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Roberto Simanowski: Digitale Revolution und Bildung

Rezensiert von Prof. Dr. Anna Zembala, 20.10.2021

Cover Roberto Simanowski: Digitale Revolution und Bildung ISBN 978-3-7799-6511-4

Roberto Simanowski: Digitale Revolution und Bildung. Für eine zukunftsfähige Medienkompetenz. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. 102 Seiten. ISBN 978-3-7799-6511-4. D: 16,95 EUR, A: 17,50 EUR.

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Thema

2021 ist eine neue Publikation von Roberto Simanowski „Digitale Revolution und Bildung. Für eine zukunftsfähige Medienkompetenz“ erschienen. Der Autor wurde ein Jahr zuvor für sein Buch „Todesalgorithmus. Das Dilemma der künstlichen Intelligenz“ (2020, Wien: Passagen Verlag) mit dem Tractatus-Preis für philosophische Essayistik (https://www.philosophicum.com/tractatus/​der-tractatus) ausgezeichnet. Wie die anderen Tractatus-Preisträger – etwa Hartmut Rosa (2016) oder Norbert Bolz (2011) – setzte sich der Autor in diesem Buch mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen auseinander. Mehr über sein Interesse an wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Kultur und Kunst in Zeiten der Digitalisierung erfahren die Leser_innen unter http://www.dichtung-digital.de/, einem Online-Journal, das Simanowski 1999 ins Leben gerufen und lange mitbetreut hat.

Inhalt

In seiner aktuellen Publikation »Digitalen Revolution und Bildung« beschäftigt er sich mit der Weiterentwicklung der Schulen und stellt diese in den Kontext der rasanten Digitalisierung unseres Alltags sowie des Lernens und Lehrens. In sieben Kapitel spannt er einen thematischen Bogen beginnend mit der Ausstattung der Schulen mit digitalen Geräten, über die unabsehbaren Folgen von künstlicher Intelligenz in Lernprozessen, bis hin zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Bestimmungen einer sinnvollen Bildung. Er stellt fest, dass die Schulen schlecht ausgestattet sind und die Lehrer_innen nicht immer über die notwendigen Medienkompetenzen verfügen. Allerdings wirft Simanowski die Frage auf, ob es nicht »eher absurd als plausibel (ist), dass man umso mehr auf digitale Medien im Unterricht umstellen soll, je mehr diese den außerschulischen Raum bestimmen?« (S. 20). Die Aufgabe der Schule sei es nicht, in die Welt der digitalen Medien auszuwandern, sondern die Folgen der Digitalisierung abzufedern (S. 25). Konkret postuliert der Autor, dass man statt auf die immer fragwürdiger erscheinende Technik setze, verstärkt Verständnis- und Verständigungsübungen durchführen solle, die Auffassungsgabe, Reflexion, kritische Analyse, argumentatives Denken oder Geduld schulen. Es geht darum, jene Eigenschaften zu fördern, die derzeit durch Medien verloren gehen. »Wer Zukunftsfähigkeit im Zeitalter der Digitalisierung nachhaltig denkt, setzt auch auf Fächer, die keine technischen Erkenntnisse und praktischen Fertigkeiten vermitteln« (S. 27). Es stehe außer Frage, dass die Medienbildung die Schülerinnen und Schüler auf ihre Zukunft vorbereiten soll. Bildung mit Medien dürfe zugleich aber keinesfalls dazu dienen, einen Lehrermangel zu kompensieren, eine schlechte Didaktik hervorbringen oder nur aufgrund wirtschaftlicher Interessen der digitalen Großkonzerne erfolgen. Seine Bedenken folgen nicht nur dem Misstrauen gegenüber den IT-Unternehmen, sondern ebenfalls der Beobachtung, dass diese nicht über „die notwendigen erziehungswissenschaftlichen Grundlagen für ihr Vorhaben verfügen“ (S. 32). Im Endergebnis könnte nur eine Bildung angeboten werden, die in Händen von Software-Ingenieuren und Unternehmen liegt, wo eine simple Interaktivität und nicht eine kritische Reflexion im Vordergrund steht (S. 33). Darüber hinaus bestehe eine konkrete Gefahr, „dass die Schule so zu einem Ort wird, an dem sich die Schüler an die Entwicklung der Gesellschaft zu einer datengetriebenen Prüf-, Kontroll- und Bewertungsgesellschaft gewöhnen, statt der Ort zu sein, an dem man lernt, diese Praxis kritisch zu betrachten“ (S. 35). In diesem Sinne ist es laut Simanowski – der die Tätigkeiten unterschiedlicher Initiativen und Verbände zur Förderung der Digitalisierung an Schulen hinterfragt –, angebracht, das Tempo der Umgestaltung zu entschleunigen und die gegenwärtige gesellschaftliche Transformation auf ihre Risiken hin zu überprüfen. Simanowski zeigt, wie Facebook die Kommunikation in digital-öffentlichen Räumen verändert und welche möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen zu erwarten sind, wenn die künstliche Intelligenz ungebremst die Oberhand gewinnt. Seine Sorge um die Bildung in Zeiten der Digitalisierung mündet in einem Entwurf theoretischer Überlegungen zum Thema Digitalbürger, wobei es sich hier nicht um den mehr oder weniger etablierten Begriff von "digital citizen handelt, der die neuen Partizipationsmöglichkeiten zum eigenen Vorteil geschickt nutzt, aber nicht darüber nachdenkt, welche Konsequenzen die Digitalisierung insgesamt mit sich bringt. Vielmehr postuliert Simanowski eine Verschiebung vom Homo oeconomicus zum Homo politicus. Nicht das neoliberale-pragmatisch-funktionalistische Sich-Zurecht-Finden in einer digitalen Welt ist von Interesse, sondern ein politisches Engagement, das beispielsweise die sozialen Folgen einer digitalen Überwachung oder prekäre Arbeitsverhältnisse untersucht, die die sozialen Plattformen wie Uber oder Airbnb hervorgebracht haben. Simanowski plädiert daher für verlässliche Strukturen, die die Demokratie angesichts der digitalen Revolution weiterhin aufrechterhalten und Widerstand gegen den ökonomisch getriebenen digitalen Konsum und Selbstoptimierungszwang üben. Hier knüpft er an die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU: https://www.wbgu.de/de/) an, der 2019 ein Hauptgutachten „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ (https://www.wbgu.de/de/publikationen/​publikation/​unsere-gemeinsame-digitale-zukunft#sektion-downloads) veröffentlich hat. Im WBGU-Gutachten werden vier Grundkompetenzen genannt: Transformationskompetenzen (z.B. kritisches Denken, Selbstwirksamkeit, Kreativität), Nachhaltigkeitskompetenzen (z.B. systemisches Denken, Naturverständnis, Multiperspektivität), Antizipationskompetenzen (z.B. Reflexivität, Zukunftsvorstellungen, Kommunikation) und IKT Kompetenzen oder Digitalkompetenz (z.B. Technikwissen, Medienbildung, digitale Resilienz) (Simanowski S. 91–92; Unsere gemeinsame digitale Zukunft S. 245; S. 387f).

