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Hans-Ernst Schiller: Ähnlichkeit und Analogie

Rezensiert von Sabine Hollewedde, 11.08.2021

Cover Hans-Ernst Schiller: Ähnlichkeit und Analogie ISBN 978-3-7329-0767-0

Hans-Ernst Schiller: Ähnlichkeit und Analogie. Zur Erkenntnisfunktion des mimetischen Vermögens. Frank & Timme (Berlin) 2021. 120 Seiten. ISBN 978-3-7329-0767-0. D: 24,80 EUR, A: 24,80 EUR, CH: 37,20 sFr.
Reihe: Philosophie - 3.

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Thema

Die philosophiegeschichtliche Bedeutung der Mimesis, der Fähigkeit Ähnlichkeiten zu erkennen und durch Nachahmung herzustellen, wird von Hans-Ernst Schiller aufgegriffen und auf die Frage bezogen, ob eine „Politik der Ähnlichkeit“ möglich ist und ob eine solche zu einem veränderten Verhältnis der Menschen zur Natur beitragen könnte. Es geht dem Autor um die Frage, „welchen Beitrag der Rückgriff auf die Traditionen der Ähnlichkeit und der Entsprechung für die Lösung unserer epochalen Probleme mit der Zerstörung von Naturzusammenhängen – genannt seien nur das Artensterben und das Abschmelzen der Pole – leisten könnte“ (S. 11). Schiller argumentiert dafür, dass der mimetische Impuls eine notwendige Ergänzung zu bloß technisch orientierten Versuchen, das Naturverhältnis umzugestalten, darstellt.

Aufbau und Inhalt

Neben einer Vorrede ist das Buch in 15 Abschnitte gegliedert, welche sich mit verschiedenen (philosophie-)historischen Perspektiven auf das Thema Mimesis befassen.

Eingangs führt der Autor in das Thema ein und erläutert seine zugrunde liegende Fragestellung. Ähnlichkeit gilt es von Identität abzugrenzen und sie ist bestimmbar als „überwiegende Gleichheit“ (S. 9). Mit Bezug auf Platon wird allerdings sogleich auch darauf hingewiesen, dass Ähnlichkeit relativ unbestimmt bleibt und laut Platon eine „‚besonders schlüpfrige Gattung‘“ sei (ebd.), da immer auch eine gewisse Willkür in der Bestimmung von Ähnlichkeiten enthalten sei. Dennoch bezeichnen Ähnlichkeiten etwas Objektives und damit kommt der Ähnlichkeit eine Erkenntnisfunktion zu. „Auf der Objektivität von Ähnlichkeit fußt ihre Erkenntnisfunktion – von alltäglichen Prozessen bis zu den expressiven Produkten authentischer Kunst und den anspruchsvollsten wissenschaftlichen Leistungen. Diese Erkenntnisfunktion des mimetischen Vermögens – die schon für Platon, trotz seiner Kritik der sinnlichen Ähnlichkeit, von zentraler Bedeutung war – aufzuklären, ist das leitende Ziel der folgenden Untersuchung“ (S. 10).

Der theoretische Ausgangspunkt ist für Schiller die Sprachtheorie der Mimesis bei Walter Benjamin. Benjamin sah das mimetische Vermögen in der Natur verankert und beim Menschen besonders ausgeprägt: „‚Vielleicht besitzt er [der Mensch; S.H.] keine höhere Funktion, die nicht entscheidend durch mimetisches Vermögen mitbedingt ist‘“ (S. 13). Dabei bleibt nicht unerwähnt, dass Benjamin einen problematischen „hartnäckigen Drang nach dem tieferen Sinn [hatte; S.H.], der ihn verführt, in Astrologie und Mantik eine Instanz der Erkenntnis zu sehen“. Diese Seite der Benjamin’schen Theorie müsse geschieden werden von „den wirklich aufschließenden und stets noch anregenden und unkonventionellen Gedanken“, die er formulierte (S. 18).

