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Cas Mudde: Rechtsaußen

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 25.06.2021

Cover Cas Mudde: Rechtsaußen ISBN 978-3-8012-0579-9

Cas Mudde: Rechtsaußen. Extreme und radikale Rechte in der heutigen Politik weltweit. Verlag J.H.W.Dietz (Bonn) 2020. 255 Seiten. ISBN 978-3-8012-0579-9. 18,00 EUR.

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Extrem ist Grenzüberschreitung

Extremes Denken und Handeln hat zwei Seiten: Einerseits ist Grenzüberschreitung Wagnis, Anschauung und Perspektive, das sich im Sprichwort artikuliert: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“. Andererseits sind fundamentalistische und rechtsradikale Aktivitäten vom Mainstream und Wert- und Normen-Bewusstsein abweichende Einstellungen. Rechtes, politisches und gesellschaftliches Denken und Handeln zeigt sich in lokalen und globalen Zusammenhängen. Es beeinflusst und bestimmt das Zusammenleben der Menschen direkt und indirekt. Und es erfordert eine humane Bildungs-, Aufklärungs- und politische Haltung.

In der sich immer interdependenter, entgrenzender und globaler entwickelnden Welt kann es zur intellektuellen Überforderung dadurch kommen, dass freiheitliches, selbstbestimmtes, demokratisches Denken und Handeln als Zumutungen und Anforderungen betrachtet werden, diesen nicht genügen zu können oder zu wollen. Rufe und Erwartungen werden laut nach dirigierten, autoritären einfachen Ja-Nein-Antworten (Frank Dikötter, Diktator werden. Populismus, Personenkult und die Wege zur Macht, 2020, www.socialnet.de/rezensionen/27082.php). So entwickelt sich dann Macht für extremes Denken, lokal und global. Die Herausforderungen für Demokrat*innen zum Gegenhalten steigen. Rechtsradikales, ethnozentristisches und nationalistisches Denken unterscheidet sich von linksradikalen Einstellungen dadurch, dass letztere davon ausgehen, dass Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zwischen Menschen menschengemacht sind und überwunden werden müssen, während Rechtsradikale vertreten, dass Ungleichheiten natürlich und positiv und deshalb zu fördern sind.

Entstehungshintergrund und Autor

Die Weltanalysen verdeutlichen, dass in mehreren Ländern der radikale Rechtspopulismus zunimmt, an Regierungen beteiligt ist oder sie gar anführt, rechtsradikale Parteien in Parlamenten vertreten sind und öffentliche Meinungen bestimmen. Sie treten an mit dem Ziel, demokratische, freiheitliche Strukturen abzuschaffen und rechtextreme, neofaschistische, populistische Ordnungen zu etablieren. Der Politikwissenschaftler Cas Mudde von den Universitäten in Georgia (USA) und Oslo (Norwegen), zeigt auf, dass in der neueren Menschheitsgeschichte die „vierte und machtvollste Welle rechter Politik“ durch die Welt schwemmt und Unruhe und Gewalt bringt. Er legte 2019 eine Auseinandersetzung mit den Fragen nach den Gründen von zunehmender rechter Politik in der Welt mit dem Titel „The Far Right Today“ im Cambridger Polity Press-Verlag vor. Der Dietz-Verlag bringt 2020 die Analyse in deutscher Sprache heraus

Aufbau und Inhalt

Der Autor gliedert seine Studie, neben der Einführung, in zehn Kapitel. Im ersten stellt er die Geschichte der rechtsradikalen Parteien und Gruppierungen nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Es sind Entwicklungen, die sich in mehreren Wellen vollziehen: Neofaschistische Aktivitäten im Jahrzehnt 1945/55; rechtspopulistische in den Jahren 1955 bis 1980; und Bewegungen der radikalen Rechten von1980 bis 2000. Aktuell registriert Mudde die vierte Welle, die beeinflusst und gefördert wird durch die Weltkrisensituationen: Terror vom 11. September 2001, Finanzkrise 2008 und Flüchtlingskrise 2015. Die bis dahin eher marginalisiert determiniert wahrgenommenen extremistischen Einstellungen verändern sich heute zum Mainstream. Aufmerksamkeit und Gegnerschaft der Demokraten schwindet; Rechtspopulisten sind regierungsfähig.

