Gitta Jacob: Auf der Gefühlsebene
Rezensiert von Dr. Winfried Leisgang, 12.11.2021
Gitta Jacob: Auf der Gefühlsebene. Emotionsfokussierte Techniken effektiv und zielorientiert einsetzen. Mit E-Book inside. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2021. 176 Seiten. ISBN 978-3-621-28806-4. D: 36,95 EUR, A: 37,90 EUR.
Autorin
Dr. Gitta Jacob ist psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin für Verhaltenstherapie und zertifizierte Schematatherapeutin. Siehe dazu auch meine Rezension zu den Selbstwertkarten.
Aufbau
Der Inhalt verteilt sich auf zwei Abschnitte: Der erste bietet eine theoretische Einführung in die Arbeit mit emotionsfokussierten Techniken, der zweite befasst sich mit deren Anwendung.
Im Umgang mit Gefühlen sind der Autorin zwei Dinge wichtig: Zum einen zu ermöglichen, unterdrückten Gefühlen ihren Platz zu geben, um Entwicklung zu ermöglichen. Aber auch „Dinge ruhen lassen, wenn sie nur schmerzhaft, aber nicht mehr zu ändern sind.“ (11)
Ein schöner Zusatz: Die Käufer können sich das Buch zusätzlich auch als E-Book herunterladen.
Inhalt
Kapitel eins fragt, was emotionsfokussierte Techniken sind? Diese Techniken unterstützen die Patienten dabei, „problematische Gefühle zu erleben und in einen Transformationsprozess“ (16) zu kommen. Dies kann mit dem imaginativen Überschreiben, mit Stuhldialogen oder mit Körperarbeit erreicht werden, d.h. es kann auf geeigneten Erlebnisebenen gearbeitet werden. Wichtig ist der Autorin, dass die Erlebnisse der Emotionsarbeit im Anschluss nicht kognitiv entwertet werden, was sie an einem anschaulichen Fall illustriert. Die bekannten kognitiven Evaluationskonzepte sollten besser in der Schublade bleiben, um emotional gesteuerten neuen Handlungsoptionen Raum zur Umsetzung zu geben.
In Kapitel zwei beschreibt den Gegenstand der emotionsfokussierten Techniken. „Mithilfe emotionsfokussierter Techniken werden innere Konflikte erlebt und bearbeitet.“ (24) Das beabsichtigen zwar viele Therapien, aber bei den emotionsfokussierten Techniken wird besonders intensiv mit dem Erleben von Konflikten und Widerständen gearbeitet. Aus Sicht dieses Ansatzes kommt es zu psychischen Problemen, weil die Patienten aufgrund ihrer massiv erlebten Gefühle, die ihr Handeln beschränken, sich nicht so entwickeln können, wie es ihnen eigentlich möglich wäre. Erkennbar wird ein innerer psychischer Konflikt daran, dass die Betroffene entgegen den eigenen Bedürfnissen handelt und anstehende Schritte vermeidet. Den Kern der inneren Konflikte machen häufig Selbstwertkonflikte verbunden mit Schuldgefühlen, Unsicherheit oder übermäßiger Perfektionismus, eine interpersonelle Abhängigkeit, Narzissmus oder eine mangelnde Disziplin/Verwöhntheit, sowie Trotz und Verbitterung aus.
Diese Konfliktkategorien werden im weiteren Verlauf immer wieder aufgegriffen und vertieft. Nicht selten sind damit auch Wertekonflikte verbunden. Diese beziehen sich zum Beispiel auf die Ebenen der Autonomie versus Versorgung, Sicherheit/​Bekanntes versus Abenteuer/​Neues, Leistung/​Erfolg versus Freizeit/Spaß, Bindung versus Unabhängigkeit, Anstrengung versus Bequemlichkeit, Loyalität versus Abgrenzung. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie sich normale und neurotische Gefühle unterscheiden lassen? Die Autorin stellt in einer Übersicht dar, wie sich die Gefühle Trauer, Angst, Schuld, Scham, Wut/Ärger, Stolz in ihrer normalen und in ihrer neurotischen Ausprägung unterscheiden lassen. (56)
Auch in diesem Kapitel werden, wie auch in allen folgenden, die theoretischen Aussagen wieder mit Fallbeispielen veranschaulicht.
