Eva Schumacher: Montessori-Pädagogik verstehen, anwenden und erleben
Rezensiert von Anja Mimjähner, 28.05.2021

Eva Schumacher: Montessori-Pädagogik verstehen, anwenden und erleben. Eine Einführung.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2020.
2. Auflage.
141 Seiten.
ISBN 978-3-407-25840-3.
Reihe: Pädagogik.
Thema
Das Konzept der Montessori-Pädagogik, entstanden in der Reformpädagogik, hat bis heute nicht an Bedeutung verloren. Eva Schumacher führt in diesem Einführungsband in die theoretische Einbettung des Konzeptes ein und stellt umfangreiche Praxisbeispiele im vorschulischen und schulischen Bereich vor.
Autorin oder HerausgeberIn
Dr. Eva Schumacher ist Professorin für Grundschulpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd und Montessori-Theoriedozentin. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören die Reformpädagogik, die Schulentwicklung sowie die Montessori-Pädagogik und -Didaktik.
Entstehungshintergrund
Nicht nur in klassischen Montessori-Einrichtungen werden heute die konzeptionellen Ideen Montessoris als Grundlage der pädagogischen Arbeit genutzt, ferner finden sich Ansätze in den deutschen Bildungsplänen wieder und bilden die Grundlage für eine Pädagogik vom Kind aus. Das Buch dient als Praxisbuch für interessierte Erzieher*innen und Lehrkräfte, die die Möglichkeiten und Chancen der Montessori-Pädagogik für ihre Arbeit kennenlernen und nutzen möchten.
Aufbau
Das Praxisbuch verfügt insgesamt über 141 Seiten und ist in acht Kapitel unterteilt.
Inhalt
Als Zielgruppe benennt die Autorin im Vorwort die pädagogischen Fach- und Lehrkräfte mit bereits vorhandenem Montessori-Diplom, die ihr Wissen schärfen und erweitern wollen, den Fach- und Lehrkräften, denen die Pädagogik vom Kinde aus auch ohne Zusatzqualifikation eine Herzensangelegenheit ist, sowie den reformpädagogisch weniger erfahrenen Fach- und Lehrkräften, die für das Arbeiten mit den Bildungsplänen auf der Suche nach geeigneten Impulsen sind. Darüber hinaus zielt das Buch ebenso auf interessierte Lehramtsstudierende und Teilnehmer*innen von Montessori-Qualifizierungsmaßnahmen sowie Eltern ab, die eine Bildungswegentscheidung für ihre Kinder treffen.
Beginnend mit einem Vorwort der Autorin folgt in Kapitel 1 eine kurze Einleitung, welche den Aufbau des Buches beschreibt.
Kapitel 2 beschäftigt sich mit der historischen Einbettung des Erziehungskonzepts und den biografischen Hintergründen im Leben und Wirken Maria Montessoris. Für das Verständnis des Montessori-Konzeptes fokussiert die Autorin die historischen Kontexte auf die Zeit der Industrialisierung, der Kultur- und Bildungskritiken sowie der reformpädagogischen Strömungen, aus dem sich ein neues positives Welt- und Menschenbild entwickelte. Dieses prägte die Montessori-Pädagogik maßgeblich.
Montessoris vielfältiges berufliches und privates Lebenswerk wird näher vorgestellt. Es folgt ein Abriss über Kindheit, Bildungswege, beruflicher Orientierung sowie Schwerpunkte ihrer Tätigkeiten bis hin zur Gründung des ersten Kinderhauses. Das Kapitel schließt mit dem internationalen Engagement Montessoris für die Frauen- und Friedensbewegung und gibt abschließend Einblicke in ihre letzten Lebensjahre.
In Kapitel 3 steht das Verstehen der Montessori-Pädagogik im Vordergrund. Theoretische Grundlagen wie das Welt- und Menschenbild werden anhand der kosmischen Theorie herausgearbeitet. Die anthropologischen Grundannahmen werden durch spezielle Begriffe wie „Innerer Bauplan“, „Sensible Perioden“ oder „Polarisation der Aufmerksamkeit“ beispielhaft eingeführt und mit Merkmalen und Forderungen beschrieben. Originalzitate Montessoris und grafische Darstellungen unterstützen das Verstehen des Konzeptes.
