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Barbara Leitner: Gewaltfreie Kommunikation in der KiTa

Rezensiert von apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting, 05.11.2021

Cover Barbara Leitner: Gewaltfreie Kommunikation in der KiTa ISBN 978-3-7495-0155-7

Barbara Leitner: Gewaltfreie Kommunikation in der KiTa. Wertschätzende Beziehungen gestalten - zu Eltern, Kindern, im Team und zu sich selbst : 10 Geschichten und 25 Übungen. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2020. 196 Seiten. ISBN 978-3-7495-0155-7. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.
Reihe: Kommunikation. Gewaltfreie Kommunikation. Illustratorin: Heike Reuter.

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Thema

In sozialpädagogischen Kontexten und weit darüber hinaus ist das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), das Marshall B. Rosenberg seit den 1970er Jahren entwickelte, nach wie vor sehr populär und genießt hohes Ansehen. GFK umfasst, ganz im Sinne von Paul Watzlawick und konformgehend mit seinen fünf kommunikationstheoretischen Axiomen, Kommunikation in ihrer gesamten Extension als gesellschaftliche Interaktion und Gestaltung von Beziehungen, in der die nicht selten unbewussten Bedürfnisse der jeweiligen Akteur*innen das determinieren, was kommuniziert wird.

Rosenbergs Grundlagenwerk, „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens“ (auf Deutsch erstmals 2004 veröffentlicht) wird in regelmäßigen Abständen neu aufgelegt. Gleichermaßen abundant sind die Publikationen und Internetquellen zur Anwendung der GFK in unterschiedlichen Kontexten, auch in der Arbeit mit Kindern. Barbara Leitner bietet allerdings erstmals eine umfassende und systematische Präsentation der GFK für den Bereich der Kindertagesstätte.

Autorin

Barbara Leitner arbeitete mehr als 30 Jahre als Journalistin und ist außerdem Prozessbegleiterin, Trainerin und Coach. Spezialisiert ist sie auf Themen aus Bildung und Pädagogik. Seit 2008 bietet sie Seminare zur Gewaltfreien Kommunikation an (vgl. Klappentext).

Aufbau

Die Monografie entfaltet in insgesamt sechs Kapiteln Perspektiven auf die verschiedenen Handlungsbereiche, in denen GFK in der Kindertagesstätte eine Rolle spielen kann. Nach einem Blick auf die Entstehung der GFK fokussiert Leitner zunächst die Beziehung der pädagogischen Fachkräfte zu sich selbst, danach die Beziehungen im Team, die Beziehungen zu den Kindern und schließlich zu den Eltern. Eine Vision über die gewaltfreie Kindertagesstätte der Zukunft befindet sich am Ende der inhaltlichen Ausführungen, bevor Literaturverzeichnis, Anhang und Index den Band abrunden.

Inhalt

In ihrem ersten Kapitel (Gewaltfreie Kommunikation trifft Frühpädagogik – eine glückliche Verbindung) verdeutlicht Leitner, dass das Programm der GFK von Anfang an auch für Kinder konzipiert gewesen ist. Laut Rosenberg sind Kinder „Natur-Giraffen“, die unverstellt über sich Auskunft geben und in der Lage sind, ihre Bedürfnisse frei zu äußern. Die grundlegende Differenzierung zwischen Wolfs- und Giraffensprache, Sprache der Gewalt und Sprache des Herzens habe Rosenberg auch bei seinen eigenen drei Kindern genutzt. Er habe sie darüber hinaus in Alltagsdingen mitentscheiden lassen und mit ihnen gewaltfrei kommuniziert. Absolutheitsansprüche der Erwachsenen, ihren eigenen Willen durchsetzen zu wollen, seien Gewalt (vgl. S. 20).

