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Jana Groth: Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung in Deutschland

Rezensiert von Prof. Dr. Matilde Heredia, 06.07.2022

Cover Jana Groth: Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung in Deutschland ISBN 978-3-7799-6474-2

Jana Groth: Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung in Deutschland. Marginalisierte Stimmen im feministischen Diskurs der 70er, 80er und 90er Jahre. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. 462 Seiten. ISBN 978-3-7799-6474-2. D: 58,00 EUR, A: 59,70 EUR.
Reihe: Gesellschaftsforschung und Kritik.

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Thema

Die Autorin Jana Groth befasst sich in diesem Werk mit Intersektionalität in Bezug zum Feminismus und zeigt dabei die Perspektiven von betroffenen Frauen, die selbst mehrfache Diskriminierung erlebt haben, indem sie ihnen eine Stimme gibt.

In diesem Buch werden die feministische Bewegung und Forschung sowie verschiedene feministische Diskurse empirisch und historisch untersucht, kritisch beleuchtet und vordergründig aus der Perspektive der Intersektionalität und der Mehrfachdiskriminierung behandelt. Zentral in dieser Monografie ist, dass Groth mit dem wenig differenzierten Konzept des Feminismus der 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahre in Deutschland bricht, das überwiegend den Eindruck vermittelte, „es hätte nur einen Feminismus gegeben: den einer gut gebildeten, heterosexuellen, nichtbehinderten, weißen Mittelschicht“ (S. 11).

Methodologisch arbeitet die Autorin intersektionale Interventionen aus dem feministischen Mainstream heraus, insbesondere aus der Zeit, bevor der Begriff der Intersektionalität in Deutschland bekannt war. Die Autorin hat dafür über 200 Quellen ausgewertet und dadurch sowohl der Perspektive der Betroffenen selbst Raum gegeben als auch Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung im deutschen theoretischen Kontext vertieft und kritisch untersucht.

Durch ihre empirische Dichte und heterogene Herangehensweise eignet sich diese Monografie als Grundwerk der feministischen und intersektionalen Forschung im deutschen Kontext und ermöglicht durch neue und differenziertere Zugänge in Theorie und Praxis gleichzeitig, die Perspektive der Betroffenen stärker zu berücksichtigen. Die analytischen Überlegungen, welche Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung innerhalb des feministischen Diskurses der 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahre in Deutschland erfassen, bieten ein breiteres Feld für die Erforschung dieser Thematik, was auf weitere Diskurse und gesellschaftliche Strukturen übertragen werden kann. Die marginalisierten Stimmen im feministischen Diskurs und das Aufzeigen von diskriminierenden Strukturen stehen in Mittelpunkt dieser Monografie und schlagen zugleich eine Brücke zur aktuellen Situation in diesem Kontext.

Autor:innen

Jana Groth ist Sozialwissenschaftlerin und widmet sich nach dem Studium der Sozialwissenschaften und Philosophie in Leipzig sowie der Friedens- und Konfliktforschung in Marburg aktuellen und zentralen Gesellschaftsthemen, wie Gewalt und -forschung, sozialer Ungleichheit, Diskriminierung und Intersektionalität.

 

Aufbau und Inhalt

Die vier Kapitel des Buches setzen verschiedene theoretische Schwerpunkte bezüglich Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung in Deutschland und die Autorin richtet den Blick dabei auf den dominierenden feministischen Diskurs in Deutschland in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren. Durch den thematischen Aufbau des Buches gelingt es der Autorin, einen weiteren Fokus auf die hier behandelten Themenspektren und -schwerpunkte aus zwei zentralen Perspektiven zu richten, nämlich der Betroffenen selbst und der diskursiven Ebene bei den analytischen Überlegungen bezogen auf Diskriminierung, Feminismus und Intersektionalität.

Nach einer ausführlichen Einleitung (S. 7–29) folgt das zweite Kapitel: „Empirische Entdeckungen: Marginalisierte Stimmen im feministischen Diskurs“ (S. 30–306). In den sieben Unterpunkten des zweiten Kapitels werden verschiedene Stimmen aus dem feministischen Diskurs, unter anderem durch Interviewpassagen oder Gedichte, erläutert. Afrodeutsche Frauen, Migrantinnen, jüdische Frauen, Sinti- und Romafrauen, Arbeitertöchter, lesbische Frauen und Frauen mit Behinderung kommen in diesem Kapitel durch eine ausführliche empirische Arbeit zu Wort.

