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Katharina Armour: Zita zähmt das Zwangsmonster

Rezensiert von apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting, 02.09.2021

Cover Katharina Armour: Zita zähmt das Zwangsmonster ISBN 978-3-86739-219-8

Katharina Armour: Zita zähmt das Zwangsmonster. Therapie-Begleitbuch. Balance Buch + Medien Verlag (Köln) 2021. 44 Seiten. ISBN 978-3-86739-219-8. D: 17,00 EUR, A: 17,50 EUR.
Reihe: kids in BALANCE. Ilustratorin: Rosa Linke.

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Thema

Zwangshandlungen, die sich ohne Therapie zu einer anankastischen Persönlichkeitsstörung verfestigen können, zählen neben Depressionen zu den verbreitetsten psychischen Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter. Ca. ein bis vier Prozent der Kinder sind betroffen, der Beginn liegt oft im Alter von sieben bis zwölf Jahren (vgl. www.zwaenge.ch, 10.08.21), besonders häufig sind Wasch- und Kontrollzwänge.

Als probate Behandlungsmethode hat sich sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen die Kognitive Verhaltenstherapie etabliert. Wie sich Zwangshandlungen bei einem Kind manifestieren und wie diese altersgerecht therapiert werden können, erzählen Katharina Armour und Rosa Linke in ihrem Bilderbuch „Zita zähmt das Zwangsmonster“.

Autorin und Illustratorin

Katharina Armour ist Psychologische Psychotherapeutin, die in ihrer Praxis seit langer Zeit Kinder und Jugendliche mit Zwangsstörungen behandelt. Sie ist darüber hinaus Supervisorin und Dozentin.

Rosa Linke illustriert Bücher für Kinder und Jugendliche, außerdem fertigt sie Wandbilder für Museen und Motive für Plakate oder Geschirr an.

(vgl. Klappentext, daneben www.rosalinke.de, 10.08.21)

Entstehungshintergrund

„Zita zähmt das Zwangsmonster“ ist bei „kids in balance“, einem Imprint des Psychiatrie Verlags Köln, erschienen und damit Teil einer gut aufgestellten Reihe von Kinderbüchern zu psychosozialen Themen (vgl. www.balance-verlag.de/kids-in-balance, daneben die Rezensionen zu „Tausendfühler Lars“ und zu „Mamas Püschose“: www.socialnet.de/rezensionen/​25623.php und www.socialnet.de/rezensionen/​26994.php).

Inhalt

Zita, acht Jahre alt, geht in die zweite Klasse und trifft sich oft mit ihrem Freund Paul. Das ändert sich schlagartig, als Zita bei einem Klassenausflug auf einem Bauernhof in den Matsch fällt. Die anderen Kinder lachen. Als sie wieder zuhause ist, bleibt Zita sehr lange in der Badewanne. Sie geht nicht mehr gern in die Schule, wäscht sich andauernd und intensiv die Hände, unterscheidet peinlichst genau zwischen „Zuhause-Sachen“ und „Draußen-Sachen“ und verlangt, dass ihr Vater alle Sachen immer zwei Mal wäscht. Zita hat immense Angst vor „vielen gefährlichen Bakterien“.

Als Zita an Silvester, stundenlang sich schrubbend, in der Wanne sitzt, weil sie den Schmutz nicht mit in das neue Jahr nehmen möchte, fahren ihre Eltern mit ihr in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Dort nimmt sich die Therapeutin Frau Heuser der jungen Patientin an. Bei den folgenden wöchentlichen Treffen soll das Zwangsmonster zunächst mit Wasserbomben vertrieben werden, dann formuliert Zita unter anderem ihren „Mutmachspruch“: „Ich glaub Dir nicht, Du blöder Wicht“. Nach der Therapiestunde darf sie sich bis zum Abend die Hände nicht waschen. Die Mutter schenkt Zita ein Album, in das sie immer einen Sticker kleben darf, wenn sie sich erfolgreich gegen das Monster gewehrt hat.

