Nicolas Hoffmann, Birgit Hofmann: Selbstfürsorge für Therapeuten und Berater
Rezensiert von Gertrude Henn, 14.01.2022

Nicolas Hoffmann, Birgit Hofmann: Selbstfürsorge für Therapeuten und Berater. Grundlagen und Anwendung : mit E-Book inside und Arbeitsmaterial. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2020. 3., überarbeitete Auflage. 220 Seiten. ISBN 978-3-621-28750-0. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 45,02 sFr.
Thema
Das Fachbuch stellt Belastungen, Befindlichkeit und Lebensqualität von TherapeutInnen und BeraterInnen in den Mittelpunkt. Es zeigt, wie man sich selbst vor negativen gesundheitlichen Folgen therapeutischer Arbeit schützen kann und wie sich Selbstfürsorge in diesem Kontext gestalten lässt.
Autor und Autorin
Nicolas Hoffmann ist Verhaltenstherapeut, Supervisor, Dozent und Gründungsvorsitzender des Instituts für Verhaltenstherapie in Berlin.
Birgit Hofmann ist Verhaltenstherapeutin und arbeitet an Forschungsprojekten der Uni Potsdam und der TU Dresden mit.
Als Autorenteam haben sie zahlreiche Fachbücher veröffentlicht.
Entstehungshintergrund
„Die berufliche Ausübung psychotherapeutischer und ähnlicher Tätigkeiten ist mit psychischen Belastungen verbunden, die gravierende Konsequenzen für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Betroffenen haben.“ (S. 14).
Ausgehend von dieser – durch zahlreiche Studien untermauerten These – wollen Hoffmann & Hofmann Wege vermitteln um in diesem Beruf (wie in verwandten Berufsfeldern) langfristig an Leib und Seele gesund zu bleiben.
Sie stellen dazu eine Vielzahl psychologisch fundierter Möglichkeiten und Ansätze vor sowie ausgewählte Übungen als „Werkzeuge … mit denen das eigene Befinden während der Therapie reguliert und die eigene Gesundheit geschützt werden kann.“ (S. 11).
Aufbau
Das Buch umfasst sechs Kapitel, verteilt auf 220 Seiten.
Es beginnt mit einer Analyse der Belastungen, daraus folgenden Konsequenzen und abzuleitenden Ansatzschwerpunkten in Bezug auf Selbstfürsorgemaßnahmen.
In den Folgekapiteln werden letztere in all ihren Facetten zur Diskussion gestellt. Gleichzeitig werden Strategien und Gegenmaßnahmen vermittelt, einschließlich konkreter Anleitungen.
Den Anhang bilden „Zweifel, Klagen und die Mittel dagegen“ – mit Anregungen und Übungen, die 42 Arbeitsblätter umfassen. Zum Anhang gehören ebenso ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein aussagekräftiges Stichwortverzeichnis.
Mit dem Erwerb der Printausgabe erhält man über einen Link Zugang zur E-Book-Version und zum Download aller Arbeitsmaterialien.
Inhalt
Kapitel 1 Einleitung: Belastungen bei Psychotherapeuten und ihre Folgen
In diesem Kapitel werden sieben Belastungsschwerpunkte, die bei der Ausübung von Psychotherapie entstehen können, identifiziert und in ihren Auswirkungen dargestellt.
Hoffmann & Hofmann beschreiben einen Teufelskreis des „Ausbrennens“ mit sich daraus entwickelnden Konsequenzen auf die Befindlichkeit von Fachkräften wie PatientInnen. Sie leiten Ansatzschwerpunkte erforderlicher Selbstfürsorgemaßnahmen ab. Diese stellen sie als wirksame Strategien und Vorgehensweisen vor, um „schädliche Konsequenzen zu vermeiden oder wenigstens abzumildern.“ (S. 22). Die Wirksamkeit ihres Ansatzes haben sie in ihrer Arbeit mit KollegInnen erprobt und weiterentwickelt.
