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Anja Wipper, Alexandra Schulz: Digitale Lehre an der Hochschule

Rezensiert von Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle, 20.08.2021

Cover Anja Wipper, Alexandra Schulz: Digitale Lehre an der Hochschule ISBN 978-3-8252-5599-2

Anja Wipper, Alexandra Schulz: Digitale Lehre an der Hochschule. Vom digitalen Tool bis zum Blended-Learning-Konzept. UTB (Stuttgart) 2021. 122 Seiten. ISBN 978-3-8252-5599-2. D: 14,90 EUR, A: 15,40 EUR, CH: 19,90 sFr.
Reihe: Kompetent lehren - 11.

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Einführung in das Thema

Die Digitalisierung hat wie nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche auch die Hochschulbildung einem tiefgreifenden Wandel unterworfen, digitale Lernarchitekturen, Szenarien und Medien durchdringen mittlerweile den Lehr- und Studienalltag von Lehrenden und Studierenden. Die Corona-Pandemie war dabei ein eigentlicher Booster für die Lehre, waren doch mit den Lockdowns auch die Hochschulen gefordert, in kürzester Zeit auf vollständige Online-Lehre umzustellen, was neben den bereits vorher breit genutzten Lernplattformen wie Moodle, OLAT oder ILIAS vor allem Videokonferenzsystemen wie Big Blue Button, Webex oder Zoom einen überragende Bedeutung für die Hochschullehre verschaffte. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie ist „Doing Digital“ (Weinhardt) in der Hochschullehre der Alltag.

Hochschulbildung ist ohne digitale Plattformen und Tools nicht erst in den letzten Jahren kaum mehr vorstellbar, jedoch werden sie häufig weit unter den möglichen Potenzialen, vor allem zur Distribution von Lehr-Lernmaterial genutzt – der «PDF-Verschiebebahnhof» ist häufig noch das Standardmodell der Nutzung von E-Learning-Plattformen, auch wenn zunehmend videogestützte, interaktive, kollaborative und feedbackorientierte Szenarien und Elemente Einzug halten. Ein zweites Problem der Online-Lehre ist der Fokus auf Tools, von denen es mittlerweile eine unüberschaubare Vielfalt gibt. Für gute Online-Lehre sind gute Tools notwendig, aber nicht hinreichend. Was sie wirksam und anregend macht, ist eine reflexive Hochschuldidaktik, die die Voraussetzungen der Studierenden berücksichtigt, Lernarchitekturen umsichtig und zielorientiert anlegt, Präsenz- und Distanzlehre stimmig relationiert und allgemein die Prinzipien guten, wirkungsvollen Unterrichts (Meyer 2007; Wahl 2013; Wahl et al. 2020) und guter, evidenzbasierter Hochschullehre (Schneider & Mustafić 2015) aufnimmt – und die Besonderheiten der digitalen Welt berücksichtigt.

Hintergrund des Buches

Hochschuldidaktik hat seit ihrer Krise in den 1990er-Jahren einen enormen Aufschwung erfahren. Die Bedeutung guter Lehre, gerahmt durch den Qualitätspakt Lehre in Deutschland und entsprechenden Rahmungen in Österreich und der Schweiz, spiegelt sich in mittlerweile den fest verankerten Zentren für Hochschuldidaktik, den Qualifizierungsprogrammen für Lehrende und eben auch in der Literatur: Einer der Trends ist auch die in den letzten Jahren angewachsene kompakte und praxisnahe hochschuldidaktische Literatur zur Einführung für Lehrende (Brauer & Fausel 2014; Brendel et al. 2019; Hanke & Macke 2019; Pfäffli 2015).

Das Buch ist nicht die erste praxisnahe Einführung zur Online-Lehre, es reiht sich ein in eine Vielzahl von Publikationen, die zum E- und Blended-Learning schon vor vielen Jahren didaktische Instruktion und Hilfe gaben (Dewe & Weber 2007; Erpenbeck & Sauter 2007; Mayer 2004; Reinmann-Rothmeier & Vohle 2003) und das bis heute in vielen Varianten weiterhin tun (Erpenbeck et al. 2015; Handke 2014; Handke 2017; Kergel & Heidkamp-Kergel 2020). Das Buch ist Teil der Reihe «Kompetent lehren» bei UTB, die von Sabine Brendel, Erziehungswissenschaftlerin und Hochschuldidaktikerin an der FU Berlin, betreut wird.

Die Autorinnen

Dr. Anja Wipper ist Psychologin, Beraterin und Trainerin im Bereich Online-Medien. Dr. Alexandra Schulz ist Ingenieurin für Fahrzeugtechnik und Fachjournalistin. Beide arbeiten an der Zentraleinrichtung für wissenschaftliche Weiterbildung und Kooperation der TU Berlin im Bereich Online-Lehre.