Daran anknüpfend behandelt Schiller „Archaische Mimesis“. Die „Magie des Rituals“ (S. 19) habe hier eine herausragende Bedeutung, insbesondere zeigt der Blick auf archaische Mimesis ein verglichen mit der kapitalistischen Gesellschaft gänzlich anderes Verhältnis der Menschen zur Natur. „Das identische Ich, das sich in der wissenschaftlichen Naturerkenntnis und ihrer Naturbeherrschung durchhält, gibt es auf dieser Stufe der Menschheitsentwicklung noch nicht“ (S. 20). Über rituelle Handlungen werde vielmehr eine Einheit mit der Natur hergestellt, wobei insbesondere Rituale hervorzuheben seien, durch welche die Entnahme bspw. eines Tieres wiedergutgemacht werden soll. „Bemerkenswert ist auf jeden Fall, dass dieser Wunsch nach Wiedergutmachung bei Menschen vorhanden wäre, deren reale Macht, den Naturzusammenhang zu unterbrechen, lächerlich gering ist gegenüber der, über die der kapitalistische Fleisch- oder Holzfabrikant verfügt, der nach dem Motto handelt: ‚Nach mir die Sintflut‘“ (S. 21).

Der dritte Abschnitt behandelt die Bedeutung der Mimesis bei Horkheimer und Adorno, insbesondere in den Schriften „Dialektik der Aufklärung“ und „Zur Kritik der instrumentellen Vernunft“. Schiller argumentiert, dass Benjamins Konzept der Mimesis Voraussetzung für Horkheimers und Adornos „Dialektik der Aufklärung“ war. Übernommen worden seien „die naturgeschichtliche Verankerung, die historische Veränderung des Stellenwerts mimetischer Verhaltensweisen, sowie die Betätigung der Mimesis in geistigen Funktionen“ (S. 25). Nicht hingegen sei der Bezug zu „okkulten Phänomenen“ übernommen worden. Schiller begreift die Bedeutung der Mimesis für die „Dialektik der Aufklärung“ in ihrem Bezug auf die Ratio: „Rationalisierung als zivilisationsgeschichtlicher Prozess bedeutet also Zurückdrängen, Unterdrücken und Verleugnen des mimetischen Impulses zugunsten rationaler Verhaltensweisen. Sie bedeutet aber auch, was man seine Sublimierung nennen könnte. ‚Die Ratio, welche die Mimesis verdrängt, ist nicht bloß deren Gegenteil. Sie ist selber Mimesis: die ans Tote‘“ (S. 26). Mimesis werde von den Autoren als ein „anthropologisches Bedürfnis“ aufgefasst (S. 29), welches durch die Ratio verdrängt werde, aber sich immer wieder Geltung verschaffe und in einer „verstümmelten und revoltierenden Form […] politisch manipulierbar“ sei. (ebd.) „Eine Politik der Ähnlichkeit muss nichts Gutes bedeuten“ (S. 30). – Soviel lasse sich an dieser Stelle mit Blick auf die faschistische Gestalt der „‚Rebellion der unterdrückten Natur gegen die Herrschaft‘“ (Horkheimer/​Adorno, zit. S. 30), welche Rebellion der Herrschaft nutzbar gemacht wird, bereits feststellen.

Mit diesen ersten drei Abschnitten legt der Autor eine theoretische Basis und begründet den Stellenwert der Mimesis für eine kritische Theorie. Daran anschließend folgt eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Ähnlichkeit in der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte. Zunächst wird Platons kritischer Blick auf die Mimesis in der Kunst aufgegriffen („Sublimierte Mimesis“) und zugleich dargelegt, dass das Denken in Ähnlichkeiten auch für Platons Philosophie von zentraler Bedeutung war, etwa „die Ähnlichkeit zwischen der Gliederung der menschlichen Seele und der Gliederung des Staates“ (S. 32). Das Verhältnis von Idee und Abbild als durch Analogien darstellbares und die Bedeutung von Worten bei Platon werden in diesem Zusammenhang aufgegriffen. Unter kritischem Bezug auf die Arbeiten von Michel Foucault und Karen Gloy zeigt Schiller die Bedeutung der Analogie in der Philosophie der Renaissance auf. Dabei weist er überzeugend darauf hin, dass das Analogiedenken nicht als Alternative zum rationalen Denken betrachtet werden kann, sondern eine Form wissenschaftlichen Denkens ist.