Danach ist in Kapitel drei dargelegt, was das Ziel der emotionsfokussierten Techniken ist und was man damit erreichen will. Da innere Konflikte in den allermeisten Fällen unbewusst sind, ist das Ziel der Arbeit, diese bewusst zu machen. Schwerpunkt des Kapitels ist jedoch die Frage, was das Erreichen der Ziele verhindert, also was man alles tun kann, um sich einem Thema nicht stellen zu müssen. Auch hier agiert das Unbewusste! Die Autorin beschreibt das, was die Auseinandersetzung mit inneren Konflikten so unangenehm macht. Dabei differenziert sie diese wieder in den Kategorien des Kernes innerer Konflikte: Co-Abhängigkeit, interpersonelle Dependenz, Narzissmus, mangelnde Disziplin/Verwöhntheit, Trotz und Verbitterung, die im vorausgehenden Kapitel eingeführt wurden. Dazu werden die Besonderheiten, die sich in der Arbeit auf der entsprechenden Kategorienebene ergeben erläutert und was im Umgang mit den Betroffenen zu beachten ist. Dies bedeutet, z.B. den Narzissmus in Frage zu stellen oder mit mangelnder Disziplin bzw. zu hoher Verwöhntheit zu konfrontieren. Sie betont auch, dass sich die Therapeutin mit den Widerständen der Patienten auseinandersetzen sollte, auch wenn es für sie vielleicht unangenehm wird. Sie ist diejenige, die den Finger in die Wunde legt und den Widerstand aufdeckt, um dann damit weiterarbeiten zu können.
Kapitel vier schließt den theoretischen Teil ab mit der Beschreibung der Steuerung emotionaler Prozesse. Es wird unterschieden zwischen dem Arbeiten hinter und vor dem Prozess. Im ersten Fall muss die Therapeutin nicht viel steuern, weil der Patient selbst bereits reflektiert und aktiv ist. Anders sieht es im zweiten Fall aus. Normalerweise werden die Patienten ihre emotionale Störung nicht ohne begleitende Unterstützung verändern können. „Mit den emotionsfokussierten Techniken stehen uns mächtige Werkzeuge zur Verfügung, um den Prozess zu gestalten.“ (99) Daran anschließend schildert die Autorin, wie man den Prozess beginnen und den ersten Widerstand überwinden kann, wie man mit dem Widerstand arbeiten und den Zugang zu wichtigen Emotionen erleichtern kann. Entscheidend ist, dass die Therapeuten sicher in der Anwendung der Techniken sind, sich von Widerständen nicht irritieren lassen und erkennen, dass bei schlechter Perspektive ein Widerstand nicht mit Gewalt gebrochen werden kann. In diesem Prozess können folgende Effekte, um ins Erleben zu kommen intensiviert werden: Wut und Ärger, Neid oder Eifersucht, Stolz und Zufriedenheit, Liebe oder Zugehörigkeit und Traurigkeit. (107) Die Intensität des Erlebens kann mit unterschiedlichen Techniken gesteuert werden, wie zum Beispiel Körperwahrnehmung, offenen oder geschlossenen Augen, Dauer der Übung, die Kombination mit antidissoziativen Techniken und mit der Distanz zum gewählten Material.
Abschnitt zwei beginnt im Kapitel fünf mit dem therapeutischen Entscheidungsbaum. Dieser kurze und knappe Abschnitt erläutert, wann es sinnvoll ist, emotionsfokussierte Techniken anzuwenden oder nicht. Dargestellt wird ein Entscheidungsbaum, der hierfür Orientierung bietet und auch schon auf die Inhalte der nächsten Kapitel hinweist. Die Autorin betont zum Abschluss, dass emotionsfokussierte Techniken nicht für alle Situationen angebracht sind.
Das sechste Kapitel widmet sich der Frage, was die Patientin will, was sie nicht hat? Diese Frage klingt trivial, ist aber entscheidend, ob und in welcher Form mit den emotionsfokussierten Techniken gearbeitet werden kann. Je konkreter die Ziele formuliert werden, umso besser kann man einschätzen, ob im nächsten Schritt die Ziele prinzipiell auch erreicht werden können. Gerade bei Wertekonflikten kann eine Antwort bereits ein großer Teil der therapeutischen Arbeit ausmachen. Aber nicht jede Patientin findet ein wichtiges unerfülltes Bedürfnis oder ein unerreichbares Ziel. (130)
Im siebten Kapitel befasst sich die Autorin mit den Zielen der Patientin und ob diese realistisch auch erreichbar sind. Die aufgeworfene Frage lässt sich meist nur mit dem gesunden Menschenverstand und weniger mit therapeutischer Expertise beantworten. Von entscheidender Bedeutung sind die vorhandenen Ressourcen, egal ob es sich um Persönlichkeitseigenschaften, persönliche Ressourcen, Qualifikationen, gesundheitliche Ressourcen, soziale Kompetenzen, materielle Möglichkeiten oder Beziehungsressourcen handelt. Aus Sicht der Therapeuten stellt sich die normative Frage, ob ich dem Patienten alle Entwicklungsmöglichkeiten zugestehe, quasi no Limits, oder auch eingeschränkte Ressourcen anerkenne. Und für die Patienten heißt es, zu reflektieren, ob sich nur die anderen ändern müssen oder auch man sich selbst.
