Thomas Köhler-Saretzki: Psychische Erkrankung und Elternsein in der Familienberatung
Rezensiert von Dr. Anke Höhne, 06.01.2022
Thomas Köhler-Saretzki: Psychische Erkrankung und Elternsein in der Familienberatung. Eine Untersuchung zu den Auswirkungen elterlicher Belastung auf Bindung und Lebensqualität der Kinder.
Psychiatrie Verlag GmbH
(Köln) 2020.
124 Seiten.
ISBN 978-3-96605-000-5.
D: 25,00 EUR,
A: 25,70 EUR.
Reihe: Forschung fuer die Praxis - Hochschulschriften.
Thema
Das Buch thematisiert die Auswirkungen psychischer Erkrankungen von Eltern auf das Bindungsverhalten und die Lebensqualität ihrer Kinder.
Autor
Dr. Thomas Köhler-Saretzki ist Diplom-Psychologe und Systemischer Familientherapeut. Er leitet die Familienberatung der Christlichen Sozialhilfe Köln e.V.
Entstehungshintergrund
Das Buch stellt die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Psychische Erkrankungen und Elternsein in der Familienberatung. Eine Untersuchung zu den Auswirkungen elterlicher Belastung auf Bindung und Lebensqualität der Kinder“ vor, welches zwischen 2017–2020 in Köln durchgeführt wurde. Die Teilnehmer*innen an der Studie waren Klient*innen der Familienberatungsstelle der Christlichen Sozialhilfe Köln e.V.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in drei Teile gegliedert, denen eine kurze Zusammenfassung des Forschungsprojekts, dessen Ergebnisse im Buch präsentiert werden, und eine Einleitung vorangestellt sind.
Der 1.Teil („Begriffe, Grundlagen, Konzepte und Erklärungen“) beinhaltet vier Kapitel.
Kapitel 1 widmet sich dem Thema „Elterliche Belastung“ und unterscheidet zwischen kind- und elternbezogenen Belastungen. Kurz und übersichtlich präsentiert der Autor mögliche Belastungsquellen, die im Eltern- oder Kindbereich angesiedelt sein können und zu einer elterlichen Belastung führen, die sich in einem dysfunktionalen Erziehungsverhalten äußern kann.
Kapitel 2 („Psychische Erkrankungen und Elternsein“) zeigt die Auswirkungen von psychischen Erkrankungen auf der Elternseite sowohl für die elterliche Rolle als auch für die psychische Gesundheit der Kinder auf, deren psychisches Erkrankungsrisiko durch die elterlichen psychosozialen Belastungsfaktoren ebenfalls steigt. Der Autor stellt spezifische psychische Störungsbilder bei Eltern vor (Depression, bipolare Störung, Angst- und Zwangserkrankungen, Borderline, Psychosen, Suchterkrankungen und Traumatisierung) und legt den Fokus dabei auf die Auswirkungen auf die familiären Beziehungen und v.a. die Kinder.
Kapitel 3 („Bindung“) gibt einen Überblick über Bindungsmuster und Bindungsrepräsentationen sowie auf Bindungsstörungen im Kontext des Untersuchungsthemas. Ein besonderer Fokus wird in diesem Kapitel auf das Thema Bindungsentwicklung bei Kindern chronisch belasteter, v.a. psychisch erkrankter Eltern gelegt.
Das 4.Kapitel („Resilienz“) ist ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Albert Lenz, der einen Überblick darüber gibt, was Menschen trotz widriger und risikoreicher Lebensbedingungen nicht erkranken und stattdessen psychisch gesund bleiben lässt. Der Autor stellt die Forschungslage zur Resilienz bei Kindern und Jugendlichen dar und geht dabei zunächst allgemein auf die Schutz- und Risikofaktoren für Kinder und Jugendliche ein und später auf die spezifischen Schutzfaktoren bei Kindern psychisch erkrankter Eltern.
