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Britta Gebhard, Liane Simon et al. (Hrsg.): Transitionen

Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 19.01.2022

Cover Britta Gebhard, Liane Simon et al. (Hrsg.): Transitionen ISBN 978-3-8248-1287-5

Britta Gebhard, Liane Simon, Kerstin Ziemen, Günther Opp, Anke Groß-Kunkel (Hrsg.): Transitionen. Übergänge in der Frühförderung gestalten. Schulz-Kirchner Verlag (Idstein) 2021. 332 Seiten. ISBN 978-3-8248-1287-5. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR.

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Thema

Die Frühförderung ist in vielfältiger Weise mit Transitionen konfrontiert. Sie begleitet Kinder, die während ihrer Entwicklung Übergängen ausgesetzt sind, bei der Eingewöhnungsphase in der Kita, beim Schulbeginn oder durch andere lebensweltliche Veränderungen. Auch der Wechsel zwischen verschiedenen Entwicklungsphasen bedeutet einen Übergang und somit Herausforderung. All diese Transitionen können für Kinder und die Menschen in ihren Lebenswelten positiv assoziiert sein, aber ebenso mit belastenden oder ängstigenden Situationen verbunden sein. Sie erfordern deshalb sensible Beachtung und Aufmerksamkeit (Klappentext)

Das Buch enthält Beiträge, die als Vorträge oder Workshops für das 21. Symposion Frühförderung der Vereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung Bundesvereinigung e.V (VIFF) vorgesehen waren, das für den März 2021 in Köln geplant war. Coronabedingt konnte das Symposion aber nur als Online-Veranstaltung durchgeführt werden. Es enthält auch Beiträge, die in der Online-Veranstaltung nicht vorgetragen worden sind.

Herausgeber*innen

Prof. Dr. Britta Gebhard ist Professorin für Frühpädagogik, Schwerpunkt Diversität und Frühförderung, an der Fachhochschule Südwestfalen in Soest.

Prof. Dr. Liane Simon ist Professorin für Transdisziplinäre Frühförderung an der Medical School Hamburg.

Prof. Dr. Kerstin Ziemen ist Professorin für Pädagogik und Didaktik bei Menschen mit geistiger Behinderung an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.

Prof. em. Dr. Günther Opp war Professor für Pädagogik bei Gefühls- und Verhaltensstörungen mit dem Schwerpunkt schulische Erziehungshilfe an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg.

Dr. Anke Groß-Kunkel ist Studienrätin im Hochschuldienst an am Lehrstuhl Pädagogik und Didaktik bei Menschen mit geistiger Behinderung an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.

Aufbau und Inhalt

Die 34 Beiträge sind vier inhaltlichen Bereichen zugeordnet.

I: Übergänge zwischen Institutionen und Hilfesystemen gewinnbringend nutzen

Die Beiträge des ersten Schwerpunkts befassen sich mit Übergängen zwischen Institutionen und Hilfesystemen.

  • Im ersten Beitrag kennzeichnen Bührmann und Simon Übergänge in der Frühförderung und stellen ein systemtheoretisches Rahmenmodell zur Gestaltung von Übergängen vor. Im zweiten Beitrag geht es schon in die Praxis: Keßel et al. präsentieren ein Kooperationsprojekt von Universität und Frühförderzentrum in Köln, in dem ein modulares Fortbildungssystem, in dem umfangreiche Informationen, Planungs- und Dokumentationshilfen zur Moderation des Übergangs von der Frühförderung in die inklusive Grundschule erarbeitet werden.
  • Anschließend ordnen Koch und Richter die Angebote im System der frühen Hilfen ein und besprechen Barrieren für die Inanspruchnahme von Hilfen, vor allem bei Regulationsstörungen auf Seiten des Kindes, psychischen Problemen auf Seiten der Eltern.
  • Kramer stellt die Vorzüge der Arbeit am Tonfeld (AaT) als Begleitung für Kinder mit Problemen als Angebot von Frühförderstellen für Kindertagesstätten heraus. Ein wichtiges ergänzendes Angebot bietet das Forschungs- und Beratungszentrums für Unterstützte Kommunikation an der Universität zu Köln, im Zusammenspiel mit Eltern, Frühförderstelle und anderen Institutionen (Krüger & Garbe).
  • Eine bedeutsame Rolle für das Gelingen eines Übergangs im Bildungssystem (Kindergarten, Schule) spielt die emotionale Kompetenz. Wie die Kooperation Kindergarten, Frühförderstelle (und Schule) die soziale und emotionale Kompetenz des Kindes stärken kann, stellt Westerich vor.
  • Eine Herausforderung ist der Übergang von Vorschule zu Schule auch für Kinder mit geistiger Behinderung. Wilder berichtet in einem englischsprachigen Beitrag von einem groß angelegten Forschungsprojekt in Schweden.
  • Der Übergang in die Schule ist ein ko-konstruktiver Prozess mit Entwicklungsaufgaben aller Beteiligten (Kind, Eltern, Fachkräfte) auf individueller, interaktionaler, kontextueller Ebene sowie der Kompetenzen (Winkelmann). Sie stellt ein von der Autorin entwickeltes Puzzle-Spiel als Verfahren zur Überprüfung von schulnahen Kompetenzen und zur Förderplanung im letzten Kindergartenjahr vor.

