesrealismus, die postromantische Liebe und eine umfassende Liebes-Utopie.
Wie kann man sich nun eine umfassende, übergreifende Liebe vorstellen? fragt Christine Wimbauer am Ende ihres Essays. Eine übergreifende Liebe umfasst Zuneigung, Sorge, Mitgefühl, Anteilnahme, Empathie, Achtsamkeit und Wohlwollen, Resonanz und schließlich die (Ver-)Bindung aller Lebewesen (S. 269). Eine solche Liebe ist nichts Neues, aber kaum erreichbar. Und damit schließt sich der Kreis zu den Ausführungen im ersten Kapitel: zu Caritas, zu Metta, zu Agape als allumfassende Liebe. Letztere ist eine „utopische Utopie“ (S. 270). Was aber ist lebbar? Eine irdische Utopie von Liebe zielt auf den konkreten Umgang der Menschen miteinander. Kann es gelingen, dass die Menschen ihre Beziehungen sorgsam, achtsam und mit Respekt gestalten können „unabhängig von Differenzkategorien wie Geschlecht, Alter, Aussehen, Verwandtschaft, Bildung, Einkommen, Status, Herkunft, Migration?“ (S. 270). Immer noch eine Utopie auf jeden Fall, meint die Autorin. Aber eine unbedingt erstrebenswerte.
Diskussion und Fazit
Die Monographie setzt sich mit dem immer präsenten Thema der Liebe auseinander, das aber in den Sozialwissenschaften als Forschungsgegenstand eher ein Schattendasein fristet. Dies gilt umso mehr für Co-Parenting. Ausgehend vom Leitbild oder eher Leidbild der romantischen Liebe und der Zweierbeziehung, von Liebe und Elternschaft in der modernen Kleinfamilie und deren Wandel setzt sich Christine Wimbauer mit der Frage auseinander, ob Co-Parenting eine Alternative zur „Normal-Familie“ oder eine alternative Normalfamilie ist. Herzstück des Buches bilden die Ausführungen zu Herausforderungen und strukturellen Erschwernissen von Co-Parenting.
Ob Co-Eltern-Familien eine Alternative zur sogenannten „Normalfamilie bilden, wird auf der Grundlage von Interviewmaterialien, Erfahrungsberichten und Literatur in ihrem Für und Wider facettenreich beantwortet. Ein klares Ja oder Nein gibt es nicht. Es findet sich jedoch ein klares Plädoyer dafür, die strukturellen Erschwernisse für Co-Elternschaften abzubauen, um auf diesem Wege für Familienformen jenseits der bürgerlichen Kleinfamilie chancengleiche Existenzgrundlagen zu sichern. Hier gibt es eine klare Botschaft in Richtung gesellschaftspolitischen Handlungsbedarfs.
Überrascht hat den Rezensenten, dass im Kontext der Reflexionen zum Co-Parenting die Frage nach dem „Sex“ kaum angesprochen wird. Diesem Thema wird eine kleine Nebenrolle im letzten Kapitel in der Auflistung zu Alternativen von romantischer Liebe zugebilligt. Überrascht hat mich auch, dass das Thema Zeitmanagement relativ wenig zur Sprache gekommen ist. Ist die Pflege einer Liebesbeziehung außerhalb des Co-Parenting nicht schon aus zeitbezogenen Gründen nur schwer umsetzbar? Ich habe mich schließlich auch gefragt, für welche Statusgruppen Co-Parenting ein Thema ist. Wer sind die Co-Eltern in Bezug auf ihren sozioökonomischen Status? Wenn hierzu im Essay noch wenig zu lesen ist, dann kann dies auch den fehlenden Datengrundlagen geschuldet sein. Christine Wimbauer verweist im letzten Abschnitt des neunten Kapitels auf die unbegrenzte, umfassende Liebe. Aber auch hier stellt sich die Frage nach der möglicherweise chancenungleichen Erreichbarkeit. Immerhin verweist die Autorin im achten Kapitel im Abschnitt zu „Ausweitung der Datengrundlagen“ (S. 242) auf die Notwendigkeit in kommenden Forschungen das Erkenntnisinteresse auch auf Alter, Einkommen, Bildung, Erwerbstätigkeit, Herkunft und diverse standarddemographische Daten zu richten.
Ungeachtet dieser Fragen und Forschungsaufgaben, auf deren Antworten ich schon in diesem Buch gespannt gewesen wäre, liefert das Essay, einfühlsam verfasst, zum Wohl und Wehe von romantischer Liebe und Co-Parenting vielfältige Impulse und dabei vor allem über die je eigene familiale Geschichte ins Nachdenken zu kommen und das eigene Familienleben sowie die eigene(n) Familienform(en) als „älteres Semester“ auf den Prüfstand zu stellen. Das Buch fordert eine reflexive Auseinandersetzung geradezu heraus. Es zu lesen, ist schon allein deshalb ungemein gewinnbringend.
Rezension von
Prof. Dr. Hans Günther Homfeldt
Prof. em. an der Universität Trier, Fach Sozialpädagogik/ Sozialarbeit
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Zitiervorschlag
Hans Günther Homfeldt. Rezension vom 28.05.2021 zu:
Christine Wimbauer: Co-Parenting und die Zukunft der Liebe. Über post-romantische Elternschaft. transcript
(Bielefeld) 2021.
ISBN 978-3-8376-5503-2.
Reihe: X-Texte zu Kultur und Gesellschaft.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28226.php, Datum des Zugriffs 29.03.2023.
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