In der Psychoanalyse Freuds nimmt die Ähnlichkeit ebenfalls eine prominente Stelle ein als „unbewusste Ähnlichkeit“ (S. 51). Sowohl bezogen auf die Übertragung in der Therapie als auch in der Traumdeutung werden Ähnlichkeiten hergestellt und sie stellen einen Schlüssel zum Begreifen des Unbewussten dar. Im Anschluss an Freud widmet sich Schiller dem „Gegensinn der Urworte“. (S. 59) Mit dem Gegensinn ist gemeint, dass Wörter gegensätzliche Bedeutungen beinhalten und solche ursprünglichen Wörter auf eine ‚andere Logik‘ archaischen Denkens deute, welche im Traum wiederkehre. Gegen Gloy hält Schiller fest, dass hier keine „eigene Logik“ auszumachen ist, welche „als Alternative zu dem gelten kann, was wir im tagwachen Denken Logik nennen“ (S. 61). Schiller verweist auf Kant und argumentiert, „dass die besonderen Logiken des besonderen Verstandesgebrauchs die gegenstandsspezifischen Methoden sind, um auf einem bestimmten Gebiet, z.B. der Wissenschaft vom Wert (Kritik der politischen Ökonomie) oder der Wissenschaft vom Unbewussten (Psychoanalyse) Erkenntnisse zu produzieren“ (S. 62). An dieser Stelle wird deutlich, dass eine eigene Logik etwa im Traum zu erkennen zu versuchen, eine ‚gewaltsame‘ Negation des Denkens darstellte, wie es „von einer über 2000 Jahre bestehenden Überlieferung“ uns gegeben ist. „Traumtätigkeit mag also nach empirisch feststellbaren Regeln unbewusst vollzogen werden, aber eine eigene Logik hat sie, im Unterschied zu ihrer Erforschung und deren Methoden, nicht. Es gibt eine besondere Logik der Traumdeutung, eine eigene Logik des Traums gibt es nicht“ (S. 63).

Auch in den neuzeitlichen Naturwissenschaften ist das Denken in Analogien wiederzufinden. Die erkenntnistheoretische Bedeutung der Analogie greift Schiller bei Wissenschaftlern wie Kepler und Einstein auf und kommt von hier aus kritisch auf die „Kognitionspsychologie: Hofstadter und Sander“ (S. 69) zu sprechen. Ihnen gehe es darum, „das Denken in Ähnlichkeiten gegen Begriffshierarchien und das formalistische Denken in Stellung“ zu bringen (S. 69). Dabei verwerfen die Autoren Begriffe der philosophischen Tradition und stellen das Denken von Menschen dem Wahrnehmen von Tieren gleich. „Das Denken von Menschen unterscheidet sich ihnen zufolge nicht qualitativ vom tierischen, sondern im Umfang, der nicht fixiert ist, sondern sich erweitert, und im Abstraktionsgrad, von dem dasselbe gilt.“ (S. 72) Schiller zeigt, dass auf diese Weise Hofstadter und Sander sich jegliche „Freiheitsdimension“ verstellen und dadurch ihr eigentliches Anliegen unmöglich machen. „Die Reduktion der Naturgeschichte auf eine nicht vorhandene Kontinuität vom ‚Begriff‘ der Küchenschabe bis zu den Begriffen Albert Einsteins blendet das mimetische Vermögen – die Fähigkeit Ähnlichkeiten zu erkennen und zu produzieren – im Hinblick auf die Sprache aus“ (S. 74).