Zeitlebens arbeitete Montessori an der Vervollständigung ihrer Kosmischen Theorie und ihres pädagogischen Gesamtkonzeptes. Sie konstruierte ein Entwicklungsmodell, welches von der Autorin grafisch dargestellt wird und die einzelnen Entwicklungsphasen von Kindern beleuchtet.
In Kapitel 4 widmet sich die Autorin ausführlich der praktischen Anwendung und dem Erleben der Montessori-Pädagogik. Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen die „Vorbereitete Umgebung“, der Materialeinsatz als Schlüssel zur Welt sowie die Materialbereiche und deren Bedeutung.
Die „vorbereitete Umgebung“ schafft die Voraussetzungen für das Kind, Momente der „Polarisation der Aufmerksamkeit“ zu erfahren, zur „Normalisation“ zu finden und sich als „Baumeister des Menschen“ zu entwickeln. Die Umgebung passt sich an die Bedürfnisse des Kindes an und unterstützt es so in seiner natürlichen Entwicklung. Das Lernen des Kindes ist förderlich zu gestalten, im Zentrum der Auseinander- und Zielsetzung steht die Würde, die Freiheit, die Natur und die Entwicklungsfähigkeit des Kindes.
An den didaktischen Prinzipien anschließend folgt die Einführung in die verschiedenen Materialbereiche. Ausgewählte Materialien (Übungen des täglichen Lebens, Sinnes- und Dimensionsmaterial, Mathematisches Material, kosmisches Material u.a.) werden vorgestellt und beispielhaft in die Praxis eingeführt. Ergänzt werden die Einführungen durch Fotos und detaillierter Beschreibungen einzelner Lektionen.
An die Professionellen wird ein neues Selbstverständnis als Teil der „Vorbereiteten Umgebung“ vorausgesetzt, sie nehmen zugleich die Rolle der Beobachter*in und Wissenschaftler*in ein und besitzen umfassende entwicklungspsychologische Kenntnisse. Die Autorin stellt tabellenartig die „alte“ und „neue“ Erzieher*in/Lehrkraft gegenüber. Am Ende des Kapitels nimmt sie Bezug auf die institutionelle Verankerung und der didaktischen Reichweite des Montessori-Konzeptes.
In Kapitel 5 stellt die Autorin einen aktuellen Bezug zu relevanten Forschungsdisziplinen in der aktuellen Entwicklungs- und Lernpsychologie her. Schumacher betont, dass Montessori mit ihren entwicklungspsychologischen Erkenntnissen und pädagogischen Forderungen ihrer Zeit weit voraus war. Diese Feststellung konkretisiert sich in zahlreichen Publikationen zum schulischen Lernen, die durch Aussagen des international anerkannten Kinderarztes, Wissenschaftlers und Fachbuchautors Remo Largo belegt werden und somit der Bogen zu den aktuell reformpädagogischen Ansätzen gespannt wird. Daran anschließend folgt die Vorstellung weiterer internationaler Studien der empirischen Forschung und der Schulreform.
In Kapitel 6 empfiehlt Schumacher die Leser*innen kritisch mit dem Einführungsband umzugehen und die Inhalte nach Vorerfahrungen und Einstellungen selbst einzuschätzen und zu reflektieren. Sie kommt zu dem Schluss, dass es sich lohnt, eine kritische Perspektive einzunehmen, da die Forschungslage und Praxiserfahrungen noch nicht ausreichend sind.
Um zum lebendigen Austausch anzuregen, werden abschließend gegensätzliche Positionen negativer und positiver Äußerungen von Teilnehmer*innen von Einführungsveranstaltungen und Workshops zur Montessori-Pädagogik gegenübergestellt.
