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Hilde Schädle-Deininger: Der Geschichte eine Zukunft geben

Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 20.07.2021

Cover Hilde Schädle-Deininger: Der Geschichte eine Zukunft geben ISBN 978-3-96605-134-7

Hilde Schädle-Deininger: Der Geschichte eine Zukunft geben. Psychiatrische Pflege 1960 bis 1990. Psychiatrie Verlag GmbH (Köln) 2021. 249 Seiten. ISBN 978-3-96605-134-7. D: 29,00 EUR, A: 29,90 EUR.

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Thema

Das Buch „Der Geschichte eine Zukunft geben“ beschäftigt sich mit der Entwicklung der psychiatrischen Pflege von 1960 bis 1990 und zeigt anhand ausgewählter Dokumente, wie sich berufliches Selbstverständnis, berufliche Identität und spezifisch pflegerisch-psychiatrische Inhalte als Basis für fachlich-qualifiziertes Handeln herausgebildet haben – bis zum heute allgemein akzeptierten Paradigma einer patientenorientierten, partnerschaftlichen und zugewandten Grundhaltung, begleitet von kontinuierlicher ethischer Reflexion der eigenen Arbeit.

Autorin

Verfasst wurde das rund 250 Seiten starke Buch von der Krankenschwester, Lehrerin für Pflegeberufe, Diplom-Pflegewirtin sowie Fachkrankenschwester für Psychiatrische Pflege Hilde Schädle-Deininger (Jahrgang 1947), die zu den renommiertesten Reformerinnen der psychiatrischen Pflege in Deutschland gehört. Die Pflegewissenschaftlerin (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hilde_Schädle-Deininger), auf deren verbandlichen und publizistischen Anstrengungen nicht zuletzt die „Fachkrankenpflege Psychiatrie“ zurückgeht, hat sich auch als Fachbuchautorin einen Namen gemacht. So war sie unter anderem (mit Asmus Finzen) Gründerin der „Werkstattschriften zur Sozialpsychiatrie“ und (gemeinsam mit Asmus Finzen, Klaus Dörner und Ursula Plog) des Psychiatrie Verlags, ebenso wie der Fachzeitschriften „Psychiatrische Pflege Heute“ (PPH) und „praxis wissen psychosozial“. Unter ihren zahlreichen Publikationen entfaltete insbesondere das 1996 (gemeinsam mit Ulrike Villinger) verfasste Buch „Praktische Psychiatrische Pflege – Arbeitshilfen für den Alltag“ (Bonn 1996; 3. Auflage Köln 2014) sowie die Bücher „Fachpflege Psychiatrie“ (München 2006) und „Basiswissen Psychiatrische Pflege“ (Bonn 2008) eine besonders breite Wirkung.

Die Autorin, die von 2012 bis 2018 an der Fachhochschule Frankfurt am Main die Weiterbildungseinrichtung für Psychiatrische Pflege leitete und unter anderem mit der Frankfurter Pflegewissenschaftlerin Prof. Dr. Hilde Steppe (1947-1999) in engem Kontakt stand, war auch Mitbegründerin des Vereins zur Förderung der historischen Pflegeforschung, in dem sie heute noch – gemeinsam mit Eva-Maria Ulmer und Doris John-Ohmer – als Vorstandsmitglied aktiv ist.

Zu den Hauptanliegen von Hilde Schädle-Deininger gehören eine eigenständige Psychiatrische Pflege, vor allem im ambulanten Bereich, um eine umfassende Betreuung und Begleitung von psychisch erkrankten Menschen mit anderen zu diskutieren und zu gewährleisten. Da für sie ganz selbstverständlich hierzu auch Betroffene und Angehörige gehören, sind ihr die Pflegebildung und nicht zuletzt die Fort- und Weiterbildung der Psychiatrischen Pflege ein Herzensanliegen.

Entstehungshintergrund

Mit der vorliegenden Arbeit knüpft die Autorin einerseits an ihre Diplomarbeit aus dem Jahre 2001 an, in der sie sich mit dem Thema „Qualifikation und Qualität psychiatrischer Pflege“ auseinandersetzte, andererseits an ihr derzeit laufendes Dissertationsprojekt zu den „Entwicklungen psychiatrischer Pflege in der Bundesrepublik Deutschland von 1960 bis 1990“, in dem sie zentrale Entwicklungslinien und Handlungsreformen einer sich zunehmend differenzierenden und emanzipierenden Disziplin im eingegrenzten Zeitraum untersucht.

