Kristina Lühr, Christine Zens: Therapie-Tools Posttraumatische Belastungsstörung
Rezensiert von Dr. Alexander Tewes, 20.05.2022

Kristina Lühr, Christine Zens: Therapie-Tools Posttraumatische Belastungsstörung. Mit E-Book inside und Arbeitsmaterial.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2021.
371 Seiten.
ISBN 978-3-621-28521-6.
D: 44,95 EUR,
A: 46,50 EUR.
Reihe: Therapie-Tools.
Thema und Entstehungshintergrund
Die Reihe „Therapie-Tools“ umfasst bereits diverse Veröffentlichungen, von denen einige auch bereits aus socialnet rezensiert wurden. Sie wurde konzipiert um therapeutisch Tätigen Arbeitsmaterialien an die Hand zu geben. In der Regel erfolgt dies nach Störungsbildern (vgl. Wewetzer & Wewetzer, 2017; https://www.socialnet.de/rezensionen/23313.php), in anderen Fällen jedoch auch technikspezifisch (z.B. Faßbinder et al., 2011; https://www.socialnet.de/rezensionen/13459.php). Sie enthalten Materialien für Diagnostik, Therapieplanung und -durchführung und orientieren sich in der Regel am verhaltenstherapeutischen Vorgehen.
Das Störungsbild der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) hat in der näheren Vergangenheit zunehmend an Relevanz gewonnen. Bislang gab es für diese Thematik noch kein Tools-Buch. Diese Lücke wurde hiermit geschlossen. Die Autorinnen geben in ihrem Vorwort an, dass ihr Ziel sei „Behandelnde zur traumatherapeutischen Arbeit (zu) ermutigen und die Versorgung der Patientinnen und Patienten, die uns sehr am Herzen liegen, zu verbessern“ (S. 13).
Autorinnen
Kristina Lühr istPsychologische Psychotherapeutin (VT) und behandelt in eigener Praxis in Hamburg. Zudem arbeitet sie als Dozentin und Supervisorin bei einem Institut für Schematherapie in Hamburg.
Christine Zens ist Psychologische Psychotherapeutin (VT) und arbeitet am Institut für Schematherapie Hamburg. Sie ist Dozentin, Supervisorin und Selbsterfahrungsleiterin in Verhaltenstherapie und Schematherapie.
Dr. Meike Müller-Engelmann, Dipl.-Psych., ist stellvertretende Ambulanzleiterin und Leitung des Projekts RELEASE, einem Traumaprojekt für Erwachsene der Goethe-Universität Frankfurt a.M.
Aufbau und Inhalt
Nach kurzen einleitenden Worten der Autorinnen zum Thema werden die Inhalte entsprechend einer leitlinienkonformen Traumatherapie aufgearbeitet:
Kapitel 1 – Diagnostik
Hier werden diverse Materialien geliefert, die für die Erfassung der Symptomatik der PTBS, der Exploration der traumatischen Ereignisse und dem Beziehungsaufbau zu traumatisierten Menschen genutzt werden können.
Kapitel 2 – Äußere Sicherheit
Da eine traumafokussierte Therapie laut S3-Leitlinie ausschließlich bei hinreichender Sicherheit der zu behandelnden Person erfolgen sollte (vgl. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/155-001.html), werden in diesem Abschnitt Informationen und Hilfestellung zu diesem wichtigen Themenbereich aufgezeigt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Problembereichen Beziehungsgewalt und Stalking.
Kapitel 3 – Psychoedukation
Das Kapitel bietet Materialien, die im Therapieprozess zur Aufklärung der Patient:innen genutzt werden können. Dies ist bei einem Störungsbild, bei dem Vermeidung eins der Kernsymptome darstellt, besonders wichtig.
Kapitel 4 – Stabilisierung
Die Stabilisierung stellt die erste Phase des eigentlichen traumatherapeutischen Prozesses dar, die im Grunde ab der ersten Sitzung beginnt. Die hier vorgestellten Materialien sollen Strategien und Techniken vermitteln, „die einen funktionalen Umgang mit Belastungssymptomen erleichtern, zur Stärkung der Bewältigungskompetenzen der Patientinnen und Patienten beitragen und eine Vorbereitung der traumafokussierten Therapiephase darstellen können“ (S. 14).
