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Fritz B. Simon, Christel Rech-Simon: Zirkuläres Fragen

Rezensiert von Farina Eggert, 16.05.2023

Cover Fritz B. Simon, Christel Rech-Simon: Zirkuläres Fragen ISBN 978-3-89670-840-3

Fritz B. Simon, Christel Rech-Simon: Zirkuläres Fragen. Systemische Therapie in Fallbeispielen: ein Lernbuch. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2021. 14. Auflage. 292 Seiten. ISBN 978-3-89670-840-3. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.
Reihe: Systemische Therapie.

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Thema

Ein Kernelement der systemischen Therapie und auch Beratung ist und bleibt die Interviewtechnik. Zirkuläre Fragen sind Fragen, die dazu dienen, verschiedene Perspektiven oder Aspekte eines bestimmten Themas zu erkunden, indem sie den Befragten dazu anregen, über ihre Gedanken und Erfahrungen nachzudenken und weiter zu reflektieren. Im Gegensatz zu linearen Fragen, die in der Regel nur eine Antwort erfordern, bieten zirkuläre Fragen Raum für mehrere Antworten und Interpretationen.

Das Ziel zirkulärer Fragen ist es, das Verständnis für die Gedanken, Gefühle und Überzeugungen einer Person zu vertiefen und ihr dabei zu helfen, ihre eigenen Wahrnehmungen und Motivationen besser zu verstehen. Diese Fragen können auch dazu beitragen, neue Einsichten und Perspektiven zu gewinnen, indem sie dazu ermutigen, über Dinge nachzudenken, die normalerweise als selbstverständlich angesehen werden. Letztlich zeichnen sie sich durch die gegenseitige Bedingtheit des Verhaltens von Menschen aus.

Der vorliegende Titel widmet sich jedoch nicht nur den zirkulären Fragen, sondern beschreibt die wichtigsten therapeutischen Fragetechniken am Beispiel konkreter Fälle und Sitzungen. Ergänzt werden die praktischen Beispiele durch theoretische Inputs und weiterführende Hinweise.

Autor:innen

Fritz B. Simon ist Psychiater und Psychoanalytiker sowie Organisationsberater und systemischer Familientherapeut. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Organisations- und Desorganisationsprozesse in psychischen und sozialen Systemen.

Christel Rech-Simon ist analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Nach langjähriger Arbeit in der Anstaltspsychiatrie widmete sie sich ihren Tätigkeitsschwerpunkten in einer psychotherapeutischen Praxis.

Entstehungshintergrund

Bei dem vorliegenden Titel handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt eines Koautoren-Paares. Beide sind Psychotherapeuten, die eine unterschiedliche theoretische sowie praktische Ausrichtung verfolgen. Den sachlichen Hintergrund für das Verfassen dieses Buches lieferten die Zusammenhänge zwischen Theorie und Praxis. Im therapeutischen Handeln gehört beides zusammen, ist jedoch nicht immer als solches zusammen erkennbar. So kann die Theorie nicht ohne ihre Praxis und die Praxis nicht ohne die theoretische Aufarbeitung. Der vorliegende Band setzt genau hier an und bietet eine Brücke zwischen beidem. Die Autoren sichteten hierfür verschiedene (selbst durchgeführte) Therapien und Sitzungen bzw. Sitzungsausschnitte, die aus ihrer Sicht von Interesse sind – zum einen, weil sie methodisch aufregend sind oder/und weil sie eine spannende Dynamik zwischen Therapeut:in und Familie oder innerhalb einer Familie darstellen. Dabei ging es nie darum, auszuwerten, ob der psychoanalytische Ansatz besser als der systemische (oder andersherum) sei. Es ging viel mehr darum, die manchmal paradox oder falsch wirkenden Ansätze systemischer Therapie auch denjenigen verständlich aufzubereiten, die sich in einem traditionell psychotherapeutischen Rollenverständnis heimisch fühlen.

Aufbau

Anders als bei gängigen Theoriebüchern, die versuchen, einen roten Faden von einzelnen Theorien zur Praxis und wieder zurückzuspinnen, ist hier der rote Faden eher an der Argumentationslinie des Autors angelehnt. Die Reihenfolge der unterschiedlichen Fälle orientiert sich dementsprechend auch an den sachlichen Erwägungen des Autors. Ebenso lassen sich die einzelnen Sitzungen nur schwer in eine Form von Ordnung bringen, da sie durch den Ablauf der Sitzung – mit allen Höhen und Tiefen – stets individuell und flexibel orientiert sind.

