Helmut Arnold, Susanne Dungs et al. (Hrsg.): Wandel der Erwerbsarbeit
Rezensiert von Prof. Dr. habil. Gisela Thiele, 21.12.2021
Helmut Arnold, Susanne Dungs, Martin Klemenjak, Christine Pichler (Hrsg.): Wandel der Erwerbsarbeit – Innovative Ansätze der Inklusion. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. 216 Seiten. ISBN 978-3-7799-6421-6. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.
Thema und Herausgeber
Der Band will verdeutlichen, durch welche Maßnahmen Inklusion in die Arbeitswelt für alle Gesellschaftsmitglieder in Östereich gelingen kann und welche Benachteiligungen marginalisierte Gruppen am Arbeitsmarkt erfahren. Die gesellschaftliche Teilhabe und der individuelle Selbstwert sind untrennbar mit einer Erwerbsarbeit verbunden. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen drei Aspekte: die Bedeutung von Arbeit für Menschen, Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen und/oder Benachteiligungen am Erwerbsmarkt sowie eine Auswahl von Best-Practice-Beispielen der Arbeitsmarktintegration und -inklusion.
Herausgeber sind Helmut Arnold, FH -Professor, Vorstandsmitglied des Kärntner Netzwerkes gegen Armut und soziale Ausgrenzung, Susanne Dungs, FH – Professorin an der EH Darmstadt, Martin Klemenjak, FH- Professor an der Fachhochschule Kärnten und Christine Pichler ist Professorin ebenfalls an der Fachhochschule Kärnten.
Aufbau und Inhalt
Die Publikation ist in drei Teile mit einzelnen Kapiteln differenzierter Länge untergliedert und wurde von verschiedenen Autoren geschrieben.
Im ersten Kapitel, von den vier Autoren verfasst, „Zum Wandel der Erwerbsarbeitswelt – Innovative Ansätze der Inklusion“ wird herausgearbeitet, wenn eine Person kategorial als „nicht-beschäftigungsfähig“ ist, sei der Weg in den ersten Arbeitsmarkt zumeist für alle Zeit versperrt. Anliegen dieses Sammelbandes sei eine Zusammenfassung von langjährigen Forschern und dem wissenschaftlichen Nachwuchs.
Teil I „Erwerbsarbeit und Arbeitsgesellschaft“ beginnt mit einem Kapitel von Paul Kellermann „Zur Bedeutung der Erwerbsarbeit im gesellschaftlichen Wandel – Arbeit, Geld und Gesellschaft“ und befasst sich mit dem qualitativen und quantitativen Wandel der Erwerbsarbeit. So hätte sich der Dienstleistungssektor stark ausgeweitet und per Internet seien neue Möglichkeiten erschlossen worden. Die Freiheit in der bürgerlichen Gesellschaft und die Produktivität des wirtschaftlichen Handelns unterliege dem treibenden Moment, nämlich in der sich ungehemmt verbreiteten Handlungsorientierung jede Art von Kapitalvermögen in Gewinnerwartung einzusetzen.
Mit „Der Zusammenhang von Arbeit und Bildung im Kontext von lebenslangem Lernen und Diversität in der Erwerbsarbeit“ ist das Kapitel von Christine Pichler betitelt. Menschen mit Behinderung oder Benachteiligung seien Diskriminierungen ausgesetzt. Erwerbsarbeit gebe Struktur und Sinn im eigenen Leben und bedeute Inklusion, die ihnen verwehrt blieben.
Von Susanne Dungs wird Kapitel drei geschrieben und zwar zum „Druck und Selbstoptimierung in einer sich wandelnden Arbeitswelt“. Das Individuum sei Produkt eines gelingenden Selbstmanagement, mit dem die eigene Biografie kreativ optimiert und flexibel den Bedingungen des Arbeitsmarktes angepasst werde. Jeder zeichne sich selbst dafür verantwortlich, sich gewinnbringend und erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren.
„Berufliche Integration und duales Berufsausbildungssystem in Österreich – Überbetriebliche Lehrausbildung, verlängerte Lehrzeit, Teilqualifikation und Berufsausbildungsassistenz“ von Beattice Gangl, Martin Klemenjak und Richard Waditzer ist die Überschrift der folgenden Ausführungen und leitet Teil II ein zum Thema „Menschen mit Behinderungen und Benachteiligungen in einer inklusiver werdenden Arbeitswelt“. Hier wird beschrieben, welche Möglichkeiten es gibt, um sich gelingend in den ersten Arbeitsmarkt integrieren zu können.
