Annika Wilmers, Carolin Anda et al. (Hrsg.): Bildung im digitalen Wandel
Rezensiert von Katja Neumann, 21.06.2021

Annika Wilmers, Carolin Anda, Carolin Keller, Marc Rittberger (Hrsg.): Bildung im digitalen Wandel. Die Bedeutung für das pädagogische Personal und für die Aus- und Fortbildung.
Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2020.
193 Seiten.
ISBN 978-3-8309-4199-6.
24,90 EUR.
Reihe: Digitalisierung in der Bildung - Band 1.
Thema
Das pädagogische Fachpersonal erfüllt zunehmend bei der Anwendung von digitalen Medien und bei der Wissensvermittlung mit Hilfe von digitalen Instrumenten eine Schlüsselrolle innerhalb der Digitalisierung. Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung, Haltung und Einstellung, eigene Kompetenzen und die allgemeinen Entwicklungen im Bildungsbereich sollen innerhalb dieses Buches in den Fokus genommen werden und mit Hilfe von aktuellen Forschungen aus dem Zeitraum Januar 2010 bis Mai 2019 in Bezug auf die jeweilige Fragestellung hin ausgewertet werden. Als Methode zur Auswertung wurde ein Verfahren gewählt, das sich an Systematic Reviews orientiert. Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel und hat 168 Seiten.
HerausgeberIn
Dr. Annika Wilmers, Carolin Anda M.A. und Carolin Keller M.A. sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen des Informationszentrums Bildung des Leipniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) Prof. Dr. Marc Rittberger ist seit 2005 Direktor des Informationszentrums am DIPF und Professor für Informationsmanagement an der HS Darmstadt.
Entstehungshintergrund
Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und ist Teil des Metavorhabens „Digitalisierung im Bildungsbereich“ (Digi-EBF). Im Reviewprozess kooperieren das DIPF I Leipniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, die Universität Duisburg-Essen, das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung – Leipniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen und das Leipniz-Institut für Wissensmedien. Ziel ist es eigenständige Forschungsvorhaben aus einer übergeordneten Perspektive umzusetzen und gleichzeitig unterstützende Maßnahmen durchzuführen, wie die Vernetzung der Projekte oder Veranstaltungen zum Fachaustausch. Inhaltliche Schwerpunkte sind Bildung in Kindheit, Jugend und Familie, Schulische Bildung, Berufliche Bildung, Lehrerbildung und Erwachsenen- und Weiterbildung.
Aufbau
Dieser Band ist der erste Teil einer mehrteiligen geplanten Reviewserie zur Digitalisierung in der Bildung. Verschiedene inhaltliche Fragestellungen der digitalen Bildung reflektieren den aktuellen Forschungsstand, fassen die wesentlichen Erkenntnisse zusammen und stellen offene Forschungsfragen und unerforschte Themenfelder dar. In insgesamt sechs Kapiteln werden nach einer Einführung in den Nutzen von Reviews in der Bildungsforschung und das methodische Vorgehen die Themenschwerpunkte Digitalisierung in der frühen Bildung, Unterrichtsmethoden mit digitalen Medien in der Schule, die Ausbildung von Lehrenden, die digitalen Medien in der Berufsbildung und in der Erwachsenen- und Weiterbildung beleuchtet und wissenschaftliche Erkenntnisse dargestellt.
Inhalt
Das erste Kapitel „Reviews zur Bildung im digitalen Wandel: Eine Einführung in Kontext und Methodik“ stammt von Annika Wilmers, Carolin Anda, Carolin Keller, Michael Kerres und Barbara Getto. Nach einer kurzen Einleitung, welche die Bedeutung von Digitalisierung im Kontext pädagogischer Handlungsfelder herausstellt, folgt eine Einordnung in aktuelle Aktionspläne, Agenden und politische Bestrebungen. Zudem wird eine Begründung für das gewählte Reviewverfahren vorgenommen und die vereinbarten Rahmenbedingungen der Datensammlung der Forschenden sowie die genutzten Methoden der Auswertung und Codierung beschrieben.
Im zweiten Kapitel beschäftigen sich Iris Nieding und E. Katharina Klaudy mit „Digitalisierung in der frühen Bildung. Der Umgang mit digitalen Medien im Spannungsfeld zwischen Schutzraum und Schlüsselkompetenz“ und der Bedeutung für pädagogische Fachkräfte. Anhand von zehn empirischen Studien werden die Zusammenhänge zwischen Haltung und Kompetenz von Fachkräften in Kindertagesstätten und der Aus- und Weiterbildung dargestellt.