Den Abschluss des ersten Kapitels bildet eine Tabelle. Sie gibt die kritischen Belastungsschwerpunkte wieder und ordnet unter der Spalte Bewältigungsmöglichkeiten die entsprechenden Abschnitte bzw. Kapitel des Buchs, beginnend ab Kapitel 3, zu. So ist für die LeserInnen ein gut strukturierter Überblick geschaffen.
Kapitel 2 Selbstfürsorge in der Psychotherapie
Mit diesem Kapitel wollen Autor und Autorin die „Notwendigkeit von Selbstfürsorgemaßnahmen noch einmal verdeutlichen und für eine innere Haltung werben, die sie als eine selbstverständliche Komponente … anerkennt.“ (S. 23).
Psychotherapie wird als Arbeit verstanden, die wie jede andere Arbeit anfällig für Arbeitsstörungen ist. Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung bedürfen daher – wie in jedem anderen Berufsfeld – der Aufmerksamkeit.
Maßnahmen der Psychohygiene sind hierbei bedeutsam. Synonym nutzen die Autoren den Begriff der Selbstfürsorge. Selbstfürsorge propagieren sie – neben der inhaltlichen Ebene und der Beziehungsebene zwischen TherapeutIn und PatientIn – als dritte Ebene psychotherapeutischen Handelns.
Anhand eines Fragebogens zur Selbsteinschätzung können LeserInnen ihre eigene Situation reflektieren. Nachfolgend stellen die Autoren noch einmal die Ziele der Selbstfürsorge dar.
Das Kapitel schließt mit Ausführungen zu fünf dysfunktionalen Einstellungen, die eine wirkliche Selbstfürsorge verhindern, bspw. „Ich darf nicht egoistisch sein und mich in den Mittelpunkt stellen“, „Ich habe keine Zeit… das kostet doch nur Kraft“ oder ein vermeintliches „Ich habe alles im Griff“.
Kapitel 3 Die zentralen Bestandteile psychotherapeutischer Arbeit
Hier stehen identifizierte zentrale Bestandteile der psychotherapeutischen Arbeit im Mittelpunkt: Leib und Körper; Bewegung; Rhythmus; Raum; Blick des anderen; Zeit; Anspruch; Aktivität und Schriftkram. Sie werden in Unterabschnitten jeweils zunächst beschrieben und analysiert. Anschließend werden konkrete Strategien und Handlungsmöglichkeiten abgeleitet und Übungen vorgeschlagen.
Die Autoren nehmen dabei immer wieder Bezug zu einem vermeintlichen Therapeutenideal und ermutigen, es doch einmal anders zu probieren.
Dem Stereotyp der engagierten Therapeutin – in nahezu bewegungsloser aufrechter Haltung und fest auf das Gegenüber gerichtetem Blick – setzen sie eine innere und äußere Haltung der Beweglichkeit und Flexibilität während der therapeutischen Sitzung sowie kurz davor bzw. danach entgegen.
Sie machen Vorschläge für unterschiedliche Körperhaltungen je nach Gesprächsinhalt, beschreiben spontane Bewegungsmöglichkeiten bis hin zu klaren inhaltlichen Indikationen, in denen kurz der Therapieraum verlassen wird oder sich Bewegung durch Aktionen mit PatientInnen gestalten lässt.
Sie vermitteln wie in einer Therapiesitzung eine gesunde Rhythmisierung von Spannung und Entspannung und damit einhergehend stärkerer und verminderter Anstrengung erfolgen kann. Diesen rhythmischen Wechsel stellen sie anhand einer „Dramaturgie einer Therapiesitzung“ vor – die sie hierzu in einzelne Phasen zerlegen.
In ausführlichen Anleitungen geben sie Hilfestellung, wie eine Aktivierungsregulation möglich ist, wenn der eigene Aktivierungspegel weiter ansteigt und wie eine Selbstkontrolle erfolgen kann.
- Sie machen Vorschläge wie der Raum gestaltet und strukturiert werden kann.
- Sie beleuchten die Ambivalenz des Blickkontakts und schlagen Maßnahmen vor, für den Fall, dass sich ein Gefühl der Korporifizierung durch die Blickexposition einstellt.