Leitner resümiert die „vier Komponenten der GFK“ (Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse, Bitte), wirft einen Blick auf den „Pisa-Schock und seine Folgen“ („Doch was für das Leben der Kinder als Bereicherung gedacht wird, kommt für die in den Kindertagesstätten tätigen pädagogischen Fachkräfte häufig als Forderung an“, S. 23), bevor sie sich Wertschätzung und Selbstempathie für pädagogische Fachkräfte (Kap. 2) widmet. Sich selbst mit einer liebevollen Haltung zu beobachten, das eigene Innenleben zu registrieren, Gefühle, positive wie negative, zu begrüßen seien die Grundbausteine für Selbstempathie und eine „uneigennützig motivierte Selbstfürsorge“ (S. 31). Zudem entwirft die Verfasserin einen „Baum des Lebens“, dessen Wurzeln die sich zur Lebensenergie eines Menschen addierenden Bedürfnisse aufweisen: „Spiel, Verständigung, Muße, Beteiligung, Freiheit, kreatives Schaffen, Zuneigung, Schutz und Lebenshaltung“ (S. 32). Die Intensität, mit der wir unsere Lebensenergie spürten, bestimme die Art und Weise, wie wir mit anderen Menschen kommunizierten. Ein „Spektrum der Annahme“ – ein Dreieck, Symbol für das Verbundensein mit sich selbst, in einem Rechteck, Symbol für die Außenwelt – sei ein Indikator dafür, wie gut eine Person den Fluss ihrer inneren Energie spüre: je weiter sie sich an der Spitze des Dreiecks positioniere, desto weniger selbstfürsorglich sei sie, desto mehr sei sie der Außenwelt mit all ihren Stressoren ausgeliefert.

Vor diesem Hintergrund lässt sich Rosenbergs Typologie, mit der sich die verschiedenen Modi des Kontakts mit sich selbst und anderen definieren lassen, an den KiTa-Alltag adaptieren: Der „Kommunikationstyp Sklav*in“, der „Kommunikationstyp Rebell*in“ und der „Kommunikationstyp emotionale Freiheit“. Letzterer übernehme die Verantwortung für seine eigenen Absichten und Handlungen. Er sehe sich nicht verantwortlich für die Gefühle der anderen, achte jedoch immer ihre Bedürfnisse. Wenn man über emotionale Freiheit verfüge, respektiere man die eigenen Bedürfnisse und könne auch in schwierigen Zeiten die beruflichen Aufgaben bewältigen. Dafür benötige man Klarheit, am besten in Form eines Skripts, mit dem man auch die Mikrotransitionen im KiTa-Alltag meistern könne. Ein Drehbuch sei ebenfalls sinnvoll für das Austarieren von Privatleben und professionellem Tun. Bei Problemen verfielen die meisten Angehörigen der westlichen Kultur in „Wolfssprache“. Um zu verdeutlichen, welche Reaktionen den Menschen gegenüber sich selbst und anderen zur Verfügung stünden, habe Rosenberg das „Vier-Ohren-Modell“ (S. 48) der GFK skizziert:

  • „Wolf nach innen“, „Wolfsohren nach innen“: „Ich bin schuld!“
  • „Wolf nach außen“, „Wolfsohren nach außen“: „Du bist schuld!“
  • „Giraffe nach innen“, „Giraffenohren nach innen“: „Ich sehe mich selbst als einen wunderschönen Menschen!“
  • „Giraffe nach außen“, „Giraffenohren nach außen“: „Ich sehe in dir einen wunderschönen Menschen!“

Nur mit den „Giraffenohren“ sei es möglich, mit Wohlwollen auf sich selbst und andere zu schauen, dabei auch Konflikte anzuerkennen und zu reflektieren, wie mit ihnen umgegangen werden könne.

Einen wesentlichen Schritt in der Selbstempathie vollziehe man mit der Kenntnis der „eigenen Auslöser“ für Stresssituationen und Auseinandersetzungen. Indem sie auf das Johari-Fenster verweist, erläutert Leitner, dass viele Konflikte im Übergang von der „öffentlichen Person“ zum „blinden Fleck“ stattfinden. Ein Analysieren der Stressoren fuße auf einer Akzeptanz der eigenen Person. Dazu könne auch eine „Pause für Selbstempathie“ beitragen, die jede pädagogische Fachkraft in Kindertagesstätten haben müsse: „Jede Stunde für einige Minuten vom Gruppengeschehen mit den Kindern Abstand nehmen zu können und Zeit für Selbstempathie zu haben“ (S. 60). Dies fördere die Lebendigkeit im „Hier und Jetzt“.

