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Sabine Hollewedde: Freiheit und ihre Dialektik

Rezensiert von Prof. Dr. Ruth Großmaß, 02.12.2021

Cover Sabine Hollewedde: Freiheit und ihre Dialektik ISBN 978-3-86674-638-1

Sabine Hollewedde: Freiheit und ihre Dialektik. Kritik der Philosophie in der kritischen Theorie. zu KLAMPEN! Verlag (Springe) 2021. 262 Seiten. ISBN 978-3-86674-638-1. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR.

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Thema

Es geht der Autorin um das Wieder-in-Kraft-Setzen einer kritischen Theorie, die sich an Marx orientiert und eine grundlegende Analyse von „Freiheit“ in den vom Kapital bestimmten Gesellschaften erlaubt. Die Arbeiten von Adorno und Horkheimer, die in der Auseinandersetzung mit der „Dialektik von Aufklärung“ und in der Positivismuskritik entstanden sind, bilden dafür die Grundlage. Ziel ist es, den heute dominierenden, eher philosophischen Anknüpfungen an die „Kritische Theorie“ eine Lesart entgegenzusetzen, die liberalistische Freiheitsbegriffe zurückweist und Gesellschaftskritik ermöglicht.

Autorin

Sabine Hollewedde ist eine junge Akademikerin (geb. 1987), die gefördert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung an der Karl von Ossietzky Universität Oldenburg promoviert wurde und aktuell als Lehrbeauftragte dort lehrt.

Entstehungshintergrund

Bei dem Buch handelt es sich um die Veröffentlichung der Dissertation.

Aufbau

Die Arbeit entwickelt ihre Thesen in drei großen Argumentationsschritten (Kapitel II, III, IV des Buches).

Im ersten auf die die Einleitung folgenden Kapitel (überschrieben mit „Kritische Theorie und Kritik der Philosophie“) vergewissert sich die Autorin des für sie maßgeblichen Verständnisses von Kritischer Theorie, wobei sie sich vor allem an Adorno und orientiert und Positionen von Herbert Marcuse aufgreift.

Der zweite Argumentationsschritt („Die Idee der Freiheit in der bürgerlichen Gesellschaft“) widmet sich, von dem entwickelten Konzept kritischer Theorie ausgehend, einer Analyse der idealistischen Philosophie – zentrale Autoren sind hier Hegel und Kant.

Der abschließende dritte Teil („Die Dialektik der Freiheit und die Kritik des Kapitals“) führt die Überlegungen der vorangegangenen Kapitel zusammen und formuliert die darauf basierenden eigenen Thesen. Zentral ist die Hervorhebung der dialektischen Struktur von Freiheit (in der bürgerlichen Gesellschaft): „Freiheit ist verwirklicht in Freiheit und Unfreiheit“ (236)

Inhalte

Wenn man mit der Lektüre des Buches beginnt, fühlt man sich in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückversetzt – die verwendeten Begriffe sind ebenso wenig selbstverständliche Verständigungsformen aktueller Sozialtheorie, wie der Großteil der verwendeten Literatur. Wenn man sich dann aber der Lektüre überlässt und den Argumentationsgang des Buches nachvollzieht, wird deutlich, dass hier – eigenständig – ein Thema aufgegriffen wird, zu dem noch nicht alles gesagt ist und das heute zum Weiterdenken anregen kann.

Für die beide großen Fragen, die (in jeweils einem Kapitel) ausführlich verhandelt werden, folgt die Autorin Adornos Analysen (im Zentrum: Negative Dialektik 1966; Probleme der Moralphilosophie 1963). Unternommen wird die Rekonstruktion einer der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie verpflichteten Gesellschaftstheorie und – darauf aufbauend – eine Untersuchung von Freiheit als dialektische Verschränkung der Freiheit des Subjekts (in der bürgerlichen Gesellschaft) mit der Freiheit des kapitalistischen Marktes, in dem der Wert als Subjekt fungiert.

„Kritische Theorie“ wird als „dasjenige Theorie-Konzept (definiert)…, welches das Institut für Sozialforschung um Adorno und Horkheimer entwarf und fortentwickelte, wobei die Marx’sche Kritik der politischen Ökonomie als dessen notwendige Basis verstanden wird“ (15). Gemessen an diesem dem Ursprung der „Frankfurter Schule“ verpflichteten Verständnis erscheint die von Habermas vorgeschlagene Öffnung der „Kritischen Theorie“ in Richtung einer „Theorie des kommunikativen Handelns“ genauso als obsolet wie etwa Honneths Re-Lektüre der Hegelschen Rechtsphilosophie für die Entwicklung einer Theorie der Anerkennung.

