Sonja Bischoff (Hrsg.): Wer führt in (die) Zukunft?
Rezensiert von Ute Wellner, 01.08.2006

Sonja Bischoff (Hrsg.): Wer führt in (die) Zukunft? Männer und Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft in Deutschland. Die 4. Studie.
W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG
(Bielefeld) 2005.
335 Seiten.
ISBN 978-3-7639-3266-5.
39,00 EUR.
Reihe: Schriftenreihe / Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. - Band 77.
Einstieg
1986 hat Professor Sonja Bischoff die erste Studie zum Thema "Männer und Frauen in Führungspositionen in Deutschland" durchgeführt. 1991 und 1998 folgten zwei weitere und nun legt sie nach über 15 Jahren die vierte Untersuchung vor. Vielleicht genau der richtige Zeitpunkt, wo kaum noch über Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter öffentlich diskutiert wird. Im Kontext von Vereinbarkeit Familie und Beruf gilt die Aufmerksamkeit der geringen Geburtenrate und der Beteiligung von Männern an der Erziehungs- und Familienarbeit. Und Gender löst die Diskussionen um die Frauenförderung ab. Gleichstellungsgesetze und Gleichstellungspläne haben im öffentlichen Dienst über die Jahre Veränderungen bewirkt. In der Privatwirtschaft haben wir bis heute keine Einigung zu einem vergleichbaren gesetzlichen Vorgehen. Wie die Studie zeigt, lehnen die hier befragten Frauen solche Verfahren ab! Man habe es auch ohne geschafft!
Weibliche Führungskräfte rechnen sich, so der Geschäftsführer eines grossen Bauunternehmens, das zunehmend junge Ingenieurinnen eingestellt habt. Sie verändern nicht nur das Klima... ("Chefinnen", ZDF 30.5.2006). Über ihre Berufswahl sprich ihren Studienwunsch sollten junge Frauen nochmal nachsinnen, denn was sind möglicherweise "zukunftsträchtige" Fächer.
Die von Bischoff nun veröffentlichten Ergebnisse belegen Rückschritte, zum Teil sind sie schockierend. Die Entwicklung von Führungsverhalten und Führungsperspektiven in den deutschen Chefetagen wurden beobachtet und erforscht. Geguckt wurde auf den Nachwuchs. Wie stark sind Frauen heute in den Führungsetagen vertreten. Gefragt wurde, wer führt in die Zukunft? Wer morgen an der Spitze von Untenehmen steht, ist heute im Mittelmanagment zu finden. Wo und wer sind diese Frauen und Männer - und werden es in Zukunft mehr Frauen als in der Vergangenheit sein, die sich auf den Weg nach ganz oben machen - und dort auch ankommen! Diese Untersuchung gibt detailliert Auskunft.
Inhalt
Auf über 300 Seiten wird der bereits in der Vergangenheit genutzte z.T. ergänzte Fragebogen unter 10 Aspekten ausgewertet. 334 Frauen und Männer aus Führungspositionen im mittleren Management haben auf die verschickten Fragebögen geantwortet. Eine Beteiligung von 17,24%, wobei der Anteil der Frauen mit 17,7% zu 14,7% (bei den Männern) höher lag als in den vergangenen 3 Untersuchungen. Ein optimistisches Vorzeichen! Nach Darstellung der Ziele, Fragestellung und der Durchführung der Studie, werden anschliessend die Führungskräfte und ihre Unternehmen vorgestellt.
- Die Befragten und ihre Familie. Die Führungskräfte beantworten wo und wofür sie arbeiten. Ob es einen Hemmschuh in ihrer Karriere gab, ob sie gefördert wurden und von wem. So ist erstmalig festzustellen, daß 52% der Führungskräfte berufstätige Mütter haben. Bei den Frauen sind es 56%. Viele der Befragten haben zu der beruflichen Stellung ihrer Eltern allerdings keine Auskunft gegeben. Feststellbar ist bei den befragten Frauen ein Zusammenhang zwischen höher qualifizierter Berufstätigkeit der Mütter und der eigenen Karriere. Bischoff vermutetet, daß hier endlich die Vorbildfunktion wirksam wird und das Frauen sich durch die Doppelbelastung ihrer Mütter aus Beruf und Familienpflichten nicht abschrecken lassen. War oder ist die Mutter in einer leitenden Position, so hat dies Auswirkungen auf den finanziellen Erfolg der Tochter. Das ist neu. 56% der Frauen in der ersten Führungsebene haben durch ihre Mütter kein Rollenvorbild. Bei den Männern sieht das Bild vollkommen anders aus. Hier gibt es die entsprechenden Vorbilder. Das "richtige" Elternhaus, aber auch der "richtige" Lebenspartner mit dem "richtigen" Beruf begünstigt den Weg in die oberen Etagen der Unternehmen. Anmerkung: die Männer haben des häufigeren eine Nur-Hausfrau oder eine Ehefrau mit einer einfacheren Erwerbsarbeit zur Seite. Allerdings hat mit der zunehmenden Erwerbsarbeit der Frauen diese seit 1986 stetig abgenommen, von ehemals 60% auf nun 37%.
