Matthias Bartscher: Bildungs- und Erziehungspartnerschaften in Schulen I
Rezensiert von Dipl. Päd. Martin Zauner, 28.07.2022
Matthias Bartscher: Bildungs- und Erziehungspartnerschaften in Schulen I. Zusammenarbeit mit Eltern lebensweltorientiert planen und gestalten. Friedrich Verlag GmbH (Seelze) 2021. 200 Seiten. ISBN 978-3-7727-1520-4. D: 22,95 EUR, A: 22,95 EUR.
Thema und Entstehungshintergrund
Die alles umspannende Klammer dieses Buches ist die Überzeugung, dass es gemeinsam meist viel besser geht, besser als allein oder gar gegeneinander. Das ist im Grunde banal oder wäre es zumindest, wenn … ja, wenn es da nicht diese „Wirklichkeit“ gäbe.
Um wen geht es, d.h. wer sollte idealerweise kooperieren, gemeinsam gestalten, gemeinsam Besseres schaffen? Antwort: Schulen und Eltern in sogenannten Bildungs- und Erziehungspartnerschaften.
Dafür gibt es auch gute Gründe, die aber an anderer Stelle konkreter darzustellen sind. Daher mögen hier, sozusagen als grobe Absteckung des Claims, ein paar vielleicht auch willkürlich ausgesuchte Spots ausreichen:
- Schulen und Eltern erziehen sowieso. Wäre es nicht günstig, wenn sie das mit- und nicht neben- oder gegeneinander tun?
- Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen hin zu lebenskompetenten Menschen ist ein sehr komplexes Vorhaben, das in einem umfänglichen und ganzheitlichen Anspruch die jeweiligen Protagonisten vermutlich auch überfordert.
- Und dann soll hier noch der Hinweis auf die hohe Korrelation zwischen Schulerfolg und sozialer Herkunft angeführt sein, als weiterer Aspekt, nicht als finales Totschlagargument.
Matthias Bartscher legt über seine Ausführungen und Ideen zu solchen Bildungs- und Erziehungspartnerschaften den Teamgedanken, sozusagen als motivierende Vision, die er aber wohltuend für den Alltag erdet. Team steht für die Idee eines ehrlichen Austausches, einer ehrlichen Offenheit gegenüber Bedürfnissen und Lebenswelt(en) der jeweils anderen, idealerweise für wertschätzende Augenhöhe und so überhaupt nicht für Konkurrenz und Besserwisser- bzw. -könnerei. Um es im Vorfeld schon klar zu formulieren: Matthias Bartscher lebt (für) diese Vision und er hat ein paar wirklich gute Anregungen zu Anbahnung und Umsetzung.
Und das ist gut! Denn so wünschenswert Bildungs- und Erziehungspartnerschaften zwischen Schulen und Eltern für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler auch wären, so fast schon natürlicherweise schwierig gestalten sie sich oftmals in der Praxis. Wieso eigentlich? Genau damit befasst sich dieses Buch und dann noch mit der Frage, wie es (trotzdem) funktionieren könnte …
Zielgruppe des Buches
Das Buch richtet sich an alle Akteurinnen und Akteure in Schulen, die vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Funktion und Rolle beruflich mit Eltern kooperieren. Das sind Lehrkräfte und Schulleitungen, (Schul-) Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher, schulpsychologische Fachkräfte und eben auch andere mehr.
Autor
Matthias Bartscher ist sehr glaubhaft ein ausgewiesener Experte, der es versteht, seine offensichtlich enorme Praxiserfahrung mit großem theoretischen Wissen und großer Reflexionsgabe zu verknüpfen. Das soll an dieser Stelle genügen, denn: wo fängt man an und wo hört man auf. Bei weiterem Interesse sei auf seine Homepage verwiesen: www.bartscher.info (14.07.2022).
Aufbau und Strategie
Die Grundstrategie des Buches folgt der Fragestellung, wie eine Zusammenarbeit mit Eltern zu echten Bildungs- und Erziehungspartnerschaften (weiter-) entwickelt und optimiert werden kann. Diese Strategie folgt konsequent der Prozesslogik 1) Definierung von Rahmenbedingungen und Zielen, 2) Bestimmung von Handlungsoptionen und 3) Umsetzung. Das Buch gliedert sich dabei in drei Teile, die diesen Weg nachzeichnen und ihrerseits natürlich funktional im übergreifenden Kontext von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften zwischen Schule und Elternhaus stehen.
