Holger Scholz, Roswitha Vesper: Facilitation
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 08.11.2022
Holger Scholz, Roswitha Vesper: Facilitation. dialog- und handlungsorientierte Organisationsentwicklung : durch einen Kontext des Gelingens und die Kraft kollektiver Intelligenz zu mehr Innovation und besserer Führung. Verlag Franz Vahlen GmbH (München) 2022. 484 Seiten. ISBN 978-3-8006-6493-1. 44,90 EUR.
Thema
„Dieses Buch führt in die Grundlagen, Prinzipien und Kernkompetenzen eines guten Facilitators ein. Ein Facilitator hilft Gruppen und Organisationen, effektiver zu arbeiten, indem sie ihre eigenen Probleme gemeinsam lösen und Strategien gemeinsam erarbeiten. Er kann ein Prozess- oder Dialogbegleiter sein, der eine Gruppe darin unterstützt, ihre eigenen Grundannahmen, Überzeugungen und Werte zu verstehen. Dieses grundlegende Werk lädt dazu ein, das Potenzial und die Auswirkungen von ‚Facilitation‘ größer zu sehen. Größer als Organisationsentwicklung, Gruppenprozesse, Führungsphilosophie und Management.“ (Verlagsinformationen)
Autoren
„Roswitha Vesper und Holger Scholz sind Inhaber des renommierten Beratungsunternehmens ‚Kommunikationslotsen‘. Sie gehören zu den führenden Köpfen der Facilitation-Szene im deutschsprachigen Raum.“ (Verlagsangaben)
Aufbau
Inhaltsübersicht:
- Kapitel 1: Was ist Facilitation?
- Kapitel 2: Die „gute Medizin“ des Facilitators
- Kapitel 3: Der Weg – ein Flow für Entwicklungs- und Transformationsarbeit
- Kapitel 4: Beyond Facilitation – heilige Ordnungen und archetypische Wege der Transformation
Inhalt
Im ersten Kapitel erfahren Leserinnen und Leser, was „Facilitation“ ist, nämlich eine „Denk- und Lebensschule“, deren Lehre eine positive Wirkung auf alle Lebensbereiche ausübt sowie Denken und Handeln ändert (S. 3). „Wir beschreiben mit Facilitation eine machtvolle und zugleich praktische Weisheitslehre, die mehr kann, als einzelne Organisationen performanter zu machen. Ein gesellschafts-therapeutisches Wirken ist erkennbar, beabsichtigt und in vielen Sektoren auch notwendig.“ (S. 5)
Es geht um sogenannte „Co-Creation“, also um eine bereichsübergreifende, internationale Zusammenarbeit in Organisationen, d.h. darum, eine „Miteinander Kultur“ zu entwickeln, statt Hierarchie und Partikularinteressen in den Vordergrund zu stellen. Die Rede ist auch davon, es handle sich hierbei um eine „Initiative globaler Bewusstseinsentwicklung“, die es ermögliche, „dass immer mehr Menschen weltweit in einen globalen Dialog über die wichtigsten Fragen der Menschheit“ (S. 8) eintreten können, damit sich die „kollektive Weisheit entfalten kann“ (S. 9). Facilitatoren seien „Weggefährten auf dieser Reise“ (S. 9).
Nach einem kurzen Abstecher in die Geschichte des Ansatzes, bei dem bekannte Namen (z.B. Kurt Lewin oder Milton Erickson) als Inspiratoren genannt werden, werden noch die „Drei Supermächte individueller und kollektiver Entwicklung“ erläutert: Achtsamkeit, Wahrnehmung und Bewusstsein (S. 16).