II: Übergänge professionell gestalten: Multi-, inter- und transpersonelle Zusammenarbeit

Die Beiträge greifen zum Teil Themen des ersten Teils auf, führen sie fort oder ergänzen sie.

  • In den ersten beiden Beiträgen wird die Rolle der Unterstützten Kommunikation verdeutlicht, wiederum der Übergang Kindergarten – Schule thematisiert, wie die Unterstützung ICF-orientiert geplant werden kann (Bernasconi und Sachse) und welche Rahmenbedingungen dringend geschaffen werden müssen, verdeutlicht durch Ergebnisse der Praxisforschung (Burgio).
  • Ist der Übergang zur Schule ein Entwicklungsrisiko, fragen Henkel und Gebhard. Kinder, die Frühförderung erhalten, gelten als besonders vulnerabel und brauchen gezielte Unterstützung. Henkel und Gebhard zeigen Beispiele von interdisziplinärer und institutionsübergreifender Kooperation.
  • Hering und Möller-Dreischer stellen das Hamburger Modell vor, interdisziplinäre Frühförderung organisatorisch und institutionell an die Kindertagesstätte anzubinden. Sie verstehen dies als notwendige Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen und versuchen, die Befürchtung mangelnder Familienorientierung zu entkräften.
  • Zwei Beiträge gehen auf die Belange sinnesbehinderter Kinder ein. An zwei Fallbeispielen wird die Unterstützung bei Sehbeeinträchtigungen herausgearbeitet (Kerkmann, Gawehn & Schneider) bzw. aus einer Studie berichtet, in der Eltern von Kindern mit Hörschädigung befragt wurden (Schäfer, Hoffmann & Hintermair).
  • In den Beiträgen das Symposions werden auch ganz andere Aspekte von Transition betrachtet: Irmler und Rosenkranz sorgen sich, wie und in welchem Umfang die Inhalte von (heilpädagogischen) Fortbildungen in die Berufspraxis transformiert werden. Sie berichten Ergebnisse einer Befragungsstudie zur Evaluation eines Fortbildungsprogramms und stellen fest, dass dieses erworbene neue Wissen häufig durch subjektive Theorien überlagert wird.
  • Viele Anregungen, um sowohl alltägliche kleine Übergänge, aber natürlich auch die großen zentralen Übergänge zu unterstützen, liefert die Marte Meo Methode (Renninger). Große Bedeutung hat eine förderliche Beziehung zu Kind und Eltern Bindung und Mentalisierung sind zentrale Konzepte (Trost). Anschließend fragt Wilkens, wie Therapie im Lebensalltag ankommt, betont die Bedeutung feinfühliger Eltern-Kind-Interaktionen und zeigt die Übertragung der Therapie in den Alltag am Beispiel der Unterstützten Kommunikation.
  • Ausgehend von einem breiten Verständnis von Übergängen mit verschiedenen relevanten Ebenen beschreiben Ziemen und Hanisch das MuTig Projekt zur professionellen Gestaltung des Übergangs in die inklusive Grundschule.