- Teil 1 „Familie und Schule – Perspektiven“ erörtert grundsätzlich die Pluralität von Familien bzw. Familienentwürfen vor dem Hintergrund vielfältiger und sich ändernder gesellschaftlicher Dynamiken. Zentral geht es dabei auch um Bildungsbenachteiligungen, die aus vielerlei Gründen erwachsen können. Und es geht um das enorme und im Grunde unverzichtbare Bildungspotenzial, das in Familien liegt.
- Teil 2 „Fachliche Grundlagen“ sucht nach Konzepten, die möglichst abgesichert eine Zusammenarbeit mit Eltern, insbesondere auch mit „schwer erreichbaren“, unterstützen. Hier orientiert sich der Autor federführend am Konzept der Lebensweltorientierung von Hans Thiersch.
- Teil 3 „Praxis gestalten“ bietet Anregungen für eine Umsetzung vor der Leitfrage, wie Bildungs- und Erziehungspartnerschaften so gemanagt und gestaltet werden können, dass sie einen Benefit für die Schülerinnen und Schüler haben. Denn darum geht es ja letztendlich.
Konsequent und dennoch speziell behandelt das abschließende Kapitel das Thema Kinderschutz, auch mit Blick auf Kindeswohlgefährdungen.
Für die Praxis, das heißt die praktische Gestaltung von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften, finden sich an vielen Stellen des Buches konkrete Schlussfolgerungen und Tipps. Des Weiteren stehen umfangreiche Downloadmaterialien als PDFs und als Word-Dokumente zur Verfügung.
Inhalt
Teil 1: Familie und Schule – Perspektiven
„Eltern zu sein und ein Kind auf seinem Weg zu begleiten, ist ziemlich schwierig geworden …“, so könnte der erste Teil zusammengefasst werden. Dieser nimmt eine Bestandsaufnahme vor, gibt einen Überblick über Protagonisten, Rahmenbedingungen und Perspektiven einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft.
Kapitel 1 „Familie und Schule im Wandel – Herausforderungen für die Praxis“ möchte die Leserinnen und Leser, im Speziellen also die oben angedeutete Zielgruppe der Profis in Schulen, dabei unterstützen, von eigenen familiären Prägungen und Erfahrungen zu abstrahieren und eine professionelle und wertschätzende Perspektive auf andere, manchmal vielleicht auch irritierend wirkende Familienkonzepte und Lebenswelten zuzulassen. Es geht also grundlegend um ein (Re-) Framing und um Fairness.
Dazu beleuchtet der Autor zunächst Aspekte im Bildungssystem, aus denen bildungsbenachteiligende Effekte erwachsen können, etwa die soziale Herkunft, ungünstige sozioökonomische Bedingungen oder auch fehlende positive Vorbilder. Diese und weitere Dinge werden auch vor der Fragestellung erörtert, wie denn das „kulturelle Kapital“ (Bourdieu) gerade bei entsprechend betroffenen Familien vermehrt werden könnte.
Warum ist das wichtig? Der Autor greift auf das sozioökologische Modell von Bronfenbrenner zurück, das Familien wie die Spinne im Netz in das Zentrum von Bildung setzt. Die Familie ist Ausgangspunkt und Urzelle der kindlichen Bildung und behält ihre zentrale Funktion, auch wenn mit der Zeit weitere Bildungsorte dazu kommen. Damit, so die Schlussfolgerung, ist gelingende Bildung im Grunde immer abhängig von einer mehr oder weniger gelingenden Synchronisation von Familie und diesen (formalen) Bildungsorten. Das funktioniere aber nicht immer, nicht zuletzt auch darum, weil formalisierte Bildungsinhalte nicht immer sichtbare lebensweltliche Bezüge aufweisen oder zumindest herstellen könnten.
