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Ursula Bertels, Claudia Bußmann: Handbuch interkulturelle Didaktik

Rezensiert von Susanne Leitner, 02.11.2021

Cover Ursula Bertels, Claudia Bußmann: Handbuch interkulturelle Didaktik ISBN 978-3-8309-4212-2

Ursula Bertels, Claudia Bußmann: Handbuch interkulturelle Didaktik. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2020. 2. korrigierte Auflage. 235 Seiten. ISBN 978-3-8309-4212-2. 24,90 EUR.
Reihe: Gegenbilder - Band 10.

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Thema

Das Handbuch nähert sich aus der Perspektive zweier Ethnolog:innen dem nicht unumstrittenen Konzept der interkulturellen Kompetenz in der Schule und bietet eine Fülle an Beispielen und Umsetzungsvorschlägen für den Unterricht.

Autorinnen

Angaben zu den Verfasserinnen hat die Rezensentin trotz wiederholter Einladung nicht vorgelegt.

Inhalt

Der Beginn des Handbuches widmet sich einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Begriff „Kultur“. Anhand leicht verständlicher Erklärungen und alltagsnaher Beispiele aus verschiedenen Ländern wird deutlich gemacht, dass Kultur dynamisch und immer im Wandel begriffen ist. Zudem wird das Verhältnis von Kultur und Individuum beleuchtet. Dies hilft, zu verstehen, dass Kultur von Menschen individuell unterschiedlich ausgestaltet und gelebt wird, sodass sie nicht als pauschales Erklärungsmuster taugen kann. Obwohl dabei auch „Die Deutschen und ihre Kartoffel“ in den Blick genommen werden, ist die Blickrichtung der Autor:innen, wenn auch nicht expliziert, dennoch erkennbar: Es werden vorwiegend als anders gelesene Kulturen beschrieben und, wie etwa bei der Rolle der Heirat, mit den Gewohnheiten „bei uns“ verglichen. Wer genau mit bei uns gemeint ist, wird jedoch nicht näher thematisiert.

Den Löwenanteil des Handbuchs macht ein Kapitel zur „interkulturellen Kompetenz“ aus. Zunächst werden Lernziele für interkulturelle Kompetenz und globales Lernen definiert und für eine mögliche Umsetzung im Unterricht operationalisiert. Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem Eigenen und dem Fremden, wobei auch Stereotypien im Kontext von Heterogenität des Einwanderungslandes Deutschland adressiert werden. Durch den Einsatz von amüsanten und eindrücklichen Beispielen und Cartoons, die im Unterricht eingesetzt werden können, wird der Zugang leicht und niederschwellig. Explizit rassismuskritische Perspektiven oder Stimmen von People of Color sind dabei aber höchstens indirekt vertreten. Weiterhin wird in diesem Kapitel die eurozentristische Weltsicht und die Auswirkung eurozentristischer Bias‘ auf die Geschichtsschreibung reflektiert. Es folgen Abschnitte, die zur Vorbereitung und Reflexion „interkultureller“ Erlebnisse von Schüler:innen gedacht sind. Diese adressieren vorwiegend Situationen wie Auslandsaufenthalte und Schüler:innenaustausch.

Anhand mehrerer plastisch beschriebenen Beispiele wird anschließend der eurozentristische Blick deutscher Schulbücher dekonstruiert. Dieses Kapitel zeigt am deutlichsten die ethnologische Verortung der Autor:innen. Insbesondere wird die europäische Konstruktion des afrikanischen Kontinents wird kritisch in den Blick genommen. Die Autor:innen problematisieren, wie in Schulbüchern trotz erkennbarer Bemühungen noch immer Stereotype reproduziert werden. Anhand der Figur des Kolumbus wird exemplarisch verdeutlicht, wie ein Schulunterricht, der Perspektivwechsel in den Fokus stellt, aussehen könnte. Daran schließt eine Art Service für Lehrer:innen an, die fertig vorbereitete Unterrichtseinheiten über eine Website abrufen können. Hier finden sich Ablaufskizzen, ansprechend gestaltete Bilder und auch Arbeitsblätter, die direkt an Schüler:innen ausgegeben werden können. Das Buch schließt mit einem zusammenfassenden Fazit.