III: Übergänge als Wendepunkte

  • Im ersten Beitrag stellen Franke und Block Theraplay-Therapie als Kurzzeit-Intervention für Kinder mit sozioemotionalen Störungen und Beziehungsstörungen mit den Eltern vor. Groß-Kunkel referiert über die Bedeutung der (Vor-) Leseerfahrung (Literacy-Erfahrung) und betont die veränderte Sichtweise als soziale Praktik und soziale Erfahrung. Beeinträchtigten Kindern wird weniger vorgelesen: deshalb führt sie das Konzept der „mehr-Sinn Geschichten“ ein.
  • Bei Familien mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung bestehen hohe Zugangsbarrieren zur Frühförderung. Gün und Gün geben Impulse für kultursensible Arbeit mit diesen Familien.
  • In einem englischsprachigen Beitrag mit dem Titel „Lost in transition“ berichtet Heimdahl über ihre vielfältigen Erfahrungen in Norwegen. Mehrfachbehinderte Kinder erfahren viele Transitionen im Leben, beginnend vom Krankenhaus ins Elternhaus, dann in die außerhäusliche Betreuung, später Schule. Diese Übergänge bereiten Eltern häufig große Sorgen, u.a. dass wichtige Informationen verloren gehen. Es werden Vorschläge für Hilfsmittel gemacht, z.B. Me-my-Storys.
  • Kannengieser beschäftigt sich mit dem Übergang von der (nicht deutsch sprechenden) Familie in die (deutsch dominierte) Kita. Sie betont die Wichtigkeit der Anerkennung der Familiensprache und wendet sich gegen die häufig beobachtete Vorgehensweise, nur deutsche Kommunikation anzuerkennen und zuzulassen.
  • Mit Karus liegt wiederum ein Beitrag zur Unterstützten Kommunikation vor. Sie stellt Hilfsmittel zur Unterstützung von Übergängen (Übergabebögen, Ich-Bücher, Fotomappen und elektronische Kommunikationshilfen) vor.
  • Eine andere Art von Übergängen thematisiert Lüpke. Er befasst sich mit Übergängen zwischen einzelnen Entwicklungsphasen und diskutiert die Modellvorstellungen von Freud und von Stern.
  • Opp beschreibt die frühkindliche Entwicklung als Tanz zwischen biologischen Anlagen und soziokulturellen Erfahrungen und sieht in diesem Rahmen die Unterstützung des sich entwickelnden Selbst und der Selbstregulation im sozialen Kontext als wichtige Aufgabe der Frühförderung.
  • Ausgehend vom LINK-Projekt und Emergant Literacy-Modell stellen Sachse und Kröger Handlungsempfehlungen alltagsintegrierte Literacy-Angebote vor.
  • Mit ganz kleinen, aber trotzdem wichtigen Übergängen befasst sich Seiler, damit, wie schwierig Bewegungsübergänge für Kindern mit Bewegungsstörungen und Muskelhypotonie sind, die große Anstrengung, die es bedeutet, von einer Körperhaltung zu einer anderen Position zu gelangen.
  • Studien berichten über einen hohen Anteil von posttraumatischen Belastungsstörungen bei Flüchtlingskindern, auch im Alter zwischen 0 und 6 Jahren. Thümmler sieht bei der Frühförderung eine enorm wichtige Rolle als Bindeglied zwischen den Bedürfnissen der Kinder, den Kindertagesstätten oder anderen betreuenden Einrichtungen und den Familien.

IV: Das System Frühförderung im Übergang

  • Zu Beginn dieses Teils diskutiert Emlein anhand der Systemtheorie Luhmanns die Begriffe Interdisziplinarität, Transdisziplinarität und Komplexität (Komplexleistung).
  • Krinninger skizziert den Werdegang der Komplexleistung „Frühförderung und Früherkennung“, ausgehend vom SGB IX aus dem Jahre 2001 über die Frühförderverordnungen hin zum BTHG und berichtet Ergebnisse einer Befragung von Bundes- und Landesministerien zum Stand der Umsetzung. Er zieht das Fazit, dass sie zwar „volljährig“ (über 18) geworden ist, dass die Umsetzung noch nicht gelungen ist und sie keine befriedigende Eigenständigkeit hat.
  • Die letzten beiden Beiträge befassen sich mit dem Thema, das zurzeit am meisten beschäftigt, den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Rittel thematisiert den Übergang in eine digitale Welt, ausgelöst oder beflügelt durch die Kontaktbeschränkungen. Sie gibt einen Erfahrungsbericht aus einer Frühförderstelle mit vielen nützlichen Anregungen.
  • Abschließend unterzieht Wörster die fachliche Begründung und das institutionelle Reglement einem „Stress-Test“. In der Corona-Pandemie zeigte sich deutlich, dass es gute Gründe gäbe, die Leistungen der Frühförderung unabhängig von Tagesgeschehen und wirtschaftlichen Zwängen sicherzustellen und fordert eine Gleichbehandlung z.B. mit Erziehungsberatung. Bei der auf Terminentgelten basierenden Finanzierung dominiere jedoch die Sichtweise der Kostenträger. Der Zugang zur Frühförderung sei nicht konform mit UN-BRK.

