Norbert Lotz: Therapie-Tools Sokratischer Dialog
Rezensiert von Gertrude Henn, 27.10.2021

Norbert Lotz: Therapie-Tools Sokratischer Dialog.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2021.
192 Seiten.
ISBN 978-3-621-28784-5.
D: 39,95 EUR,
A: 41,10 EUR.
Mit E-Book inside und Arbeitsmaterial. Reihe: Therapie-Tools.
Thema
In der kognitiv orientierten Therapie und Beratung ist der Sokratische Dialog ein zentrales Element. Anhand konkreter Informations- und Arbeitsblätter führt das Tools-Buch durch die einzelnen Verfahrensschritte der Methode. Es vermittelt die zugrunde liegende Theorie und die Vorgehensweise in der Praxis.
Autor
Prof. Norbert Lotz, Ph. D. ist Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor und Coach. Er leitet das FIRST Institut in Frankfurt – ein Ausbildungsinstitut für kognitive Therapien.
Entstehungshintergrund
Zwischen der zentralen Bedeutung des Sokratischen Dialogs für die kognitiv orientierte Therapie und verfügbarer Literatur zur Umsetzung in der therapeutischen/​ beraterischen Praxis besteht laut Autor ein Missverhältnis. Mit den vorgelegten Therapie-Tools will Norbert Lotz dazu beitragen die Lücke zu schließen und den LeserInnen den Sokratischen Dialog als „lebendig-kreative Arbeitsweise“ (S. 9) nahebringen.
Aufbau
Das Buch ist klar strukturiert und übersichtlich aufgebaut. Die LeserInnen können sich jederzeit gut orientieren. Es enthält – neben theoretischen Einführungen – Arbeitsmaterialien in Form von 61 Arbeitsblättern und 8 Informationsblättern.
Alle Arbeitsmaterialien sind durch Icons eindeutig gekennzeichnet. So werden zunächst Informations- und Arbeitsblätter für TherapeutInnen und Materialien für KlientInnen unterschieden. Ein Stift fordert dazu auf, Überlegungen zu notieren, weitere Icons signalisieren Handlungsanweisungen und Beispielformulierungen (letztere für die Fachpersonen).
Alle, teilweise mehrseitigen, Arbeitsmaterialien dienen zur Auseinandersetzung mit der Methode, wie zu deren Einüben. Sie sind in einem eigenen Verzeichnis mit ihrem Titel gelistet und den einzelnen Kapiteln zugeordnet. In den Kapiteln selbst sind die zugehörigen Arbeitsmaterialien aufgeführt und mit einer Kurzbeschreibung versehen.
Inhaltlich führen die Therapie-Tools zunächst in die historische Entwicklung des Sokratischen Dialogs und dessen unterschiedliche Charakterisierungen ein (Kapitel 1). Im Anschluss werden fünf Grundhaltungen beschrieben, aus denen TherapeutInnen agieren können (Kapitel 2). Vorbereitung eines disputativen Dialogs (Kapitel 3), die Disputation selbst (Kapitel 4), Hilfreiche Interventionen zur Gesprächsführung (Kapitel 5) sowie begleitende Interventionen (Kapitel 6) folgen. Das Buch schließt mit einem Kapitel, wie Wissen zur Sokratischen Gesprächsführung vermittelt werden kann (Kapitel 7).
Mit dem Erwerb der Printversion erhält man über einen Link Zugang zur E-Book-Version und zum Download aller Arbeitsmaterialien.
Inhalt
Kapitel 1 Einführung: Historische Entwicklung des Sokratischen Dialogs und seine Charakterisierung
„Ich weiß, dass ich nichts weiß“ ist eines der bekanntesten, dem griechischen Philosophen Sokrates (469 - 399 v.Chr.) zugeschriebenen, Zitate. Der Dialog als Methode des Philosophierens und des Erkenntnisgewinns lässt sich auf ihn zurückführen.
Mittels einfacher, „naiver“ Fragen verhilft Sokrates seinem Gegenüber zu einer anderen Sicht auf die eigene Konstruktion der Wirklichkeit. So werden ein selbstständiger Perspektivwechsel angestoßen und neue Einsichten angeregt. Diese wiederum ermöglichen es, Denken und Handeln zu verändern.
Die LeserInnen erfahren etwas über Sokrates' Leben und die Entwicklung des Dialogs als Form der Gesprächsführung. Es werden verschiedene Charakterisierungen und Diskussionsstrategien des Sokratischen Dialogs beschrieben.