Als die Therapie zu Ende ist, feiert Zita mit ihren Eltern, der Therapeutin und den Kindern aus der Schule ein fröhliches Fest auf dem Bauernhof.

Diskussion

Nachdem Katharina Armour mit Susanne Fricke Ende 2020 einen „altersgerechten Ratgeber für junge Menschen mit Zwangsstörungen“ (Dem Zwang die rote Karte zeigen. Ein Ratgeber für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern) vorgelegt hat, entscheidet sie sich mit „Zita zähmt das Zwangsmonster“ für das Format eines „Therapiebegleitbuchs“, das an Kinder ab fünf Jahren adressiert ist. Schon allein im Hinblick auf die anvisierte Altersgruppe wäre es müßig, darüber zu spekulieren, weshalb nur das eine, quasi traumatisierende Erlebnis, der Sturz in den Matsch in der Nähe einer Kuh auf dem Bauernhof, als Initialzündung für die Zwangshandlungen angenommen werden kann. Der Wechsel von der idyllischen Szene mit Paul und den Kaninchen, denen Kunststücke beigebracht werden sollen, hin zu den vom Fallen ausgelösten Zwangshandlungen wirkt zwar extrem abrupt, erscheint aber plausibel, weil Zitas Mut, den sie im Gegensatz zu anderen hat, heftig erschüttert wird. Ein verstörendes Ereignis scheint oft tatsächlich Zwänge zu triggern und außerdem ist es kaum förderlich, in Texten für Kindern zwischen Ursache und Anlass zu differenzieren. Interessierte Begleiter*innen können mehr zu möglichen Ursachen im Downloadmaterial nachlesen: balance-verlag.de/wp-content/​uploads/2021/01/219-Downloadmaterial-EE.pdf.

Zitas Berufswunsch ist möglicherweise durch den Sturz ins Wanken geraten. „Sie kennt sich gut mit Tieren aus“, so heißt es, „und möchte später Bäuerin werden“. Die Fallhöhe ist also nicht zu unterschätzen. Zu überschätzen allerdings ist der Wunsch nach einem Beruf, der leicht romantisierend und verklärend evoziert wird und im Gegensatz zur Tierärztin kaum in der Altersgruppe anzutreffen ist. Moniert werden muss in diesem Kontext vor allem, dass die Begriffe „Bäuerin“ und „Bauer“ mit einem tendenziell pejorativen Beigeschmack daherkommen.

Auf dem Sektor Hausarbeit hat sich die Autorin um Gendergerechtigkeit bemüht, ist doch der Vater für die Wäsche zuständig und beweist er auch unabhängig davon Präsenz im häuslichen Umfeld.

Obwohl es wenig wahrscheinlich wirkt, dass die Eltern am Silvesterabend wegen des Waschzwangs mit dem Kind in die Notaufnahme fahren und dass exakt an diesem Abend bereits die Therapeutin, die weiterhin für Zita zuständig sein wird, zur Verfügung steht, verdeutlicht diese Situation, dass Zwänge sich so zuspitzen können, dass sofortiges Handeln geboten ist.

Womit das Buch am meisten punkten kann, ist die Darstellung des Therapieablaufs, denn die Vertreibung des „Zwangsmonsters“ dürfte für Kinder großen Spaß parat halten: als Erstes wird dieses großflächig gemalt, dann im Außenbereich an eine Wand gehängt und mit Wasserbomben attackiert. Zusätzlich feuert die Therapeutin Zita an, dem Monster mit einer Reihe von Sprüchen, aus der ein „Mutmachspruch“ isoliert wird, lautstark den Garaus zu machen. In diesem kindgerechten Szenario konkretisiert sich ein KVT-typisches Procedere: langes Reden über Probleme ist im Gegensatz zum schnell erfolgversprechenden Agieren verpönt. Dies mag bei der Adressat*innengruppe gute Erfolgschancen haben.