Das 2. Kapitel geht zunächst von der These aus, dass Weltveränderung durch Veränderung der Persönlichkeit realisiert wird. Insofern ist Facilitation Arbeit an der „inneren Verfasstheit“, die die „Quelle unseres Tuns“ darstellt (S. 18), wie die Autoren über ihr Programm beschreiben. Diese Arbeit geschieht in vier Richtungen: Bedürfnisfreiheit (z.B. sich nicht abhängig machen von Auftraggebern; hilfreich sein, aber nicht geliebt werden wollen), Unerschrockenheit (z.B. sich seinen eigenen Ängsten stellen, sich „kollektiver Dummheit“ widersetzen), Autonomie (Stichwort „innere Freiheit“ und „autonomes Denken“) sowie Liebe (z.B. mitfühlendes Herz, Kultur des „Take Care“). Ein Kernsatz aus diesem Kapitel lautet: „Facilitatoren sind wirksam, wenn es ihnen gelingt, andere Menschen, Gruppen und ganze Organisationen für [sic!] neue Ebenen des Denkens und Fühlens zu ermutigen.“ (S. 39).
Des Weiteren beschäftigt sich dieses Kapitel mit sogenannten „Grundannahmen, Glaubenssätzen und Prinzipien“, die die Art und Weise bestimmen, „wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, wie wir handeln und welche Ergebnisse wir erreichen.“ (S. 41).
Die Top Five der Grundannahmen für Facilitatoren sind:
- Nichtwissen ist meine Ressource. Fragen sind mein Potenzial.
- Es geht um gelingende Beziehungen.
- Das Wissen ist in der Welt.
- „„Wir sind gleichwürdig.“
- Jeder tut sein Bestes − immer. (S. 43)
Wie wird mit diesen Grundannahmen gearbeitet? Die Autoren schreiben:
„Die Facilitative Thinking-Grundannahmen wirken wie eine Lupe, mit der man auf das aktuelle Geschehen schauen kann und mit einem Mal neue Dinge entdeckt. Unabhängig vom Anwendungskontext empfehlen wir die folgenden oder ähnliche Fragen, die zu einer Untersuchung der Grundannahmen beim Kunden einladen:
‚Wenn wir mit dieser Grundannahme auf unsere Situation schauen, was wäre dann gegebenenfalls anders?‘
‚Was würde sich zeigen oder eröffnen?‘
‚Wenn diese Grundannahme für uns zweckdienlich wäre, wie würde sich dies auf die Art und Weise unserer nächsten Schritte oder Entscheidungen auswirken?‘“ (S. 49).
Wir erfahren sodann vieles über die Wichtigkeit von gelingenden Sprechakten (gewaltfrei, Würdigung des So-Seins), oder auch Anregungen zur Wortwahl in der Praxis und Grundbedingungen für Kommunikation (z.B. Es gibt keine fixe Botschaft, Kommunikation ist körperlich). Dabei wird mit dem klassischen Sender-Empfänger-Modell aufgeräumt, das als „überholt“ gelte (S. 67).
Schließlich wird der „facilitative Beratungsansatz“ betrachtet. Dieser besagt, dass alle Fragestellungen, Veränderungsimpulse, mögliche Handlungsstrategien und Entscheidungen auf Basis von zwei Prämissen angegangen werden: Erstens mit der Prämisse der frühestmöglichen Einbeziehung einer größtmöglichen Perspektivenvielfalt. Zweitens mit der Prämisse der Gleichwürdigkeit (jede Sichtweise ist gültig) und der gemeinsamen Übernahme der Verantwortung für die Qualität unserer Welt oder Wirklichkeit (von morgen).
Folgendes Zitat macht das deutlich:
„Als Facilitatoren und Facilitative Leader machen wir, sofern gewünscht, weniger hilfreiche Grundannahmen bewusst, wie ‚Einige Wenige [sic!] wissen, was für alle anderen gut und richtig ist‘ oder ‚Einer muss das Sagen haben‘. Wir empfehlen, davon auszugehen, dass das Wissen für gelingende Co-Creation und für neue Lösungen bereits vorhanden oder im Entstehen begriffen ist. (…) Um an dieses Wissen heranzukommen, hat sich bewährt, eigene Lösungsideen zur Disposition zu stellen. Praktisch bedeutet das, dass alle beteiligten Personen eigene Ideen, Sichtweisen und Motive einbringen, aber immer mit dem Nachsatz bzw. der zugrunde liegenden Einstellung: ‚Das oder etwas Stimmigeres.‘ (…) Im Kern werden ineffektive reaktive Muster Einzelner überwunden, zugunsten von Multiperspektivität und kollektiver Intelligenz.“ (S. 71 f.).