Kapitel 5 – Traumabearbeitung
Die eigentliche Bearbeitung belastender Erinnerungen stellt zwar das Herz einer jeglichen traumafokussierten Behandlung dar, ist jedoch nicht alleinig ausreichend (s.u.). Folgerichtig werden hier unterschiedliche Methoden der traumafokussierten Arbeit mit traumatischen Erinnerungen und traumabezogenen Gedanken und Gefühlen vorgestellt. Der Fokus liegt hierbei auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techniken und imaginativen Verfahren. Es werden Arbeitsmaterialien für folgende Bereiche geliefert:
- Kognitive Techniken (nach KVT & CPT)
- Umgang mit traumabezogenen Gefühlen (insb. Schuld, Scham, Wut & Ärger)
- Vorbereitung der Exposition
- Durchführung der Exposition (in Sensu & in Vivo)
- Diskriminationstraining (aus der Kognitiven Therapie nach Ehlers, 1999)
- Imagery Rescripting
- Albtraumbehandlung (nach Krakow & Zadra, 2006 und Thünker & Pietrowsky, 2011)
Kapitel 6 – Integration und Rückfallprophylaxe
In dieser letzten Phase einer leitlinienbasierten Traumatherapie werden Aspekte der Neuorientierung, der Ressourcenstärkung sowie der Rückfallvorbeugung bearbeitet.
Kapitel 7 – Psychohygiene
Das abschließende Kapitel ist zwar nicht Teil des eigentlichen psychotherapeutischen Prozesses, aber dennoch nicht minder wichtig. Therapeutische Tätigkeit im Allgemeinen und traumatherapeutisches Arbeiten insbesondere stellen die behandelnde Person vor eminente emotionale Herausforderungen, die schlimmstenfalls in das sogenannte „compassion fatigue syndrom“ im Sinne einer sekundären (stellvertretenden) Traumatisierung münden kann (vgl. Lerias & Byrne, 2003). Hier werden Informationen zu eigener Psychohygiene und Prävention eigener Belastungsfolgen im Rahmen einer Traumatherapie geliefert.
In sämtlichen Kapiteln werden die Arbeitsblätter vorab bezüglich ihrer praktische Anwendung kommentiert. Insgesamt liefern die Autorinnen nicht weniger als 190 Arbeits- und Informationsblätter. Zusätzlich können mittels eines Downloadlinks auch noch einige Audiodateien mit Übungen für die Behandlung (z.B. Tresorübung und innerer sicherer Ort) heruntergeladen werden.
Diskussion
Die Reihe Therapie-Tools umfasst mittlerweile diverse Bände, von denen auch einige schon bei socialnet rezensiert wurden. Auf den ersten Blick werden hier lediglich Arbeitsmaterialien in Paper-Pencil-Methodik geliefert, bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass es sich hier um viel mehr handelt: Im Grunde handelt es sich bei den Bänden schon um Therapiemanuale. Der Unterschied zu gängigen Manualen besteht zum einen darin, dass die Methodik nicht in Gänze wissenschaftlich evaluiert wurde und zum anderen darin, dass sie viel breiter aufgestellt ist: Es werden umfassende Materialien zur Behandlung eines Störungsbildes geliefert, die je nach Bedarf eingesetzt werden können.
Der hier rezensierte Band macht da keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil: Die Autorinnen liefern eine umfassende Menge an hilfreichen Materialien, die auch in der Gesamtreihe seines Gleichen sucht. Die Aufteilung der Kapitel orientiert sich an die derzeit gültigen Therapieleitlinien zur Behandlung von Traumafolgestörungen. Nach dieser Leitlinie (vgl. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/155-001.html) soll nach einer Phase der Stabilisierung der Einsatz eines konfrontativen Verfahrens und abschließend eine Phase der Integration erfolgen. Die eigentliche Bearbeitung belastender Erinnerungen stellt zwar das Herz einer jeglichen traumafokussierten Behandlung dar, ist daher allerdings nicht alleinig ausreichend. Zudem laufen unter dem Label „Traumatherapie“ in der praktischen Realität immer wieder Therapien, bei denen ausschließlich stabilisiert und auf die Traumabearbeitung verzichtet wird.