Beispielhaft soll hier die Strategie der Mäeutik vorgestellt werden – griechisch für Hebammenkunst: Geschickt gestellte Fragen stoßen Erinnerungs- und Erkenntnisprozesse an, sodass verborgenes Wissen ins Bewusstsein findet. Das Fragenstellen wird zu einer Art „Geburtshilfe“.
Dargestellt werden auch die Varianten des Sokratischen Dialogs nach Harlich H. Stavemann. Er teilt die Sokratischen Dialoge nach inhaltlichen Gesichtspunkten ein. Der explikative Dialog geht der Frage „Was ist das?“ nach und klärt Begriffe. Der Normative Dialog soll Antwort geben auf die Frage „Darf ich das?“ und überprüft das eigene Normen- und Wertesystem, während im Funktionalen Dialog Antworten auf die Frage „Soll ich das?“ gesucht werden.
Kapitel 2 Die fünf Grundhaltungen im Sokratischen Dialog
Von Norbert Lotz selbst stammt das Modell der fünf Grundhaltungen im Sokratischen Dialog. Sie beschreiben die Interaktion mit den KlientInnen aus verschiedenen Blickwinkeln, verbunden mit einer entsprechenden Haltung und deren flexibler Anwendung.
Die Haltung als Gegner versucht – vor allem mittels Ironie und Humor – die KlientInnen hinsichtlich bestimmter Auffassungen zu verunsichern.
Die Haltung als Verkäufer bringt hilfreiches Wissen ein, z.B. theoretische Erklärungen zum Thema.
In der Haltung der ebenbürtigen Partner streben TherapeutIn und KlientIn eine Beziehung auf Augenhöhe an. ExpertInnen-Kompetenz und KlientInnen-Kompetenz ergänzen sich. Die KlientInnen bleiben ExpertInnen für das eigene Leben.
In der Haltung des Prüfers wird dem Realitätsgehalt (Ist es wahr?) und der Nützlichkeit (Ist es hilfreich?) von Gedanken und Einstellungen nachgegangen.
Die Haltung des Ressourcenaufdeckers unterstützt im geleiteten Entdecken darin, die eigenen Ressourcen aufzudecken sowie Potenziale und Möglichkeiten zu erkennen. Eine Haltung, die der o.g. Strategie der Mäeutik entspricht.
Die Arbeitsblätter dienen der vertieften Auseinandersetzung mit den fünf Grundhaltungen anhand beispielhafter Dialoge und Übungen.
Kapitel 3 Den disputativen Dialog vorbereiten
Damit KlientInnen Verständnis für sich gewinnen und Möglichkeiten zur Veränderung erkennen, wird vorbereitend als Arbeitsgrundlage das kognitive Modell der Emotionsentstehung und -veränderung vermittelt. Gedanken spielen ihm zufolge eine zentrale Rolle für die eigene Befindlichkeit und wirken sich auf das Verhalten aus. Die Fähigkeit das eigene Denken, Fühlen und Handeln zu reflektieren muss auf KlientInnenseite gegeben sein.
Als Hilfsmittel werden eine Situationsanalyse und die Erkundung der eigenen Denk- und Gedankenwelt angeboten. Als Störungsmodell wird das ABC Schema der Rational-Emotiven-Verhaltenstherapie (REVT) nach Albert Ellis eingeführt.
- A steht dabei für ein auslösendes oder aktivierendes Ereignis (Activating Event).
- C steht für Konsequenzen (Consequences) und umfasst, was sich aufgrund des aktivierenden Ereignisses an Gefühlen, Körperempfindungen oder Handlungen entwickelt.
- B steht für Bewertungen (Beliefs), Gedanken, Einschätzungen, Interpretationen. Sie begleiten die Konsequenzen, bzw. rufen sie meist erst in der Form hervor.
Aus dem Modell lässt sich folgern, dass bei gleichbleibendem aktivierenden Ereignis eine Veränderung der Bewertungen eine Veränderung der Gefühle, Körperempfindungen und Handlungen bewirkt.
Kapitel 4 Disputation
In der Disputation werden Kognitionen genauer betrachtet, auf Irrationalität und Dysfunktionalität hin überprüft und entsprechend rekonstruiert oder neu konstruiert. Weil sich Kognition, Emotion und Handeln stets transaktional untereinander beeinflussen, müssen alle Ebenen im Prozess der Kognitiven Umstrukturierung Beachtung finden.
