Horst Bickel, Siegfried Weyerer: Epidemiologie psychischer Erkrankungen im höheren Lebensalter
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 09.05.2007
Horst Bickel, Siegfried Weyerer: Epidemiologie psychischer Erkrankungen im höheren Lebensalter.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2006.
230 Seiten.
ISBN 978-3-17-016835-0.
18,00 EUR.
CH: 31,90 sFr.
Urban Taschenbücher, Band 764. Grundriss Gerontologie Bd.14.
Thema
Bei psychiatrischen Erkrankungen im Alter wird meist im ersten Moment an Demenzen, vor allem Alzheimer, und vielleicht noch an Depressionen gedacht. Doch das Spektrum seelischer Leiden ist weit umfassender und fordert sozialpolitische Aufmerksamkeit ein angesichts einer zunehmend alternden Gesellschaft. Berücksichtigt man, dass mindestens 2/3 der älteren Frauen (75 Jahre und älter) allein leben und dass das soziale Netz mit den Jahren mehr und mehr ausdünnt, dann wird die Bedeutung psychischer Leiden gerade für die Altersgruppe der Betagten und besonders Hochbetagten evident.
Die vorliegende Arbeit besteht aus einer Auswertung des gegenwärtigen Wissensstandes über psychische Erkrankungen im Alter und bietet somit einen umfassenden Überblick über die Auftretenshäufigkeit (Epidemiologie) dieser Erkrankungen im höheren Lebensalter.
Autoren
Beide Autoren der Veröffentlichung sind Diplom-Psychologen:
- Prof. Dr. Siegfried Weyerer ist am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim Leiter der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie und Sprecher des Zentrums für Epidemiologie und Versorgungsforschung.
- Dr. Horst Bickel ist an der Klinik und Polioklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München Leiter der Arbeitsgruppe Psychiatrische Epidemiologie.
Inhalt
Zu Beginn der Arbeit werden die epidemiologischen Grundbegriffe und die Methoden und Vorgehensweisen bei der Datenerfassung in diesem Bereich auf dem Hintergrund der demografischen Veränderung vorgestellt: u. a. Prävalenz und Inzidenz, Screenverfahren.
Die Epidemiologien folgender psychischer Erkrankungen im Alter werden ausführlich gemäß dem Stand der Forschung in einzelnen Kapiteln ausführlich u. a. anhand von Tabellen und Grafiken dargestellt:
- Demenzen
- "leichte kognitive Störungen"
- Delir
- Depressive Erkrankungen und suizidale Handlungen
- Schlafstörungen
- Angst- und Zwangserkrankungen
- Schizophrenie
- Substanzmissbrauch und -abhängigkeit
- Pharmakoepidemiologie
Folgende Erkenntnisse aus diesen Bereichen sind von allgemeinem Interesse:
- die Auftretenshäufigkeit von Demenzen liegt bei über 100jährigen bei ca. 50 - 60 Prozent (Seite 66)
- leichte kognitive Störungen lassen sich therapeutisch nicht durch Entzündungshemmer und Anitdementiva beeinflussen (Seite 102 - 103)
- Ein Delir ist ein Marker für Demenz, indem es einen bereits laufenden dementiellen Prozess deutlich offenbar werden lässt (Seite 110 - 111)
- Von einer Depression unterschiedlichen Schweregrades sind im Durchschnitt 13,5 Prozent der älteren Menschen betroffen (Seite 119)
- Die Suizidrate bei 75jährigen und älteren lag im Jahre 2000 in Deutschland bei 30,5 pro 100.000 Einwohner (Männer 62,6 und Frauen 17,1) (Seite 132)
- Von den 70jährigen und älteren leiden 27 Prozent (Männer 12,9 und Frauen 34,8 Prozent) an mittelschweren und schweren Schlafstörungen. Im Vergleich dazu leiden in der Altersgruppe 40 - 49 Jahre hieran nur 12,4 Prozent (Seite 139)
- Bei der Einnahme von Psychopharmaka erhöht sich das Sturzrisiko um 46 Prozent, bei Heimbewohnern, die zwei und mehr psychotrope Medikamente einnehmen, erhöht sich das Sturzrisiko um 76 Prozent (Seite 195)
Es bedarf noch des Hinweises, dass jedes Kapitel mit einer kurzen Zusammenfassung und mehreren Kontrollfragen abschließt.
Kritische Würdigung und Fazit
Die vorliegende Veröffentlichung erfüllt alle Erwartungen, die man eine derartige Publikation stellt: umfassende Rezeption der aktuellen Fachliteratur, strukturierte Aufbereitung und Darstellung der Fakten und Daten, allgemeinverständliche Darstellungsweise mit Hilfe von Tabellen und Grafiken.
Das Buch kann daher allen Lesern, die sich mit Themen aus den Bereichen der Gerontologie und Altenhilfe beschäftigen, als ein Grundlagentext über die Auftretenshäufigkeit verschiedener psychischer Erkrankungen und Leiden empfohlen werden.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Es gibt 225 Rezensionen von Sven Lind.
Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 09.05.2007 zu:
Horst Bickel, Siegfried Weyerer: Epidemiologie psychischer Erkrankungen im höheren Lebensalter. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2006.
ISBN 978-3-17-016835-0.
Urban Taschenbücher, Band 764. Grundriss Gerontologie Bd.14.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/2837.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
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