Stichwort „schwierige Kinder“: Es ist eine Tatsache, dass sich in Schulen nicht nur hochmotivierte und angepasste Schülerinnen und Schüler tummeln. Das konfrontiert Schule mit erweiterten Bildungsaufgaben und -herausforderungen, denen sie schwerlich allein gewachsen ist. Schulen müssen also kooperieren, und zwar in erster Linie mit den Eltern. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass das gut gelingt, ist, dass diese von den Schulen auch als wertvolle und im Grunde unverzichtbare Kooperationspartner gesehen werden.
Kapitel 2 „Eltern unter dem Druck gesellschaftlicher Trends und Erwartungen“ beleuchtet die alltäglichen Wettbewerbsarenen, denen sich Eltern gegenübersehen. Die treibende Kraft dahinter ist, so der Verfasser, ein gegebenenfalls zunehmend überfordernder Trend zur Individualisierung und Singularisierung: besser, exklusiver, begabter, exotischer, unverwechselbarer … Ein solcher Wettbewerb provoziere naturgemäß Verlierer.
Was hat das mit Bildungs- und Erziehungspartnerschaften zu tun? Nun, Schulen klagen, so der Autor, darüber, dass sich zu wenige Eltern aktiv engagieren. Die Frage ist nur: Woran liegt das denn? Ein Grund findet sich sicher in oben genannter Individualisierung. Daneben ist die Praxis der Zusammenarbeit, so die These, aber per se auch systematisch exkludierend, da bestimmte Elterngruppen und -milieus faktisch ausgeschlossen würden. Wie das? Zunächst hinterfragt der Autor sehr kritisch den gerne bemühten Mythos der Unerreichbarkeit vieler Eltern vor der Fragestellung, was Schule denn zu diesem Mythos beiträgt. Und dann ist da natürlich der Topf, der nicht zum Deckel passen mag. Übertragen bedeutet das, dass Eltern nicht gleich Eltern sind, sondern aus höchst unterschiedlichen Milieus mit sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen und Wertvorstellungen stammen. Das Problem dabei sei, dass es zwischen Milieus so etwas wie unüberschreitbare Demarkationslinien zu geben scheint, insbesondere zwischen Ober- und Mittelschicht einerseits und der Unterschicht andererseits. Und solche Abgrenzungseffekte gebe es, so der Autor weiter, ja auch zwischen Eltern und Lehrkräften. Und natürlich tragen Eltern vor dem Hintergrund der eigenen Schulerfahrungen wohlwollendere oder weniger wohlwollende Bilder von Schule in sich.
Und auch der nächste Aspekt macht das Elternsein nicht einfacher. Eltern sehen sich einer zunehmend übermächtigen Konsumindustrie gegenüber. Diese hat Kinder und Jugendliche als hochrelevante Kunden für sich entdeckt und verlockt sie mit „Muss-ich-unbedingt-haben-Dingen“. Der Rest des Liedes erschließt sich von selbst: Permanentes Nein-Sagen ermüdet und führt zu verständlicher Inkonsequenz … tja.
Und schließlich gibt es da noch die rasanten Entwicklungen in der digitalen Welt. Eine der zentralen Herausforderungen für Eltern ist, eine gute Balance zu finden zwischen Konsum- und Nichtkonsumzeiten, auch das ein konfliktträchtiges Unterfangen. Zweifelsfrei bieten die digitalen Medien Chancen, aber sie bergen ebenso Risiken. Es ist dabei schwer für Eltern, richtige Schlüsse zu ziehen, weil auch Expertenmeinungen stark abweichen. Der Autor definiert dieses Thema daher als sehr zentral in der Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern.
Kapitel 3 „Auflösung traditionaler Familienstrukturen – Vielfalt der Familienmodelle“ schließt die Bestandsaufnahme ab.
Mit Verweis auf die schon genannten Individualisierungsbestrebungen stellt der Autor zunächst übergreifend fest, dass diese auf Kosten stabiler und verlässlicher Familienstrukturen gehen können.
Und auch das Folgende kann, muss aber nicht. Die Vielfalt an Familienformen und -konstellationen nimmt stetig zu, mit teils hochkomplexen Beziehungsanforderungen, die auch Konfliktpotenzial besitzen. Trennungen und Neuzusammensetzungen von Familien können Kinder und Jugendliche stark belasten, mit oft schwerwiegenden Auswirkungen, auch schulischen. Wie gesagt: können aber müssen nicht! Wenn aber das Worstcase-Szenario hier einmal weiterverfolgt wird, dann bekommen Bildungs- und Erziehungspartnerschaften nicht zuletzt im Feld des Kinderschutzes und der Kindeswohlgefährdung ihre Bedeutung. Dabei gehe es vorrangig nicht um Anklagen und Ahndung von Verhalten. Vielmehr müssten Eltern zu einer Problemeinsicht geführt und zur Kooperation motiviert werden.