Im dritten Kapitel beschreibt Bettina Waffner „Unterrichtspraktiken, Erfahrungen und Einstellungen von Lehrpersonen zu digitalen Medien in der Schule“. Sie analysiert in diesem Zusammenhang 125 systematisch ermittelte Studien um anschließend fünf Grundannahmen darzustellen, die sich auf die Anwendung von digitalen Medien in Alltags- und Unterrichtssituationen beziehen, die Voraussetzung der Lehrperson, die methodisch-technischen und pädagogisch-didaktischen Kompetenzen und die Fort- und Weiterbildung zu medientechnischen und pädagogischen Grundlagen beschreiben.
Im vierten Kapitel beschäftigen sich Marcel Capparozze und Gabriele Irle mit dem Thema „Lehrerausbildende als Akteure für die Digitalisierung in der Lehrerausbildung: Ein Review“. Dazu werteten sie 15 Studien zu Lehrerausbildungen aus. Sie fokussieren sich auf die Themenfelder Kompetenzen der Lehrkräfte, individuelle Faktoren und die Rolle der institutionellen Unterstützung. Am Ende des Kapitels werden Empfehlungen für Forschung und Lehrerausbildung ausgesprochen.
Das fünfte Kapitel von Katharina Hähn und Monique Ratermann-Busse heißt „Digitale Medien in der Berufsbildung – Eine Herausforderung für Lehrkräfte und Ausbildungspersonal?“. Hierfür wurden 14 Studien in einem Critical Review zwischen 2013 und 2019 ausgewertet. Auf dieser Basis konnten Empfehlungen für die Entwicklung von Konzepten für die Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte der beruflichen Bildung, sowie Nutzen, Implementierung und Bedarf digitaler Medien in der Berufsbildungspraxis ausgesprochen werden.
Im sechsten und letzten Kapitel „Die Implikation der Digitalisierung für das Lehrpersonal in der Erwachsenen- und Weiterbildung. Ein Review ausgewählter empirischer Ergebnisse und weiterer theoriebildender Literatur“ beschäftigen sich Jan Koschorreck und Angelika Gundermann mit 41 hauptsächlich internationalen empirischen Studien und kontextbezogener Literatur aus Forschung und Praxis zwischen 2016 und 2019. Die Einbeziehung von Digitalisierung für das Lehrpersonal in der Erwachsenen- und Weiterbildung wurde in Bezug auf Kompetenzen, Haltung, Aus- und Fortbildung und relevante Trends untersucht. Digitalisierung stelle hohe Anforderung an die pädagogischen Fachkräfte in den Bereichen Didaktik, Methodik, Kommunikation, Interaktion und Organisation. Als zentrales Element der Digitalisierung wird die Transformation vom Wissensvermittelnden zum Lernbegleitenden genannt. Auch am Ende dieses Kapitels werden auf Basis des Reviews Empfehlungen für Forschung, Politik und Praxis ausgesprochen.
Diskussion
Fragen zu Digitalisierung sind an verschiedenen Schnittstellen seit einigen Jahren Thema und Anliegen. Die Corona-Pandemie hat deutlich die Geschwindigkeit der Implementierung erhöht und die Existenz aktueller Fragestellungen zu Digitalisierung in den gesellschaftlichen und politischen Fokus gerückt. Der Reviewband „Bildung im digitalen Wandel. Die Bedeutung für das pädagogische Personal und für die Aus- und Fortbildung“ führt den Lesenden durch die aktuelle Forschungslandschaft und zeigt auf welche Trends und Empfehlungen es gibt und wie die verschiedenen Institutionen darauf reagieren können.
Die Forschung in diesem Feld zeichnet sich durch eine hohe Komplexität der Forschungsfragen aus: Während manche Studien einen großen Nutzen von Digitalisierung belegen, weisen andere keine signifikanten Unterschiede durch den Einsatz von digitalen Medien nach und dritte machen gar auf geringe Lernerfolge aufmerksam. Für die Verfasser ist es daher elementar bestehende Forschungsergebnisse entsprechend zu systematisieren und der weiteren Diskussion zugänglich zu machen. Digitalisierung wird hier in unterschiedlichen Zusammenhängen, Altersstrukturen und Konzepten dargestellt: Kindertagesstätten und frühkindliche Bildung, Digitalisierung innerhalb des Schulkontextes, der Lehrerausbildung, der beruflichen Bildung und der Erwachsenen- und Weiterbildung.
Da unterschiedliche didaktische Konzepte und Ansätze grundsätzlich auch unterschiedliche Ziele haben, müsse die Frage demnach eher lauten, unter welchen Bedingungen digitale Medien zum Lernerfolg beitragen, um anschließend vorteilhafte Settings definieren zu können.
