Agnieszka Maluga: Die Rechte des Kindes und der Tod
Rezensiert von Univ.- Prof. Dr. Dr. et Prof. h.c. Ferdinand Klein, 19.04.2021
Agnieszka Maluga: Die Rechte des Kindes und der Tod. Janusz Korczaks Pädagogik der Achtung in der Kinderhospizarbeit.
Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung
(Bad Heilbrunn) 2020.
311 Seiten.
ISBN 978-3-7815-2365-4.
D: 46,00 EUR,
A: 47,30 EUR.
Reihe: Forschung.
Thema
Die vorliegende Studie von Agnieszka Maluga, seit November 2019 Vorsitzende der Deutschen-Korczak-Gesellschaft e.V. und inzwischen Professorin für Soziale Arbeit und Diversität, sucht Antworten auf die Frage, was das Recht des Kindes auf seinen Tod sein könnte. Wie kann in der Kinderhospizarbeit die pädagogische Begleitung zwischen Erwachsenen und Kindern sein, wenn die Kinder nicht auf die uns so geläufige weitere Zukunft vorbereitet werden können, sondern auf ihr zu erwartendes Lebensende?
Aufbau
Auf diese für die Erziehung und Bildung zentrale pädagogische Frage wird in einem breiten Spektrum in fünf Kapiteln eine Aspekt reiche und differenzierte Antwort für eine „Partnerschaft in Unsicherheit“ (S. 181) gesucht, die in der Kinderhospizarbeit gegeben ist. Den Überlegungen zu pädagogischen Grenzerfahrungen folgt ein differenzierter Rückblick in die abendländische Geschichte und in das moderne Hospizwesen in Deutschland. Ihm schließt sich die Erörterung des Lebens von Kindern und Erwachsenen an den Grenzen des Lebens an. Er mündet im letzten Kapitel in die „Kinderhospiz-Bewegung als sensible Impulsgeberin partizipatorischer und inklusiver Pädagogik“ ein, für die Janusz Korczaks Reformpädagogik von grundlegend ist, eine Haltung der Demut und Bescheidenheit in der Begegnung von Mensch zu Mensch verlangt.
Inhalt
Der Tod als ein Teil des Lebens des Erwachsenen und des Kindes wird in der Pädagogik, die sich an der Zukunft des Kindes orientiert, kaum beachtet. Für den polnisch-jüdischen Arzt, Erzieher und Schriftsteller Janusz Korczak ist nicht die Zukunft des Kindes, sondern seine Gegenwart der Ausgangspunkt der Pädagogik. Schon 1918 ruft er als erster in der Geschichte der Pädagogik das Grundgesetz des Kindes als „Recht des Kindes auf den Tod“ aus, das nicht erst zum Menschen wird, sondern von Beginn an bereits ein Mensch ist. Kann in diesem pädagogischen Lebensfeld das Kind zum Partner des begleitenden Erwachsenen werden, das Korczak, der als Seelenarzt tief in die Seele der Kinder geschaut hat, über das sonst übliche zukunftsbezogene pädagogische Denken hinaus einfordert. Maluga erkennt, dass die Kinderhospiz-Bewegung heute in Teilen Korczaks Utopie realisiert. Kinder und ihre Begleiter werden durch die außergewöhnliche Situation angehalten der Unsicherheit des Todes mit Partnerschaftlichkeit zu begegnen. Auf diese Weise können die Herausforderungen gemeinsam gemeistert werden. Die begleitenden Personen begegnen dem Kind von Mensch zu Mensch, ohne die Differenz aufzuheben. Dieser pädagogische Dialog ermöglicht dem Kind das Einbeziehen in die Gestaltung der Krankheits- und Sterbephasen, was seine Unsicherheit mildert, zur Entlastung seiner Situation führt und eine gemeinsame Verantwortung ermöglicht. Das schließt auch ein, dass die Kinder die Erwachsenen an die Hand nehmen können. Gespräche, Beobachtungen im Erfahrungsraum der Kinderhospiz machen sensibel auf die Pädagogik der Achtung aufmerksam, die Sterben und Tod nicht tabuisiert, sondern in die pädagogische Theorie einbindet, also Sterblichkeit und Lebensende mit aufnimmt und das sterbende Kind als gleichwürdigen Partner zu sehen ermöglicht: durch Offenheit und Ehrlichkeit dem Kind begegnen, es solange wie möglich am Lern- und Bildungsprozess teilnehmen lassen, ihm die Wahrheit, also den Tod zuzumuten. So weiß es, was mit ihm geschieht und es wird ihm nichts vorgemacht, ihm wird das Gegebene nach und nach einfühlend erklärt und es kann an seinem Sterbeprozess mit gestalteten Ritualen von Abschied und Trauer teilnehmen und diese mitgestalten.
Diskussion
Die Studie zeigt in beeindruckender Weise auf, dass Tabus dem Kind und seinen Begleitern nicht helfen und in pädagogischen Grenzerfahrungen Einstellungen und Haltungen gewonnen werden können, die eben das Unabänderliche annehmen und die noch bleibende Lebenszeit gestalten. Hier sind Sterben und Tod ein Teil der Erziehungs- und Bildungserfahrungen, die nahe am Kind sind und die Beziehung mit ihm bis zum Tod gestalten. Korczaks Pädagogik, die der Todesahnung und Todesfurcht der Kinder nahe ist, hat eine verlässliche und vertrauenswürdige Erzieherhaltung angesichts des Sterbens begründet.
Nach der Lektüre des Werkes können Leser und Leserinnen großen Respekt für die Eltern und für die Kinder gewinnen. Darauf macht auch das Cover-Foto aufmerksam: Hier berühren sich die Finger des Erwachsenen und des Kindes. Sie begegnen sich gleichwertig (geistesverwandt) auf Augenhöhe. Das Foto symbolisiert für die Autorin die „Begegnung von Mensch zu Mensch“ (S. 11).
Fazit
Für Agnieszka Maluga erwies sich bereits vor und dann während ihrer langjährigen Studien im Kontext der Kinderhospizarbeit Janusz Korczak als „wertvollen gedanklichen Gesprächspartner“ und sie freut sich „wenn er das auch für viele andere werden kann“ (S. 12). Ihr Werk ist reich an Gedanken für das Forschungs- und Handlungsfeld der Pädagogik, erörtert bedeutsame Zusammenhänge in einladender und inhaltsreicher Sprache, die zum eigene Nachdenken und Handeln der Erzieherpersönlichkeit einladen. Lebens- und lernbedeutsame pädagogische Fragen werden – ohne definierte und festlegende Begriffe – leserfreundlich dargestellt, erläutert und erörtert. Ich lege dieses pädagogische Grundlagenwerk allen Erwachsenen ans Herz, die auf der Suche nach einer Pädagogik der Achtung und Liebe sind, das individuelle Kind wertschätzen, so wie es eben ist – und nicht, wie es werden soll.
Rezension von
Univ.- Prof. Dr. Dr. et Prof. h.c. Ferdinand Klein
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Es gibt 1 Rezension von Ferdinand Klein.
Zitiervorschlag
Ferdinand Klein. Rezension vom 19.04.2021 zu:
Agnieszka Maluga: Die Rechte des Kindes und der Tod. Janusz Korczaks Pädagogik der Achtung in der Kinderhospizarbeit. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung
(Bad Heilbrunn) 2020.
ISBN 978-3-7815-2365-4.
Reihe: Forschung.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28312.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
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