Irma Brenman Pick, M. Fakhry Davids et al.: Authentizität in der psychoanalytischen Begegnung
Rezensiert von Merle Schöne, 23.08.2021

Irma Brenman Pick, M. Fakhry Davids, Antje Vaihinger, Christine Glombitza, Dipl.-Päd. Ulrike Guercke et al.: Authentizität in der psychoanalytischen Begegnung. Ausgewählte Schriften.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2021.
310 Seiten.
ISBN 978-3-8379-3048-1.
D: 34,90 EUR,
A: 35,90 EUR.
Reihe: Bibliothek der Psychoanalyse.
Thema
Authentizität ist ein Thema, welches eine Psychoanalyse permanent begleitet. Wie authentisch verhalten sich Analytikerinnen und Analytiker innerhalb der Behandlung und wie wirkt sich dies auf die Patientinnen und Patienten aus? Innerhalb des Psychoanalyseverlaufs kann es hier durchaus zu Schwankungen kommen. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie die Authentizität kommuniziert wird und für die Behandlung gewinnbringend eingesetzt werden kann.
Dieses Buch widmet sich den Überlegungen der Psychoanalytikerin Irma Brenman Pick hinsichtlich der Authentizität, insbesondere der Psychoanalytiker selbst, innerhalb der Analyse. Anhand von 16 Beiträgen die zwischen 1967 und 2015 von der Autorin verfasst wurden sind die Gedankenprozesse der renommierten Analytikerin nachzuvollziehen.
Anhand unterschiedlichen klinischen Materials veranschaulicht sie die facettenreichen Beziehungen innerhalb einer Behandlung und verweist auf Möglichkeiten diese zu bearbeiten, um die Ergebnisse innerhalb der Analyse zur Verfügung zu stellen.
Über Themen wie die Gegenübertragung, Adoleszenz und Sexualität geht sie auf mögliche Herausforderungen in der Psychoanalyse ein und beschreibt deren Prozess. Durch alle Bereiche hinweg widmet sie sich der Bedeutung der Authentizität für die Analyse. Dabei geht sie auch auf die Grenzen, die Unklarheiten und Herausforderungen in der Betrachtung der Selbigen ein.
Autorin
Irma Brenman Pick ist Ehrenmitglied, Supervisorin, Lehranalytikerin und frühere Vorsitzende der British Psychoanalytical Society. Nach dem Studium an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Witwaterstrand in Johannisburg (Südafrika) absolvierte sie ihre Ausbildung zur Kinderpsychotherapeutin an der Tavistock Clinic in London und ihre Ausbildung zur Erwachsenen- und Kinderpsychoanalytikerin am Institute of Psychoanalysis, London.
Aufbau und Inhalt
Einleitung der Herausgeberin und des Herausgebers
Brenman Pick widmet sich dem inneren Hin und Her von Liebe und Hass. Den Zugang hierzu eröffnen die unbewussten Phantasien. Brenman Picks Interesse gilt der Frage, wie sie verbal und nonverbal in der Übertragung auftauchen, in welcher Form sich die frühesten inneren Objektbeziehungen bemerkbar machen und welchen Einfluss sie darauf haben, wie der Analytiker vom Patienten erlebt wird. Brenman Pick hat das Bild entwickelt, Patienten mit zwei Händen zu halten, um sowohl auf deren Destruktivität als auch auf ihre Verletzlichkeit einzugehen. Brenman Pick untersucht eigene Gefühle und Interventionen, um sich bewusst zu machen, welchen Aspekten des Analytikers es möglicherweise an Authentizität fehlt oder ob der Patient ihn in dieser Weise wahrnimmt. Dies beinhaltet auf Seiten des Analytikers eine ständige innere Arbeit.
