Winfried Zapp, Michael Wittland: Normatives Management und strategische Entwicklung
Rezensiert von Prof. Dr. Ralf Hoburg, 06.03.2024
Winfried Zapp, Michael Wittland: Normatives Management und strategische Entwicklung. Werteorientierung als Grundlage betriebswirtschaftlichen Handelns.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2022.
220 Seiten.
ISBN 978-3-17-023358-4.
44,00 EUR.
Reihe: Health Care - und Krankenhausmanagement.
Thema und Entstehungshintergrund
Die Publikation erscheint in der Reihe „Health Care- und Krankenhausmanagement“ und befasst sich vorwiegend mit dem Thema einer Werteorientierung aus der Perspektive von Krankenhäusern, was der allgemein gehaltene Titel zum „normativen Management“ zunächst nicht vermuten lässt. Wie für viele andere Organisationen und Unternehmen wird auch auf dem Feld der Krankenhäuser und sozialen Organisationen das normative Management immer wichtiger. Was dies in Bezug auf Organisationen im Gesundheitswesen bedeutet, ist Gegenstand des vorliegenden Bandes.
Die Zielgruppe der Publikationsreihe ist auf die Multiplikatoren wie Dozierende und Studierende in den entsprechenden Studiengängen und Fort- und Weiterbildungseinrichtungen gerichtet sowie den diversen Leitungs- und Führungskräften in den verschiedenen beruflichen Sektoren im Gesundheitswesen.
Im Zentrum der verschiedenen zusammengeführten Artikel der Autoren steht der Begriff des Normativen, der zum Feld des Managements in Bezug gesetzt wird. Die Begründung wird bereits am Anfang des Buches – in den Präliminarien – programmatisch gegeben, wenn es zum Aspekt der Unternehmensausrichtung heißt: „Dem Normativen ist mehr Bedeutung beizumessen als einer strategischen Frage, wo wir in 10 oder 20 Jahren stehen. Das Normative bestimmt die Strategie.“ (S. 17) Als Elemente des Normativen werden dann gleich hinterher definiert: „Das Normative umfasst die Unternehmensverfassung, die Unternehmenspolitik und die Unternehmenskultur.“ (S. 17) Damit ist der Kern der Überlegungen festgelegt, die dann im Einzelnen in den Ausführungen ausgeleuchtet und diskutiert werden. Hinzu kommt bzw. zugeordnet wird dem Normativen dann auch das Feld der Ethik, die zunächst aus der kantischen Perspektive von „sein“ und „sollen“ in ihrer Bedeutung abgeleitet wird. (S. 19) Der Sinn von Ethik – eher einer klassischen Linie folgend – wird primär als Begründung für gutes und schlechtes Handeln betrachtet. Das Ziel des Bandes besteht in der Praxisperspektive, um durch ein Methodeninstrumentarium und dessen Anwendung eine normative Gestaltung im Unternehmen zu implementieren. Man spürt den Autoren an, dass die empirische Linie einer „Evidence-Based“-Philosophie im Hintergrund etlicher Überlegungen steht.
Autoren
Die beiden Herausgeber Winfried Zapp und Michael Wittland verantworten zusammen mit zwei weiteren Autoren, Peter Mayer und Helge Knut Schumacher den gesamten Band. Alle Autoren sind Professoren in Wirtschaftswissenschaften, Betriebswirtschaft oder vertreten wie Michael Wittland im Bereich der Pflegewissenschaften das Gebiet Management. Alle stehen im beruflichen Kontext des Gesundheitswesens und weisen praktische Erfahrungen im Bereich des Managements auf.
Aufbau und Inhalt
Einem klassischen Aufbau folgend werden im ersten Teil – den Präliminarien – die beiden zentralen Begriffe des Normativen und des Managements beschrieben und dann Hegels Methodologie folgend die Synthese als „normative Ausrichtung des Managements“ gebildet. Abschließend folgt in dem Kapitel ein konkretes Praxisbeispiel.