Die Reflexion auf das Denken und die Bedeutung der Analogie muss sich mit der philosophischen Tradition auseinandersetzen. Schiller diskutiert daher anschließend zunächst „Analogieschlüsse: Bacon, Descartes, Locke und Kant“ (S. 77). Während Bacon die Bedeutung von Analogieschlüssen für die Wissenschaft hervorhebt, mahnt er zugleich zur Vorsicht. „Die Ähnlichkeiten müssen in der Sache selbst begründet, wirklich und substantiell sein, nicht bloß zufällig“ (ebd.). Descartes hingegen verweist auf die Ungenauigkeiten von Analogien. „[E]s liegt auf der Hand, dass es [das Analogiedenken; S.H.] seinem Ideal klarer und bestimmter Begriffe, unerschütterlicher Urteile und zuverlässiger Deduktion widerspricht“ (S. 78). Locke zählt „die Analogie nicht zur Logik der Wahrheit“ (S. 79), sondern zur Grundlage dafür, Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen und auf diese Weise Erkenntnisse zu erweitern. Bei Kant lassen sich zwei unterschiedene Bestimmungen von Analogien finden. Die eine geht auf die Feststellung von Gattungsidentitäten der Dinge, die andere auf die Gleichheit von Verhältnissen. Analogien sind als Schluss der reflektierenden Urteilskraft dargestellt und sie bestimmen damit „nicht das Objekt, sondern nur unsere Reflexion über dasselbe“ (S. 81).

In einem gesonderten Abschnitt behandelt Schiller „Hegel. Analogie und Identität“ (S. 83). Da Ähnlichkeit an die sinnliche Erfahrung gebunden sei, sei sie „bei Hegel kein logischer Begriff“ und sie „ist aus der Logik verbannt, weil diese nichts sein soll als der sich selbst tragende Zusammenhang reiner Gedanken“. (S. 85) Hingegen sei die „Begriffsbewegung von der Verschiedenheit über den Gegensatz und Widerspruch in den Grund […] so etwas wie das Scharnier der hegelschen, der idealistischen Dialektik“ und zugleich „Apotheose des Widerspruchs“ (S. 86). Der Darstellung der Identität bei Hegel folgt im nächsten Kapitel die „Identitätskritik. Konstellation und Kohärenz“ (S. 89). Schiller greift hier Adornos Kritik an der Identität vor allem in der „Negativen Dialektik“ auf und erläutert den „aus der benjaminischen Mimesistheorie“ übernommenen Begriff der Konstellation bei Adorno (S. 91). „Im konstellativen Denken geht es nicht um eine möglichst vollkommene Repräsentation aller Aspekte, sondern um das, was man die mimetische Reflexion nennen könnte“ (S. 91 f.). Der Wahrheitsbegriff der Kritischen Theorie richte sich nicht darauf, das Unähnliche sich ähnlich zu machen, sondern „‚des Ähnlichen innezuwerden, indem sie es als das ihr Unähnliche bestimmt‘“ (Adorno, zit. S. 92). Wesentlich sei diesem kritischen Sinn von Erkenntnis „die Reflexion auf die Naturverflochtenheit des erkennenden Subjekts selbst“ (S. 92) und seine „utopische Dimension“ (ebd.). „Er [der Wahrheitsbegriff der Affinität; S.H.] ist Antwort auf die Frage, wie eine Erkenntnis auszusehen hätte, die jenseits der verdinglichten Begriffsapparate steht“ (S. 92 f.). Daran anknüpfend behandelt der nächste Abschnitt, „Ein ontologisches Moment. Historische und natürliche Korrespondenzen“, Grundlagen der Adorno’schen Erkenntniskritik bei Benjamin. Ausgehend vom „Vorrang des Objekts“ zeigt Schiller auf, dass im konstellativen Denken die Reflexion auf die Geschichte der Gegenstände inbegriffen ist. „Nicht nur die Begriffe treten in Konstellation zur gemeinsamen Erschließung eines Gegenstandes, sondern der Gegenstand selbst tritt damit in Konstellation zum erkennenden Subjekt“ (S. 96). Hier macht der Autor den Bezug zu Benjamins Geschichtsbegriff deutlich, in welchem „eine Korrespondenz, die durch Gefährdung gestiftet wird“, zum Tragen komme. „‚Dem historischen Materialismus geht es darum, ein Bild der Vergangenheit festzuhalten, wie es sich im Augenblick der Gefahr dem historischen Subjekt unversehens einstellt‘“ (Benjamin, zit. S. 97). Dieser Gedanke sei für Adornos erkenntnistheoretische Reflexion leitend gewesen und sei verbunden mit einer „utopische[n] Dimension in gegenwärtiger Erkenntnis“. (S. 99) Benjamins Theorem von einer „Sprache der Dinge“ (S. 99) wird in Bezug gesetzt zu Kants „‚Gesetz der Affinität‘“. Abschließend werden philosophiegeschichtliche Parallelen in der Stoa aufgezeigt und es wird auf Alexander von Humboldts Idee der Naturerkenntnis eingegangen.