Teil I Gegenübertragung
Im ersten Kapitel „Durcharbeiten in der Gegenübertragung“ wird vor allem der Einfluss der Gefühle des Analytikers diskutiert. Es wird anhand mehrerer Fallvignetten aufgezeigt, welche innere Arbeit der Analytiker leisten muss, um die analytische Begegnung zu vertiefen. Die Projektionen des Patienten wirken sich auf den Analytiker aus und der Analytiker muss diese wiederum in der Gegenübertragung durcharbeiten um auf der emotionalen Ebene mit dem Patienten in Kontakt zu kommen. Würde die Emotionalität vom Analytiker ferngehalten werden, würde dies dazu führen, dass wesentliche Bereiche unerkannt blieben. Laut Brenman Prick besteht die Schwierigkeit darin, „sowohl mit unserem eigenen Erleben im Kontakt zu bleiben, als auch an den profunden Wert unserer Technik festzuhalten…“ (S. 45). Im zweiten Kapitel „Zusammenbruch der Kommunikation. Vom Auffinden des Kindes in der Analyse eines Erwachsenen“ aus dem Jahre 1985 werden die im ersten Kapitel aufgenommenen Gedanken vertieft. Im Kapitel „Das Auftauchen früherer Objektbeziehungen im psychoanalytischen Setting“ aus dem Jahre 1992 wird die Theorie von Melanie Klein bzgl. der frühen Spaltung zwischen idealisierten und entwerteten Objekten beschrieben. Wie wir andere Menschen sehen wird davon beeinflusst, wie wir selbst sie betrachten. Freuds Entdeckung, dass Gefühle und Impulse aus früheren Beziehungen nicht erinnert, sondern in der Beziehung zum Analytiker wiedererlebt und erfahren werden, zeigt Brenman Pick in Verbindung mit der kleinianischen Theorie anhand ihres Materials auf (S. 67). Sie wirft dabei die Frage auf „…wer ist der Analytiker, wenn er dem Patienten eine Deutung gibt?“ (S. 75) Im Beitrag „Noch einmal: Durcharbeiten in der Gegenübertragung“ aus dem Jahre 2012 untersucht Brenman Pick wie Analytiker in der Supervision unverarbeitete Mitteilungen ihrer Patienten in die Beziehung zur Supervisorin einfließen lassen.
Teil II Authentizität
In dem Kapitel „Über das Stehlen: Klinische Überlegungen zu drei Jugendlichen“ aus dem Jahre 1967 untersucht Brenman Pick das Problem des Stehlens. Nach ihrer Auffassung hängt dies damit zusammen, dass jemand nur schwer anerkennen kann, ein Objekt zu brauchen, mit allem was dazu gehört. Zur Darstellung werden analytische Sitzungen von drei Jugendlichen vorgestellt (S. 101).
Im Kapitel „Frühreife Entwicklung“ aus dem Jahre 1969 werden anhand einer klinischen Darstellung die bereits aufgeführten Themen weiterentwickelt. Brenman Pick beschreibt hier die Psychodynamik der kindlichen Abhängigkeit, die einer Als-ob-Persönlichkeit zugrunde liegt. Brenman Pick zeigt anhand dieses Fallbeispiels den Teufelskreis der frühen Entwicklung auf, die echtes Wachstum behindert (S. 140).
Im siebten Kapitel „Die Sorge um andere: Echt oder unecht“ aus dem Jahre 1995 geht es um mögliche Konsequenzen bei nicht authentischer Aneignung eines Objektes. Die behandlungstechnischen Probleme bei solchen Patienten stehen im Mittelpunkt. Laut Brenman Pick sollte man standhaft auf die manische/frühreife Aneignung reagieren und gleichzeitig mitfühlend auf die zugrunde liegende Verletzlichkeit reagieren.