Beim Blick in das Inhaltsverzeichnis wird jedoch deutlich, dass der Titel sich in vier Teile teilt:

  • Das Interview
  • Die Pause
  • Die Abschlussintervention
  • Orientierungshilfen – Handwerkzeug

Bei der Darstellung aller Fälle wurden Namen und Orte sowie weitere personenbezogene Daten insofern geändert, dass eine eindeutige Zuordnung zu realen Fällen nicht mehr möglich ist, aber das behandelte Thema noch inhaltlich schlüssig ist, sodass das Handeln des/der Therapeut:in begründbar bleibt.

Inhalt

Der Inhalt des vorliegenden Buches orientiert sich am Ablauf einzelner Einzel-, Paar- und Familiensitzungen, die exemplarisch und auszugsweise abgedruckt wurden. Dabei wurden alle Gespräche bestmöglich transkribiert und mit einer Einleitung zum Thema sowie einer abschließenden Einschätzung des Falls versehen. Jedes Beispiel widmet sich ein bis zwei Schwerpunkten hinsichtlich der Herausforderungen in der systemischen Therapie oder auch Interventionsmöglichkeiten, die der/die Therapeut:in hatte.

Im ersten Teil „Das Interview“ wird zunächst die Bedeutung der Therapie, Kontextklärung und Neutralität des Therapeuten anhand des Beispiels der Familie Schneider herausgearbeitet. Ohne genauer auf den einzelnen Therapieverlauf einzugehen, kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Kontextklärung für Therapeut:innen immer klarer ist als für Patient:innen. Besonders deutlich wird dies, wenn mehrere Personen an der Therapie teilnehmen und jede/r einzelne eine andere Vorstellung von Therapie und Rollenverständnis mitbringt. Umso wichtiger und relevanter ist eine vorherige Rollenklärung des Therapeuten sowie das Klären von weiteren Unklarheiten. Anhand des dargestellten Beispiels werden zudem Allparteilichkeit und das Prinzip der Neutralität anschaulich erklärt und begründet.

Nachfolgend wird anhand der Familie Bastian die Relevanz des Ziels der Therapie erklärt, sowie Dekonstruktionen und Konstruktionen in der systemischen Therapie. Das gegenseitige Bedingen sowie Symptome als Machtmittel finden ihren Mittelpunkt in dem Fallbeispiel der Familie Gerlach.

Anhand der Familie Lukas werden Externalisierung und Personalisierungen des Problems gezeigt sowie die Veränderungsneutralität. Mit dem nachfolgenden Beispiel von Familie Diez wird die Auflösung von Schuld gezeigt.

Die Rolle der Psychiatrie und Chronifizierung von Hilfe der Institution zeigt das Beispiel mit Herrn Florin. Frau Bürgi widmet sich in ihrer Sitzung dem Problem der Einzeltherapie und der Chronifizierung mit Hilfe des Therapeuten.

Wie eine festgefahrene Einzeltherapie aussehen kann, zeigen die Autor:innen anhand des Beispiels von Frau Fuchs. Bei dem nachfolgenden Beispiel von Herrn und Frau Schönberg wird die Paartherapie dargestellt sowie die Funktion des Symptomverhaltens für die Zweierbeziehung.

Im zweiten Teil „Die Pause“ geht es inhaltlich um Zwischenbemerkungen zum Thema „Intervention oder Konvention?“. Hier wird die Debatte dargelegt, ob Therapeut:innen in einem Klientensystem „intervenieren“ sollten – können oder dürfen.

Der dritte Teil „Die Abschlussintervention“ veranschaulicht zunächst erneut anhand von Familie Gerlach das Umdeuten sowie die Verschreibung des problematischen Musters. Familie Lukas Fallbeispiel widmet sich der fürsorglichen Belagerung und der zweite Teil des Fallbeispiels der Familie Bastian der Ritualetablierung. Abgeschlossen wird das Kapitel durch ein erneutes Aufgreifen des Fallbeispiels von dem Paar Schönberg.

