Dima Zito, Ernest Martin: Selbstfürsorge und Schutz
Rezensiert von Prof. Dr. René Börrnert, 24.09.2021
Dima Zito, Ernest Martin: Selbstfürsorge und Schutz vor eigenen Belastungen für Soziale Berufe. Mit Online-Materialien.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2021.
124 Seiten.
ISBN 978-3-7799-3169-0.
Reihe: Edition sozial.
Thema
Eine persönliche wie auch professionelle Grundeigenschaft von Sozialen ist Empathie im Sinne eines Ein- oder besser Mitfühlens in der Betroffenheitssituation der Klienten. Durch diese Fähigkeit gehen Soziale in Resonanz mit den Emotionen ihres Gegenüber. Da diese Berufsgruppe aber häufig auch mit Menschen konfrontiert ist, die emotionalen Belastungen ausgesetzt sind oder an psychischen Erkrankungen leiden, sind Soziale zugleich auch adäquaten Gefühlen wie Angst, Trauer und Wut ausgesetzt. Auch diese Emotionen fühlen sie in unterschiedlicher Intensität mit. Wenn sie sich hierbei schlecht abgrenzen können, sie hernach nicht entlasten und den eigenen Körper und Geist nicht ausgleichen, kann das zu Mitgefühlsstress oder auch Burnout oder allgemein zu einer Erschöpfung des Mitgefühls führen. Diese drücken sich dann negativ in Zynismus oder emotionaler Unberührbarkeit aus. Wie sich Soziale vor eigenen Belastungen schützen können und wie Selbstfürsorge gelingt, ist Thema des vorliegenden Praxisbuches.
Autor und Entstehungshintergrund
Dr. phil. Dima Zito ist Diplom-Sozialpädagogin mit verschiedenen Qualifikationen, u.a. als Systemische Therapeutin und Familientherapeutin (DGSF). Sie ist Traumatherapeutin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf (PSZ). Ernest Martin ist Diplom-Psychologe mit ebenso umfangreichen Zusatzqualifikationen. Er war in unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Jugendhilfe tätig und betreibt eine eigene Praxis für Psychotherapie, Paarberatung und Körperarbeit in Hückeswagen. Beide AutorInnen sind in Forschung und Lehre erfahren und haben (zum Teil gemeinsam) zahlreiche Veröffentlichungen erarbeitet, so zum Beispiel mit den Schwerpunkten Trauma und Flucht.
Den vorliegenden Band verstehen sie nicht als wissenschaftliches Werk, sondern als Arbeitsbuch aus der Praxis für die Praxis. Geschrieben ist es für in der Sozialen Arbeit Tätige, die „an mehr als nur an sich glauben, Idealist_innen, Verantwortliche, Hinsehende, Helfer_innen“ (11), für Menschen, denen die aktuell herausfordernde gesellschaftliche und globale Situation nicht egal ist.
Aufbau und Inhalt
Nach einer Einleitung gliedert sich der schmale Band in drei Kapitel, um dann im vierten Teil „Ausblick und Abschluss“ beim Lesenden eine Vision anzuregen.
- Bestandsaufnahme – Die Lesenden werden hier eingeladen, drei Stationen ihres beruflichen Werdegangs zu reflektieren: den Ausgangspunkt (Wie hat es angefangen?), den Wegeverlauf (Wie sind Sie hierhergekommen bzw. was haben Sie mitgebracht?) und die aktuelle Situation (Wo sind Sie gelandet?).
- Selbstfürsorge und Emotionen – Im zweiten Kapitel geben die AutorInnen wichtige Überlegungen zur Rolle von Emotionen an die Hand und mehr noch zum hilfreichen Umgang damit. Die Akzeptanz und Verarbeitung von positiven und negativen Emotionen sind für gleichermaßen wichtig, um Mitgefühlstress nicht erst aufkommen zu lassen und Sekundärtraumatisierungen zu vermeiden: „Wenn wir nach innen schauen, werden wir möglicherweise Helden und Dämonen begegnen, feine, zarte, laute, freundliche und tödliche Gefühle entdecken. Nehmen Sie alles gleichermaßen an. Ein Gefühl nicht zuzulassen, weil wir Angst davor haben oder es nicht unserem Selbstbild entspricht, beseitigt es nicht, es verfestigt und maximiert es“ (43).