Im Kapitel „Kreativität und Authentizität“ aus dem Jahre 2012 wird noch einmal Brenman Picks grundlegende Theorie dargelegt. Zu einer Analyse gehört die Abhängigkeit eines Patienten vom Denken und Fühlen eines anderen, der ihm sein Verstehen vermittelt. Dies ist die kreative Leistung des Analytikers, die in einer authentischen Art eingesetzt wird. Hierfür ist Voraussetzung, dass der Analytiker erforscht, wer er selbst wirklich ist. So sagt Brenman Pick: „Die schöpferische Tätigkeit des Psychoanalytikers betrachte ich als einen Mütterlich-kreativen Akt […] Darüber hinaus interessiert mich besonders, wie echt oder unecht dieser mütterlich-kreative Akt bzw. die analytische Arbeitsweise ist.“ (S. 167)
Teil III Adoleszenz und Sexualität
Hier stellt Brenman Pick im neunten Kapitel „Adoleszenz: Ihre Wirkung auf Patienten und Analytiker (1985)“ dieses Buches dar, dass sich die Adoleszenz auf Grund der biologischen Reifung psychisch dadurch manifestiert, dass Jugendliche von ihrer Sexualität mitgerissen werden. Dadurch kann das Abhängigkeitsgefühl verloren gehen. Dies zeigt sie zum einen anhand eines Patienten, der sich fast ausschließlich auf das sexuelle Ausagieren verlegt und einer Patientin, die eine Pseudo-Reife als Abwehr gegen innere Kämpfe nutzt.
In dem Beitrag „Weibliche Sexualität: Eine klinische Überlegung“ aus dem Jahre 1985 geht es darum, dass die Psyche der Mutter (oder auch der Analytikerin) Projektionen und Mitteilungen aufnimmt und ihnen einen Sinn verleiht. Eine erwachsene sexuelle Beziehung bietet dann neue Möglichkeiten für das inszenieren früherer Konflikte. Das Durcharbeiten dieser frühkindlichen Aspekte kann, wie hier an einem Fallbeispiel gezeigt, dafür sorgen, dass sich Beziehungen insgesamt verbessern.
Im Beitrag „Männliche Sexualität: Eine klinische Studie über Faktoren, die ihre Entwicklung beeinträchtigen“, ebenfalls 1985 entstanden, wird ein Muster beschrieben, in dem ein Mann angesichts der bedrohlichen Vorstellung, dass seine Objekte möglicherweise denselben primitiven Traum wie er selbst von einer phallischen Vorrangstellung ausleben, in einen Albtraum gerät. Brenman Pick stellt dar, wie sich dieses Muster in der Übertragung auswirken kann (S. 215). Des Weiteren geht es in diesem Kapitel um die frühen Determinanten für die Konzeptualisierung von Männlichkeit.
Teil IV Weitere klinische Themen
Im 12 Kapitel „Im Ungewissen hängen lassen“ aus dem Jahre 2012 geht es um die Erfahrung warten gelassen zu werden. Die Ungewissheit kann das Ich zu überwältigen drohen und frühe Verfolgungsängste wachrufen. Weil die Ungewissheit für mache Patienten so schwer auszuhalten ist, wird manch eine Situation so arrangiert, dass andere die Ungewissheit ertragen müssen (S. 237). In dem Beitrag „Die Dinge zusammenführen (2004)“ wird anhand eines Fallbeispiels gezeigt, wie ein Patient mittels einer Regression eine vollständige Trennung zu vermeiden versucht, sodass Teile von ihm für immer in seiner Analytikerin untergebracht werden und er seine Projektionen nicht zurücknehmen muss. Die Berichte werden mit der Frage nach der Authentizität in der psychoanalytischen Begegnung verknüpft. Brenman Pick konstatiert hierzu: „Wenn wir den Projektionen unserer Patienten ein ‚Zuhause‘ bieten wollen, müssen wir uns mit den entsprechenden Aspekten in uns selbst einigermaßen zu Hause fühlen.