Praxisnah werden die Rahmenbedingungen geklärt, mit denen Facilitation gelingen kann, z.B. die Bereitschaft der Organisation, sich selbst zum Untersuchungsgegenstand zu machen, sich selbst also tiefgehende Fragen zu stellen (S. 74). Es wird die Überzeugung ausgedrückt, dass mithilfe der Facilitatoren die „Veränderungsenergie und-motivation“ der Einrichtung selbst zum Tragen kommen muss (und wird).
Das folgende 3. Kapitel umfasst knapp zwei Drittel des gesamten Buches und enthält eine Vielzahl von Einzelmethoden, die an dieser Stelle nicht einmal ansatzweise dargestellt werden können. Die grobe Orientierung über den „Facilitation-Flow“ bieten vier sogenannte „Wegmarken des Entwicklungs- und Transformationsgeschehens“ (S. 86):
- Intention: Schaffung eines enttäuschungs-sicheren Kontrakts und Begegnungsraumes mit klarer Intention
- Preparation: Den Kontext des Gelingens etablieren. Der Beginn einer Suchbewegung und Selbstentwicklung
- Co-Creation: ein Flow der Erkundung, des Studierens und des Prototyping mit und im gesamten, relevanten System
- Harvesting: Die Früchte der Arbeit ernten, Geleistetes feiern und wertschätzen (S. 87−89).
In der Phase der „Intention“ werden die Fundamente gelegt, die Kontaktaufnahme wird angebahnt und die Aufträge werden geklärt. Im Buch werden die Abläufe des Erstkontaktes sehr detailliert geschildert.
Das Mantra dieser Phase lautet: Hören-Fragen-Spiegeln-Sagen. Diese Techniken werden mit sehr praxisnahen Beispielen und hilfreichen Tipps erklärt. Ziel der Phase ist ein „roll in“, die Beteiligung des ganzen Systems, statt eines „roll out“ im Sinne eines „top-down-Ansatzes“ (S. 101). Dies geschieht mittels Pilotgruppen (S. 106 ff.).
Es folgen mehrere Denkmodelle, zunächst solche, die sich damit befassen, was sich „grundsätzlich in der Welt tut“ (S. 132). Es geht dann um die höchstmögliche Beteiligung der Mitarbeitenden innerhalb eines psychologischen Modells von Veränderungsprozessen („Vier Räume der Veränderung“).
Die zweite Phase nennt sich Preparation. Ihre Zielsetzungen lassen sich unterteilen in folgende Vorhaben:
- Inspiration und Felderkundung: für eine allmähliche Entwicklung, als Blick über den Tellerrand oder als Denkanstoß
- Innovation und Change: neue Arbeitsweisen, neuer Produkte und Dienstleistung sowie zeitgemäße Prozesse.
- Transformation: die Arbeit „an“ der Organisation, also an Strukturen der Aufbauorganisation. (S. 146)
Damit die Zusammenarbeit nicht in Enttäuschungen mündet, bedarf es stabilisierender Rahmenbedingen, genannt „Kontext des Gelingens“. Eine sehr praxisnahe Checkliste zur Überprüfung dieses Kontextes wird vorgelegt (S. 147–156). Es schließt sich die Zusammensetzung und Arbeit einer Vorbereitungsgruppe zur Bildung einer Pilotgruppe an, letztere ist der Nucleus der Veränderung. Das Ziel der Pilotgruppe ist der „kreative Durchbruch“ mittels „kollektiver Intelligenz“.