Wie bei allen Psychotherapien gilt natürlich auch hier: Ohne entsprechende Fortbildung keine Anwendung! Die hier gelieferten Materialien richten sich an approbierte Psychotherapeut:innen, ggf. auch mit entsprechender Weiterbildung in einem oder mehreren traumatherapeutischen Verfahren.
Die Autorinnen haben mit der Veröffentlichung auch den Mut gezeigt, den vielen Patient:innen mit PTBS in der Behandlung zeigen müssen. Wenn ich mich entscheide, einen Band in dieser Reihe zu veröffentlichen, werde ich mit Sicherheit durch viele Personen, die sich bereits einen Namen in der Branche gemacht haben, kritisch beäugt. Gerade zum Thema Traumatherapie gibt es derzeit viele z.T. leider auch konkurrierende „Schulen“ (Prolonged Exposure, EMDR, KVT, Imaginative Verfahren, Tiefenpsychologisch orientierte Ansätze, etc.) die angesichts des Therapiebedarfs und gemäß der o.g. Leitlinie auch ihre Daseinsberechtigung haben, dennoch war die Fallhöhe bei der Veröffentlichung hoch. Kritik seitens hier nicht ausgeführter Verfahren ist zu erwarten.
Die Hürde wurde genommen. Es wurden unterschiedliche Verfahren vorgestellt, die ein wesentliches Spektrum der empfohlenen Therapieformen abdecken. Es fällt schon ins Auge, dass die Imagery Rescripting Therapie (IMR) verhältnismäßig umfangreich mit Materialien vertreten ist. Daher liegt nahe, dass die Autorinnen diesen Ansatz inhaltlich präferieren. Dies ist selbstverständlich legitim, allerdings nicht durch die aktuelle Forschungslage gedeckt. Hier gibt es deutlich mehr Evidenz für die Cognitive Processing Therapy (CPT) und Prolonged Exposure (PE). Zudem werden auch keine Materialien aus dem Bereich Tiefenpsychologischer Verfahren geliefert oder für die EMDR-Methode. Die gesamte Reihe der Therapie-Tools richtet sich allerdings eher an Verhaltenstherapeut:innen. Zudem ist davon auszugehen, dass EMDR-Materialien in der Regel auch noch eher durch die entsprechende Fachgesellschaft (EMDRIA) vermarktet werden.
Als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut bleibt mir nur die Anmerkung, dass dieser Band (wie auch viele andere in der Reihe) für die Behandlung von Erwachsenen konzipiert wurde. Ein entsprechender Band für die Therapie von Kindern und Jugendlichen wäre noch wünschenswert, diese Materialien hier noch unterzubringen, hätte jedoch den Rahmen komplett gesprengt. Bleibt also abzuwarten, ob ein entsprechender Band veröffentlicht wird.
Fazit
Mit über 190 Blättern ist der vorliegende Band die wahrscheinlich umfangreichste Materialsammlung aus der Reihe Therapie-Tools. Es werden für diverse Therapieverfahren wertvolle Arbeitsmaterialien geliefert und dennoch fehlen immer noch einige (z.B. Kinder- und Jugendliche, EMDR, etc.). Insbesondere für Verhaltenstherapeut:innen stellt es eine Schatzkiste an Materialien dar, die jeden Cent wert ist.
Rezension von
Dr. Alexander Tewes
Instituts- und Ausbildungsleiter LAKIJU-VT (Lüneburger Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichen-Verhaltenstherapie), Psychiatrische Klinik Lüneburg gemeinnützige GmbH im Verbund der Gesundheitsholding Lüneburg
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