Diskussion

Die Entscheidung des Autors die Medienbildung an die vom WBGU vorgeschlagenen Teilkompetenzen zu binden, ist plausibel. Sie ist bedacht und vorausschauend. Der Wissenschaftliche Beirat hat die Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) in Zeiten der Digitalisierung im Blick. Die aktuellen ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen sollten mit digitalen Möglichkeiten bewältigt werden. Jedoch sollten zugleich die mit der Digitalisierung einhergehenden Probleme vermieden werden. Im Zentrum des WBGU-Statements steht der Schutz der Würde des Menschen als grundlegende Orientierungshilfe für aktuelle Transformationsprozesse, wobei ein neuer Humanismus (eine Weiterentwicklung von Aufklärung und globaler Solidarität) als auch ein neues Selbstbewusstsein des Homo Sapiens (eine Weiterentwicklung des Menschen im Sinne einer Mensch-Maschine-Kollaboration) diskutiert werden. Der Vorschlag von Roberto Simanowski kann in diesem Zusammenhang weiter gedacht werden, wenn nicht nur die demokratischen, sondern ebenfalls die ethischen Werte berücksichtig werden.

Fazit

Das Buch von Simanowski deutet darauf hin, dass eine Gefahr bestehe, sich im Labyrinth der Begriffe wie distant learning, computer based learning, personal learning environments oder flipped classroomzu verirrte. Sowohl Eltern, als auch Lehrer_innen können den Überblick darüber verlieren, wie Bildung derzeit zu gestalten ist. Roberto Simanowskis neuste Veröffentlichung bietet uns aber eine gute Hilfe, um das Wesentliche zu erfassen und die wichtigen Herausforderungen der digitalen Revolution mutig anzugehen. Sein Buch ist gut recherchiert und bringt viele multidisziplinäre Perspektiven. Es kann Eltern und Lehrer_innen zu Verbündeten machen und sie ermuntern gemeinsam die Bildung von Kindern und Jugendlichen sinnvoll und am Gemeinwohl orientiert zu gestalten. Wer sich darüber wundert, warum der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Einführung einer bundesweiten Games-Förderung koordiniert oder wie die Initiative des Bitkoms (https://www.bitkom.org/) zugunsten der Schulen eigentlich zu bewerten ist, der findet im Simanowskis Buch Antworten. Es ist erstaunlich, dass es dem Autor gelungen ist, auf nur 102 Seiten viele erhellende Schlaglichter auf die so stark verwobene, von unterschiedlichen Strukturen, Interessen und Zuständigkeiten geprägte Landschaft der Digitalisierung zu werfen. Der Komplexität seiner Gedanken kommt es zugute, dass zunächst eine begründete Definition der Medienkompetenz angeboten wird, die sich bei der anschließenden Auseinandersetzung mit weiteren gesellschaftlichen und sozialen Phänomenen der Mediatisierung als dienlich erweist.

Rezension von
Prof. Dr. Anna Zembala
Kultur- und Medienpädagogin sowie Professorin an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (KatHO NRW) in Köln
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Es gibt 16 Rezensionen von Anna Zembala.

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ISSN 2190-9245