In weiteren thematischen Kreisen geht es dann im zweiten Kapitel um das Feld einer normativen Orientierung mit einer begrifflichen Differenzierung von Werten und Normen (S. 27–36). Das dritte Kapitel führt dann von der propädeutischen Ebene auf die konkrete Ebene einer Managementethik im Gesundheitswesen (S. 37–99). Der Gedankengang führt dann auf das Feld des normativen Managements in Kapitel vier (S. 100–116). Die letzten Kapitel (fünf und sechs) beziehen sich dann auf die praktische Umsetzung einer strategischen Entwicklung unter dem Fokus der Entwicklung einer Werteperspektive im Unternehmen (S. 16–173). Am Ende steht dann in Kapitel sechs die Frage, welche Folgerungen aus dem Ansatz eines normativen Managements gezogen werden können.
Was sind Normen? – was sind Werte? Und wie kann sich das strategische Management auf diese eher unökonomischen Aspekte in der Unternehmensführung in einer Zeit zunehmenden Wettbewerbs im Gesundheitswesen ausrichten? Wer diese Fragen stellt, muss sich schon um der eigenen Seriosität willen in den Strom philosophischer Überlegungen begeben, der letztlich die gesamte Ethik seit der Antike, aber auch Kernelemente der Ökonomie betreffen. Zumindest seit Karl Marx und Max Weber gehört das Wertproblem zu den Kernthemen der Ökonomie.
Wie beschreiben und bestimmen nun die Autoren die zentralen Topoi? „Werte“ werden als wünschenswerte Einstellungen, Grundhaltungen oder Überzeugungen (S. 29) definiert. Davon abgrenzend werden Normen als „konkrete Handlungsanleitungen“ (S. 29) gesehen. Ausgegangen wird dabei von der in der Soziologie beschriebenen Tatsache eines Wertewandels sowie der Zunahme in der Bedeutung des Wertes der Nachhaltigkeit. Beiden Aspekten wird dann das „moralische Handeln“ zugeordnet und damit in einen eindeutig ethischen Horizont gerückt werden.
Weiterführend auf der Grundlage der Begriffsbestimmung unternimmt Peter Mayer im dritten Kapitel den Versuch, ethische Werte auf der Verantwortungs- und Handlungsebene zu konkretisieren. Hierfür ist es als erstem Schritt entscheidend, ein konkretes Problem als ethisch relevant zu identifizieren (S. 38). Deutlich wird, dass ethische Aspekte meistens auf mehreren Ebenen Lösungsansätze generieren können. Eingeordnet wird das Handeln der Unternehmen im Gesundheitswesen in die Rahmenbedingungen des Sozialstaates und der Gesellschaft allgemein, deren Werteordnung Grundlage der Marktwirtschaft ist. Überhaupt ist in der Argumentation des Autors die Setzung von staatlichen Rahmenbedingungen und das Postulat einer aktiven Politik des Staates zentral, wobei er auch auf negative Auswirkungen staatlicher Regulierung hinweist. Ökonomisch gesehen sind die Angebote des Gesundheitswesens als öffentliche bzw. auch meritorische Güter zu sehen. Marktwirtschaftliche Logik und ethische Gebote können sich – so die Auffassung – sowohl ergänzen als auch in Konkurrenz treten. An dieser Ambivalenz hat sich die Forderung nach sozialer Verantwortung auszurichten. Die Orientierung an den ethischen Interessen des Individuums muss von daher mit dem Eigeninteresse der Organisationen in Einklang gebracht werden. Sucht man nach einem erkenntnisleitenden Ergebnis der Darstellung, gelangt man im Zentrum auf die Feststellung des in These 9 festgehaltenen Satzes: „Marktlogik und Werte können sich ergänzen oder substituieren“. Damit ist ein weites Feld von Interpretation möglich.
Die Ebene der im dritten Kapitel angedeuteten gesellschaftlichen Spannungsfelder wird dann im weiteren Verlauf des Kapitels von Winfried Zapp weiter ausgeführt in Bezug auf eine Wert- und Werteorientierung und in den allgemeinen Kontext von CSR-Modellen gestellt. Es geht um die Diskussion einer werteorientierten Unternehmenskonzeption (S. 71), wobei dann die sehr gerne gebrauchte Trias von Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung ins Spiel gebracht wird und beide – CSR und sozialökologische Transformation – auf die Ebene des Gesundheitswesens angewendet werden. Für die Ebene der Patienten als Stakeholder heißt dies, dass ihre Sichtweise deutlicher bei der Annahme einer Werteorientierung im Krankenhaus in Handlungsansätze aufgenommen wird (S. 77). Dies ist ein Cantus Firmus der Ausführungen in dem Band, dass die Spannung zwischen Individuum und seinen Normen mit der Ebene der Organisation in Einklang zu bringen ist.
