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Ellen Notbohm: 10 Dinge, die autistische Kinder ihren Eltern sagen möchten

Rezensiert von Ortrud Aden, 24.05.2022

Cover Ellen Notbohm: 10 Dinge, die autistische Kinder ihren Eltern sagen möchten ISBN 978-3-7841-3356-0

Ellen Notbohm: 10 Dinge, die autistische Kinder ihren Eltern sagen möchten. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2021. 150 Seiten. ISBN 978-3-7841-3356-0. D: 26,00 EUR, A: 26,80 EUR.

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Autorin

Ellen Notbohm hat vier mehrfach aufgelegte Bücher über Autismus geschrieben. Außerdem hat sie einen mehrfach preisgekrönten Roman verfasst sowie Artikel und Beiträge zu verschiedenen anderen Themen, die in einschlägigen Medien veröffentlicht wurden.

Thema

Die Autorin ist Mutter eines inzwischen erwachsenen autistischen Sohnes. Sie beschreibt die Probleme eines autistischen Kindes. Dabei lässt sie am Anfang jedes Kapitels zunächst die Sichtweise ihres Sohnes zu Wort kommen, anschließend beschreibt sie ihre Erfahrungen, Gedanken und Informationen zu dem jeweiligen Thema. Das Anliegen der Autorin ist es, die Bezugspersonen zu ermutigen, die mit der Diagnose „Autismus“ einhergehenden Schwierigkeiten nicht als unveränderbar hinzunehmen, sondern immer wieder bewusst den Blick auf die Kompetenzen, Ressourcen und Entwicklungspotenziale des Kindes zu lenken. Nach ihrer Erfahrung kann diese Einstellung der Bezugspersonen viel dazu beitragen, dass ein autistisches Kind lernen kann, mit seinen Besonderheiten umzugehen und ein individuelles, sinnerfülltes und selbstbestimmtes Leben zu führen.

Aufbau

Zu der deutschen Ausgabe hat Georg Theunissen ein Vorwort verfasst. Nach einem weiteren Vorwort der Autorin und einem allgemeinen „Anfang“ werden in zehn Kapiteln die verschiedenen Themen vorgestellt, jeweils am Anfang mit einem Beitrag zur Sichtweise ihres Sohnes. In den drei letzten Kapiteln geht es um ein „Resümee“, um weitere Perspektiven und um „Fragen zur Diskussion und Selbstreflexion“. Die Schwerpunkte des Buches sind Sensorische Besonderheiten, Kommunikation, soziales Verhalten und Stärkung des Selbstbewusstseins autistischer Personen.

Inhalt

Georg Theunissen betont in seinem Vorwort vor allem die positive Grundhaltung der Autorin, die in der Gesellschaft noch immer nicht selbstverständlich sei. Außerdem erwähnt er die seiner Ansicht nach gelungene Verbindung zwischen der Sichtweise des betroffenen Kindes, der Mutter und der Außensicht.

Die Autorin legt in ihrem Vorwort Wert darauf, dass man kritisch gegenüber einer problemfixierten Sichtweise auf Autismus sein sollte. Vieles könne man nicht beeinflussen, aber man habe „eine Wahl“, den Blick immer wieder auf die Ressourcen und Möglichkeiten des Kindes zu lenken. Diese Blickrichtung habe eine entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des Kindes.

Im ersten Kapitel setzt sich die Autorin mit den Erwartungshaltungen gegenüber einem autistischen Kind und deren Folgen für die Entwicklung des Kindes auseinander. Häufig seien diese Erwartungshaltungen allein aufgrund des Begriffs „Autismus“ nicht mehr unvoreingenommen, sondern zu hoch (Genie) oder viel zu niedrig. Die Sichtweise der Eltern auf den Autismus des Kindes „ist der entscheidende Faktor, der bestimmt, welche Ziele es letztlich erreicht“.

Im zweiten Kapitel werden die Besonderheiten der Wahrnehmung und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Kinder thematisiert.

Das dritte Kapitel behandelt unterschiedliche Ursachen für eine mögliche Verweigerungshaltung des Kindes, die fast nie ein „ich will nicht“ bedeuten sondern fast immer ein „ich kann nicht“, aus sehr unterschiedlichen Gründen. Die Autorin zählt mögliche Gründe dafür auf. Notwendig sei eine klare und eindeutige Sprache.

Im vierten Kapitel geht es darum, dass autistische Kinder alles wortwörtlich verstehen und daher keine Redensarten nachvollziehen können. Auch dieses Problem könne dazu führen, dass Anweisungen nicht verstanden werden. Die Autorin betont auch hier die Notwendigkeit einer klaren und eindeutigen Sprache.

Im fünften Kapitel geht es um die Entwicklung der Kommunikation, von der nonverbalen Kommunikation eines Säuglings zu verschiedenen weitere Phasen, die mit der Sprachentwicklung einhergehen. Jede einzelne dieser Phasen könne erschwert sein und erfordere Geduld. Wesentlich sei ein Umfeld, in dem Sprache und Kommunikation gepflegt wird. Die Autorin erwähnt kurz die neueren Veränderungen in der Gesellschaft, in der Kommunikation oft fast ausschließlich über verschiedene Medien stattfinde. In diesem Zusammenhang erwähnt sie, dass sie und ihr Mann als „Urgestein einer Gegenkultur“ angesehen wurden, weil sie Wert darauflegten, dass ihre Kinder „mit anderen Menschen sprechen“.

