Jan-Felix Schrape: Digitale Transformation
Rezensiert von Dr. Alexander Brandenburg, 21.01.2022
Jan-Felix Schrape: Digitale Transformation.
UTB
(Stuttgart) 2021.
250 Seiten.
ISBN 978-3-8252-5580-0.
D: 22,00 EUR,
A: 22,70 EUR,
CH: 29,50 sFr.
Reihe: Einsichten. Themen der Soziologie - 5.
Thema
Die fortschreitende Technisierung bestimmt nicht erst seit gestern und auch nicht erst seit der Jahrtausendwende unsere Gesellschaft. „Die ganze Menschheitsgeschichte, genau geprüft, löst sich zuletzt in die Geschichte der Erfindung besserer Werkzeuge auf.“ (Ernst Kapp) Doch gibt es besonders seit der Neuzeit Phasen in der Geschichte der Technik, in denen sich die Prozesse besonders beschleunigen und Erneuerungen das vorhandene Arsenal der Technik erweitern bzw. ersetzen. Die Zeitgenossen solcher Prozesse der Technisierung des Lebens reagieren nicht immer freundlich. Schließlich gibt es bei solchen Umwälzungen immer auch eine Seite der Verlierer und Verluste. Mit einer solchen Situation haben wir es bei der digitalen Transformation zu tun. Unsere Gesellschaft wird zwar schon seit längerem durch neue digitale Techniken verändert, aber der Prozess der Umgestaltung hat sich erneut beschleunigt und verschärft und umgreift die gesamte Arbeitswelt. Alles muss neu gestaltet, und alles muss neu ausgehandelt werden. Die Gewinner nehmen alles.
Autor und Entstehungshintergrund
Jan-Felix Schrape hat sich, wie sein gut bestücktes Literaturverzeichnis zeigt, über 10 Jahre hinweg in zahlreichen Publikationen mit den unterschiedlichen Facetten der digitalen Transformation auseinandergesetzt. Stets gab es in den zahlreichen Diskussionen den Wechsel zwischen euphorischen (Demokratie) und kritischen (Überwachung) Grunderwartungen. Doch schon frühe soziologische Arbeiten haben gezeigt, dass sich an der Technik nicht per se positive oder negative Veränderungseffekte knüpfen lassen.
Da der Autor bei der Vorbereitung seiner Lehrveranstaltungen keinen leicht zugänglichen Studienband fand, der die grundsätzlichen Ambivalenzen der digitalen Transformation thematisierte, fasste er den Entschluss, dem Mangel ein Ende zu bereiten und einen eigenen Studienband aufzulegen. Sein Ziel ist es, die Ambivalenzen soziotechnischen Wandels herauszuarbeiten und so übersteigerten Erwartungen entgegenzutreten.
Aufbau und Inhalt
In dem einführenden Kapitel „Einleitung: Technik und Gesellschaft“ wird die digitale Transformation als Bestandteil der Geschichte der Technik gesehen und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Gesellschaft beschrieben. Erst wenn die Entwicklung der Technik in Phasen des Umbruchs gerät und alle Bereiche der Gesellschaft tangiert, wird die ansonsten kaum wahrgenommene Technik zu einer Herausforderung der gesamten Gesellschaft. Die sich intensivierende Digitalisierung wird nur vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Geschichte der Technik verständlich und in ihrem positiven wie negativen Veränderungspotenzial begreifbar.
Das folgende Kapitel „Soziologie der Technik: Grundlagen und Positionen“ liefert dem Leser die zentralen Informationen, die zum Verständnis der techniksoziologischen Gedankengänge erforderlich sind. So wird man die gegenwärtige Situation des digitalen Umbruchs kaum verstehen können, wenn man sich nicht mit den von der Industrialisierung und Urbanisierung eingeleiteten großen Veränderungen des 19. Jahrhunderts und der sich daraus entwickelnden Entstehung der neuen Wissenschaft der Soziologie beschäftigt. Wichtig sind dem Autor auch die langfristigen gesellschaftlichen Entwicklungslinien und die sozioökonomischen Verflechtungen, in denen sich die gegenwärtigen Entwicklungen als keineswegs so unvergleichbar und einzigartig verstehen lassen.
Hier die in diesem Kapitel behandelten Themen im Überblick: Soziotechnischer Wandel als Ausgangspunkt für die Soziologie; Technik als Gegenstand der Soziologie; Technik als Struktur, Institution, Handlungsträger und Medium; Soziotechnische Innovationsprozesse; Koevaluation von Technik und Gesellschaft.