- Sie erläutern Präventivmaßnahmen im Umgang mit dem Empfinden von Langeweile, Monotonie und subjektiv langsam vergehender Zeit.
- Sie hinterfragen überhöhte Ansprüche an die eigene Person, die PatientInnen, die therapeutischen Methoden und das Setting und machen konkrete Vorschläge für Korrekturen.
- Sie plädieren dafür, das richtige Maß an Aktivität zu finden und keinem Aktivismus zu frönen. Sie schildern wie ein solcher Aktivismus sich zeigen kann, welche Folgen er hat und geben zehn Regeln für das richtige Maß an Aktivität als Vorschlag an die Hand.
Das Kapitel schließt damit, wie – ausgehend von einer veränderten inneren Haltung – bei der Erledigung von schriftlichen Aufgaben, eine gezielte volitionale Verhaltenssteuerung eingesetzt werden kann.
Kapitel 4 Dysfunktionale Therapeutenhaltungen und Wege zu ihrer Veränderung
In Kapitel 4 identifizieren Autor und Autorin eine Reihe dysfunktionaler Haltungen und versuchen Wege zur Veränderung aufzuzeigen.
Ausgehend von den funktionalen und positiven Anteilen, die in jeder der geschilderten Haltungen steckt, wird sie dann als dysfunktional angesehen, „wenn sie sich 'übertrieben' entwickelt, also über ein sinnvolles Maß hinaus gesteigert und zugespitzt und schließlich undifferenziert … angewandt wird.“ (S. 84). Ein Verlust an Flexibilität und eine Resistenz gegen Erfahrungen und Meinungen, die dazu im Widerspruch stehen sind die Folge.
An häufigen dysfunktionalen Überspitzungen haben die beiden unter anderem folgende genauer beschrieben (hier getrennt durch Semikolon): Ansteckung, Identifikation mit der Störung, mangelnde Distanz; Zu starke Involviertheit, Überidentifikation mit dem Patienten, mangelnde Abgrenzung; Starke Abhängigkeit, Verwöhnhaltung, Konfliktvermeidung; Unsicherheit, negative Selbstbewertung, Gefühl der Überforderung; Sättigung, Verdrossenheit, Sinnkrise.
Neben der ausführlichen Beschreibung werden positive Aspekte wie auch Risiken und Nachteile – für die TherapeutInnen wie für die PatientInnen erläutert. Mit Hilfe eines Fragenkatalogs soll eine Selbsteinschätzung ermöglicht werden, um Anzeichen der genannten Haltung bei sich zu erkennen. Folgend werden Wege zur Veränderung ausführlich vorgestellt.
Neben rein instrumentellen und praktischen Maßnahmen, kommen kognitive Strategien und verschiedene Entspannungstechniken (u.a. Imaginationsübungen, Atementspannung) zum Einsatz. Die LeserInnen werden zusätzlich darin angeleitet, individuelle somatische Marker zu erkennen und zu beachten.
Kapitel 5 Der Praxisraum als Arena
Wie können Strategien der Selbstfürsorge im Umgang mit überflutendem und invasivem Patientenverhalten aussehen? Welcher Selbstfürsorgemaßnahmen bedarf es im Umgang mit PatientInnen, deren Verhalten eher deprivierend wirkt? Dem wird in Kapitel 5 nachgegangen.
Das jeweilige Verhalten wird anhand von Beispielen, teilweise in Dialogform aufgezeigt. Wichtige Grundhaltungen und aktive Gegenmaßnahmen werden beschrieben. Wie im vorhergehenden Kapitel werden instrumentelle Maßnahmen, kognitive Strategien und konkrete Techniken vorgeschlagen.
Kapitel 6 Therapeutische Kompetenzen als Komponenten von Selbstwirksamkeitserwartung
Mit diesem Kapitel wollen Hoffmann & Hofmann zur Beantwortung der Frage beitragen, „welche Komponenten zu einer ausgewogenen Haltung gehören, die die innere Stabilität … gewährleistet, und welche Maßnahmen sie erfordert.“ (S. 187).
