Christian Dreher: Achtsamkeit erleben
Rezensiert von Thomas Reinhardt, 02.08.2021

Christian Dreher: Achtsamkeit erleben. Ein Gruppenmanual.
Psychiatrie Verlag GmbH
(Köln) 2021.
128 Seiten.
ISBN 978-3-96605-085-2.
D: 30,00 EUR,
A: 30,90 EUR.
Reihe: Psychosoziale Arbeitshilfen.
Autor
Der Autor Christian Dreher ist heute als Lehrkraft an einer Schule für Ergotherapie tätig. In seiner früheren Tätigkeit «förderte er Klientinnen und Klienten mit psychischen Erkrankungen in einer Werkstatt für behinderte Menschen» (Seite 2).
Thema
Dreher fasst in diesem kompakten Band zentrale Gedanken zum Thema «Achtsamkeit» zusammen, weist auf den Nutzen dieser Praxis für unterschiedliche psychiatrische Diagnosegruppen hin und stellt das Gruppenmanual, das zehn Einheiten umfasst, Schritt für Schritt vor. Umfangreiches Onlinematerial ermöglicht den sofortigen Einsatz der Methode in sozialpsychiatrischen Einrichtungen und Kliniken. Dabei hat der Autor, wie er eingangs bemerkt, «lange Zeit gebraucht, um mich mit dem Konzept anzufreunden.» (Seite 7). Ein Ziel ist: «Nach dem Kurs sollen sich die Teilnehmenden an mehr erinnern als ‘Achtsamkeit? Das ist das mit den Rosinen, oder?’»
Aufbau
Nach dem Vorwort beschreibt der Autor knapp und prägnant «Warum Achtsamkeit?» und zeigt den Unterschied auf zwischen dem Tun- und dem Sein-Modus. Letzterer ist Kern einer achtsamen Haltung. Im zweiten Teil wird die Zielgruppe definiert, die Indikation der Anwendung des Manuals beschrieben und darauf hingewiesen, worauf die Leitung dieses Trainings zu achten hat. Der grösste Teil ist der Beschreibung des Trainings gewidmet. Abgeschlossen wird das Buch mit Quellen- und Literaturangaben.
Der Autor bittet darum, dass Onlinematerial nicht an andere Institutionen weiter zu geben, sondern diese aufzufordern, das Buch zu kaufen, den darin steckt viel Arbeit.
Inhalt
Die über zweieinhalb Jahrtausende in die Welt gebrachten buddhistischen «noblen Wahrheiten» sind im Kapitel «Warum Achtsamkeit?» vorangestellt: Leid existiert, Leid hat eine Ursache, Leid kann enden und der Weg zum Ende des Leids ist Achtsamkeit und Mitgefühl.
Und: «Leid zu lindern oder zu beenden darf nicht mit Heilung verwechselt werden. Wir können Depression nicht wegmeditieren. Eine achtsame und selbstmitfühlende Haltung kann aber die Behandlung unterstützen und die Rückfallwahrscheinlichkeit verringern.» (Seite 12).
Dabei definiert er Meditation kurz, bündig und völlig klar: «Meditation bedeutet so viel wie: vertraut machen.» (Seite 12). Er lehnt sich damit an Gilbert und Choden (2015) an. Ebenso auf das Wesentliche konzentriert fasst er die Arbeit moderner Wegbereiter der Achtsamkeitswelle zusammen: Jon Kabat-Zinn und der Begründer der Akzeptanz und Commitment-Therapie (ACT) Steven C. Hayes. Bildhaft beschreibt er Sinn und Zweck der Konzeptbildung, wenn es darum geht, im Tun, ein Ziel zu erreichen. Dieses Vorgehen jedoch auf die Lösung emotionaler Probleme anzuwenden, kann jedoch selber zum Problem werden.
Ein Abschnitt ist der Akzeptanz und Commitment-Therapie gewidmet und Dreher gelingt es auf knapp vier Seiten diese vorzustellen, das ABC-Modell der Verhaltenstherapie einzuführen und Diagnosegruppen zu benennen, für die dieses Manual als geleitetes Trainingsprogramm gedacht ist: Psychosen, Depression, Ängste, Suchterkrankungen und Traumafolgestörungen.