Diskussion

Das Symposion Frühförderung und damit auch dieses Buch zeigt deutlich die Vielfalt, die Kreativität und die Lebendigkeit der interdisziplinären Frühförderung. Trotz Corona-Pandemie gelang es, ein attraktives Programm für das (Online-) Symposion zu organisieren, was sich auch in diesem Buch wiederfindet. Es ist faszinierend, wie viele unterschiedliche Aspekte unter dem Begriff „Übergänge“ beachtet werden müssen. Übergänge finden innerhalb einer Bewegung, alltägliche Übergänge innerhalb eines Tages, von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe, vom Elternhaus zur Tagesbetreuung und dann zur Schule statt.

Obwohl zu vier Schwerpunkten zusammengefasst, ist die Zuordnung der Beiträge und ihre Reihenfolge innerhalb der Bereiche nicht immer schlüssig. Natürlich könnte jeder Beitrag kritisch betrachtet werden, wozu bei einem Symposion durch Nachfragen und der Diskussion in Workshops auch Gelegenheit besteht.

So stellte sich mir beispielsweise die Frage, wieso in Hamburg Fachkräfte videogestützte Interaktions- und Beratungsformen als schwierig erleben. Bei dem Beitrag zur Arbeit mit dem Tonfeld wird es nicht klar, wie die Arbeit tatsächlich ausschaut, da hatte ich mehr erwartet. Schwierig für die Leserin/den Leser ist es, wenn der Beitrag anscheinend nicht für das Buch überarbeitet wurde. So werden im Beitrag von Seiler 31 Abbildungen erwähnt und besprochen, aber nur 3 dargestellt.

Insgesamt gibt es aber viele Anregungen, sich weiter mit spezifischen Themen auseinander zu setzen.

Als ein Fazit stellt sich für mich dar, dass der Übergang zur Schule noch stärker in den Blickpunkt der Frühförderung gerückt werden muss, auch vor dem Hintergrund von theoretischen und empirischen Forschungsergebnissen und der UN-BRK. Die erforderlichen Strukturen müssen über Modellprojekte hinaus bereitgestellt und finanziert werden. Da wartet noch viel Arbeit.

In Zeiten der Pandemie hat sich deutlich gezeigt, wie wichtig das System der Interdisziplinären Frühförderung für die Kinder und ihren Familien ist. Die Anfälligkeit des Systems, ihre zum Teil unzureichende finanzielle Absicherung wurde im Stress-Test Corona deutlich. Die Komplexleistung ist – wie Krinninger es ausdrückt – zwar volljährig, aber noch nicht zufriedenstellend eigenständig geworden.

Zielgruppen

Fachkräfte in der beruflichen Praxis, aber auch anderen, die sich für die interdisziplinäre Frühförderung interessieren

Fazit

Das Buch gibt einen Überblick über die Beiträge (Vorträge, Workshops) des 21. Symposion Frühförderung der Vereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung Bundesvereinigung e.V (VIFF), das im März 2021als Online-Veranstaltung durchgeführt wurde. Die Beiträge beschäftigen sich alle mit unterschiedlichen Aspekten von Transitionen, Übergängen. Das Buch zeigt deutlich die Vielfalt, die Kreativität und die Lebendigkeit der interdisziplinären Frühförderung. Unterschiedliche Formen von Übergängen (innerhalb einer Bewegung, alltägliche Übergänge innerhalb eines Tages, von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe, vom Elternhaus zur Tagesbetreuung und dann zur Schule) werden angesprochen.

Das Buch gibt viele Anregungen für die alltägliche Arbeit und weckt die Motivation, sich weiter mit spezifischen Themen auseinander zu setzen.

Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
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Es gibt 197 Rezensionen von Lothar Unzner.

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Zitiervorschlag
Lothar Unzner. Rezension vom 19.01.2022 zu: Britta Gebhard, Liane Simon, Kerstin Ziemen, Günther Opp, Anke Groß-Kunkel (Hrsg.): Transitionen. Übergänge in der Frühförderung gestalten. Schulz-Kirchner Verlag (Idstein) 2021. ISBN 978-3-8248-1287-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28667.php, Datum des Zugriffs 07.12.2024.


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