Sie definieren Selbstwirksamkeitserwartung „als subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenzen bewältigen zu können.“ (S. 188).
Als wichtigste therapeutische Haltungen und Kompetenzen beschreiben sie Neugierde und Interesse; Anteilnahme; Ausgewogenheit von Nähe und Distanz, Professionalität; Empathie; Selbstbeschränkung im Anspruch, Vogelperspektive, Humor; Ausdauer und Flexibilität; Selbstfürsorge.
Sie halten obengenannte therapeutische Kompetenzen für wichtige Ressourcen, die im Wesentlichen erlernbar und ausbaubar sind.
Zum Abschluss werfen sie noch einen kurzen Blick auf Modeerscheinungen, die vorgeben das „alleinige Heil“ zu versprechen. Mit ihrem eigenen Humor geben sie ein Statement zu diversen Formen einer „Inkompetenzüberkompensationskompetenz“ (S. 196).
Sie halten abschließend fest: „Gute Therapeutinnen und Therapeuten sind fröhliche Menschen, die auch zu großem Ernst fähig sind. Sie sind auch in der Lage, sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren – und sie stehen dazu.“ (S. 196).
Anhang – Zweifel, Klagen und die Mittel dagegen: Übungen und Arbeitsmaterial
Die dritte Auflage des Buches ist durch einen Anhang ergänzt, in dem auf die häufigsten Zweifel und Sorgen eingegangen wird, die Autor und Autorin im Lauf der Jahre bei KollegInnen kennengelernt haben.
Sie haben in Frageform Eingang in den Anhang gefunden, z.B. „Ich beschäftige mich die ganze Zeit mit den dunklen Seiten des Lebens. Färbt das am Ende noch auf mich ab?“. Um sich selbst auf die Spur zu kommen, gibt es zu jeder Frage eine Auswahl an Arbeits- und Übungsblättern. Letztere sind über die Online-Funktionen des Buches herunterladbar.
Diskussion
„Es ist uns nicht leichtgefallen, etwas zum Thema 'Selbstfürsorge' oder 'Psychohygiene' für Therapeuten zu schreiben und herauszugeben“ (S. 11), lautet eine Zeile aus dem Vorwort von Nicolas Hoffmann & Birgit Hofmann.
Die ExpertInnen für psychische Gesundung anderer sind nicht automatisch ExpertInnen für sich selbst. Sie richten oft hohe Ansprüche an sich. Eigene Bedürfnisse und Selbstfürsorge geraten mitunter in den Hintergrund – mit Folgen für die psychische und physische Gesundheit.
Hoffmann & Hofmann wagen sich mit ihrem Buch an ein Thema, das viele therapeutisch tätige Menschen so für sich kaum auszusprechen wagen, da es mit dem Berufsideal kollidiert. Gleichzeitig postulieren sie, dass die positiven Auswirkungen angemessener Selbstfürsorge gerade auch den PatientInnen wieder zugutekommen.
Das Eingeständnis eigener Bedürfnisse, Grenzen und Verletzlichkeiten ist nicht gleichzusetzen mit dem Eingeständnis eines Scheiterns, sondern zutiefst menschlich und lebenswichtig.
Fazit
Das Thema Selbstfürsorge – als dritter Ebene psychotherapeutischen Handelns wird in seinen unterschiedlichen Facetten genau beleuchtet und ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung, immer in Verbindung mit konkreten Handlungsmöglichkeiten.
Das vorliegende Buch wird dadurch zu einer Fundgrube und sollte in keinem therapeutischen Bücherregal fehlen. Als elementarer und alltagstauglicher Begleiter für die eigene Berufspraxis kann es immer wieder genutzt werden – zum Innehalten, Reflektieren, Ausprobieren, Nachjustieren. Es leistet mit seinen vorgestellten Ansätzen und Werkzeugen einen wichtigen Beitrag zur Psychohygiene und Stärkung der Gesundheit des therapeutischen Fachpersonals.
Rezension von
Gertrude Henn
Diplom-Sozialpädagogin, Entspannungs- & Stressmanagement-Trainerin
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