Über die „Inklusion im Kindergarten – Eine Notwendigkeit für einen inklusiven Arbeitsmarkt?“ schreibt Stephanie Bergmann. In diesem Beitrag wird die These vertreten, dass der Kindergarten, als erste verpflichtend zu besuchende Bildungsinstitution, den Grundstein für gelebte Inklusion legen könne, denn hierdurch könnten die ersten erlernten Fähigkeiten und Kompetenzen zu weiteren Bildungswegen beschritten werden.
„Pro Ausblick Berufsvorbereitung für Jugendliche mit Lernbeeinträchtigung – Chancen und Risiken einer Ausbildung im Rahmen der Behindertenhilfe“ ist ein Beitrag von Silke Watzenig. Lernbeeinträchtigung würde als Lernstörung verstanden. Teilleistungsschwäche stelle eine kognitive Beeinträchtigung dar, wie beispielsweise Legasthenie oder Dyskalkulie. Um diese Startschwierigkeiten abzumildern werden im Rahmen der Behindertenhilfe Leistungen angeboten, die eine Nachreifung und Vorqualifizierung bieten sollen.
Kapitel vier dieses Teil II von Christian Burkia und Michael Maas widmet sich der Thematik „Mit Ich-Kompetenz zur Arbeitswelt – Förderkonzepte des AufBauWerk Schloss Lengberg für junge Menschen in schwierigen Lebenslagen“. Anhand einer Fallvignette wird der berufliche Werdegang mit allen Höhen und Tiefen geschildert, bis er in der Lage war, sich in einen Ausbildungsweg zu wagen.
Mit dem Problem „Generation 50+ im Kontext von Arbeitslosigkeit und Wiedereingliederung. Wissen und Erfahrung als Mehrwert nutzen“ setzen sich die Autoren Uta Kofler, Verena Komposch, Eva Linder, Cosima Mattersdorfer und Richard Waditzer auseinander. Der Beitrag fragt nach den Maßnahmen, die nötig sind, um die Kompetenzen arbeitsloser Menschen der Generation 50+ für Unternehmen attraktiv zu gestalten, damit die Wiedereingliederung auf den ersten Arbeitsmarkt gelingen kann. Ältere gelten als beständig und ausgeglichen, haben eine hohe Zuverlässigkeit und die Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten.
Um den „Umgang mit Widerstand in arbeitsmarktpolitischen Trainingsmaßnahmen“ geht es in den Ausführungen von Marcello Mauritius Ladinig. Widerstand werde als drohenden Verlust von Freiheit und als Gefühl der Fremdbestimmtheit definiert.
Ein weiteres Kapitel wurde von Sandra Murnig verfasst zum Thema „Unterstützung der Handlungsfähigkeit von erwerbslosen Personen durch die Konzepte Lebensbewältigung und Empowerment“. Vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu sein bedeute, ein Abgleiten in prekäre Lebenslagen, das sich im Finanziellen niederschlage, zu psychosomatischen Belastungen führe und sich zur unfreiwilligen Exklusion ausweiten würde.
Das letzte Kapitel im Teil II von Pascale Leder-Schellander trägt die Überschrift „Freiwilliges Engagement für Migrant*innen als ein möglicher Weg zur Integration in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt“. Es wird die Frage gestellt „was bewegt Menschen mit Fluchthintergrund dazu, ein Freiwilliges Engagement aufzunehmen, das unentgeltlich erbracht und Zeit in Anspruch nimmt?“ ( S. 153) Es könne als Brückenfunktion in die Gesellschaft und in die Arbeitswelt verstanden werden.
Teil III „Ausgewählte ‚Modelle‘ und ‚Projekte‘ zur Inklusion und Integration ins Erwerbsleben“ wird mit einem Kapitel von Martin Klemenjak und Heinz Pichler eingeführt mit dem Thema „Bidet euch, denn wir brauchen all eure Klugheit. Zertifizierungslehrgang ‚Soziale Handlungskompetenz für die Betriebsratstätigkeit‘“. Es wird die Geschichte der betrieblichen Mitbestimmungsbemühungen und der inhaltliche Rahmen gesetzlicher Regelungen dargestellt.