Aufbau

Nach Verzeichnissen der Abbildungen, Tabellen und Abkürzungen sowie Geleitworten von Prof. Dr. Johann Behrens von der Medizinischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg und dem Pädagogen und Erfahrungsexperten Elias Nolde (Münster), gliedert sich das Buch in die folgenden acht Kapitel, die ihrerseits jeweils zahlreiche Unter- und Nebenkapitel aufweisen:

  1. Einführung und Grundlagen
  2. Grundlegende Materialien, Fragen und Zielsetzungen im Kontext der Entwicklung psychiatrischer Pflege
  3. Pflegefachlicher Kontext und Begriffsklärung
  4. Geschichtlicher Zusammenhang und weitere Aspekte
  5. Zentrale Aspekte und methodisches Vorgehen
  6. Betrachtung der einzelnen Materialien
  7. Auswertung der Materialien
  8. Zusammenfassung und Ausblick

Am Ende des Buches findet sich ein Literaturverzeichnis. Ergänzende umfangreiche Materialien und Dokumente, auf die im Text verwiesen wird, sind im Internet mit einem Passwort abrufbar.

Wie Hilde Schädle-Deininger in ihrem Vorwort schreibt, sollen mit diesem Buch „Teilaspekte der pflegerischen Fortschritte in den Jahren 1960 bis 1990 dargelegt und analysiert werden, um Anteile psychiatrisch-pflegerischer Entwicklungsschritte zu verdeutlichen und festzuhalten“ (S. 21). Ein kritisches Draufsehen auf Inhalte, Berufsausübung und alltägliches Handeln, sowohl bezogen auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart, seien notwendig, um Fehlentwicklungen zu vermeiden und Erreichtes, das sich als geeignet und begründet herausgestellt hat, zu bewahren und als Bestand zu betrachten. Im Kontext der psychiatrischen Pflege müsse es auch immer um ethisch begründbare, humanistische und am einzelnen Menschen und seinem Umfeld orientierte Konzepte gehen. Mit der vorliegenden Veröffentlichung möchte die Autorin zugleich einen Anstoß geben, „weitere Recherchen zu machen, Materialien jeglicher Art zu sichten, Erlebtes aufzuschreiben und die Sichtweisen auf die psychiatrische Pflege zu ergänzen“ (S. 23). Der an einen Werbeslogan des Jüdischen Museums Berlin („Damit Geschichte Zukunft hat“) angelehnt Buchtitel „Der Geschichte eine Zukunft geben“ drücke dabei exakt ihr Anliegen aus.

Den zeitlichen Rahmen von 1960 bis 1990 wählte Hilde Schädle-Deininger, weil „in dieser Zeit entscheidende Entwicklungen angestoßen wurden. Diese werden immer wieder in einen Gesamtzusammenhang gestellt, um das Berufsfeld Pflege und den psychiatrisch-psychosozialen Kontext sowie die damit verbundenen Entwicklungsschritte aufzuzeigen und die einzelnen Aspekte nicht isoliert zu betrachten“ (S. 31). Abgesehen davon, dass die Reformen – vor allem auch in anderen Ländern – Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre begannen und sich teilweise auch auf Deutschland ausgewirkt haben, war der Autorin beim gewählten Zeitraum auch wichtig, dass einerseits genügend zeitlicher Abstand zu den verheerenden Auswirkungen und der damit verbundenen Verstrickung der Pflege während der NS-Zeit vorhanden war, dies andererseits jedoch in den Nachwirkungen berücksichtigt und wo notwendig darauf eingegangen werden konnte. Hinsichtlich des Jahres 1990 habe die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und die gleichzeitig einsetzende Akademisierung der Pflege einen charakteristischen Eckpunkt für die Veränderungen gesetzt.

Vor diesem Hintergrund verfolgt Hilde Schädle-Deininger mit ihrer Arbeit, wie sie einleitend schreibt, „eine so weit wie möglich umfassende Darstellung, punktuelle Analyse und Integration der vielschichtigen Zusammenhänge von beruflichem Selbstverständnis in der psychiatrischen Pflege, ihrer fachlich-theoretischen Inhalte und der Entwicklung pflegerischer Identität in ihrer wesentlichen Wechselwirkung im eingegrenzten Zeitraum“ (S. 35) Oder, wie sie es an anderer Stelle formuliert: „Mir geht es bei diesen Aufzeichnungen darum, die Ansätze und den Bestand der psychiatrischen Pflege und die bereits gelungene Entwicklung festzuhalten und dabei immer wieder den Bezug ganz allgemein zur Profession Pflege und zu pflegerischen Bildungsfragen herzustellen, um in diesem Gesamtzusammenhang über Veränderungsnotwendigkeiten nachzudenken“ (S. 41).