Im dritten Kapitel wird dem Leser die „Digitalisierung als soziotechnischer Transformationsprozess“ vorgestellt, der seit den 1950er Jahren viele informationstechnische Neuerungen gebracht hat. Die bis in die unmittelbare Gegenwart führende Entwicklung wird in 5 aufeinander folgende Phasen eingeteilt: Emergenz der Informationsgesellschaft als Idee, beginnende Computerisierung der Lebenswelt, Aneignung des Internets, Web.2.0. und Aufstieg der Plattformunternehmen und die soziale Vergegenwärtigung der Digitalisierung. Die Digitalisierung ist kein eruptiver Vorgang, sondern ein ungeplanter, doch schrittweise erfolgender Veränderungsprozess, der sich keineswegs unabhängig von der Gesellschaft und ihren ökonomischen Prozessen vollzieht.
Im anschließenden Kapitel geht es unter dem Titel: „Digitalisierung und gesellschaftliche Koordination“ um die Frage, wie sich die neuen Techniken in der Gesellschaft verfestigt haben und wie sich diese Verfestigung auf die gesellschaftlichen Ordnungsmuster ausgewirkt hat. Es zeigt sich, dass die Veränderungen nicht im luftleeren Raum stattfinden oder nur innerhalb der Träger der Digitalisierung ausgehandelt werden, sondern dass die eingespielten institutionellen Strukturen wesentlich auf diese Veränderungen einwirken. Die neuen informationstechnischen Strukturen bewegen sich im Rahmen der neu-alten Gesellschaft. Die Gesellschaft ist keine tabula rasa.
Der durch die Digitalisierung eingeleitete Wandel gesellschaftlicher Kommunikations- und Öffentlichkeitsstrukturen bleibt dem Kapitel „Digitalisierung und gesellschaftliche Kommunikation“ vorbehalten. Thematisiert werden die Plattformisierung der Medienstrukturen, die Individualisierung des Medienrepertoires, die Pluralisierung der Öffentlichkeitsarenen, die Soziotechnische Aushandlung von Sichtbarkeit, die Dynamisierung gesellschaftlicher Wirklichkeitskonstruktion. Eine Bilanzierung zwischen Kontinuität und Bruch bildet den Abschluss. Beruhigend ist die vom Autor prognostizierte Fortexistenz des Journalismus, der weiterhin für die täglichen Nachrichten und deren Richtigkeit im Sinne der von den maßgebenden gesellschaftlichen Kräften geforderten Aushandlung sorgt.
Über das „Resümee: Digitalisierung und Gesellschaft“ will ich nicht berichten. Nur so viel sei gesagt: Die Lektüre der sieben Seiten lohnt sich wirklich! Ebenso informativ ist auch die persönliche Schlussbemerkung von Jan-Felix Schrape zu seinem digitalen Arbeitsbuch.
Es ist heute nicht selbstverständlich, dass ein Buch erscheint, dass ein sorgfältig erarbeitetes Literaturverzeichnis, einen zum Nachschlagen und Aufspüren nützlichen Sachindex und ein Personenverzeichnis enthält. Auch die zahlreichen Abbildungen und Tabellen findet man in einer entsprechenden Übersicht.
Diskussion
Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Behandlung der digitalen Transformation innerhalb der geschichtlichen Entwicklung. Dabei scheut sich der Autor nicht, auf die auf diesem Feld viel zu wenig beachtete Antike genauso hinzuweisen wie auf die Prozesse der Entstehung der kapitalistischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert und andere historische bis in die Gegenwart reichende Entwicklungen. Natürlich bleibt die Gegenwart der Transformation dabei im Vordergrund der durchweg lehrreichen Ausführungen. Durch den Ausflug in die ältere und jüngste Geschichte werden jedoch die gegenwärtigen Prozesse der gesellschaftlichen und technischen Umwandlung besonders eindrucksvoll beleuchtet und begründet. Viele Befürchtungen und Wünsche, die mit der Transformation verbunden werden, werden dadurch relativiert und verlieren ein wenig an beängstigender Kraft. Normalität kehrt ein.
Fazit
Die Lektüre dieses Buches kann ich nur empfehlen. Wer sein Wissen über die Digitale Transformation erweitern möchte, der sollte seinen Buchhändler stante pede aufsuchen.
Rezension von
Dr. Alexander Brandenburg
Leiter der Abteilung Gesundheitsförderung und Gesundheitsplanung bei der Stadt Herne
Mailformular
Es gibt 99 Rezensionen von Alexander Brandenburg.
Zitiervorschlag
Alexander Brandenburg. Rezension vom 21.01.2022 zu:
Jan-Felix Schrape: Digitale Transformation. UTB
(Stuttgart) 2021.
ISBN 978-3-8252-5580-0.
Reihe: Einsichten. Themen der Soziologie - 5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28560.php, Datum des Zugriffs 14.10.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.