“ (S. 272) Immer unter der Voraussetzung sich auch selbst blinde Flecken zuzustehen. Im jüngst verfassten Artikel „Die ineinander verschlungenen Schlangen. Das Schwanken zwischen Sehnsucht und Zerstörung“ wird auf die Aufgabe eingegangen, psychisch die Abhängigkeit von einem anderen Menschen anzuerkennen und zu verarbeiten. Brenman Pick vertritt die Auffassung, dass Neid sowohl mit Entbehrung und Verlust als auch mit Eifersucht und Schuldgefühlen verwoben ist, was endlose Teufelskreise entstehen lässt oder aufrechterhält (S. 278). Diese gilt es zu betrachten und durchzuarbeiten. Nichts desto trotz schließt Brenman Pick mit dem Fazit: „Und doch bleibt bei jedem Einzelfall offen, ob gerade dieser Analytiker gerade diesem Patienten dabei helfen kann, sich aus diesem Teufelskreis, diesem Hin und Her zwischen Sehnsucht und Zerstörung, zu befreien und einen hoffnungsvollen Zustand zu erreichen.“ (S. 290)
Appendix
In der deutschen Ausgabe finden sich zusätzlich die zwei Beiträge „Überlegungen zu Neid und Dankbarkeit“ (2008) und „Melanie Kleins Beitrag zur Kinderanalyse: Theorie und Technik“ (1977).
Diskussion
Wie bereits im Untertitel des Buches erwähnt, handelt es sich um ausgewählte Schriften von Irma Brenman Pick. Die Herausgeberin und der Herausgeber bereiten jeden der vier Gliederungspunkte, die sinnlogisch aufeinander aufbauen, mit einer Einleitung strukturiert vor. Es wäre an dieser Stelle sicherlich interessant gewesen, Brenman Pick selbst zu Wort kommen zu lassen, um eine kritische Selbstreflexion eventuell im Zusammenhang neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse ihrer Ausarbeitungen vornehmen zu lassen.
Brenman Pick geht auch auf die Vorarbeiten von Melanie Klein, Wilfred Bion und Sigmund Freud ein, auf denen ihre Überlegungen aufbauen und stellt somit einen Gesamtzusammenhang verschiedener Stränge und Entwicklungen in der Psychoanalyse dar. Eine kritische Abgrenzung zu unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Bedeutung von Authentizität steht nicht im Fokus.
Brenman Pick stellt immer wieder kritische Fragen zur Ausübung der Analyse und der Rolle der Authentizität innerhalb dieser. Anhand ihrer praktischen Darstellungen lässt sich ihr Arbeitsprozess umfänglich nachvollziehen. Die Beziehung zwischen der Analytikerin oder dem Analytiker und deren Patientinnen und Patienten, insbesondere hinsichtlich des Machtgefälles und der Zuweisung der Bedeutung der eigenen Rolle, hat keine hohe Bedeutung und wird nicht kritisch beleuchtet.
In allen Darstellungen wird ausführlich auf die Prozesshaftigkeit einer Analyse eingegangen. Lösungswege werden nicht als allgemeingültig erklärt, sondern die Individualität einer Behandlung hervorgehoben und die Möglichkeit von Fehleinschätzungen realistisch betrachtet.
Fazit
Wer sich generell für die Arbeit von Irma Brenman Pick interessiert und ihre Gedankenprozesse in der Psychoanalyse nachvollziehen möchte findet hier reichlich Material.
Die Bedeutung der Authentizität in der Psychoanalyse kann gar nicht genügend Bedeutung zugesprochen werden und Brenman Pick lässt ihre Leserinnen und Leser anhand detailliert beschriebener Fallbeispiele an ihrer Umsetzung und Beachtung der Authentizität innerhalb der Behandlung teilhaben.
Eine gewisse Vorkenntnis hinsichtlich unterschiedlicher theoretischer Konzepte der Authentizität sind bei der Lektüre von Vorteil.
Rezension von
Merle Schöne
Wissenschaftliche Mitarbeiterin HFH Hamburger Fern-Hochschule
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