Im Kapitel «Achtsamkeit erleben» wird der Aufbau des strukturierten Gruppenprogramms, die Zielgruppe und die Materialien vorgestellt.
Jede der zehn Einheiten dauert inklusive Pause 90 Minuten und umfasst sechs Themenblöcke:
- Autopilot
- Innerer Beobachter
- Der aktuelle Moment
- Erlebnisbereitschaft
- Gefühle erleben
- Akzeptanz
- Selbstmitgefühl
Man kann jederzeit in das Programm einsteigen, zwischen den einzelnen Einheiten sollte maximal eine Woche liegen und dazwischen gibt es «Aufgaben».
Das Programm versteht sich als Einstieg in das Thema und «stellt keine therapeutische Intervention dar.» (Seite 20). Es geht um «Edukation» und darum, Lust auf mehr zu machen. Dreher weist auf das vertiefende Buch «Die Entdeckung der Achtsamkeit» von Hammer und Knuf (2013) hin.
Das Onlinematerial besteht aus 39 Arbeitsblättern, 10 Übungsanleitungen, 10 Aufgabenblättern und 10 Erinnerungskarten, sowie aus einem Satz von Einlageblättern für den Ordner.
Die Materialien orientieren sich an den Hinweisen für «Leichte Sprache» des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales!
Den Übungen stellt der Autor Empfehlungen an die Seite und einen längeren, besonders gekennzeichneten Abschnitt zum Thema «Diagnosespezifische Einschränkungen der Körperübungen» (Seite 23 ff). Dies unterstreicht die Sorgfaltspflicht des Einsatzes dieses edukativen Programms durch die jeweiligen sozialpsychiatrischen Leitungen.
Es folgt die detaillierte Beschreibung des Gruppenmanuals. Nach einer strukturierten Einführung ins Thema, folgen jeweils passende Wahrnehmungs- Körper- oder Atemübungen, die detailliert und mit zusätzlichen Quellenangaben versehen sind. Dabei wird der Mutter der Pädagogik, nämlich die Wiederholung bereits Gelerntem, und der gemeinsamen Reflexion in der Gruppe gebührend Raum gegeben.
Diskussion
Die Materialien, die Online für die Besitzer des Buches abrufbar zur Verfügung stehen, hat Dreher ohne Schnörkel, jedoch sehr sorgfältig aufbereitet, sodass mit ihnen sofort gearbeitet werden kann.
Als Rezensent, der aktuell nicht mehr sozialpsychiatrisch arbeitet, möchte ich dem Autor ausdrücklich Danke sagen für dieses klare Manual. Ich bin mir sicher, es ist auch jenseits der beschriebenen primären Zielgruppen einsetzbar, z.B. im Training mit Führungsverantwortlichen. Im sozialpsychiatrischen Einsatz verspricht es auch für diejenigen, die solche Gruppen leiten, eine enorme Bereicherung ihrer Arbeit werden zu können.
Fazit
„Achtsamkeit erleben“ von Christian Dreher ist ein anwendungsorientiertes Manual für die strukturierte Einführung in das Thema. Es ist auf keinen Fall «Noch ein Buch zur Achtsamkeit», sondern hat auf Grund der hervorragenden Zusammenfassung der Grundlagen und der klar beschriebenen Übungen das Potenzial, zu einem hilfreichen und zentralen Trainingsprogramm beispielsweise für psychiatrische Einrichtungen und Kliniken zu werden. Es will Lust auf mehr Achtsamkeit schaffen. Seelisch Verwundete werden damit unterstützt, «mit der Erkrankung ein den individuellen Werten entsprechendes Leben zu führen» (Seite 14. Dieser Gedanke zu «Recovery» von ACT ist Leitmotiv für das Programm).
Rezension von
Thomas Reinhardt
Diplomierter Berater für Organisationsentwicklung. Arbeitet als interner Coach im Universitätsspital Basel und freiberuflich in den Bereichen Organisationsentwicklung, Gesundheitsmanagement, Konfliktmoderation, Coaching für Führungsverantwortliche, Teamentwicklung und Supervision. Schwerpunkte: Gesundheit und Führung, Change Management, Leadership, Kommunikation, Psychohygiene und Glück.
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