Die Phase der Co-Creation nimmt die folgenden 100 Seiten (und damit ein Viertel des Buches) in Anspruch und ist die bei Weitem umfangreichste Darstellung. Hier wird deutlich, wie Facilitation arbeitet: Sie will die Pilotgruppe begleiten, dass diese „wahrnimmt, was sich gerade aus der Zukunft heraus in der Organisation und ihren relevanten Umwelten zeigt, dass sie als behutsam entwickelte Gemeinschaft selbst ein Modell der wünschenswerten Zukunft wird, dass sie in der Lage ist, die gesamte Organisation oder relevante Teile davon, an der Suchbewegung, Willensbildung und an Entscheidungen zu beteiligen“. (S. 192) Dazu werden Methoden vorgestellt, die von den Autoren als „Glorreiche Sieben“ bezeichnet werden: The Circle Way, Appreciative Inquiry, World Cafe, Open Space, Real Time Strategic Change, Zukunftskonferenz und Dynamic Facilitation. Hinzu kommen noch „drei wertvolle Hilfs-Disziplinen“: Visual Facilitation, Online Facilitation und Neuro Facilitation. Es würde zu weit führen, sämtliche der aufgeführten Methoden auch nur zu nennen, denn „Victory Cycle“, „Current Reality“ (früher nannte man das wohl SWOT-Analyse), „Re-Gnose“, „Deep Dive“, „Basic Bundle“ … entstammen offenbar einem unendlichen Schatzkästlein erprobter Methoden in der Zusammenarbeit mit der Pilotgruppe. Dadurch soll ihr geholfen werden, die „Kultur der Kooperation“ zu leben, nach dem Motto „von allen für alle“ (S. 198). Die Methoden werden historisch eingeführt, genau beschrieben, es folgen persönliche Erfahrungen und eine Einordnung in das Gesamtbild der Facilitation.
Über die letzte Phase, genannt das „Harvesting“, schreiben die Autoren, es „steht für Ernte und ‚Erfolg‘, das, was der Intention, der Vorbereitung und der gemeinsamen schöpferischen Arbeit auf dem Feld folgt. Hier haben wir es mit Ergebnissen zu tun, die im direkten Sinne nährend und damit auch selbsterhaltend sind. In dieser Phase liegt die Rückkehr in den (neuen) Normalbetrieb − das Neue wird zum Standard, zur neuen Etikette und Konvention. Menschen haben sich verändert. Jetzt ist viel mehr möglich! Es zeigt sich eine neue Kultur des Miteinanders.“ (S. 388).
Das Ergebnis des Prozesses kann sich auf neue Produkte, Prozesse bzw. Abläufe, aber auch auf die Aufbauorganisation, die Strukturen der Zusammenarbeit, Werte, Führung etc. beziehen. Neben diesen „hard facts“ sollen personale Fähigkeiten wie „loslassen“ oder „mutig die eigene Perspektive bei(zu)tragen“ Ergebnisse des Facilitation-Prozesses sein. Auch hier werden wieder passende „Dialog-Werkzeuge“ vorgestellt.
Das Buch wird mit Kapitel 4 („Beyond Facilitation – heilige Ordnungen und archetypische Wege der Transformation“) beschlossen. Dieses Kapitel betrifft „Fragen, die jenseits der Sphäre eines Buchs über dialogorientierte Organisationsentwicklung liegen, diese könnten lauten:
- ‚Aus welchen tieferen Quellen schöpft Facilitation?‘
- ‚Aus welchen tieferen Quellen schöpfen wir, wenn wir diese Arbeit tun?‘“ (S. 426)
Die Autoren schließen hier an das Wissen erdverbundener Völker und indigener Nationen an. Es gehe dabei „um heilige Ordnungen, archetypische Wege der Transformation, um überlieferte Sozialgefüge, Kulturtechniken und Übergangsrituale“ (ebd.), um „Erfahrungen und heilsame Lehren“, „Visionssuche und der heilige Berg“, um Schwitzhütte und den „roten Weg“ (426 ff).