- Selbstfürsorge – eine Choreographie für den Arbeitsalltag – In diesem längenmäßig umfangreichsten Teil wird der Arbeitsalltag in verschiedene Etappen aufgeteilt. Für alle Etappen geben die AutorInnen wiederum Anregungen und Übungen an die Hand. Diese sollen dabei helfen, eigene Probleme und auch Ressourcen zu erkennen. Themenfelder sind hier u.a. Meditation, Rituale, Teamkultur, Pausen, Nachspüren und Auswerten.
- Ausblick und Abschluss – In einem letzten kurzen vierten Kapitel machen Zito und Martin noch einmal Mut zur Anwendung ihrer vorgeschlagenen Methode, die auch von Professionellen Kraft abverlangt, sich mit den eigenen verschiedenartigen Seiten des Selbst auseinanderzusetzen. Sie prophezeien, „wenn Sie einige oder alle Schritte vollzogen haben, wird Ihnen ein klareres Bild entstanden sein, welche Zukunft Sie anstreben – zu Ihrem eigenen Wohl und zu dem der Menschheit, des ganzen Planeten. Darauf können Sie Ihren inneren Kompass, Ihre Handlungen ausrichten – im Heute, in jeder Lebenslage und Entscheidung, im Großen wie im Kleinen“ (121).
Diskussion
Die Gründe für das Engagement von Mitmenschen sind mannigfach: sie wollen nicht egoistisch wirken, sie möchten für ihre Hilfsbereitschaft gelobt werden, sie sind sehr leistungsorientiert. Das professionelle Kümmern um andere kommt für manchen Sozialen einer Berufung gleich. Doch seit der Formulierung des sogenannten Helfersyndroms habe nicht wenige von ihnen auch ein berufsbezogenes Etikett, von „Klischees“ ganz zu schweigen.
Weil Grenzen innerhalb und am Rande der Profession der Sozialen Arbeit immer mehr verschwimmen, müssen Soziale professionell fundierte Haltungen entwickeln und persönliche Grenzen setzen, um nicht innerlich auszubrennen. Das verlangt einerseits eine persönliche Kompetenz, andererseits stehen immer mehr die Träger als Organisationen in der Pflicht einer Beteiligung am Schutz ihrer Beschäftigten. Hierzu schreibt Martin Klein (2020, S. 140): „ Der prognostizierte weitere Anstieg psychischer Belastungen und Erkrankungen sowie die demografische Entwicklung dürften dazu führen, dass nicht mehr die Frage im Vordergrund steht, ob eine Organisation sich Betriebliche Soziale Arbeit für ihre Mitglieder leisten kann. Sondern vielmehr werden sich Organisationen zukünftig fragen, was es kostet, dies nicht zu tun“.
Die Autoren des vorliegenden Bandes gehen einen besonderen Weg. Sie versuchen Soziale anzuregen, sich erst mit sich selbst und dann auch in sozialen Gruppen mit ihrer Situation auseinanderzusetzen, in die eigenen privaten und beruflichen Biografieverläufe zu schauen und eigene Probleme abzuklären. Dieser Weg kann zur Gratwanderung werden, weil währenddessen auch Unsicherheiten und Angst auf sich warten lassen, die ohne fremde Hilfe schwer zu bearbeiten sind. Insofern mag die Umsetzung dieser Methoden nach einer individuellen Herangehensweise ab einem bestimmten Punkt als Gruppenarbeit sinnvoll sein.
Fazit
Das Buch ist kein klassisches Lehrbuch; eher ist es eine geordnete Sammlung von Anregungen zur Auseinandersetzung mit der eigenen berufsbiographischen Situation, mit anderen Worten sind das „praxisnahe und erfrischende Einladungen, sich bewusst zu machen, wie man zum Beruf gekommen ist, wie man damit begonnen hat und wie man ihn jetzt erlebt“ (S. 9, Vorwort). In diesem Sinne ist es unbedingt empfehlenswert für alle im sozialen Bereich haupt- und nebenberuflich Tätigen. Sie erfahren hier, wie sie – von Anfang an – im beruflichen Alltag ihre eigenen Energien angemessen einteilen können, um sich vor Burnout und ähnlichen Problemen zu schützen.
Literatur
Klein, M. (2021): Eine kleine Einführung in die Betriebliche Soziale Arbeit. Weinheim und Basel
Rezension von
Prof. Dr. René Börrnert
Fachhochschule des Mittelstands (Rostock)
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Zitiervorschlag
René Börrnert. Rezension vom 24.09.2021 zu:
Dima Zito, Ernest Martin: Selbstfürsorge und Schutz vor eigenen Belastungen für Soziale Berufe. Mit Online-Materialien. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2021.
ISBN 978-3-7799-3169-0.
Reihe: Edition sozial.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28391.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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