Die Arbeitsblätter des umfangreichsten Kapitels folgen dem Ablauf einer Disputation – bei der Auswahl zu betrachtender Kognitionen, deren Überprüfung, dem Prozess der Neukonstruktion und Umsetzung.
Beispielsweise werden die KlientInnen darauf hin trainiert – gemäß dem zugrundeliegenden ABC Schema als Störungsmodell – das Aktivierende Ereignis (A) einer Situation herauszufinden und einzuordnen und zwischen Beschreiben, Interpretieren und Bewerten zu unterscheiden. Mit dem Fokus auf das Prüfen dysfunktionaler Gedanken werden die kognitiven Disputationen – eingeteilt in Empirische Disputation (Ist es wahr?), logische Disputation (Ist es logisch?) und hedonistische Disputation (Ist es hilfreich?) – unter die Lupe genommen und eingeübt. Neben den drei Grundfragen bietet der Autor ein alternatives Fragespektrum an. Fragen sind für ihn „die Perlen eines Dialogs… die markanten Entscheidungsweichen.“ (S. 90).
Kapitel 5 Hilfreiche Interventionen zur Gesprächsführung
Auf den – den Fachpersonen vorbehaltenen Arbeitsblättern – wird die große Bandbreite begleitender Techniken vorgestellt und eingeübt. Das „Wie“ der Gesprächsführung steht im Vordergrund und der gezielte Einsatz zur verbalen und non-verbalen Lenkung.
Kapitel 6 Begleitende Interventionen
Die Arbeitsblätter dieses Kapitels können gesprächsbegleitend eingesetzt werden. Sie dienen laut Autor dazu, „den Dialog … fließend zu halten, Stagnationen und Widerstände zu reduzieren bzw. zu vermeiden.“ (S. 136). Sie enthalten unter anderem eine Auswahl an Fallbeispielen für KlientInnen, Metaphern und Geschichten, z.B. die berühmte Geschichte von den „Drei Filtern des Sokrates“: In seinem beispielhaften Dialog bremst Sokrates einen Bekannten, der ihm den neuesten „Klatsch“ erzählen will mit den drei Filtern der Wahrheit, der Güte und der Nützlichkeit.
Kapitel 7 Hilfreiches Wissen zur Sokratischen Gesprächsführung vermitteln
Um die Motivation der KlientInnen zum Arbeiten mit dem Sokratischen Dialog zu fördern und Einsichten zu vermitteln werden psychologische und – bezogen auf Sokrates biografische – Kenntnisse vorgestellt. Die LeserInnen können sich mit dem (Irr-)Glauben an eine absolute Gewissheit und endgültige Wahrheit auseinandersetzen. In einem „Denkfehler-Training“ können sie typischen Denkfehlern wie Schwarz-Weiß-Denken, Übergeneralisierung, Absoluter Imperativ, Gedankenlesen, Zukunftsvorhersagen et cetera auf die Spur kommen.
Das abschließende Informationsblatt bietet den TherapeutInnen einen beispielhaften Dialog mit Darstellung und Verweis auf die genutzten Techniken und Interventionen und die entsprechenden Arbeitsblätter.
Diskussion
„Praktiker benötigen sequenzielle Anleitungen für ihr Vorgehen“ (S. 8), so der Autor in seinem Vorwort. Damit ist das Tools-Buch durchweg praktisch ausgerichtet. Durch den klaren Aufbau, gut gewählte Beispiele und Übungsmöglichkeiten – für Fachpersonen wie KlientInnen – wird es diesem Anspruch gerecht. Theoretische Anteile, Einführungen und Erläuterungen sind gleichermaßen kurz wie prägnant. Sie liefern ein ausreichendes inhaltliches Grundgerüst.
Fazit
Die Therapie-Tools Sokratischer Dialog geben TherapeutInnen und BeraterInnen ein äußerst praxistaugliches Instrumentarium an die Hand um – ganz im Sinne des Autors – therapeutische Gespräche lebendig-kreativ und erkenntnis- und erlebnisreich zu gestalten. Sie sind für AnfängerInnen genauso geeignet wie für langjährige PraktikerInnen.
Rezension von
Gertrude Henn
Diplom-Sozialpädagogin, Entspannungs- & Stressmanagement-Trainerin
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