Davon ausgehend, dass das berufliche Selbstverständnis, die berufliche Identität und die spezifisch pflegerisch-psychiatrischen Inhalte die Basis für fachlich-qualitatives Handeln hinsichtlich eines konstruktiven Miteinanders aller Beteiligten auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen Funktionen bilden, geht die Autorin insbesondere den beiden folgen Fragen nach:

  • Inwieweit lassen sich pflegerische Inhalte in den Jahren 1960 bis 1990 aus den herangezogenen Materialien identifizieren?
  • Lassen sich daraus Merkmale hinsichtlich des Selbstverständnisses und der Identität psychiatrisch-professioneller Pflege herausfiltern?

Bei ihrer Darstellung stützt sich Hilde Schädle-Deininger auf die Diskussionsergebnisse des Arbeitskreises Pflege in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP), die inhaltlichen Auswertungen von Pflegetagungen, insbesondere der Aktion Psychisch Kranke e.V. (APK), sowie die psychiatrische Pflegeliteratur. Diese Quellen werden durch eine Befragung (Interviews) der Weiterbildungsstätten für Fachpflege in der Psychiatrie und Interviews mit Kolleg*innen aus der ehemaligen DDR sowie durch einen punktuellen Blick in internationale Gegebenheiten ergänzt. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind schließlich die langjährigen, persönlichen subjektiven Erfahrungen der Autorin in unterschiedlichen Arbeitsbereichen der psychosozialen Versorgung.

Inhalte

Nach der Einführung (S. 23–33) und einem Überblick über grundlegende Materialien sowie den Fragen und Zielsetzungen im Kontext der Entwicklung psychiatrischer Pflege (S. 35–58), wendet sich Hilde Schädle-Deininger im dritten Kapitel (S. 59–71) dem pflegefachlichen Kontext und Begriffsklärungen zu, wobei sie betont, dass Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung vielfältiger Hilfen bedürfen. Die pflegerischen Hilfsangebote müssten individuell zugeschnittene Angebote, Unterstützung und pflegerische Begleitung sowie Betreuung bieten. Kooperation, Koordination und Zusammenarbeit sowie Kommunikation seien dabei die Basis einer multiprofessionellen psychiatrischen Versorgung. Ebenso sei eine regelmäßige gemeinsame Überprüfung, inwieweit Versorgungskonzepte und Angebote nach dem Bedarf von Betroffenen und sozialem Umfeld entsprechen, unter Einbeziehung aller Beteiligten (Profis, Betroffene und Angehörige) unerlässlich. Zusammenfassend hält sie hierzu wörtlich fest: „Psychiatrische Pflege muss die psychiatrische Versorgung kritisch begleiten, um Vermittler zu sein und die Interessen von Betroffenen sowie Angehörigen zu vertreten und gemeinsam zu arbeiten. Dazu gehört, dass sie ihre Auffassungen und theoretischen Grundlagen regelmäßig überprüft, entsprechende Pflegeforschung anstößt und ideologische Ansätze aufmerksam und genau auf ihre theoretische und praktische Tauglichkeit, aber auch ethisch hinterfragt. […] Um gute Versorgung zu praktizieren, ist es unabdingbar, Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige sowie Bürger an der Planung zu beteiligen, um deren Qualität beurteilen sowie Veränderungen anstoßen zu können“ (S. 71).

Im vierten Kapitel (S. 73–117) greift die Autorin zentrale Aspekte auf, die aus ihrer Sicht bedeutende Einflüsse auf die Entwicklung der psychiatrischen Pflege hatten beziehungsweise haben und die berufliche Sozialisation, Identität und das pflegerische Selbstverständnis wesentlich beeinflussen und prägen. Neben einem Blick auf die Pflege während der NS-Zeit stellt sie dabei insbesondere die Eckpfeiler der Psychiatrie-Entwicklung seit 1960 in der BRD und der DDR vor, darunter etwa die Psychiatrie-Enquête, das Modellprogramm Psychiatrie und die Expertenkommission sowie die Personalverordnung Psychiatrie. Über ihre dabei persönlich gemachten Erfahrungen hält sie unter anderem fest: „Unsere Zielsetzungen gingen häufig mit einem erheblichen Einsatz von Freizeit und finanziellen Einbußen einher. […] Ein Teil einer Bewegung zu sein, mit tragenden Personen der Reform zu arbeiten und durch Engagement und Einsatz zu einer Entwicklung mit beitragen zu können, hat mein psychiatrisch-berufliches Leben nachhaltig geprägt“ (S. 97).