- Bei den Erfolgsfaktoren und Hindernissen auf dem Weg in die Führungsetagen ging es u.a. um die Frage nach der Ausbildung. Ein Studium ist empfehlenswert, aber auch mit einer Lehre ist ein Aufstieg in bestimmten Bereichen immer noch zu schaffen. Als Erfolg wird formuliert, daß Frauen mit Studium inzwischen soviel verdienen wie Männer mit Lehre! Männer nennen als einen wichtigen Erfolgsfaktor das äussere Erscheinungsbild! Neben der Qualifikation werden die während der Ausbildung ausgeübten direkten berufsorientierten Aktivitäten als Erfolgsfaktoren genannt ebenso wie Spezialkenntnisse. Nicht direkt berufsorientierte Aktivitäten bilden das Schlusslicht und werden fast ausschliesslich von Männern der obersten Gehaltsklasse und ersten Führungsebene ausdrücklich betont. Sollten Frauen hier auch investieren! Eigene Qualifizierungsmängel werden als der Faktor für Schwierigkeiten beim Berufsstart genannt. Eventuell entsprechen die Ausbildungen und berufsvorbereitenden Aktivitäten nicht mehr den gewünschten Anforderungen der Wirtschaft. Frauen erfahren "Frausein" immer noch als schwerwiegenstes Karrierehindernis. Männer und Frauen sehen ihr Durchsetzungsvermögen, gepaart mit diplomatischem Geschick und sozialer Kompetenz, geprägt durch Menschlichkeit und Fairness als Erfolgsfaktoren in der Aufstiegsphase. Die Identifikation mit dem Unternehmen ist für beide selbstverständlich. Hier zeigt sich allerdings, daß die Betriebstreue der Frauen sich nicht im Entgelt widerspiegelt.
- Die Position und das Geld. Fazit vorab, erfolgs- und leistungsabhängige Entgeltbestandteile zahlen sich aus. Bei Männern werden sie häufiger vereinbart als bei den Frauen. Die Männer der ersten Führungsebene haben in den letzten Jahren Einkommensverluste hinnehmen müssen, allerdings nicht zugunsten von Frauen. Sie verdienen immer noch weniger als Männer.
- Wie zufrieden sind die befragten Führungskräfte mit ihrer Arbeitssituation und dem Karriereverlauf? Koordinaten für den Erfolg sind das erzielte Einkommen und die erreichte Position im Unternehmen. Das Ergebnis hat überrascht. Obwohl sich die Einkommen nicht erfreulich entwickelt haben, anders als zwischen 1991 bis 1998, sind zweidrittel der Männer und die Hälfte der Frauen mit der Arbeitssituation uneingeschränkt zufrieden. Das sind mehr als in der Studie von 1998. Untersucht wurde auch, inwieweit die Zufriedenheit möglicherweise von der Zahl und dem Geschlecht der Mitarbeitenden abhängig ist. Gründe für Unzufriedenheit sind mangelnde Führungsqualität in den höheren Ebenen und ein nicht leistungsgerechtes Entgelt.
- Aufstieg oder Ausstieg. Aufstiegsorientierte Führungskräfte sind mobiler, wechseln häufiger den Arbeitsplatz und damit den Wohnort. Frauen sind deutlich weniger geographisch mobil als Männer. Unzufriedenheit führt zum Nachdenken über den Ausstieg. Es mag paradox erscheinen, so Bischoff, aber es sind insbesondere die aufstiegsorientierten Frauen und Männer die überdurchschnittlich häufig Ausstiegsneigungen entwickeln. Hier stellte sich auch die Frage nach einer möglichen Selbständigkeit.
- Arbeitszeit-Teilzeit-Freizeit. Gut dreiviertel der Männer und die Hälfte der befragten Frauen lehnen eine Arbeit in Teilzeit für sich ab. 87% der Männer und 60% der Frauen können sich nicht vorstellen, daß ihre Stelle auch von einer Teilzeitführungskraft adäquat ausgefüllt werden könnte. Die Ablehnung der Männer ist seit 1998 gestiegen - die der Frauen gesunken. Was sind dafür die Gründe? Sachliche Gründe werden weniger und die persönlichen häufiger benannt: es sind finanzielle Erwägungen, die Freude und der Spass an der Arbeit sowie die mit der Aufgabe verbundene Verantwortung. Außerdem fehle es an qualifiziertem Personal. Die Beantwortung der Frage wofür ein mehr an Zeit genutzt werden würde, fasst die Autorin so zusammen: Die Männer nutzen diese Zeit für den Körper und die Frauen für die Familie!
- Unternehmersein. Knapp ein Viertel der befragten Männer und ein Fünftel der Frauen sind an den Unternehmen in denen sie arbeiten beteiligt oder sie gehören zur Eigentümerfamilie. Wie sieht es hier mit ihrer Position, den Aufgabenbereichen, dem Entgelt sowie den Wünschen nach Arbeitsplatzflexibilisierung bzw. Teilzeit aus? Sind diese Führungskräfte insgesamt zufriedener als angestellte Personen? Wo sind die Unterschiede? Z.B. haben sich die Frauen auf der 1. Führungsebene seit der Untersuchung von 1991 verdoppelt, von 36% auf 72%! Und 80% der Frauen sind Mutter, wovon wiederum 50% zwei Kinder haben. Dies ist mehr als bei den angestellten Frauen, die ihre Kinder allerdings auch nicht als ein Karrierehemmnis gesehen haben.