Aufbau und Inhalt des Buches

Das Buch gliedert sich in fünf Hauptkapitel, die von grundsätzlichen Überlegungen zu digitalen Lehr-Lernszenarien bis zur konkreten Umsetzung im Unterricht reichen. Der Fokus liegt auf der Gestaltung von Online-Phasen, digital angereicherten Präsenzveranstaltungen und konsequent inszenierten Blended-Learning-Szenarien, mit Fokus auf dem Inverted Classroom.

Nach der Einführung (in Kapitel 1 setzt Kapitel 2 mit didaktisches und motivationales Design die Grundlagen für Online-Lehrszenarien. Es beschreibt die drei bekannten Konzepte der Anreicherung, Integration und kompletten Virtualisierung von Lehr-Lernarrangements mit digitalen Elementen (d.h. nicht nur «Medien»). Die Autorinnen erläutern die Kernelemente des didaktischen Designs und zeigen auf, wie Stoffvermittlung, Aktivierung und Betreuung der Lernenden sowie Kommunikation der Akteure, Distribution der Lerninhalte und aktive Auseinandersetzung mit ihnen arrangiert und gefördert werden können. Zur Orientierung für die Setzung von Kompetenzzielen dient die erweiterte bloomsche Lernzieltaxonomie nach Euler & Hahn.

Die motivationspsychologische Seite von Online-Lehre verdient besondere Aufmerksamkeit, da Studierende im begleiteten wie auch im freien Selbststudium ein erhebliches Maß an Motivation und Selbstregulation benötigen, um wirksames Lernen in Gang zu bringen. Die Autorinnen erläutern motivationsfördernde Bedingungen von Lehr-Lernszenarien auf der Basis der Selbstbestimmungstheorie von Decy & Ryan (1993) und des ACRS-Modells nach Keller (1999).

Kapitel 3 regt an zum Onlinephasen gestalten. Dabei nimmt es die motivationalen und didaktischen Grundprinzipien aus Kapitel 2 wieder auf und gibt Anleitung zur Bereitstellung von Lerninhalten, der Gestaltung sinnvoller Aufgaben, der Ermöglichung von Kommunikation und der nötigen Verzahnung mit Präsenzphasen der Lehrveranstaltungen.

Kapitel 4 Präsenzveranstaltungen anreichern – vermittelt didaktisch relevante Grundlagen für «digitale Helferlein in Vorlesung und Seminar». Dabei verzichten die Autorinnen auf das unmögliche Unterfangen, die unüberschaubare Menge an Tools einzuführen. Stattdessen orientieren sie über den didaktisch zielführenden Einsatz in vier ausgewählten Aspekte des Unterrichtshandelns:

  • Lernstandserfassung (exemplarisch Quizzes mit Kahoot! und Peer Instruction mit PINGO),
  • Rückmeldungen über Lernprozesse (exemplarisch Muddiest Point und Wissensabfragen mit Socrative, Fragensammlung von frag.jetzt),
  • Unterstützung von Kollaboration (Brainstorming mit Padlet, Think-Pare-Share mit ONCOO, «Kopfstand» mit Miro-Board),
  • Feedback zu Lernergebnissen («Zielscheibe» mit Mentimeter, Blitzlicht mit tweedback).

Kapitel 5 konkretisiert die Umsetzung von Blended-Learning-Szenarien. Die Unterstützung von Präsenzveranstaltungen mit aufgabenorientierten Onlinephasen wird als Klassiker vorgestellt und mit zwei Beispielen zum Rollenspiel mit WIKI und Forum, sowie der Medienproduktion durch Studierende vertieft. Der in den letzten Jahren weitverbreitete Inverted Classroom wird in den Grundzügen eingeführt und die Gestaltung eine ICR-Veranstaltung beschrieben. Das Kapitel schließt mit einem ersten Blick in den ICR-Werkzeugkoffer mit einigen Essentials zur Produktion der für ICR unabdingbaren Videos oder Podcasts sowie zu Texten und Tests, die das Selbststudium im ICR anregen. Als Kern aktivierender Präsenzveranstaltungen wird das aktivierende Plenum eingeführt. Als dritte Form einer integrierten Blended-Learning-Architektur wird Orientierung zur OnIine-Begleitung von Projekten gegeben. Als Methoden dienen exemplarisch kollaborativ erstellte WIKIs und Projekttagebücher mit Weblogs.

Die kurze Schlussbemerkung enthält einen wichtigen Hinweis für alle werdenden Online-Dozierenden – «good enough» statt Feinschliff bei den ersten Versuchen zu wollen, und Gelassenheit und Neugier statt Perfektion anzustreben – sonst bleiben die Versuche in der Schublade.

Den Schluss bildet das Literaturverzeichnis, Weblinks und Webquellen für Tools sind im Text zu suchen, bei der Literatur nicht zu finden.