Anhand ihres im Verlauf mehrerer Jahrzehnte zusammengetragenen Materials ordnet und belegt Hilde Schädle-Deininger im fünften Kapitel (S. 119–139) die Hintergründe und Sachverhalte der psychiatrischen Pflege, wobei sie insbesondere zwei Fragen nachgeht: Einerseits, welche psychiatrisch-pflegerischen Inhalte sich in den Jahren von 1960 bis 1990 identifizieren lassen, und andererseits, welche Merkmale und Konzeptionen sich wahrnehmen lassen, die psychiatrische Pflege in ihrem Selbstverständnis und ihrer Identitätsentwicklung kennzeichnen?

Im sechsten Kapitel (S. 141–159) stellt die Autorin die ihrer Arbeit zugrunde liegenden Materialien näher vor, um entsprechende Aussagen im Sinne der Forschungsfragen ableiten zu können. Konkret untersucht sie dabei die Psychiatrische Pflegeliteratur bis 1977, die psychiatrische Pflegeliteratur von 1980 bis 1988, die Psychiatrischen Pflegetagungen 1960 bis 1990 und die Anregungen vom Arbeitskreis Pflege in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (DGSP). Aufgrund ihrer Betrachtung der relevanten Lehrbücher stellt Hilde Schädle-Deininger fest, dass „im Zeitraum von 1960 bis 1990 die Grundlagen psychiatrischer Pflege zunehmend von der Pflege selbst veröffentlicht wurden und somit auch die grundlegenden Konzeptionen Wissen, Identität, Verantwortung und Handeln im Laufe der Jahre, vor allem an Anfang 1980, zunehmend beschrieben und verankert sind“ (S. 156). Dadurch sei medizinisches Wissen in den Hintergrund getreten und eher in einen Gesamtzusammenhang gebracht worden.

Aufgrund ihrer „Auswertung der Materialien“ – der Literatur, der Pflegetagungen, der Dokumente des Arbeitskreises Pflege in der DGSP, die Befragung der Weiterbildungsstätten sowie der Interviews von Kolleginnen aus der DDR – im siebten Kapitel (S. 161–212) kommt die Autorin zu der Erkenntnis, „dass das bisher schon Vorhandene, vor allem Inhalte und Identität in der psychiatrischen Pflege, teils vernachlässigt wurde und gegenwärtig in vieler Hinsicht weiterhin nahezu unbeachtet bleibt.“ Deshalb müsse, so ihre Forderung, das Vergangene benannt, festgehalten sowie weiter vertieft und beforscht werden.

In ihrer im siebten Kapitel (S. 213–233) präsentierten „Zusammenfassung und Ausblick“ weist Hilde Schädle-Deininger zunächst darauf hin, dass in Folge der Psychiatrie-Enquête viele Veränderungen möglich waren und durch deren Bestandsaufnahme einiges bereits in ihrem Vorfeld nach dem vorhandenen Stand und den gegebenen Möglichkeiten angestoßen, erweitert und vertieft wurde, jedoch auch vieles noch weitergedacht und entwickelt werden muss. Aufgrund ihrer Untersuchung hält sie zusammenfassend sodann wörtlich fest: „Es besteht kein Zweifel, dass sich die psychiatrische Pflege von 1960 bis 1990 mit ihren psychiatrisch-pflegerischen Inhalten, ihrer Identität und ihren originären Aufgaben durchaus auseinandergesetzt und weiterentwickelt hat. Dies konnte mit den in dieser Arbeit sich herauskristallisierenden Konzeptionen Wissen, Vertrauen, Verantwortung und Handeln aufgezeigt und belegt werden“ (S. 215).