Nicht nur leicht hypertroph wirkt der Abschluss der Therapie – ein Fest, das für Zita auf dem Bauernhof organisiert wird. Das ist ein bisschen zu viel „Friede-Freude-Eierkuchen“ auf einmal und zu bezweifeln ist sowieso, ob Zita ihren doch sehr persönlichen Erfolg mit der ganzen Schule teilen und feiern möchte.

Grundsätzlich ist es sehr mutig, im Jahre 2021 ein Bilderbuch auf den Markt zu bringen, in dem ein Kind aufgefordert wird, sich bis zum Abend die Hände nicht zu waschen. In den Zeiten der Corona-Pandemie gelten bekanntermaßen die sogenannten „AHA“-Regeln und es wimmelt im öffentlichen Raum von Erinnerungen, diese zu beachten. Da des Weiteren viele Kinder immer wieder dazu animiert werden müssen, die Hände solange zu waschen, wie das Singen von „Happy Birthday“ dauert, ist dieses Detail – Zita soll sich die Hände nur solange waschen, wie das Singen des Liedes in Anspruch nimmt – vielleicht fehl am Platz. Überhaupt vermittelt sich der Eindruck, dass die Pandemie bewusst weggelassen wurde, z.B. dann, wenn Zitas große Angst vor Bakterien und Krankheiten im Fokus steht. Die meist im Doppelpack auftretenden „Bakterien und Viren“ werden hier auf Bakterien reduziert.

Ob es günstig gewesen wäre, das Spannungsfeld, in dem sich Kinder mit Zwängen aktuell befinden, zu thematisieren, sei genauso dahingestellt wie die Frage, ob Zwangserkrankungen im Verlauf der Pandemie zugenommen haben. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass sich ein Buch, dessen Verfasserinnen Corona vielleicht ganz bewusst meiden, sehr positiv von all jenen abhebt, die seit März 2020 zu SARS-CoV 2 aus dem Boden gestampft wurden und – von etwa einer Handvoll Ausnahmen abgesehen – nicht nur von ästhetisch fragwürdiger Qualität sind.

„Zita zähmt das Zwangsmonster“ – die Alliteration im Titel dürfte bei allen, die mit dem Buch in Kontakt kommen, für ein Schmunzeln sorgen. In sprachlicher Hinsicht insgesamt hätte der Geschichte jedoch etwas mehr Komplexität gutgetan, zumal man Kindern ab fünf Jahren ausgeprägtere hypotaktische Satzstrukturen durchaus zumuten kann. Rosa Linke unterstreicht mit farbenfrohen Illustrationen die therapeutische Zweckhaftigkeit der Geschichte. Mit dem nicht ganz so finster dreinblickenden Monster und den bunten Bakterien, die sich um Zita herum in der Wanne postiert haben (Titelbild), gelingt ihr ebenso ein zwar sehr verhaltener, dennoch aber erfrischender Blick über den Tellerrand des Zwanges hinaus.

Fazit

Für Kinder, die maximal im Alter der Protagonistin sind, bietet das Bilderbuch ein hohes Maß an Identifikationspotenzial, das im spaßigen Chaos mit den Wasserbomben gipfelt. Die Geschichte ist hervorragend als Therapiebegleitung geeignet, kann aber auch im Abseits davon goutiert werden. Rundum zu begrüßen ist, dass die Reihe „kids in balance“ um einen Beitrag zu Zwängen erweitert wurde.

Rezension von
apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting
Literaturwissenschaftlerin (Venia legendi für Romanische Literaturwissenschaft, Französisch und Italienisch) sowie Dozentin an einer Fachschule für Sozialpädagogik.
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Es gibt 41 Rezensionen von Anne Amend-Söchting.

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Zitiervorschlag
Anne Amend-Söchting. Rezension vom 02.09.2021 zu: Katharina Armour: Zita zähmt das Zwangsmonster. Therapie-Begleitbuch. Balance Buch + Medien Verlag (Köln) 2021. ISBN 978-3-86739-219-8. Reihe: kids in BALANCE. Ilustratorin: Rosa Linke. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28343.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.


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