Der vierte Teil des vorliegenden Titels widmet sich den zusammengetragenen Orientierungshilfen und dem Handwerkszeug. Hierbei wird zunächst versucht, einen idealtypischen Ablauf einer Therapiesitzung vorzustellen und danach auf Fragetypen sowie Prinzipien einzugehen.

Rech-Simon und Simon heben dabei hervor, dass es sich bei therapeutischen Sitzungen zwar um eine Koproduktion handelt, damit jedoch auch das Intervenieren und Steuern einer jeden Sitzung durch den/die Therapeut:in begrenzt ist. Dem/der Therapeut:in eröffnet sich nur dann die Möglichkeit zur Steuerung, wenn er/sie bereit ist, direktiv vorzugehen. Dafür muss er/sie nicht nur alle wichtigen Anfangsinformationen sowie das Thema der/des Klient:in haben, sondern auch einen Plan davon haben, was er/sie wissen möchte und muss und welche Ideen er/sie streuen oder lieber nicht streuen möchte.

Rech-Simon und Simon arbeiteten für eine idealtypische Sitzung einen Leitfaden aus, der bei der Strukturierung einer Sitzung helfen kann – wenngleich beiden Autor:innen bewusst ist, dass eine Sitzung in den seltensten Fällen idealtypisch abläuft. Ohne auf einzelne Unterpunkte genauer einzugehen, gliedern sie die Sitzung in nachfolgende Bestandteile:

  • Klärung des Überweisungskontextes
  • Zieldefinition konkretisieren
  • Was haben die Beteiligten bislang probiert, um dieses Ziel zu erreichen?
  • Wie erklären sich die Beteiligten, dass das Ziel bislang nicht allein erreicht wurde?
  • Welche Einflussmöglichkeiten haben die Beteiligten?
  • Welches sind die offenen oder auch heimlichen Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen an den Therapeuten?
  • Hypothetische Zukunftsfrage
  • Zeitperspektive
  • Fragen zur Neutralität
  • Vorbereitung des Schlusskommentars.

Der Ablauf der Folgesitzungen sei vom Prinzip her ähnlich gegliedert. Zwar braucht dann der Überweisungskontext nicht mehr geklärt werden, dennoch sind die Motive einzelner Mitglieder der Sitzung auch bei der 10. Sitzung noch unterschiedlich und für den Großteil der Beteiligten auch unklar, sodass eine Klärung hier immer sinnvoll ist. Ebenso können sich die Ziele für eine Sitzung ändern. Wichtig sei in den nachfolgenden Sitzungen immer wieder, Sinn und Ziel der Therapie gemeinsam mit den Klient:innen zu bilanzieren, um die entsprechende Verantwortung für jenes auch gemeinsam zu tragen.

Anstatt konkrete Fragen und Formulierungen vorzugeben, entwickelten die Autor:innen im nachfolgenden Kapitel als Unterstützung allgemeine Prinzipien, die bei der Formulierung von Fragen berücksichtigt werden sollten. Standardfragen können zudem den individuellen Kontextbedingungen der jeweiligen Situation nur schlecht angepasst werden, sodass Prinzipien hier einen durchaus flexibleren Ansatz verfolgen.

Simon und Simon-Rech arbeiten in diesem Kapitel nachfolgende Prinzipien aus, die als eine Art Checkliste verstanden und auf alle denkbaren Themen konstruiert werden können:

  • Unterschiede erfragen,
  • die Unterscheidung zwischen Beschreiben, Erklären und Bewerten,
  • Verflüssigung von Eigenschaften,
  • Opfer zu Tätern: Verdeutlichung gegenseitigen Bedingens,
  • Einführung einer zeitlichen Dimension,
  • Klärung individueller und familiärer Werte,
  • Mythen, Geschichten und Theorien aufdecken.

Ebenso erklärten beide auch nochmal spezielle Fragetypen, die sich wie folgt skizzieren lassen:

  • Subsysteme und Koalitionen erfragen/hervorheben/aufdecken
  • Triaden – Einführung der Außenperspektive
  • Rangfolgen
  • Qualitative und quantitative Differenzierungen
  • Übereinstimmungen und Nichtübereinstimmungen
  • Veränderungen
  • Anpassungsfunktion des Status Quo
  • Hypothetische Fragen

Abgeschlossen wird das Kapitel mit den Prinzipien und Formen von Interventionen.