Im folgenden Kapitel drei („Wir sind ein starkes Team“) stehen die Beziehungen zu den Kolleg*innen im Zentrum der Überlegungen. „Ärger und andere Gefühle im KiTa-Alltag“ wiesen so gut wie immer einen engen Konnex zu „Urteilen und Wertungen“ auf, seien also „Wolfsgedanken“, die man – so Rosenberg – in einer „Wolfsshow“ Revue passieren lassen und so identifizieren könne. Wenn man sich der Realität seiner „Wolfsgedanken“ stelle, könne man den eigenen Bedürfnissen auf die Spur kommen. Eine Aufforderung an eine andere Kollegin etwa werde auf diese Weise um die Dimension des Bedürfnisses erweitert, es entstehe eine „innere Resonanz“ zu den Inhalten der Aufforderung, die bei der anderen nicht mehr als Befehl, sondern als Bitte, die auf einem Bedürfnis gründe, ankomme.

In einer „authentischen Selbstmitteilung im Team“ liege die Chance, dass sich unterschiedliche Perspektiven auf dieselbe Situation begegneten und auf diese Weise ein Zwischenraum entstehe, der eine hinter den Einzelmeinungen verborgene Wahrheit offenbare. Bei einer authentischen Mitteilung dominiere nicht der Sachinhalt, sondern die Verbindung zu den anderen Menschen. Es bedürfe des Mutes, den ersten Schritt zu tun, es existiere gewissermaßen ein „nullter Schritt“ der GFK, diese sei die Intention für das Gespräch, sich so auszurichten, dass man „Geben und Nehmen von Menschen in Fluss“ bringen könne (S. 71).

Des Weiteren sei es essenziell, anzuerkennen, dass gegenseitige Abhängigkeiten bestünden. Interdependenzen zu würdigen, dabei auch „den Selbstschutz“ zu „lockern und sich mit seinem Schmerz zu zeigen“ (S. 78), könne die Bedeutung gegenseitiger Unterstützung verdeutlichen. An der Tagesordnung sei bislang jedoch die Alternative Gewinner*in oder Verlierer*in, es bestehe oftmals lediglich die Wahl zwischen den beiden Handlungsmustern „Sklav*innen“ oder „Rebell*innen“. Dem könne man mit dem exakten Wahrnehmen der jeweiligen Situation entgegenwirken, mit einem „geteilten Schmerz“ über missliche Arbeitsbedingungen, mit einem „Bedauern“, das sich als „Kraftquelle für Teams“ entpuppen könne (vgl. S. 80 f.).

Das Team einer Kindertageseinrichtung müsse wie ein „eigener Organismus, mit Herz und Kopf, mit Armen und Beinen, Händen und Füßen sowie allen Organen, die er zum Leben braucht“ (S. 83), gesehen werden. Nur durch das synergetische Zusammenwirken der einzelnen Teile entstehe Lebendigkeit. Nur wenn sich das Team über gemeinsame Ziele, Entscheidungen, Aufgaben der Einzelnen und Feedback austausche, könne das Ziel eines Organons erreicht werden. Letztendlich sei GFK nicht nur ein Kommunikationsmodell. Sie funktioniere ebenso als probate Methode des Qualitätsmanagements.

Wertschätzende Beziehungen im Team seien die beste Voraussetzung dafür, dass das Team in seiner Gesamtheit für die Kinder zur „‚sicheren Basis‘“ avanciere. „Das Prinzip ‚Macht mit‘ der GFK“ indiziere die Wertigkeit eines solchen Rahmens. Damit kontrastierten die Prinzipien der „Dominanz“ („‚Macht über‘“) und der „Passivität“ (S. 87). In den Interaktionen mit den Kindern könne das Team kaum verbergen, welche Atmosphäre in einer Kindertagesstätte vorherrsche. Sie nähmen die jeweilige „‚Energie‘ dieses Organismus“ mit sensiblen Antennen auf und erspürten, ob „das Prinzip ‚Macht mit‘“, „ein kraftvolles, demokratisches Paradigma“ vorhanden sei oder eher „das Prinzip ‚Macht über‘“ (S. 88).