Das nächste, das achte Kapitel in diesem Abschnitt fragt im Anschluss, wie ich als Therapeutin mit nicht erreichbaren Zielen der Patientin umgehe? Dabei fällt es Therapeuten manchmal schwer, die Patientinnen mit Grenzen zu konfrontieren. Die Gründe dafür liegen oft in der mangelnden Erfahrung, dem ausgeprägten Wunsch zu retten oder im therapeutischen Narzissmus. Die Ursache dafür ist in den in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen der Therapeuten zu finden. Die Autorin zeigt diesmal anhand von Fallbeispielen von Therapeuten auf, wie wichtig für die therapeutische Arbeit eine Reflexion der eigenen „blinden Flecken“ ist. Damit wird deutlich, dass reflektierte Therapeutinnen besser notwendige Grenzen setzen können.
Und im neunten Kapitel will die Autorin wissen, warum die Patientin ihre erreichbaren Ziele nicht realisieren kann? Auch hier wird kurz und knapp erklärt, was das Erreichen von Zielen blockiert. Dabei werden die bereits in Teil 1 eingeführten Kategorien des Kerns innerer Konflikte wieder genutzt. Am prägnantesten ist ein mangelnder Selbstwert der Patientin. Die Autorin zeigt in den einzelnen Kategorien kurz auf, wie Unterstützung aussehen könnte und wo deren Grenzen liegen.
Im zehnten und letzten Kapitel heißt die Frage, warum unerreichbare Ziele verfolgt werden. Auch hier werden wieder die o.g. Kategorien für Überlegungen zum weiteren Vorgehen einbezogen. Bei Dependenzkonflikten ist abzuwägen, ob für eine Veränderung der Abhängigkeit genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, um in Zukunft zufriedenstellendere Beziehungen aufzubauen. Bei Menschen mit einer narzisstischen Grundstruktur zeigt sich der Konflikt darin, „dass die Patientin Wünsche oder Bedürfnisse verfolgt, die zu hochfliegend und deshalb unrealistisch sind.“ (165) Hier besteht das therapeutische Dilemma, dass einerseits der narzisstische Konflikt bearbeitet wird, indem auf die damit einhergehenden Probleme hingewiesen wird. Andrerseits ist ein Dekompensieren nicht ausgeschlossen, wenn narzisstische Wünsche nicht mehr erfüllt werden. Bei der Verbitterung wird den Patienten verdeutlicht, dass nicht die anderen Menschen, sondern die Verbitterung selbst das Problem ist. Hier droht durch die Konfrontation keine Dekompensation, weil „es die Patientin ja gewöhnt ist, dass die anderen sie nicht verstehen und sie schlecht behandeln.“ (168)
Diskussion
Das Buch vermittelt einen guten Zugang zur Anwendungspraxis und zur Theorie der emotionsfokussierten Techniken. Besonders bemerkenswert ist aus meiner Sicht, dass sich die Autorin mit den üblichen verhaltenstherapeutischen Reflexionsinstrumenten kritisch auseinandersetzt. Auf der emotionalen Ebene lässt sich nicht alles kognitiv überprüfen geschweige denn erklären. Dieser Ansatz ist beim Thema Emotionen äußerst hilfreich. Weiter ist positiv zu erwähnen, dass auch das Verhalten und die Interventionen der Therapeuten überprüft werden. Vor allem beim Umgang mit Widerständen und dem Aufzeigen von Grenzen wurde deutlich, dass es entscheidend ist, ob man hier Präsenz zeigt oder nicht.
Etwas dürftig und kurz sind die letzten Kapitel ausgefallen. Hier hatte man als Leser fast den Eindruck, dass eventuell die Zeit für weitergehende Ausführungen gefehlt hat. In diesen Kapiteln haben die Fallbeispiele aus meiner Sicht nicht mehr zur Vertiefung beigetragen. In den Kapiteln in Abschnitt eins hingegen haben diese die Theorie sehr hilfreich vertieft und anschaulich gemacht.
Nicht ganz folgen kann ich der Autorin bei ihrem Anliegen, die Patientin von unrealistischen Zielen abzuhalten und keine eigenen Erfahrungen machen zu dürfen. Wir alle wissen oft erst im Nachhinein, ob ein Ziel realistisch oder utopisch war. Manchmal ergeben sich im Leben Wendungen und damit Entwicklungen, die vorher gar nicht absehbar waren.
Fazit
Insgesamt ein Buch für Therapeuten und soziale Berufe, das einen gut strukturierten Einblick in die Facetten des emotionsfokussierten Arbeitens gibt. Wer mit den Zielgruppen Kontakt hat erkennt Zusammenhänge und mögliche Interventionsfenster auch wenn er nicht explizit therapeutisch arbeitet.
Rezension von
Dr. Winfried Leisgang
Dipl. Soz.-Päd., Master of Social Work (M.S.W.)
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Zitiervorschlag
Winfried Leisgang. Rezension vom 12.11.2021 zu:
Gitta Jacob: Auf der Gefühlsebene. Emotionsfokussierte Techniken effektiv und zielorientiert einsetzen. Mit E-Book inside. Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2021.
ISBN 978-3-621-28806-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28596.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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