Teil 2 des Buches stellt die vom Autor durchgeführte empirische Untersuchung in Kapitel 5 („Auswirkungen elterlicher Belastung auf Bindungsrepräsentationen und Lebensqualität der Kinder“) vor. Die Untersuchung wurde während der laufenden Beratungsarbeit einer Familienberatungsstelle in Köln durchgeführt. Detailliert und gut nachvollziehbar beschreibt der Autor die eingesetzten Erhebungsinstrumente, formuliert die der Untersuchung zugrundeliegende Fragestellung und formuliert acht Hypothesen, die er im Ergebnisteil auf Basis seiner Studie beantwortet. An der Studie teilgenommen haben 80 Personen.
Teil 3 des Buches widmet sich der Diskussion, indem „Schlussfolgerungen“ aus der empirischen Studie gezogen werden. Der Autor räumt ein, dass die Aussagekraft der Ergebnisse aufgrund der begrenzten Teilnehmendenzahl an der Studie begrenzt ist: So mussten Kategorien zusammengefasst werden, was nur eine Unterscheidung in sicher vs. unsicher gebundene Kinder zuließ. Die Erfassung des Ausmaßes psychischer Erkrankungen unter den Eltern beruhte zudem auf einer Selbsteinschätzung der Befragten. Für die Familienberatung zieht der Autor die Schlussfolgerung, das psychisch erkrankte Eltern stärker belastet sind und ihnen dadurch weniger Ressourcen zur Bewältigung der Erziehungs- und Betreuungsaufgaben zur Verfügung stehen, was sich in einer geringeren Stressbewältigungskompetenz und einem dysfunktionaleren Erziehungsverhalten wiederspiegelt. Für die Beratung bedeutet dies, dass die Belastungsquellen und Risikofaktoren, aber auch die Schutzfaktoren der Familien in der Beratung so schnell wie möglich erarbeitet werden müssen. Nicht zuletzt spielen Vernetzung und Kooperation mit anderen Fachkräften und Institutionen eine entscheidende Rolle.
Diskussion
Dem Autor ist ein sehr informatives Buch zum Thema Psychische Erkrankung und Elternsein in der Familienberatung gelungen, das v.a. durch den empirischen Teil an Aussagekraft gewinnt. Die am Ende des Buches gezogenen Schlussfolgerungen verdeutlichen, dass das Thema psychische Erkrankung von Eltern in den Familienberatungsstellen eine zunehmend größere Rolle einnehmen wird und dass sich die Einrichtungen darauf professionell einstellen müssen. Insbesondere sollte bindungstheoretisches Wissen in der Familienberatung stärker genutzt werden, was natürlich auch voraussetzt, das die beratenden Fachkräfte diesbezüglich gut qualifiziert sind.
Etwas irritierend ist, dass im Diskussionsteil eine neue Studie vorgestellt wird. Dies hätte man als Leser*in eher zu Anfang des Buches erwartet, wo auf den Forschungsstand zum Thema eingegangen wird.
Fazit
Das Buch thematisiert auf Basis einer eigenen Untersuchung des Autors in einer Familienberatungsstelle, wie sich elterliche Belastungen (mit dem Fokus auf psychische Erkrankungen) auf die Bindung und Lebensqualität der Kinder auswirken. Die Lebensqualität der Kinder, die mit einem psychisch erkrankten Elternteil aufwachsen, ist eingeschränkt.
Rezension von
Dr. Anke Höhne
Dipl.-Sozialwiss., Referentin bei SUCHT.HAMBURG gGmbH, Systemische Beraterin und Familientherapeutin
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Es gibt 21 Rezensionen von Anke Höhne.
Zitiervorschlag
Anke Höhne. Rezension vom 06.01.2022 zu:
Thomas Köhler-Saretzki: Psychische Erkrankung und Elternsein in der Familienberatung. Eine Untersuchung zu den Auswirkungen elterlicher Belastung auf Bindung und Lebensqualität der Kinder. Psychiatrie Verlag GmbH
(Köln) 2020.
ISBN 978-3-96605-000-5.
Reihe: Forschung fuer die Praxis - Hochschulschriften.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28275.php, Datum des Zugriffs 08.10.2024.
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