Diskussion

Das Buch ist eine gelungene, kompakte, gut verständliche und praxisnahe Einführung ins Online-Teaching. Es fokussiert auf die richtigen Aspekte für eine große Breite von Lehrveranstaltungen an Hochschulen und für Einsteiger im Bereich Onlinelehre. Dabei zeigt es Möglichkeiten für eher wissensorientierte Lehrveranstaltungen wie auch für Methodenlehre oder handlungsorientierte Szenarien wie Projekte auf. Für explorativere oder verstärkt an Skills orientierte Szenarien gibt es eher weniger Futter – hier könnte ein weiterer Schwerpunkt hilfreich sein (z.B. für Online-Teile zu Kommunikations- oder Beratungstrainings, kasuistischen Werkstätten oder Wahlmodulen mit Vertiefung und individualisierter Lernschwerpunkten). Die didaktische Einordnung und Rahmung ist hilfreich und das Buch gibt Orientierung jenseits der Flut an Tools, nimmt aber beispielhaft Tools auf, die leicht erlernbar und nutzbar sind. Das Primat der Didaktik verhindert Toolversessenheit, denn gute Online-Lehre geht von guter Didaktik aus. So ist das Buch mit 122 Seiten eine praxisnahe Hilfe für Neulinge im Online-Teaching, das sein Wissen gut visualisiert und aufbereitet. Und auch für Blended-Learning-Veteranen wie den Rezensenten hält das Buch einige Überraschungen bereit. Hilfreich wäre eine Liste von Webtools am Schluss des Buchs zum schnelleren Download, sowie der Verweis auf Vertiefungsmöglichkeiten, z.B. bei auf der unerschöpflichen Seite von e-teaching.org.

Geht Online-Lehren nach der Aneignung des Buchs über den PDF-Verschiebebahnhof hinaus? Auf jeden Fall.

Fazit

Eine kleine und feine, gut verständliche und kompakte, praxisnahe und aktuelle Einführung ins Online-Teaching – allen Lehrenden zu empfehlen, die Ambitionen haben, ihr Post-Corona-Emergency-Remote-Teaching zu optimieren und zu vertiefen.

Quellenverzeichnis

Brauer, M. & Fausel, A. (2014). An der Hochschule lehren: Praktische Ratschläge, Tricks und Lehrmethoden. Berlin: Springer Berlin.

Brendel, S., et al. (2019). Kompetenzorientiert lehren an der Hochschule. Opladen Toronto: Verlag Barbara Budrich.

Decy, E. L. & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik. 39. Jg. (3). S. 223–238

Dewe, B. & Weber, P. J. (2007). Einführung in moderne Lernformen. 1. Aufl. Weinheim u.a.: Beltz.

Erpenbeck, J. & Sauter, W. (2007). Kompetenzentwicklung im Netz. New Blended Learning mit Web 2.0. Köln: Luchterhand.

Erpenbeck, J., et al. (2015). E-Learning und Blended Learning. Selbstgesteuerte Lernprozesse zum Wissensaufbau und zur Qualifizierung. Wiesbaden: Springer Gabler.

Handke, J. (2014). Patient Hochschullehre: Vorschläge für eine zeitgemäße Lehre im 21. Jahrhundert. Marburg: Tectum.

Handke, J. (2017). Handbuch Hochschullehre Digital. Leitfaden für eine moderne und mediengerechte Lehre. 2., überarb. Aufl. Baden-Baden: Tectum Verl.

Hanke, U. & Macke, G. (2019). Besser lehren in der Zukunft und für die Zukunft. Festschrift für Gerd Macke. 1. Aufl. Weinheim; Basel: Beltz Juventa Verl.

Keller, J. M. (1999). Using the ARCS Motivational Process in Computer-Based Instruction and Distance Education. In: New Directions for Teaching and Learning. (78). S. 39–47

Kergel, D. & Heidkamp-Kergel, B. (2020). E-Learning, E-Didaktik und digitales Lernen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Mayer, H. O. (2004). Handlungsorientiertes Lernen und eLearning. Grundlagen und Praxisbeispiele. München u.a.: Oldenbourg.

Meyer, H. L. (2007). Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen Scriptor.

Pfäffli, B. K. (2015). Lehren an Hochschulen eine Hochschuldidaktik für den Aufbau von Wissen und Kompetenzen. Bern: Haupt.

Reinmann-Rothmeier, G. & Vohle, F. (2003). Didaktische Innovation durch Blended Learning Leitlinien anhand eines Beispiels aus der Hochschule. Bern: Verlag Hans Huber.

Schneider, M. & Mustafić, M. (2015). Gute Hochschullehre: Eine evidenzbasierte Orientierungshilfe. Wie man Vorlesungen, Seminare und Projekte effektiv gestaltet. Berlin: Springer.

Wahl, D. (2013). Lernumgebungen erfolgreich gestalten: vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Wahl, D., et al. (2020). Wirkungsvoll unterrichten in Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Rezension von
Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten/Schweiz
Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement
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Es gibt 38 Rezensionen von Wolfgang Widulle.

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ISSN 2190-9245