In den folgenden Kapiteln diskutiert der Autor die Gründe. Es sind Ideologien, die als rechtsverbindliche, natürliche Gegebenheiten propagiert werden und im neuen Gewand des Rassismus, als Nativismus, daher kommen: „Deutschland den Deutschen!“ – „Ausländer raus!“ – „Wir gegen die!“. Es sind effektive Organisationsformen, die als Uniformiertheit, Bruderschafts-Ideologie und mediale Netzwerke aufgebaut sind und Bindemittel als Gefolgschaft versprechen. Es sind charakteristische Strukturen von Führerschaft und alleinige Wahrheitsverkündigungen, die Gefolgschaft locken. Es sind spezielle Betätigungsfelder, bei denen rechtspopulistische Einstellungen (meist lautstark und martialisch) demonstriert und Machtansprüche gewaltsam durchgesetzt werden. Bei der Suche nach den Ursachen der wachsenden rechtsradikalen, lokalen und globalen Bewegungen finden sich eine Reihe von Gründen; wie z.B. der zunehmende, kapitalistische Egozentrismus – „Ich will alles, und das sofort!“; die Auffassung: „Der Mensch darf alles machen, was er kann!“; oder die medial geförderten und präsentierte n Echokammern und Fake-News-Produktionen. Spätestens nämlich dort, wo sich die Machtfrage stellt, profitiert rechtsradikale Politik davon, wenn in politischen Prozessen die Gedanken der Aufklärung und Wahrheitsfindung nicht auf den wissenschaftlichen Prüfstand gestellt, sondern populistisch gehandhabt werden. Als Lösungsmöglichkeit zeigt sich freilich nur eine, nämlich zivilgesellschaftliches, freiheitliches, demokratisches Bewusstsein. Dieses aber ist nur zu erreichen durch aktive, kritische Teilnahme und Selbstbestimmung.

In zwölf Thesen fasst Cas Mudde seine Analyse über die aktuelle, globale Entwicklung der extremen, radikalen Rechten zusammen:

  • Die extreme Rechte ist extrem heterogen – und deshalb besonders gefährlich und demokratiefeindlich!
  • Die radikal populistische Rechte ist im Mainstream angekommen – sie darf deshalb in ihren Wirkungen nicht marginalisiert werden!
  • Radikal rechtspopulistische Politik wird nicht mehr nur von radikal rechtspopulistischen Parteien betrieben – es gilt, die Parteiprogramme richtig zu lesen und den Parteivertreter*innen aufs Maul zu schauen!
  • Die radikal populistische Rechte wird zur Normalität – es ist wichtig, die Grenzziehungen wahr zu nehmen!
  • Die extreme Rechte ist eine normale Pathologie, die radikal populistische Rechte eine pathologische Normalität – es kommt darauf an, richtig hinzuschauen!
  • Die radikal populistische Rechte verdankt (bisher) ihren Aufstieg eher der Ablösung von etablierten als der Hinwendung zu neuen Parteien – Demokraten sind gefordert!
  • Die äußerste Rechte ist ein geschlechtsspezifisches Phänomen – Gender aufgepasst!
  • Kein Land ist gegenäußerst rechte Politik immun – der zôon politikon ist gefragt!
  • Die äußerste Rechte wird nicht so schnell verschwinden – es braucht politische Bildung!
  • Das Patentrezept gegen die äußerste Rechte gibt es nicht – global denken und lokal handeln!
  • Die Stärkung der liberalen Demokratie steht an erster Stelle – Demokratie ist ein anspruchsvolles, intellektuell herausforderndes politisches System!

Diskussion

Als Widerstand gegen rechtsextremes Denken und Handeln bietet sich nach wie vor an, was als „globale Ethik“ in der am 10. Dezember 1948 von den Vereinten Nationen postulierten „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ zum Ausdruck kommt. In der Präambel heißt es: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“. Demokratiefeindliche Gefahren durch extreme rechtradikale Parteien und Bewegungen lassen sich nur durch Aufklärung und politische Bildung verhindern (Gudrun Hentges, Krise der Demokratie – Demokratie in der Krise? Gesellschaftsdiagnosen und Herausforderungen für die politische Bildung, 2020, www.socialnet.de/rezensionen/27245.php).

Fazit

Die Analyse „Rechtsaussen“ ist ein Wegweiser im Gestrüpp des lokalen und globalen politischen Miteinanders. Er verweist auf Stoppstraßen, wenn die Gemeinschaftsstrukturen sich inhuman und antidemokratisch darstellen, wie dies bei der extremen und radikalen Rechten der Fall ist. Diesen menschenfeindlichen Entwicklungen gilt es entgegen zu treten, durch Bildung und Aufklärung! Der Autor ergänzt seine gut lesbare, informative Studie durch ein Abbildungsverzeichnis, eine Chronologie von Jahresdaten der Entwicklungen und Aktivitäten des extremen, rechtsradikalen Denkens und Handelns, einem Glossar, in dem ausgewählte Stichwörter vorgestellt werden, und von z.T. annotierten Literaturhinweisen. So lässt sich die Dokumentation über die extreme und radikale Rechte in der lokalen und globalen Politik heute auch als Handbuch benutzen – und als Studienbuch im interdisziplinären Diskurs über eine Conditio Humana Hier, Heute und Morgen!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1706 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245