Wie, so die grundsätzliche Frage, kann vor dem Hintergrund eines im Grunde gemeinsamen Erziehungsauftrags eine gute Partnerschaft gelingen? Die Frage ist berechtigt und sie wird dies in dem Maße zunehmend, in dem folgend auf kontextuelle Unzulänglichkeiten, Herausforderungen und Verunsicherungen verwiesen wird, dies durchaus auch kritisch der Schule gegenüber.
Schon steht die nächste Frage im Raum: Was ist überhaupt gute Erziehung und was sind ihre Prinzipien? Das, so der Autor, weiß wohl niemand abschließend, zumindest wird das auch auf Expertenebene durchaus kontrovers diskutiert. Woran sollen sich also im Zweifel Eltern orientieren? Wo es keine abschließenden Wahrheiten zu geben scheint, bleibt im Grunde nur der tragfähige Konsens. Empfehlenswert wäre damit die Verhandlung eines solchen vor Ort zwischen Eltern und Schulakteuren …
Zweifelsfrei ist die Familie ein zentraler Bildungsort, der jetzt noch konkreter in seiner Funktionalität gegriffen wird. Es geht beispielsweise um Ritualisierungen und Strukturierungen des Tagesablaufs, Förderung von Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme und anderes mehr. Der Bildungsort Familie, so das Resümee, steht für einen zentralen Beitrag auch zum schulischen Erfolg, was definitiv mehr bedeutet als die Unterstützung bei häuslichem Lernen.
Teil 2: Fachliche Grundlagen
… oder konkreter: Auf welcher Grundlage kann eine fruchtbare Zusammenarbeit in Bildungs- und Erziehungspartnerschaften gelingen?
Kapitel 4 „Mit Eltern lebensweltorientiert zusammenarbeiten – professionelle Herausforderungen“ sieht im Konzept der Lebensweltorientierung die zentrale Grundlage oder auch die (pädagogische) Leitkategorie für eine gute Partnerschaft von Schulen und vielfältigsten Elternhäusern.
Bildungs- und Erziehungspartnerschaften benötigen auf Seiten der schulischen Akteure Professionalität und Kompetenz. Die Ansprüche, die sich im Sinne des Buches daran knüpfen, gehen dabei über diesbezüglich häufig tradierte Bilder vieler Lehrkräfte hinaus, da diese eben nicht nur bilden, sondern auch erziehen sollen. Und das bedeutet die individuelle Förderung eines jeden einzelnen Kindes und Jugendlichen. Entsprechende Kompetenz(en), auf die im Folgenden über die Definition von Qualitätsmerkmalen und die Beschreibung handlungsleitender Maximen näher eingegangen wird, sind dabei nicht zwingend integraler Bestandteil der grundliegenden Ausbildungen und müssen bei Bedarf anderweitig erworben werden, etwa im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen.
Kapitel 5 „Lebensweltorientierte Zusammenarbeit mit Eltern“ diskutiert Für und Wider des Begriffs „Bildungs- und Erziehungspartnerschaft“ und geht dann daran, Qualitätsmerkmale für eine solche zu bündeln. Dem Autor ist dabei wichtig zu betonen, dass solche Partnerschaften mehr als „Nice-to-have“ vor dem Hintergrund schulgesetzlicher Postulate sein sollten. Er führt dafür einige Legitimationsideen an, unter denen „die unverzichtbare Bildungsbedeutung des familiären Systems“ die bedeutsamste ist. Es wird an dieser Stelle auch betont, dass Eltern definitiv ein Recht haben auf Kooperation, aber keine Pflicht dazu. Schulen sollten diese, als programmatischer Anspruch, also dazu einladen (können).