Im Bereich der Kindertagesstätten und der frühkindlichen Bildung stellen die Verfasser fest, dass die medienpädagogische Praxis geprägt sei von Komplexität, verschiedenen ineinander verwobenen Aspekten und stark von der Grundhaltung der jeweiligen Leitung abhänge. Medienbildung müsse als Querschnittsthema zu anderen Bildungsbereichen verstanden werden. Die Evaluation bestehender Kompetenzmodelle werden als Forschungslücke herausgestellt.
Im Schulkontext zeigt sich eine ähnliche Komplexität darin wie digitale Medien zum Einsatz kommen. So werden Medien oftmals weniger mit medienpädagogischer Zielsetzung, sondern viel mehr als Werkzeug für Kommunikation und Präsentation genutzt. Ähnlich wie in Kindertagesstätten steht die Häufigkeit und Vielseitigkeit des Einsatzes in einem engen Verhältnis zur Lehrperson. Demnach solle der Frage nachgegangen werden, über welche Kompetenzen Lehrperson verfügen müssen, um digitale Medien kontinuierlich und auf unterschiedliche Weise einzubeziehen.
In Bezug auf die Lehrerausbildung, auch im internationalen Vergleich, bleibt festzuhalten, dass Lehrerausbildende nicht nur technische, sondern auch pädagogische Kompetenzen benötigen und gleichzeitig als Vorbilder für den Einsatz digitaler Medien fungieren sollen.
Für den Bereich Berufsbildung gebe es wenige repräsentative Studien. Die Bundesländer verfolgten unterschiedliche Digitalisierungsstrategien und auch die Rahmenbedingungen innerhalb der Schulen seien sehr individuell. Die bestehenden Ressourcen müssten gleicher verteilt werden. Innerhalb der Berufsbildungsforschung werde die Aus- und Fortbildung des Lehr- und Ausbildungspersonals wenig beachtet. Bereits bestehende Forschungsergebnisse müssten stärker in die Ausbildungspraxis transferiert werden, der Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis müsse vorangetrieben werden.
Der Forschungsstand im Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung sei ebenso lückenhaft und oftmals nur für einzelne Aspekte repräsentativ. Zudem zeichne er sich durch eine hohe Anzahl von Studien mit Einzelfallcharakter aus. Nützlich seien Projekte um die erfolgreiche Implementierung effektiver und nachhaltiger Maßnahmen verstärkt in den Blick zu nehmen. Die Verfasser gehen auch im Anschluss an die Corona-Pandemie von einer Zunahme der Nutzung digitaler Medien aus. Daher sei es unabdingbar weitere Untersuchungen vorzunehmen.
Fazit
Die gewählte Methode der Reviews eignet sich, um unterschiedliche Forschungsbefunde einzuordnen, Aussagen zu tätigen und Hypothesen zu überprüfen. Reviews können genutzt werden, um eigenständige wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Erklärtes Ziel ist hier systematisch die vielschichtigen und komplexen Forschungsfragen zu Digitalisierung einzuordnen.
Als erster Review-Band einer Reihe bietet „Bildung im digitalen Wandel“ daher einen umfassenden Überblick des aktuellen Forschungsstandes, fasst Ergebnisse zusammen, zeigt Forschungslücken auf und bietet vielseitige Ideen für Konzepte, eigene Forschung und pädagogische (Bildungs-)Praxis.
Die Auswertung der 205 ausgewählten Studien aus den Jahren 2010 bis 2019 in den Bereichen frühe Bildung, Lehre, Berufsbildung und Erwachsenen- und Weiterbildung erfolgt in Anlehnung an die Methode der „Critical Reviews“. Dieser Überblick führt dazu, dass der Einstieg in das Thema Digitalisierung und zugehörige Forschungsstränge, Tendenzen und Trends auch von „Neulingen“ eingeordnet werden können und bietet damit eine gute Grundlage, um sich mit Digitalisierung zu beschäftigen.
Offen bleibt, ob der Zeitraum für vereinzelte Fragestellungen und Aussagen für solch ein sich schnell wandelndes Thema zu lang gewählt ist und damit an Repräsentativität verliert. Da sämtliche Aussagen immer mit einer Jahreszahl gekennzeichnet sind, bleibt es dem Lesenden überlassen dieses im jeweiligen Kontext für sich einzuordnen.
Rezension von
Katja Neumann
Studentin im Masterstudiengang Kindheits- und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz und Angestellte des Diakonischen Werks Köln und Region im Fachdienst Migration
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