Über die Patientenperspektive schreibt dann Michael Wittland, dass die Orientierung an Normen und Werten abhängig ist vom Selbstverständnis der sog. Professionals (S. 81). Ordnet man organisationssoziologisch die Unternehmen des Gesundheitswesens, d.h. z.B. Krankenhäuser ein, so sind diese nach Mintzberg als Expertenorganisationen einzuordnen. Diese unterliegen einem Wandel und stehen zwischen den Ansprüchen von Ökonomie und Werten, wobei die Priorität zu diskutieren sei zwischen Werten und Professionsansprüchen. Die These des Autors zur Auflösung dieser normativen Ambivalenzen ist am Ende des Beitrages zu lesen: „Ein normatives Management kann helfen, die Ausrichtung von Gesundheitseinrichtungen auf die Pflege, Heilung und Linderung und Unterstützung von kranken, geschwächten, pflegebedürftigen Menschen […] wegweisend für das Managementhandeln werden zu lassen“ (84). Letztlich beinhaltet dies eine Priorität der Werte vor der Ökonomie.
Damit diese Ebene zur leitenden Handlungsmaxime gemacht werden kann, bedarf es einer spezifischen Unternehmenskultur. Sie bildet die Wertegrundlage der Institution (S. 88). Normatives Management wird letztlich auf der Ebene der Organisation zum „Identitätsstifter“. Damit gibt es bei der Organisation einen normativen Vorgabecharakter und die Aufgabe besteht darin, individuelle Werteorientierung mit der Werteorientierung der Unternehmen in Einklang zu bringen. Für das Management bedeutet dies, dass der Ebene der Mitarbeitendenmotivation eine wichtige Rolle zukommt.
Zentral für den gesamten Band ist dann das vierte Kapitel von Michael Wittland mit grundsätzlichen Überlegungen zum normativen Management. In der Ebene des Aufbaus von Organisationen steht das Element des Normativen an der Spitze und macht die sog. Verfassung, die Unternehmenspolitik und die Unternehmenskultur aus. Neben der Vision des Unternehmens wird inzwischen der Bereich der Unternehmenskultur wichtiger und entscheidend. Im Sinne der Corporate Governance legt die Unternehmenskultur das praktische Normen- und Wertegerüst und damit das Verhalten der Mitarbeitenden in einer Organisation fest (S. 112).
Um auf diesen Weg zu kommen, ist eine Strategie notwendig. Diese wird dann im fünften Kapitel von Helge K. Schumacher beschrieben. Es ist das, was in der Literatur in der Regel als sog. „Wertekompass“ beschrieben wird, d.h. der Klärung der krankenhausbezogenen Wertvorstellungen, der Stärken- und Schwächenanalyse, im Sinne systemtheoretischer Reflexion, die Analyse der Krankenhausumwelt und die Analyse der Konkurrenz (S. 119). Es geht dem Autor um die Beschreibung des Weges von der Entwicklung einer Werteorientierung des Unternehmens hin zur konkreten Umsetzung. Aus der Analyse der verschiedenen Ebene von „Innen“ und „Außen“ können die „Potenziale der Unternehmung auch in Form von Motivation und Identifikation genutzt werden“ (S. 137). In Fortführung dieser Überlegungen reflektiert Winfrid Zapp als Teil der Außenperspektive die „Geokodierung“ als Unternehmensfaktor. Der soziale Raum – wie es Pierre Bourdieu beschreibt – kommt hier mit datengestützten Informationen zur Anwendung. So ergibt sich für die Unternehmensausrichtung ein lokales Profil. Die datengestützte Analyse wird von dem Autor Winfried Zapp als Erfolgsperspektive beschrieben, deren Basis der Abgleich von Output und Input-Orientierung darstellt.