- Auch zu der Zusammenarbeitzwischen den Geschlechternundihrem Führungsstil gibt die Studie über die Jahre Auskunft: Inzwischen haben immer mehr Männer Erfahrungen mit weiblichen Führungskräften gesammelt. Bei den Frauen hat sich demgegenüber nichts verändert. Wo funktioniert die Zusammenarbeit nun aber am besten? Die Beantwortung dieser Frage scheint abhängig zu sein von der Führungsebene, wie der Größe der Unternehmung, aber auch ob eine Firmenbeteiligung besteht oder nicht.
- Wer führt denn nun in Zukunft? Bischoff meint, es gibt eine ziemlich eindeutige Prognose: Auch in absehbarer Zeit werden überwiegend mehr Männer als Frauen die Geschicke der Unternehmen bestimmen. Immer noch mehr Männer bekunden ihren Willen zum Aufstieg, obwohl anteilsmäßig genauso viele Frauen im Mittelmanagement durch ein Studium qualifiziert sind.
Zusammenfassung / Hypothesen / Schlußfolgerungen: Zum Schluß gibt es nochmal kurz und knapp Antworten auf die nachfolgenden Fragen:
- Wo sind die Führungskräfte des Mittelmanagements?
- Wo kommen sie her?
- Wie leben sie?
- Was haben sie erreicht?
- Wie haben sie es erreicht?
- Wo wollen sie hin?
- Wie wollen sie dorthin?
Einige abschließende Schlussfolgerungen gibt Bischoff den Unternehmensleitungen sowie den Führungsnachwuchskräften mit auf den Weg. Darüber nachzudenken, könnte sich lohnen!
Zielgruppe
Studierende sowie Lehrende (zB der Betriebswirtschaftslehre / den IngenieuerwissenschaftenÉ), Personalverantwortliche wie die Vertretungen der Mitarbeiterschaft, Gender- und Diversity-Beauftragte (Frauenbeauftragte), Unternehmensleitungen und Personen die diese ebenso wie die zukünftigen Führungskräfte beraten und coachen. Und die HerausgeberInnen der 2. Bilanz.
Fazit
Einfach Empfehlenswert. Mein persönliches Kurzportrait der weiblichen deutschen Führungskraft habe ich nach dem Lesen der Studie leicht korrigiert. Nach 60 Jahren "Männer und Frauen sind gleich" und 20 Jahren Frauenförderung kann frau mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein. Gut gestartet und wie soll es weitergehen? Ist die Diskussion zum Thema Gleichberechtigung einmal wieder in eine Sackgasse geraten? Die Untersuchung könnte die Diskussion möglicherweise beleben. Sinnvoll erscheint mir in diesem Zusammenhang, die im Februar 2006 erschienene 2. Bilanz "Chancengleichheit - Frauen in Führungspositionen" der deutschen Bundesregierung parallel zu studieren. Auf ca. 60 Seiten wird auch dort Zahlenmaterial zur Verfügung gestellt und über Massnahmen und Erfolge berichtet. Ein weiterer Beitrag für die mögliche Diskussion! Einig ist man sich, wenn es um Macht sprich die Position geht und um das Entgelt. Frauen sollten den leistungsabhängigen variabelen Entgeltbestandteilen viel mehr Beachtung schenken und diese für sich zukünftig ebenfalls beanspruchen. Eine zentrale Behauptung der vorgelegten 2. Bilanz lautet, daß der Anteil von Frauen in Führungspositionen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sei. Diese Aussage ist irreführend. In den Großunternehmen ist ihr Anteil mit unter 5% stagnierend. Die Definition der Führungsebenen ist der entscheidende Unterschied. Bischoff hatte sich 1986 wegen der sehr geringen Anzahl von Frauen in den höchsten Ebenen für eine Befragung im Mittelmanagement entschieden. Hier gab und gibt es mehr Frauen und Möglichkeiten der Veränderung sprich des Aufstiegs. Eine richtige Entscheidung, wenn man den Vergleich über den gesamten Zeitraum betrachtet.
Die dargestellte vergleichende Sicht von und auf Frauen und Männer über gut 15 Jahre, belegt durch 4 Untersuchungen, regt zum Nachdenken an und hoffentlich zum Tun. Fortschritt, Rückschritt, Stagnation - hier wird es sichtbar.
PS: Mikrozensus nicht diskrimnierungsfrei! Die Erwerbsstatistik der weiblichen Führungskraft endet mit der Altersgruppe der 35 - 49-jährigen.
Rezension von
Ute Wellner
Juristin und Mediatiorin,freiberuflich tätig in Personaltraining, Fortbildung und Mediation. Arbeitsschwerpunkte: Arbeits- und Gleichstellungsrecht, Diskriminierung am Arbeitsplatz (sexuelle Belästigung, Mobbing, AGG)
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