Diskussion
Da sich eine Rezension aus der Perspektive der Wissenschaft nicht mit persönlichen Glaubenserfahrungen befassen kann (diese sind persönlicher Natur und sollen es bleiben), ist das 4. Kapitel für unsere Rezension nicht zugänglich. Man kann religiöse und spirituelle Erfahrungen anderer nur zur Kenntnis nehmen, sie zu diskutieren oder gar zu kritisieren verbietet sich. Allerdings könnten sich die Buchautoren die Frage stellen, warum sie neben einer methodischen Ausarbeitung zum Thema „Facilitation“ am Anfang und am Schluss ihres Buches meinen, „tiefe Quellen“ oder „kleine Momente der Wahrheit“ thematisieren zu sollen. Wer das Buch liest, muss voraussetzen können, dass er die Methoden anwenden kann, auch ohne eine mystische Begegnung mit einem Lakota gehabt zu haben. Sollte aus Sicht der Schreiber das Bekenntnis von Glaubenssätzen integraler Bestandteil ihrer „Botschaft“ sein, würden wir das Gebäude einer Glaubensgemeinschaft betreten und der Wissenschaftler müsste draußen bleiben.
In diesem Zusammenhang noch eine Anregung: Man sollte seine eigene Methode nicht ins Unendliche überhöhen, indem man sie wahlweise als „Denk- und Lebensschule“ (S. 2) oder als „machtvolle und zugleich praktische Weisheitslehre“ (S. 5) bezeichnet, die positiven Wirkungen auf alle Lebensbereiche bis hin zum „weltweiten Dialog über Fragen der Menschheit“ habe (S. 8). Wer solche Wirkungen verspricht, wird möglicherweise aufgefordert, diese empirisch nachzuweisen. Wenn man das nicht kann (und vermutlich kann es niemand), sollte man mit an religiöse Heilsversprechen erinnernde Verheißungen vorsichtig sein.
Bleiben der theoretische und der methodische Teil, die hauptsächlich im 2. und im 3. Kapitel zu finden sind.
„Es geht weniger um Theorie, sondern um gelebte Praxis und Erfahrungswissen“ (S. 94) schreiben die Autoren, und in der Tat fehlen für die anekdotisch beschriebenen Wirkungen ihrer Vorgehensweise empirische Belege der Wirksamkeit. Dies muss dem Leser klar sein, um die eingestreuten Statements von Teilnehmenden und Netzwerkpartnern, die geradezu hymnisch von heilsamen Wirkungen berichten, einordnen zu können.
Dennoch ist es am Rezensenten, das Buch zunächst zu loben: Es ist grafisch wunderbar gestaltet, die Grafiken visualisieren die Theorien in sehr guter, professioneller Weise. Wohl dem, der mit einer solchen grafischen Gabe ausgestattet ist. Ob es wirklich jeder so zeichnen kann, wie die Autoren optimistisch vermuten, ist zumindest fraglich (hier spricht die Erfahrung des Rezensenten mit seiner eigenen mangelnden Feinmotorik eher dagegen). Die Vermittlung der Theorien mittels Bilder ist angesichts der reichlichen Ausstattung des Buches mit optisch hervorragenden Schaubildern sehr gut gelungen, es wird zudem deutlich, welche positiven Effekte „Visual Facilitation“ (S. 357 ff.) haben kann. Dass das Buch (im 2. und 3. Kapitel) außerdem gut aufgebaut, sinnvoll gegliedert und leicht lesbar ist, erleichtert das Lesen sehr. Die Fußnoten befinden sich im Anhang und beweisen eine überreiche Recherchetätigkeit. Ungeachtet dessen wird jedoch häufig auch auf die eigene Erfahrung des Autoren-Duos sowie auf Internetseiten verwiesen, deren Qualität nicht immer eindeutig feststeht. Angesichts der detailreichen Explikationen der Methodiken kann man (und muss man) die Kästen und Zitate ignorieren, die bisweilen etwas wahllos eingestreut wirken und den Gedankenfluss unterbrechen.