Der das Buch beschließende Abschnitt widmet sich der eingangs aufgeworfenen Frage: „Politik der Ähnlichkeit?“ (S. 103) Diesen Begriff übernimmt Schiller von Dorothee Kimmich, wo er sich auf intersubjektive Verhältnisse bezieht. Dabei ist zu zeigen, „dass sich Diskriminierung und der Kampf gegen sie nicht einmal denken lassen, ohne dass die Kategorien von Identität (Selbigkeit) und Differenz (Unterschied) betätigt würden“ (S. 104). Da „Verhältnisse der Menschen zugleich Verhältnisse zur außermenschlichen Natur“ seien, stellt der Autor im Anschluss die Frage nach einer „Politik der Ähnlichkeit“ in Bezug auf das Verhältnis zur Natur. Schiller macht hier abermals deutlich, dass nicht die bloße Negation von Rationalität ein verändertes Naturverhältnis begründen kann. Adorno und Horkheimer haben gezeigt, dass „das Innewerden der Natur im Subjekt selbst Bedingung für die Anerkennung der Subjektivität der Natur“ sei (S. 106). Hier scheine eine „Ähnlichkeit des Subjekts mit dem Objekt, Identität und Differenz beider in einem“ auf, woran sich die Hoffnung knüpfe, „dass das solcherart reflektierte Subjekt aufhört, die Natur nur mit den Begriffen zu überziehen, die sie beherrschbar machen“ (ebd.). Doch solche Überlegungen Adornos bewegten „sich auf einem Abstraktionsniveau, das es unmöglich macht, konkrete politische Schritte aus ihnen abzuleiten“ (ebd.). Schiller betont, dass bloß aus der erkenntnistheoretischen Reflexion die „gegenwärtige Dynamik der Naturzerstörung“ nicht zu verstehen sei und es „der Einsicht in die kapitalistische Wirtschaftsweise, die seit rund zweihundert Jahren dabei ist, sich die Produktion in globalem Maßstab zu unterwerfen“, bedürfe. (ebd.) Eine „allgemeine Katastrophenstimmung“ (S. 108) sei nicht angemessen, da die Auswirkungen der ökologischen Katastrophen nicht alle Menschen gleichermaßen träfen und da Umweltzerstörung „kein Privileg des Kapitalismus“ sei. (ebd.). Festzuhalten sei jedoch, dass nicht frühere Gesellschaften, sondern erst der Kapitalismus „‚die Welt‘ zur Beute“ machte (Horkheimer). Abschließend geht Schiller auf Marx’ „Ökonomisch-philosophische Manuskripte“ und die „dort propagierte Einheit von Naturalismus und Humanismus“ ein (S. 110). Die Marx’sche Utopie „der Selbstanschauung der Menschen im Umgang mit einer selbstgeschaffenen Welt, in der Natur auf menschliche Weise geformt ist, war zweifellos beschränkt, weil sie noch blind für die Leiden in der außermenschlichen Natur war. Zur Utopie, wie sie dem Fortschritt der globalen Nutzbarmachung angemessen ist, gehört das Ziel, den herrschaftlichen Druck, der auf dem Lebendigen lastet, zu lockern, ohne sich aufzugeben“ (S. 111). Um dieses Ziel zu erreichen, müsse der mimetische Impuls hinzukommen als „notwendige Relativierung und Ergänzung“ der Marx’schen Utopie.