Im sechsten Kapitel beschreibt die Autorin die visuelle Orientierung der Kinder und weist auf die Notwendigkeit visueller Hilfen im Alltag hin.

Das siebte Kapitel betont nochmals die Orientierung auf die Stärken und Ressourcen des Kindes. In diesem Zusammenhang beschreibt sie verschiedene Lerntypen. Da autistische Kinder häufig auf einen einzigen Lerntyp festgelegt seien, mache es Sinn, den Lerntyp des Kindes festzustellen. Auf diese Weise könne man dem Kind manche Misserfolge ersparen und Erfolgserlebnisse beim Lernen unterstützen.

Im achten Kapitel geht es um soziale Kompetenzen. Die Autorin betont deren Wichtigkeit für das weitere Leben der Kinder. Es gehe aber nicht allein um sprachliche Kompetenzen, sondern zunächst vor allem um das Verstehen sozialer Situationen, was immer und immer wieder thematisiert werden solle.

Im neunten Kapitel behandelt die Autorin die sogenannten „Meltdowns“ und ihre vielfältigen möglichen Ursachen. Sie betont, dass die Kinder in so einem Moment gar nicht anders handeln können und ermutigt die Bezugspersonen, die Ursachen aufzuspüren und zu akzeptieren. Auf diesem Weg seien diese Zwischenfälle mit ihrem Sohn nach und nach immer seltener geworden.

Das zehnte Kapitel heißt: „liebe mich bedingungslos“. Die Autorin thematisiert hier unter anderem die Emotionen der Eltern, wenn sie bemerken, dass ihr Kind eine Behinderung hat oder wenn das Kind selbst bemerkt, dass es „anders“ ist. Sie beschreibt Gedanken auch anderer Autoren, die ihr in solchen schwierigen Momenten geholfen haben, gelassener zu werden und ihrem Kind die zu seiner Entwicklung notwendige Zeit zu geben; trotz der Ungewissheit, wie viel es wird erreichen können.

In ihrem „Resümee von 10 Dingen“ setzt die Autorin sich mit den vielen Entscheidungen auseinander, die im Zusammenhang mit der Diagnose getroffen werden müssen und betont, dass es immer die Möglichkeit zu wählen gebe. Sie ermutigt Eltern, in Ruhe eigene, unabhängige Entscheidungen über die Förderung ihres Kindes zu treffen und gibt praktische Hilfestellung, wie man zu einer fundierten Entscheidung kommen kann.

Das letzte Kapitel nennt die Autorin „es geht weiter“. Der autistische Sohn der Autorin hat die Schule erfolgreich abgeschlossen und geht nun ins weitere Leben. Die Autorin beschreibt hier nochmals, wie wichtig die Sichtweise der Erwachsenen auf das Kind ist, damit es später seinen eigenen Weg gehen kann. Diese Sichtweise auf das autistische Kind als „ein von Natur aus kompetentes, aktiv beteiligtes und wertvolles Mitglied der Familie, der Klasse oder der Gesellschaft (…)“ hält sie für wesentlicher als „noch mehr Erziehung und Therapie“.

Den Abschluss des Buches bilden „Fragen zur Diskussion und Selbstreflexion“, bei der alle Kapitel des Buches berücksichtigt werden.

Diskussion

Das Buch ist leicht zu lesen und bietet eine Fülle von Informationen.

Die Intention der Autorin ist es, die Bezugspersonen eines autistischen Kindes zu ermutigen, den Blick auf die Ressourcen und Möglichkeiten des Kindes zu legen und sich nicht von der Diagnose „Autismus“ entmutigen und lähmen zu lassen. Diese Intention wird voll und ganz erfüllt und am Beispiel ihres Sohnes glaubwürdig gemacht. Die Autorin betont immer wieder den entscheidenden Stellenwert der Sichtweise der Angehörigen. Das ist einerseits vollkommen richtig, kann aber andererseits Angehörige auch unter Druck setzen und Schuldgefühle auslösen.

Kurz erwähnt die Autorin die gesellschaftlichen Veränderungen durch die modernen Medien, die die Kommunikation der Kinder und Jugendlichen verändern kann. Hier würde ich mir eine Vertiefung wünschen, was den Rahmen des Buches aber möglicherweise sprengen würde.

Fazit

Die Autorin schildert lebendig die Sichtweise eines autistischen Kindes und ihre eigenen Erfahrungen damit. Vor diesem Hintergrund informiert sie fundiert über viele Aspekte der Diagnose „Autismus“. Sie lädt dazu ein, den Blick offen zu halten für die Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes. Diese Sichtweise hält sie für die Basis jeder Förderung.

Das Buch ist für Angehörige, die zum ersten Mal mit der Diagnose „Autismus“ konfrontiert sind, lesenswert und hilfreich. Auch erfahrene Fachkräfte können Wissen auffrischen und neue Erkenntnisse gewinnen.

Rezension von
Ortrud Aden
M. A. Sonderpädagogik und Rehabilitationswissenschaften, zur Zeit tätig in einer Autismusambulanz
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Es gibt 20 Rezensionen von Ortrud Aden.

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ISSN 2190-9245