Interessant ist das Schlusskapitel mit Überlegungen zu den sog. „immateriellen Werten“. Deutlich wird, dass der Begriff selbst unklar ist. Es werden etliche Begriffsbestimmungen angeführt, aber als ungeeignet bewertet. Am geeignetsten erscheint dem Autor der Begriff „Humanwerte“. Es werden Elemente und Anforderungen an die Definition der immateriellen Werte beschrieben (S. 164) und diverse Bewertungskonzeptionen vorgestellt. Klar wird, dass „traditionelle Konzeptionen […] monetäre Aussagen zu [lassen], sie sind aber für eine Bewertung immaterieller Werte im Krankenhaus eher nicht geeignet“ (S. 171). Hier kann aus meiner Sicht eine weitere Diskussion einsetzen.
Diskussion
Letztlich behält die ökonomische Reflexion in dem Band gegenüber der ethischen Dimension die Oberhand und es gelingt nur auf den zweiten Blick, über formal betriebswirtschaftlich ökonomische Denkgewohnheiten die ethische Dimension von Werten zu erreichen. Die Ebene einer Erörterung der Werte und der Ethik bleibt eher bei der Frage des normativen Managements zu schematisch. Letztlich bleibt der Band weitgehend der ökonomischen Argumentation verhaftet. Symptomatisch dafür ist die nur an einer einzigen Stelle des Bandes (S. 100) erwähnte Ebene des St. Gallener Managements und deren integrativen Perspektive, ohne diese indes tiefer zu diskutieren. Hier könnte das normative Managements von einem Wechsel der Argumentationsebene auf philosophische und psychologische Theoreme profitieren. Um zu einer weiteren vertieften Perspektive über Werte und normatives Management zu kommen, müsste deutlich tiefer sowohl in der Kulturgeschichte als auch in der Genese des über die Ökonomie hinausgehenden Verständnisses von Werten gegraben werden. Wenn von normativen Management die Rede ist, wären interdisziplinär Aspekte einer moralischen Urteilsbildung, motivationale Aspekte wie die einer Kultur des Helfens (als Care) als auch Wertesysteme religiöser Provinienz (Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Würde) in die Semantik einer Werteorientierung gerade von Krankenhäusern einzubeziehen.
Es fällt ebenfalls auf, dass die Ebene der Organisation des Krankenhauses erratisch als ein einheitlicher Block definiert wird. Die Differenzierung der Trägerlandschaft z.B. auch von caritiver und diakonischer Einrichtungen und Organisationen einschließlich jüdischer Krankenhaus-Kultur kommt nicht in den Blick und damit auch nicht die gesamte Palette konkret religiöser Werteausrichtung, die die Krankenhausleitkultur wesentlich in Deutschland über Jahrhunderte geprägt hat und weiterhin prägt.
Im letzten Kapitel wäre der Ort gewesen, konkreter den Begriff der Werte mit der Ethik in Verbindung zu bringen und die formale ökonomische Ebene in Richtung theoretischer Reflexion von Werten zu überwinden.
Fazit
Werte spielen inmitten einer im Umbruch befindlichen Marktwirtschaft eine deutlich stärkere Rolle als noch von wenigen Jahrzehnten. Der vorliegende Band führt mehr aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive an die Problematik einer Werteorientierung im Krankenhaus heran. Es geht um die Implementierung einer Werte- und Normenorientierung im Sinne „immaterieller Werte“ in die vor allem durch die Ökonomie geprägte Managementlandschaft des Krankenhauses. Den damit verbundenen Ambivalenzen begegnet der Band mit dem Versuch, Werte bewusst als „Humanwerte“ in die Unternehmensstrategie zu integrieren.
Rezension von
Prof. Dr. Ralf Hoburg
Hochschule Hannover, Lehrgebiet Sozialwirtschaft und Theorie des Sozialstaats
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Zitiervorschlag
Ralf Hoburg. Rezension vom 06.03.2024 zu:
Winfried Zapp, Michael Wittland: Normatives Management und strategische Entwicklung. Werteorientierung als Grundlage betriebswirtschaftlichen Handelns. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2022.
ISBN 978-3-17-023358-4.
Reihe: Health Care - und Krankenhausmanagement.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28622.php, Datum des Zugriffs 08.11.2024.
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