Diskussion

Für das Buch sind die die Menschheit bedrohenden Auswirkungen des zerstörerischen Zugriffs auf die Natur Ausgangspunkt. Schiller ist zuzustimmen, wenn er in seinem letzten Abschnitt feststellt, dass die Einsicht in die und die Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsweise nötig sind, um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu begreifen – und zu verändern. Dieses Verhältnis ist durch die herrschaftlich organisierte Arbeit, die Form des „Stoffwechsel[s] mit der Natur“ (Marx 1981: S. 192), bestimmt. In der kapitalistischen Produktion ist die Produktion von Wert der einzige Antrieb und dieser bedeutet „eine fundamentale Gleichgültigkeit gegen die Gebrauchswertseite der Produktion“ (S. 106). Wichtig ist dieser Hinweis des Autors auf die Ursache der Naturzerstörung in dem die globale Gesellschaft beherrschenden Kapitalverhältnis und sein Hinweis darauf, dass keine „systemkonforme Regelung der Umweltschäden, die durch die Produktion und ihre Produkte verursacht werden,“ es sich leisten kann, „diesem Profitimperativ zu widersprechen“ (S. 107). Eine „Politik der Ähnlichkeit“ bleibt insofern machtlos, wenn zu zeigen ist, „dass es ohne die Ablösung der kapitalistischen Produktionsweise durch eine bessere wahrscheinlich keine durchgreifenden Fortschritte in der Naturpolitik geben kann“ (ebd.).

Schiller zeigt ausgehend von Benjamin und der Kritischen Theorie Horkheimers und Adornos, dass die erkenntnistheoretische Reflexion inwendig verknüpft ist mit der Kritik von Herrschaft. Insbesondere der dritte sowie die Abschnitte 13 und 14 sind hier hervorzuheben. Adornos Bestimmung einer Philosophie, deren Freiheit in dem Vermögen bestehe, „ihrer Unfreiheit zum Laut zu verhelfen“ (Adorno 2003: S. 29), wird von Schiller anhand einer Untersuchung der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte hinsichtlich ihres Bezuges auf Mimesis, Analogie und Ähnlichkeit dargestellt. Mit Hegel bekommt idealistisches Denken, welches, wie Schiller zeigt, der kapitalistischen Herrschaft über die Natur entspricht, eine philosophische Krönung, welcher die Kritische Theorie widerspricht. Durch die philosophiegeschichtlichen Bezüge wird dabei zugleich deutlich, dass dieses Denken der Identität immer auch durch das Analogiedenken ergänzt wurde.

Dass Schiller dabei betont, dass es nicht darum gehe, eine andere, gleichsam konkurrierende Logik zu propagieren, und die Widersprüche aufzeigt, in welche Denken sich notwendig verwickelt, wenn es sich selbst durchstreicht, ist besonders angesichts immer wieder aufkeimender irrationaler Positionen, welche keine begründete Kritik an der kapitalistischen Herrschaft über Mensch und Natur formulieren können, von großer philosophischer wie politischer Relevanz. Die Abkehr von logischem Denken und Aufklärung bietet keinen Fortschritt, sondern stellt eine Gefahr dar. Vielmehr geht es Schiller im Sinne Adornos darum festzuhalten, „dass die Gegenstände in ihrem Begriff nicht aufgehen, dass sie in Widerspruch geraten mit der hergebrachten Norm der adaequatio. Der Widerspruch ist nicht, wozu Hegels absoluter Idealismus unvermeidlich ihn verklären musste: kein heraklitisch Wesenhaftes. Er ist Index der Unwahrheit von Identität, des Aufgehens des Begriffenen im Begriff“ (Adorno 2003: S. 17). – Der Widerspruch ist nicht hegelsch zu affirmieren (vgl. ebd.: S. 86), sondern Index der Unwahrheit. Die Gegenstände sind nicht adäquat zu erfassen, verbleibt Denken in idealistischer Identität.