Trotz dieser positiven Einschätzung müssten, so die Autorin, in der (psychiatrischen) Pflege, wenn sie künftig durch professionelle Eigenständigkeit und berufliche Identität gekennzeichnet sein soll, einige zentrale Punkte überdacht, verändert und weiterentwickelt werden. Dazu gehöre eine klare Differenzierung unterschiedlicher Ebenen, in denen die Tätigkeit Pflege praktiziert wird, aber auch eine klare Entscheidung, wie Pflegebildung in Zukunft aussehen soll: „In der Praxis sind gut ausgebildete, akademisierte Pflegeexperten erforderlich, um eine qualitativ gute Pflege zu gewährleisten, die (psychiatrische) Versorgung gleichberechtigt mitzugestalten und entsprechend fundierte pflegerische Konzepte zu erarbeiten und zu implementieren, um so fachlich gleichberechtigt im Team zu einer Gesamtbehandlung, Begleitung und Betreuung beizutragen“ (S. 217).

Diskussion

Die Zahl der neu erscheinenden Publikationen im deutschsprachigen Raum zur Geschichte der Krankenpflege im Allgemeinen und erst recht zu einzelnen Bereichen, wie etwa der psychiatrischen Pflege im Besonderen, ist gut überschaubar. Entsprechende Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte entstanden zumeist im Rahmen von Zulassungsarbeiten an Hochschulen, wobei die bearbeiteten Themen nicht zuletzt auf dem persönlichen Interesse ihrer Autor*innen beruhen. Angesichts der Tatsache, dass es hierzulande – trotz einer inzwischen großen Zahl etablierter Pflege-Studiengängen an Fachhochschulen und Universitäten – noch immer keinen einzigen Lehrstuhl zur Geschichte der Pflege gibt, ist es nicht weiter verwunderlich, dass noch viele pflegehistorisch relevante Fragestellungen unbeantwortet sind.

Angesichts dieser Situation darf man sich umso mehr darüber freuen, dass die Pflegewissenschaftlerin Hilde Schädle-Deininger nun ein Buch vorgelegt hat, in dem sie sich mit der Psychiatrischen Pflege von 1960 bis 1990 auseinandersetzt. Unter der Überschrift „Der Geschichte eine Zukunft geben“ stellt sie darin – auf wissenschaftlicher Grundlage sowie als wesentliche Zeitzeugin und Wegbereiterin – zum besagten Zeitraum anhand bisher kaum ausgewerteter Unterlagen grundlegende Entwicklungen und Inhalte in der psychiatrischen Pflege, der psychiatrischen Rahmenbedingungen und der Reformgeschichte vor. Das Disziplinfeld Psychiatrie sowie die psychiatrische Pflege spielten demnach in der Wahrnehmung professioneller Pflege in den Jahren von 1960 bis 1990 eine untergeordnete Rolle und wurden von den somatisch tätigen Kolleg*innen eher als randständig angesehen.

Ihre auf breiter Quellenbasis entstandene Arbeit – die nicht nur tiefe Einblicke in die Entwicklung der psychiatrischen Pflege im eingegrenzten Zeitraum gewährt, sondern zugleich auch wertvolle Denkanstöße für neue Erkenntnisse, neue Fragen und die Weiterentwicklung psychiatrischer Pflege gibt – ist dabei umso bedeutsamer, als es bisher über die untersuchte Zeitspanne als geschichtlicher Entwicklungszeitraum und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Ausübung psychiatrischer Pflege im Bewusstsein von professionell Pflegenden und deren berufspolitische Zusammenhänge nur punktuelle Veröffentlichungen gibt, die das Vorhandene dieser Jahre festhalten, Fortschritte aufzeigen und eine Verbindung zu den derzeitig aktuellen Diskussionen sowie Entwicklungen vereinzelt und schwerpunktmäßig herstellen. Insofern hat die Autorin einen wichtigen Beitrag zur historischen Pflegeforschung geleistet. Ihr beeindruckendes Buch, das in den Bibliotheken der Ausbildungseinrichtungen und Hochschulen des Gesundheitswesens einen festen Platz haben sollte, sei insbesondere all jenen zur Lektüre wärmstens empfohlen, die sich über die Geschichte und Entwicklung der Sozialpsychiatrie und der psychiatrischen Pflege (der Jahre von 1960 bis 1990) und deren Weiterentwicklung informieren möchten.

Fazit

„Der Geschichte eine Zukunft“ ist ein auf breiter Quellenbasis basierendes, äußerst informatives und kurzweilig zu lesendes Buch zur Entwicklung der Sozialpsychiatrie und psychiatrischen Pflege von 1960 bis 1990, dem eine große Leserschaft zu wünschen ist.

Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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Es gibt 192 Rezensionen von Hubert Kolling.

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ISSN 2190-9245