Was wir aus der Community der Facilitation erfahren, sind zunächst die persönlichen Voraussetzungen, die ein hohes Ideal beschreiben, das eher an eine Berufung als an einen „normalen“ Beruf erinnert. Die Autoren selbst sagen denn auch, das Engagement sei „mehr als ein Job“ (S. 19). So wird beispielsweise das Ziel der „Bedürfnisfreiheit“ (ausgerechnet neben einem Zitat von Steve Jobs) wie folgt beschrieben: „Ein ego-zentrierter, am Materiellen ausgerichteter Lebensstil fällt da in der Regel raus. Selbstversorgung passt schon eher. Der eigene Acker, das eigene Feld ermöglicht zudem einen Ausgleich zu der Zeit, die man in Meetings und Konferenzen verbringt. Im Kern fördert alles die Bedürfnisfreiheit. (…) Das ist etwas gänzlich anderes, als wenn es darum ginge, unsere Arbeits- und Lebenszeit gegen einen Tagessatz an Organisationen zu verkaufen.“ (S. 20)
Klingt gut (insofern man sich den eigenen Acker leisten kann), wird aber dann doch relativiert, wenn wir lesen, dass soziale Interaktionen fast minutengenau berechnet werden: Eineinhalb Stunden als „reines Kennenlernen“ sind kostenfrei. Quasi ab der 91. Minute ist das Kennenlernen vorbei und es wird daraus eine „Initialberatung“, diese „ist in der Regel honorarwürdig“. (S. 95)
Der Facilitations-Ansatz sieht sich als passende Antwort auf eine veränderte gesellschaftliche und ökonomische Situation. Während die klassische Managementlehre des Change-Managements in „konservativ geführten Organisationen“ auf Experten, Hierarchie und „Business Outcome“ setzt, stellt die Facilitation angesichts der von ihr wahrgenommenen VUKA (Volatilität, Ungewissheit, Komplexität, Ambiguität) die „Kultur der Kooperation“, den „kreativen Durchbruch“ durch „kollektive Intelligenz“ sowie hierarchiefreie Räume und Achtsamkeit in den Mittelpunkt. Die Facilitatoren verstehen sich als „Weggefährten“ und nicht als inhaltliche Experten. Es stehen sich also zwei Konzepte gegenüber, die sich durch ihre Grundannahmen unterscheiden. Die Frage, die zu Recht der „klassischen“ Anschauung gestellt werden kann, ist, ob sie es tatsächlich schafft, organisationales Wissen zu nutzen, oder ob dieses in einer hierarchischen Arroganz nach dem Motto: „Alles Gute kommt von oben“ untergeht und damit auch die Chancen für Innovationen vergeben werden. Die von den Autoren zu Recht bemerkte notwendige Beteiligung aller an Innovationen ist besonders auch in sozialen Organisationen in der Tat eine „neue Qualität“ (Parpan-Blaser 2011, 77) und eine conditio sine qua non von erfolgreicher Implementierung neuer Methoden.
Umgekehrt muss sich der Facilitations-Ansatz fragen lassen, ob der als sicher angenommene Glaube, das Wissen für die Lösung aller Probleme sei in der Organisation bereits enthalten, tatsächlich universal gelten kann. Jedenfalls kennt der Rezensent aus eigener Anschauung soziale Organisationen im öffentlichen Dienst, deren fachliche Kapazitäten nicht ausgereicht hätten − in welchen Großgruppen-Prozessen auch immer −, Konzepte zur Bedarfsdeckung der Zielgruppen ohne externen Expertenrat zu entwickeln (Klug/Schaitl 2012, 141 ff.).
Letztlich wird es wohl darauf ankommen, welche fachlichen und menschlichen Bedingungen in einer Organisation vorherrschen. Möglicherweise müssen die Konzepte auch kombiniert werden, damit wirksame Anstöße zu den Veränderungen gegeben werden können.