Diskussion

Nach einer anfänglichen Hemmung, ausgelöst durch den Begriff N. im Inhaltsverzeichnis (s. Kritikpunkt 3) sind es vor allem die reichhaltigen Beispiele, die kritische Dekonstruktion des ethnozentristischen Blicks und die Anregung zum Perspetivwechsel, die dieses Werk lesenswert machen. Die Autor:innen zeigen mit einer beeindruckenden Fülle an Reflexionsimpulsen, welchen Beitrag die Ethnologie für den Schulunterricht leisten kann. Gerade Lehrer:innen, die Schüler:innen für einen Austausch vorbereiten, oder die Fächer wie Erdkunde und Geschichte unterrichten, finden hier sicherlich eine große Fülle an Anregungen.

Zur kritischen Diskussion seien jedoch drei Punkte angeführt:

  1. Aufgrund des Sprachduktus‘ des Buches stellt sich beim Lesen manchmal die Frage, wer die Adressat:innen des Buches sind. Auf den ersten Blick scheint diese Frage überflüssig, denn ein didaktisches Handbuch wird wohl in die Hände von Lehrer:innen oder in die Lehrer:innenbildung gehören. An manchen Stellen werden Lehrer:innen auch direkt angesprochen; die Unterrichtsmaterialien im digitalen Anhang tun ihr Übriges. Dennoch ruft der Leseeindruck Erinnerungen an den Stil von Schulbüchern der gymnasialen Oberstufe wach. Da zudem auf didaktische Modelle oder erziehungswissenschaftliche Theorien kaum Bezug genommen wird, wären viele Passagen durchaus direkt für das Selbststudium von Schüler:innen, etwa zur Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt geeignet.
  2. Obwohl die Autor:innen selbst darauf aufmerksam machen, dass Kultur nicht homogen und nicht statisch ist, entsteht im weiteren Verlauf doch immer wieder stark der Eindruck, dass Menschen in anderen Ländern zuvörderst durch ihre Kultur zu verstehen seien. Obwohl der ethnozentrische Blick auf das Andere gut verständlich dekonstruiert wird, wird er durch die Autor:innen gewissermaßen auch wieder reproduziert. Suggeriert wird ein „Wir“ der Schüler:innen, das auf andere Länder blickt. Dieses betrachtende „Wir“ bleibt aber meistens dethmatisiert. Wenn für Perspektivwechsel geworben wird, scheint unausgesprochen klar zu sein, dass sich weiß-deutsch gelesene Schüler:innen, die eher mit der Rolle der Kolonisator:innen identifiziert sind, sich in die Rolle der Anderen, der Kolonisierten, einfühlen sollen. Das ist natürlich wichtig und richtig. Die Möglichkeit, dass dieses „Wir“ aber auch Schüler:innen miteinschließt, die selbst. bzw. deren Vorfahren die Kolonialgeschichte in der Rolle der kolonisierten, unterdrückten und rassistisch markierten Subjekte erleben mussten, wird für ein Lehrer:innenhandbuch in einer heterogenen Postmigrationsgesellschaft zu wenig reflektiert.
  3. Selbst in der neuen Auflage von 2020 wird nicht auf die mehrfache Reproduktion des N-Wortes verzichtet. Dieses taucht bereits im Inhaltsverzeichnis auf und wird in einem Kapitel mehrfach wiederholt. Dies geschieht zwar in Form einer kritisch-reflexiven Dekonstruktion, aber dennoch wird es durch mehrfache Ausschreibung reproduziert. Rassismuskritischen Leser:innen fällt dies bereits im Inhaltsverzeichnis auf und erschwert den voreingenommenen Zugang zum Buch deutlich.

Fazit

Zusammenfassend betrachtet ist das Handbuch eine echte Fundgrube für alle, die nach Beispielen und Anregungen für Unterricht suchen, der sich zum Ziel setzt, die Vielfalt menschlicher Kultur auf der ganzen Welt zu betrachten und dabei das Konstrukt „Kultur“ und Stereotypien kritisch zu hinterfragen. Es ersetzt aber nicht die selbstreflexive und rassismuskritische und kulturalisierungskritische Auseinandersetzung mit Prozessen von Kolonisierung, Rassismus und Othering innerhalb der eigenen Gesellschaft.

Rezension von
Susanne Leitner
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Zitiervorschlag
Susanne Leitner. Rezension vom 02.11.2021 zu: Ursula Bertels, Claudia Bußmann: Handbuch interkulturelle Didaktik. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2020. 2. korrigierte Auflage. ISBN 978-3-8309-4212-2. Reihe: Gegenbilder - Band 10. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28278.php, Datum des Zugriffs 03.12.2023.


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