Nachdem mögliche Felder einer Zusammenarbeit benannt wurden, diskutiert das Buch die angemessene Intensität einer Kooperation, die es an Variablen wie zufriedenstellend für alle Beteiligten, realistisch oder auch realisierbar bemisst. Natürlich dient die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen als wesentlichste Orientierungsgröße. Dabei sind vielfältige Formen einer Kooperation möglich, soweit auf beiden Seiten eine grundsätzliche Bereitschaft dazu besteht.
Anschließend stellt der Autor ein entwicklungsorientiertes Modell vor, das Qualitätskriterien auf unterschiedlichen Entwicklungsniveaus definiert. Dieses kann einer Standortbestimmung des jeweiligen Status Quo einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft dienen und natürlich auch deren weiterer strategischen und inhaltlichen Ausrichtung.
Teil 3: Praxis gestalten
… oder: Wie können Bildungs- und Erziehungspartnerschaften gemanagt und gestaltet werden?
Kapitel 6 definiert „Bildungs- und Erziehungspartnerschaft als Managementaufgabe“. Diese Empfehlung, besser Notwendigkeit, ergibt sich aus der Beobachtung, dass viele Aktionen mit Eltern eher im Rahmen spontaner, gut gemeinter Projekte ablaufen, ohne dabei aber besonders nachhaltig zu wirken. Bildungs- und Erziehungspartnerschaften sind anders gemeint, komplexer und nachhaltiger. Sie fordern daher ein nachhaltig planvolles Handeln, ein Management, das durchaus in die Verantwortung einer Projekt- oder Steuerungsgruppe übertragen werden darf. Auf dieses „Management“ wird nun konkret eingegangen.
Wesentlich erscheint zunächst, dass Bildungs- und Erziehungspartnerschaft im jeweiligen Schulprogramm prominent positioniert ist bzw. wird. Des Weiteren ist es aber natürlich auch so, dass der alleinige Wunsch nach guter Zusammenarbeit noch nicht zwingend zu einer solchen führt. In diesem Zusammenhang verweist das Buch explizit auf probate Instrumente, etwa Checklisten zur Bestandsaufnahme und Maßnahmenbegleitung, ebenso wie auf Praxisbeispiele aus dem Best-Practice-Segment.
Die große Herausforderung ist dabei, möglichst viele und am besten alle Eltern einzubinden. Da das über formalisierte Mitwirkungsgremien und Ähnliches eher selten funktioniert, werden einige Möglichkeiten und Strategien erörtert, auch die anderen Eltern einzuladen, zu interessieren und zu motivieren.
Kapitel 7 „Mit Eltern erfolgreich zusammenarbeiten – eingebettet in regionale Bildungsnetzwerke“ empfiehlt genau das: eine gute Netzwerkarbeit im Themenfeld von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften. Es geht um Synergien vor der Tatsache, dass Schulen nicht alles allein können (müssen) und auch darum, dass Lebenswelten von Schülerinnen und Schülern natürlich bei weitem größer sind als die Schule.
Der Autor nennt einige Kooperationspartner, die sich im Kontext Bildungs- und Erziehungspartnerschaften empfehlen. Er warnt aber gleichzeitig vor Kooperationen und AGs zum Selbstzweck oder zumindest zu Zwecken, die nur eher marginal den aktuellen Entwicklungszielen einer Schule dienen. Es folgen pragmatische Tipps zur effektiven Gestaltung einer schulischen Netzwerkarbeit.
Abschließend formuliert Kapitel 8 „Leitlinien für die erfolgreiche Arbeit mit Eltern beim Kinderschutz“. Es geht um die Abwendung von Gefahren für Kinder und Jugendliche innerhalb und außerhalb der Schule. Der Autor fokussiert hier zweitere. Er weist darauf hin, dass Kinderschutz gemäß dem „Gesetzt zur Kooperation und Information im Kinderschutz“ explizite Aufgabe von Lehrkräften und anderen Schulakteuren ist, auch im Sinne eines Wächteramts. Was das konkret bedeutet und welche Handlungen das impliziert, wird folgend differenziert dargestellt. Wie schon festgestellt, geht es vor dem Hintergrund von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften in diesem äußerst sensiblen Feld wünschenswerterweise darum, bei Eltern Widerstände hinsichtlich einer Kooperation aufzulösen und sie zu motivieren, gemeinsam Wege für eine künftige Verbesserung der Situation zu entwickeln und zu beschreiten.