Ein Fazit schließt das Kapitel ab. Auf die vielfältigen pädagogischen und didaktischen Möglichkeiten der Montessori-Pädagogik und die darin liegenden Chancen für die Erziehungs- und Bildungsarbeit wird verwiesen, nicht aber als „pädagogische Heilslehre“ repräsentiert.
Das Buch schließt in Kapitel 7 mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis, wertvollen Hinweisen zu weiterführender Literatur und nützlichen Adressen. Übersichtliche Tabellen zu den Bereichen Kinderhaus, Sprache und Mathematik mit den entsprechenden Materialen sowie einem Gesamtüberblick über die Kosmische Erziehung und deren Materialen, Didaktik und Methodik im Kinderhaus-Alter und den fünf methodischen Säulen der kosmischen Erziehung im Alter von 6–12 Jahren runden das Praxismaterial ab.
Diskussion
Das Konzept der Montessori-Pädagogik gilt als Klassiker der Reformpädagogik. Montessori stellte bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Anschluss großer Reformer wie Pestalozzi, Comenius oder Fröbel die Individualisierung, die Freiarbeit und das selbstbestimmte Lernen des Kindes in den Vordergrund. Dafür entwickelte sie eine Didaktik und Methodik, die bis heute nicht an Bedeutung verloren hat. Auch in der aktuellen Bildungsdiskussion um Konzepte und deren Ansätze behalten wichtige Prinzipien Montessoris ihre Gültigkeit und finden Berücksichtigung in bildungspolitischen Diskursen der Wissenschaft und Praxis.
Die Vorstellung, dass Kinder von eigener Motivation geleitet, dass für sie allein richtige wählen, genießt in pädagogischen Fachkreisen immer breitere Akzeptanz. Besonders mit Blick auf die partizipatorischen Beteiligungsprozesse von Kindern ist und bleibt der Ansatz des selbstbestimmten Lernens von besonderer Bedeutung.
Vor diesem Hintergrund bildet das Buch einen Reflexionsrahmen für Erziehende und Lehrkräfte.
Mit Blick auf zukünftige Bildungspläne, die die Kompetenzen für Werte, Gesundheit und Umwelt berücksichtigen, behalten die Methoden der kosmischen Erziehung (Erdkinderplan, Jahreskette) ihre Bedeutung. Die Friedens-, Werte- und religiöse Erziehung Montessori können dabei unterstützend wirken.
Fazit
Es handelt sich um ein kurzes, übersichtliches und gut abgefasstes Einführungsbuch, welches die wesentlichen Grundzüge der Montessori-Pädagogik näherbringt. Die Leser*innen erhalten dabei einen umfassenden Einblick in das Leben und Wirken Maria Montessoris sowie in die Didaktik und deren anthropologischen Grundannahmen.
Plausibel demonstriert die Autorin das Erziehungskonzept der Montessori-Pädagogik mit besonderem Fokus auf die pädagogische Praxis und die dafür vorgesehenen Materialien. Detailliert, verständlich und praxisnah wird in die Anwendung eingeführt und durch ausgewählte Beispiele, Fotos und Lektionen gestützt.
Die detaillierte Gliederung bietet für unterschiedliches Leseinteresse einen schnellen Überblick und Orientierung, auch einzelne Kapitel können je nach Interesse gelesen und bearbeitet werden. Abgerundet wird das Praxisbuch durch nützliche Adressen, Literaturempfehlungen und Überblickstabellen und bietet dem Leser Impulse und praktisches Handwerkszeug.
Die Verankerung der Montessori-Pädagogik in der aktuellen Entwicklungs- und Lernpsychologie sowie der Schulforschung und -reform verdeutlicht die Aktualität der Pädagogik. Empfehlenswert für alle, deren Herzensanliegen es ist, das Kind als eigenständige Persönlichkeit in den Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit zu stellen.
Rezension von
Anja Mimjähner
Erzieherin, Fachwirtin für Kindertagesstätten, systemische Familienberaterin, Studierende im Studiengang Master of Arts Kindheits- und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz, berufstätig als Fachberaterin für Tageseinrichtungen für Kinder im Caritasverband für die Diözese Osnabrück
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