Diskussion

Ziel des vorliegenden Titels war es, den Transfer zwischen Theorie und Praxis zu vollbringen und anhand von Beispielen (Sitzungsausschnitten) Einblicke in die Praxis systemischer Therapie zu liefern. Damit schafften Simon und Rech-Simon zweifelsfrei einen spannenden und vor allem abwechslungsreichen Einblick in ihr therapeutischen Handeln. Sie stellten damit ihr Handwerkszeug gegenüber theoretischen Modellen, die für manche sehr abstrakt wirken können. Zweifelsfrei – und so heben es auch die Autor:innen im Abschluss ihres Buches hervor – handelt es sich dabei im Einzelfall nicht um die einzige Möglichkeit, erfolgreich zu intervenieren. Vielmehr stehen hier jeder/jedem Therapeut:in eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken und Interventionsmöglichkeiten zur Auswahl, die sich im Zweifelsfall an einer Mischung aus Fallverstehen und eigenem Selbstverständnis des/der Berater:in/Therapeut:in orientieren.

Weiterhin muss dem/der Leser:in bewusst sein, dass es sich hierbei stets um einzelne Sitzungen handelt, die aufgrund ihrer Ausschnitte bereits eine erste Begrenzung erfahren. Einzelne Sitzungen sind keine Therapie, sondern Ausschnitte einer Therapie. So können auch die einzelnen Interventionen Veränderungen bewirken; das heißt jedoch nicht, dass sie auch langfristig positive Veränderungen bewirken. Auf die Bedingungen langfristiger Erfolge wird im vorliegenden Band nicht eingegangen – muss es auch nicht, denn darum drehte sich der vorliegende Band nicht. Für das Begreifen, Verstehen und Anwenden der Methoden ist dennoch wichtig, diese Kurzweiligkeit im Zweifelsfall zu berücksichtigen.

Darüber hinaus sollte beachtet werden, dass ein Großteil der Veränderungen nicht in den Sitzungen selbst, sondern im Leben außerhalb des therapeutischen Settings stattfinden wird. Aufgabe und Sinn des Therapeuten/der Therapeutin ist es „lediglich“ bestehende und einschränkende Muster zu „stören“ sowie dazu anzuregen, neue (heilsamere) Muster zu etablieren. Wie die Klient:innen mit diesen Störungen des Therapeuten/der Therapeutin umgehen, zeigt sich erst in Interaktion des Klienten/der Klientin mit seinem/ihrem jeweiligen Umfeld.

Der vorliegende Titel eignet sich demnach für in Ausbildung befindliche systemische Therapeut:innen ebenso wie auch für langjährig aktive systemische Therapeut:innen. Abgerundet wird der informative Inhalt zudem durch einen besonders charmanten Schreibstil der Autor:innen, der nicht nur das Lesen maßgeblich erleichtert wie beschleunigt, sondern auch ein Gefühl vom „Dabeisein“ vermittelt.

Fazit

„Zirkuläres Fragen“ von Fritz B. Simon und Christel Rech-Simon gibt nicht nur einen spannenden Einblick in das therapeutische Handeln beider, sondern veranschaulicht konkret die systemische Therapie mitsamt verschiedenen Interventions- und Fragetechniken. Das Buch gibt eine Antwort auf theoretische Modelle und bietet ohne Anspruch auf Vollkommenheit mehrere Beispiele für die unterschiedlichen Interventionsrichtungen systemischer Therapie. Damit eignet es sich bestens für erfahrene Paktiker:innen, die an neuen Perspektiven interessiert sind sowie auch Neulinge in der systemischen Therapie, die sich einen Eindruck über die Möglichkeiten der Interventionen verschaffen möchten.

Rezension von
Farina Eggert
Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (B.A; M.A), Systemische Beraterin (DGSF), Promovendin an der FSU Jena
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Es gibt 6 Rezensionen von Farina Eggert.

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Zitiervorschlag
Farina Eggert. Rezension vom 16.05.2023 zu: Fritz B. Simon, Christel Rech-Simon: Zirkuläres Fragen. Systemische Therapie in Fallbeispielen: ein Lernbuch. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2021. 14. Auflage. ISBN 978-3-89670-840-3. Reihe: Systemische Therapie. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28542.php, Datum des Zugriffs 11.06.2023.


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