Interessant ist die Argumentationsform, die eine solche strikte Lesart ermöglicht und begründet. Wie beim jungen Marx werden die philosophischen Entwürfe des deutschen Idealismus nicht als philosophische Theorien gelesen, die Konzeptualisierungen zur Diskussion stellen. Sie werden vielmehr als praxisrelevante, sachhaltige Theoreme ernst genommen, die man auf ihre empirische gesellschaftliche Grundlage bezogen zu kritisieren hat. Für die Hegelsche Dialektik wird gezeigt, dass der gesellschaftliche Fortschritt eben nicht als in der bürgerlichen Gesellschaft „aufgehoben“ gedacht werden kann. Für den Freiheitsbegriff Kants wird herausgearbeitet, dass „die Scheidung zwischen intelligibler und empirischer Welt … die Antinomie, in die die Vernunft gerät, nicht“ (106) löst. Vielmehr wird der Widerspruch zwischen dem Intelligiblen und dem Empirischen auch zu einer Aporie der Moralphilosophie. Es ist – so die Schlussfolgerung der Autorin – erforderlich, die Idee Kants mit Bezug auf die gesellschaftliche Realität konsequent und kritisch weiterzudenken: Denn „die kapitalistische Mehrwertproduktion widerspricht der Moral. Die Benutzung der Arbeit durch das Kapital zum Zweck Mehrwert abzupressen, macht aus dem Arbeiter ein bloßes Mittel im Verwertungsprozess des Kapitals. Moral ist nötig, um kapitalistische Ausbeutung als unmoralisch zu erkennen und die vernünftig begründete Forderung aufzustellen, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch zum bloßen Mittel wird.“ (206)

Diskussion

Anders als im heute gängigen Bezug auf Adornos „Minima moralia“, die gern als eine Art linker Kalenderspruch-Sammlung genutzt werden, nimmt die Autorin in ihrer Arbeit über „Freiheit und Dialektik“ Adorno als kritischen Theoretiker ernst und versucht durch seine Schriften angeleitet, die „Kritische Theorie“ wieder als Gesellschaftskritik in Kraft zu setzen. Kritische Theorie wird als Kritik und Weiterdenken der Philosophie konzipiert, was der Fundierung durch die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie bedarf. Dabei wird – eher nebenbei – eine zentrale marxistische Position aufgegeben, dass nämlich der Entwicklungsprozess der Produktivkräfte die Notwendigkeit gesellschaftsverändernder Politik hervorbringt. Über den Freiheitsbegriff Kants wird Gesellschaftsveränderung vielmehr zu einem moralischen Postulat.

Das Anliegen des Buches ist es, im Aufzeigen und kritischen Weiterdenken der Widersprüche und Aporien der Philosophie des deutschen Idealismus – es geht vor allem um Kant und Hegel – zu einer Gesellschaftskritik fortschreiten, die auch die aktuelle politische Praxis zu motivieren vermag.

Diesem Anliegen jedoch kann eine im Abstrakt-Theoretischen angesiedelte und verbleibende Arbeit nicht wirklich gerecht werden. Dazu fehlt zum einen die Einbeziehung heutiger gesellschaftspolitischer Herausforderungen – So stellt sich die Frage, ob die Kritik des global agierenden Kapitalismus wirklich von einer Analyse der „bürgerlichen Gesellschaft“ ausgehen kann. Zudem fehlt die Einordnung der eigenen Überlegungen in die Aufgaben, die durch postmoderne, machtkritische und postkoloniale Theorien herausgearbeitet worden sind.

Fazit

„Freiheit und ihre Dialektik“ lässt sich als eine fokussierte Einführung in die marxistisch fundierte Theorie der frühen Frankfurter Schule lesen und liefert interessante Thesen zur Strukturgleichheit von individueller bürgerlicher Freiheit und Freiheit des Marktes/Wert als Subjekt. Ob die Untersuchung eine Gesellschaftskritik entfaltet, die auch die politische Praxis heute zu motivieren vermag, lässt sich allerdings bezweifeln.

Rezension von
Prof. Dr. Ruth Großmaß
Alice Salomon Hochschule, Professur für Ethik und Sozialphilosophie
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Es gibt 4 Rezensionen von Ruth Großmaß.

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Zitiervorschlag
Ruth Großmaß. Rezension vom 02.12.2021 zu: Sabine Hollewedde: Freiheit und ihre Dialektik. Kritik der Philosophie in der kritischen Theorie. zu KLAMPEN! Verlag (Springe) 2021. ISBN 978-3-86674-638-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28660.php, Datum des Zugriffs 26.01.2025.


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