„Der Stakeholder-Dialog als partizipativer Ansatz der Exper*inneneinbindung in den Sozialwissenschaften“ steht im Mittelpunkt der Ausführungen von Stephanie Bergmann und Christine Pichler. Hier wurde ein Stakeholder-Dialog exemplarisch mit dem detaillierten Ablauf herausgearbeitet.
Weiter geht es mit einem Kapitel von Kathrin Frank-Larrave zur Thematik „Die Kompetenzanalyse als ressourcenorientierte Maßnahme zur beruflichen Integration von geflüchteten Menschen – Perspektiven in der Sozialen Arbeit“. Diese Zielgruppe weise aufgrund seines jungen Alters sowie ihrer hohen Anzahl das Potenzial zur Nachwuchssicherung auf und sie zeige eine hohe Bereitschaft zur Arbeitsmarktintegration auf.
Das vorletzte Kapitel nennt sich „ChancenForum autArK Soziale Diensleistungs-GmbH. Ein Beispiel für Integration vom Menschen mit Behinderungen am allgemeinen Arbeitsmarkt“ und wurde von Stephanie Bergmann und Katharina Salzmann geschrieben. Wir lebten in einer Arbeitsgesellschaft, die das Ziel verfolge, einen Beitrag jedes Einzelnen zu erreichen. Wobei jedoch als Arbeit nur eine Tätigkeit deklariert werde, die einen Lohn als Austauschmittel biete.
Das Buch endet mit Ausführungen von Edith Zitz zum Problem „‘Als ob ich nie was gearbeitet hätte‘ – zur leichteren Anerkennung von international erworbenen Berufsqualifikationen“. Diese mangelnde Anerkennung verschließe zu einem Viertel der in Österreich lebenden Zuwanderer den Zugang zum Arbeitsmarkt.
Diskussion
Ein Sammelband, der in komplexer Art und Weise die drängendsten Probleme des Wandels der Erwerbsarbeit in Österreich skizziert, die nicht grundsätzlich anders als in Deutschland sind. Es sind Berichte von Forscherinnen und Nachwuchswissenschaftlern, die aus ihrer Arbeit heraus diese gravierenden Probleme diskutieren und immer wieder an der Grenze zum Übergang zum ersten Arbeitsmarkt eingebremst werden. Es ist eine Frage zuvorderst von Jugendlichen mit Beeinträchtigungen, der Generation 50+ sowie von Migranten, die es besonders schwer haben, diesen Übergang zu passieren.
Es ist wie ein Stigma, wenn Menschen als „nicht beschäftigungsfähig“ etikettiert werden, weil der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt blockiert, wenn nicht sogar für immer versperrt ist.
Von der Kapitelabfolge hätte ich mir etwas mehr Stringenz gewünscht, denn die Ausführungen zu Migranten hätten hintereinander platziert werden können. Die Überschriften sind viel zu lang gehalten und stören den Lesefluss. In den Kapiteln selbst gibt es eine eingehaltene Reihenfolge ein Abstract, danach inhaltliche Problemdarstellungen und am Schluss ein Fazit.
Fazit
Ein empfehlenswertes Buch, das nicht nur speziell an Soziologen gerichtet ist, wenn es auch soziologisch stark argumentiert. Die Herausforderung, so die Autoren, bestehe gegenwärtig darin, zu Verantwortung zu ermächtigen sowie individuelles Handeln im Zusammenspiel institutioneller und struktureller Aspekte zu sehen. Es gehe darum, Beeinträchtigte und Behinderte aber auch andere Randgruppen der Gesellschaft nicht nur zu integrieren, sondern vor allem zu inkludieren.
Rezension von
Prof. Dr. habil. Gisela Thiele
Hochschule Zittau/Görlitz (FH)
Berufungsgebiete Soziologie, Empirische
Sozialforschung und Gerontologie
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Es gibt 201 Rezensionen von Gisela Thiele.
Zitiervorschlag
Gisela Thiele. Rezension vom 21.12.2021 zu:
Helmut Arnold, Susanne Dungs, Martin Klemenjak, Christine Pichler (Hrsg.): Wandel der Erwerbsarbeit – Innovative Ansätze der Inklusion. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2021.
ISBN 978-3-7799-6421-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28397.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.
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