Im dritten Kapitel – „Analytische Überlegungen: Diskriminierung, Feminismus und Intersektionalität“ (S. 307–429) erfolgen im Unterkapitel 3.1 zunächst eine Zusammenfassung sowie ein Vergleich der Diskurse der Frauengruppen, die im Kapitel 2 behandelt wurden. In den darauffolgenden Unterpunkten dieses Kapitels werden genauere Schwerpunkte behandelt, wie Formen, Orte, Folgen und Bewältigung von Diskriminierung/Diskriminierungen. Im Unterpunkt 3.2 folgt Kritik am Mehrheitsfeminismus, wobei sowohl Schwerpunkte, wie Ethnozentrismus, Rassismus und Antisemitismus, als auch Ausgrenzungen aus unterschiedlichen Perspektiven aufgezeigt werden, z.B. klassistische Ausgrenzungen oder in Bezug auf Behinderungen. Im letzten Unterkapitel 3.3 „Beschreibung von Intersektionalität werden konkrete Aspekte der Intersektionalität, wie Kumulation, Kompensation und Deaktivierung, behandelt.

Im Fazit (Kapitel 4) fasst die Autorin zentrale Forschungsergebnisse aus der empirischen Arbeit zusammen und verankert zentrale Konzepte, die als Grundlage für die Weiterentwicklung der Diskurse/Diskussionen im Kontext von Intersektionalität, Mehrfachdiskriminierung und Feminismus in Deutschland dienen können/sollen.

Abschließend bietet die Autorin eine sehr ausführliche Literaturliste an, die zur Vertiefung der Thematik sehr nützlich sein kann.

Diskussion

Jana Groth zeigt durch ihre Analyse und insbesondere anhand der Erfahrung von betroffenen Personen bzw. Autorinnen, welche Verbindung zwischen Intersektionalität, Mehrfachdiskriminierung und Feminismus in Deutschland von den 1970er- bis 1990er-Jahren bestand. Durch diese gelungene empirische und theoretische Herangehensweise schließt die Autorin Forschungslücken bezüglich Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung im feministischen Diskurs in der Vergangenheit und macht auf – möglicherweise aktuell noch bestehende – Praktiken der Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung im feministischen Kontext aufmerksam.

Groth/Der Autorin gelingt es durch eine qualitativ hochwertige Recherche sowie Analyse und ihre empathische Art, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen, wodurch eine differenziertere Betrachtung des feministischen Diskurses ermöglicht wird und zugleich starke fachliche Akzente im feministischen Diskurs in Deutschland gesetzt werden. Besonders gelungen ist dabei der differenzierte und heterogenere Blick auf die Gruppen sowie die Perspektive der Betroffenen selbst auf Basis der eigenen Erlebnisse und Perspektiven auf den feministischen Diskurs. Diese werden anhand der diskursiven Trennung zwischen Rassismus und Sexismus, die Marion Kraft (1990) benennt (S. 410), oder das Ausblenden von jüdischen Themen vonseiten der Frauenbewegung in Deutschland, worauf die Autorinnen Jessica Jacoby und Gotlinde Magiriba Lwanga (1990) aufmerksam machen (S. 413), sichtbar gemacht. Darüber hinaus werden die Themen und Ausgrenzungserfahrungen von Sinti- und Romafrauen, Arbeitertöchtern, lesbischen Frauen und Frauen mit Behinderungen in Deutschland differenziert und qualitativ hochwertig behandelt. Der Rückblick der Autorin auf den feministischen Diskurs der 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahre in Deutschland ermöglicht den Betroffenen selbst, die eigene Heterogenität besser zu erkennen und sich dadurch als gleichberechtigte Handlungsakteurinnen innerhalb des feministischen Diskurses in Deutschland zu positionieren.

Aus einer erweiterten Perspektive kann dieses Werk als Grundlage gegen Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmechanismen in weiteren theoretischen Diskursen dienen. Dies gilt, da die von Groth angeführten Beispiele zeigen, dass Frauen „in erste Linie Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Klassismus, Homophobie und Behindertenfeindlichkeit“ (S. 432) im Alltag erfahren und geschlechtsspezifische Diskriminierungen gleichzeitig nur in der „eigenen Community wahrgenommen werden, da dort andere Formen der Diskriminierung bereits gemeinsam reflektiert werden“ (S. 432). Diese heterogenere Analyse des feministischen Diskurses in Deutschland von den 1970er- bis 1990er-Jahren skizziert die Realität, Perspektiven und Möglichkeiten zum Widerstand von Frauen damals sowie heute und verdeutlicht, dass der feministische Diskurs um weitere Ungleichheitsdimensionen erweitert werden sollte, um gesellschaftlich breiter verankert werden zu können.

Fazit

Insgesamt stellt diese Fachlektüre eine sehr gelungene Grundlage für eine kritische Weiterentwicklung der Forschung zu Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung im Kontext des feministischen Diskurses in Deutschland dar.

Rezension von
Prof. Dr. Matilde Heredia
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Es gibt 5 Rezensionen von Matilde Heredia.

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Zitiervorschlag
Matilde Heredia. Rezension vom 06.07.2022 zu: Jana Groth: Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung in Deutschland. Marginalisierte Stimmen im feministischen Diskurs der 70er, 80er und 90er Jahre. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. ISBN 978-3-7799-6474-2. Reihe: Gesellschaftsforschung und Kritik. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28380.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.


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