Diskussion
Irgendwann hat jemand, vermutlich wieder einer dieser gerne bemühten weisen Männer und vermutlich wieder vor langer Zeit, einmal gesagt, dass man niemand anderen ändern kann. Aber man kann sich selbst und sein Verhalten ändern und dann sehen, wie andere sehr positiv darauf reagieren.
Genau das ist die Botschaft von Matthias Bartscher vor seiner festen Überzeugung, dass ohne Eltern und Familien wenig, mit ihnen vieles gehen kann. Er schreibt ein glühendes Plädoyer für Bildungs- und Erziehungspartnerschaften zwischen Schule(n) und Familie(n), wobei es ihm äußerst gut gelingt, diese „Leidenschaft in seiner Überzeugung“ in sehr sachliche und reflektierte Gedanken zu fassen. Und diese sind umfänglich und differenziert. Das Buch liest sich vom Verständnis her leicht, ist sehr angenehm formuliert, aber es fordert durch seine Komplexität gleichermaßen auch heraus.
Matthias Bartscher disqualifiziert dabei den durchaus praktischen Mythos der schwer erreichbaren Eltern, der gerne und fatalistisch als quasi gottgegebene Bestimmungsgröße bemüht wird. Diesen Glaubenssatz akzeptiert er so nicht. Vielmehr verweist er kritisch auf eine gewisse Veränderungsresistenz von Schule, insbesondere auch dort, wo es um die Bedeutung von Eltern als Bildungspartner geht: es scheitere am Wörtchen „Partner“. Und es scheitere oft an der Tatsache, dass Schule(n) sich ungenügend öffnen gegenüber Lebenswelten, zumindest solchen, die eher abweichen von denen der meisten pädagogischen Schulakteure. Der Autor dreht also die Position um: Nicht Eltern sind schwer erreichbar, sondern oft (auch) Schulen.
Dabei geht es nicht um Verantwortungs- oder gar Schuldzuweisungen. Ganz im Gegenteil möchte das Buch motivieren und Wege aufzeichnen, solche Kooperationen gut zu gestalten und zu managen. Es bietet dabei, je nach Verständnis, kein fertiges Konzept, auch keine abschließende Strategie, aber es schnürt ein äußerst brauchbares Paket mit vielen sinnvollen Informationen, die nur darauf warten, für die Anbahnung, Begleitung und das Management einer konkreten Bildungs- und Erziehungspartnerschaft herangezogen zu werden.
Fazit
Schulen haben einen weit über die bloße Vermittlung von sogenanntem Schulwissen hinausreichenden Bildungs- und Erziehungsauftrag. Und Eltern haben einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Liegt es da nicht nahe, zum Wohle der Kinder und Jugendlichen zu kooperieren? Geht nicht mit allen Eltern, glauben Sie? Doch geht, warum nicht! Matthias Bartscher ist davon überzeugt. Daher hat er ein sehr empfehlenswertes Buch verfasst, das mit seinen Informationen und Tipps dazu beitragen will und kann, Bildungs- und Erziehungspartnerschaften zwischen Schulen und Eltern zu initiieren, zu gestalten, zu moderieren und zu managen.
Liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Schulleitungen, liebe Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, Erzieherinnen und Erzieher und alle anderen, die im Kontext Schule mit Eltern zusammenarbeiten: fühlen Sie sich inspiriert und holen Sie die Eltern als Partner mit ins Team!
Rezension von
Dipl. Päd. Martin Zauner
Dipl.Päd.(univ), Dipl.Sozialpäd.(FH), Mediator (BM), AkadOR an der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (Lehrgebiete: Gruppenarbeit, Teamführung /-entwicklung, Mediation, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit)
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Es gibt 13 Rezensionen von Martin Zauner.
Zitiervorschlag
Martin Zauner. Rezension vom 28.07.2022 zu:
Matthias Bartscher: Bildungs- und Erziehungspartnerschaften in Schulen I. Zusammenarbeit mit Eltern lebensweltorientiert planen und gestalten. Friedrich Verlag GmbH
(Seelze) 2021.
ISBN 978-3-7727-1520-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28514.php, Datum des Zugriffs 05.10.2024.
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