Schillers leitende Frage, „welchen Beitrag der Rückgriff auf die Tradition der Ähnlichkeit und der Entsprechung für die Lösung unserer epochalen Probleme mit der Zerstörung von Naturzusammenhängen“ (S. 11) hat, wird schließlich damit beantwortet, dass ein mimetischer Impuls – ein anderes Verhältnis der Subjekte zur Natur, welches nicht zu trennen ist von dem „Innewerden der Natur im Subjekt“ (S. 106) – hinzukommen müsse. In Anlehnung an Horkheimer spricht er der Sprache und Kultur zu, in der Lage zu sein, „die Leiden der Natur im Reiche des Geistes zu spiegeln“ (S. 111) und auf diese Weise die Natur in die Marx’sche Utopie einzubeziehen. – Eine Frage schließt sich an dieser Stelle an: Wenn, wie Schiller darlegt, der Kapitalismus Grund für die globale Naturzerstörung ist, dann kann nur durch die Überwindung des Kapitalismus die Zerstörung der Natur gestoppt werden. Schiller drückt die Hoffnung aus, dass das auf seine Ähnlichkeit mit der Natur reflektierende Subjekt aufhören würde, die Natur „mit den Begriffen zu überziehen, die sie beherrschbar machen.“ (s.o.) Bei dieser Hoffnung auf mimetisches Denken scheint in den Hintergrund zu treten, was Schiller kurz darauf hervorhebt: dass die Ursache der katastrophalen Zerstörung der Natur nicht ‚der Mensch‘ und auch nicht das logische Denken ist, sondern die kapitalistischen Produktionsweise, d.h. der Zugriff des Werts auf die Natur, weshalb „die Ablösung der kapitalistischen Produktionsweise durch eine bessere“ (s.o.) notwendig ist, um die Zerstörung von Naturzusammenhängen aufzuhalten. Die daran anschließende Frage wäre: Kann das Denken von Ähnlichkeit und Analogie einen Beitrag dazu leisten, dass die Subjekte die kapitalistische Herrschaft über die Arbeit und über die Natur abschaffen? Dieser Frage weiter nachzugehen, dazu regt das Buch von Schiller an.

Fazit

Schillers Abhandlung zu „Ähnlichkeit und Analogie“ eröffnet einen weiten Blick in die Geschichte der Philosophie und Wissenschaft. Leitend ist dabei die hochaktuelle und drängende Frage nach einem veränderten Verhältnis der Menschen zur Natur, ein Verhältnis, das nicht mehr zerstörerisch auf die natürlichen Zusammenhänge wirken, sondern „den herrschaftlichen Druck, der auf dem Lebendigen lastet“ (S. 111), lockern würde. Schiller prüft, ob und wie das „mimetische Vermögen“ hierzu einen Beitrag leisten kann und bereichert damit die philosophische Diskussion des Themas der Natur und des gesellschaftlichen Verhältnisses zur Natur.

Quellen

Adorno, Theodor W. (2003): Negative Dialektik, in: Ders. Gesammelte Schriften Band 6, hrsg. von Rolf Tiedemann, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M.

Marx, Karl (1981): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, in: Marx-Engels-Werke Band 23, Dietz Verlag, Berlin.

Rezension von
Sabine Hollewedde
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ISSN 2190-9245