Was letztlich gebraucht wird, ist ein klareres Bild, für welche Indikation welche Methode oder welcher Methoden-Mix geeignet ist, um zu kollektivem Lernen beizutragen. Angesichts der selbstreflexiven Haltung der Autoren, die zeigen, dass ihre Methode „work in progress“ ist, erscheint dies durchaus denkbar. Voraussetzung ist allerdings, dass die ideologischen Glaubenssätze relativiert werden. So ist aus Sicht des Rezensenten ein Stuhlkreis eine (prinzipiell auswechselbare) Methode, die einem bestimmten Ziel dient und nicht Teil eines „Weltbildes“ (S. 13).
Unter diesen Voraussetzungen erscheinen die vorgestellten „glorreichen Sieben“ eine wichtige und interessante Alternative zu den gängigen Gruppenmethoden. Ihre Wirkungen sollten auch in sozialen Organisationen empirisch überprüft werden. Der Grundansatz, dass sich die Persönlichkeit des Handelnden verändern muss, damit er selbst wirksam handeln kann, ist ebenso wie die Wichtigkeit der Beziehung das kleine Einmaleins in der Sozialen Arbeit. Dass die Autoren dies auch für ihren Bereich erkannt haben, ist eine Bestätigung althergebrachter sozialarbeiterischer Grundsätze.
Was man nicht erfährt, ist der Umgang mit echtem Widerstand. Die meisten der in „lehrreichen Anekdoten“ geschilderten vermeintlichen Störungen in den durchgeführten Organisationsentwicklungsprozessen gehen schließlich doch „gut aus“. Gibt es in der Welt der Facilitation keine Saboteure aus Machtbedürfnis? Keine Revierkämpfe, keine Zeitprobleme, keine irrationalen Rollenkonflikte? Genügt es bei allen Schwierigkeiten mantramäßig auf den wertschätzenden Umgang als Lösungsmuster zu verweisen? Wenn an der Theorie der „dunklen Triade“ etwas dran ist, und „Narzissten, Machiavellisten und Psychopathen von bestimmten beruflichen Umwelten angezogen“, ja, „diese dort auch mehr geschätzt“ werden (Externbrink/Keil 2018, S. 34), stellt sich doch die Frage, wie mit solch schwierigen Menschen und Situationen umzugehen ist. Das wäre dann vielleicht Stoff für ein nächstes Buch, auf das wir alle sehnsüchtig warten.
Fazit
Lässt man die „Glaubens“- Teile weg und beschränkt sich auf den auch für „Ungläubige“ nachvollziehbaren Gehalt, haben wir es mit einem sehr brauchbaren Buch über eine alternative Form der Organisations- und Konzeptentwicklung zu tun. Die vorgestellten Methoden verdienen es, reichlich ausprobiert und evaluiert zu werden. Dem Leser (auch in sozialen Organisationen) können sie eine gute Anregung sein, einmal etwas anderes als klassische Arbeitsgruppen zu wagen.
Literatur
Externbrink Kai/Keil Moritz (2018): Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie in Organisationen. Theorien, Methoden und Befunde zur dunklen Triade, Springer Fachmedien: Wiesbaden
Klug Wolfgang/Schaitl Heidi (2012): Soziale Dienste der Justiz. Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis, Forum Verlag: Mönchengladbach
Parpan-Blaser Anne (2011): Innovation in der Sozialen Arbeit. Zur theoretischen und empirischen Grundlegung eines Konzepts, Springer Fachmedien: Wiesbaden
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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Zitiervorschlag
Wolfgang Klug. Rezension vom 08.11.2022 zu:
Holger Scholz, Roswitha Vesper: Facilitation. dialog- und handlungsorientierte Organisationsentwicklung : durch einen Kontext des Gelingens und die Kraft kollektiver Intelligenz zu mehr Innovation und besserer Führung. Verlag Franz Vahlen GmbH
(München) 2022.
ISBN 978-3-8006-6493-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28599.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
Urheberrecht
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