„Wertschätzung und Dankbarkeit“ seien die „Schmiermittel für Teamzufriedenheit“. Wenn man zufrieden und dankbar auf das schaue, was gut laufe, wenn man gegenüber den anderen „Wertschätzung“ kultiviere, habe man den entscheidenden Schritt dahin getan, dass „hilfreiches“ und „entwicklungsförderndes Feedback“ (S. 94) an die Stelle von Ärger und Kritik trete. In einem Klima der Wertschätzung sei es einfacher, unangenehme Dinge zu äußern. Besonders schwer sei es aber durchweg, und dabei fehle es pädagogischen Fachkräften an Übung, Gewalt gegen Kinder anzusprechen. Würden Kinder von Teammitgliedern verbal oder gar physisch angegriffen werden, habe man keine andere Wahl, als „‚schützende Macht‘“ (S. 98) einzusetzen und offensiv gegen Gewalt einzuschreiten. Im Geiste der GFK müsse man sich fragen, welches Bedürfnis ein*e Erzieher*in erfülle, wenn er*sie beispielsweise laut im Gruppenraum schreie.

Einen Ort zum emotionalen Wachsen schaffen: Die Beziehungen mit Kindern gestalten – so ist Kapitel 4 überschrieben, das GFK in den Interaktionen mit Kindern detailliert. Der erste Imperativ für eine pädagogische Fachkraft sei es, „wahrzunehmen, was ist, ohne zu bewerten“ (S. 102). Obwohl man viele Beobachtungsverfahren heranziehe, obwohl die Intention des unparteiischen Beobachtens bestehe, „schnappen immer wieder Schubladen zu“ (ebd.). Um der typischen Klassifikation in Gewinner*innen und Verlierer*innen eines Konflikts entgegenzuwirken, schlägt Leitner Mediationsverfahren mit Kindern vor, die dazu beitragen, dass man die „Einzigartigkeit jedes Kindes sehe“ (S. 106). Sie zitiert Malaguzzis berühmtes Gedicht „Die hundert Sprachen des Kindes“ (S. 107), um zu betonen, dass Kinder aus allen verbalen und nonverbalen Signalen ihrer Interaktionspartner*innen Informationen entschlüsseln, dass sie ein sehr feines Gespür für Beziehungen und implizite Botschaften besitzen. Es existiere keine gefühlsfreie Erfahrung und schon allein deshalb müsse eine pädagogische Fachkraft den Kindern uneingeschränkt vermitteln, dass sie immer den Überblick habe, alles registriere und für die Kinder da sei. Von vordringlicher Relevanz sei es, dass man die Grundbedürfnisse der Kinder nach einerseits Autonomie und andererseits Zugehörigkeit erfülle. Fielen Kinder „aus ihrer inneren Gewissheit, okay zu sein“ (S. 111) heraus, sei dies nicht nur mit intensivem Stress und Frustration verknüpft, sondern sie bewegten sich möglicherweise in eine der „vier Richtungen auf dem Bedürfniskompass“ hinein, der auf der „Achse der Schuld“ und auf der „Achse der Macht“ basiere. In vier Richtungen könne man den Kontakt zu sich selbst verlieren:

  • „Ich habe alle Macht“ →Revolte
  • „Ich habe keine Macht“ →Unterwerfung
  • „Ich bin schuld“ →Selbstbeschuldigung
  • „Du bist schuld“ →Fremdbeschuldigung

Jede dieser Reaktionsweisen diene dazu, „das eigene Selbstbild zu wahren und zu schützen und den Schmerz früher belastender Gefühle abzuwehren“ (S. 114). Aus den Beispielen, die Leitner für die vier Richtungen anführt, erhellt einmal mehr, dass pädagogische Fachkräfte gefragt sind, die auf die Dilemmata der Kinder professionell reagieren und die Balance zwischen Autonomie und Zugehörigkeit fördern. Wenn in der Gruppe eine Atmosphäre der Empathie die Oberhand gewinne, ein „gruppenbezogenes“ feinfühliges Erzieher*innenverhalten, dann werde auch das einzelne Kind in seinem Vertrauen in die jeweilige Bezugsperson unterstützt.

Da in Kindertageseinrichtungen nicht nur die Entwicklung jedes einzelnen Kindes beachtet werden müsse, sondern es genauso um das Miteinander in einer Gemeinschaft gehe, sei es unabdingbar, Partizipation mit Leben zu füllen und dabei einen „ressourcenorientierten Blick auf alle Kinder“ (S. 125) walten zu lassen. In Kinderkonferenzen etwa könne eine gute pädagogische Fachkraft „die Balance zwischen empathischem Zuhören und authentischer Mitteilung“ (ebd.) finden. Sie sei in der Lage, vollkommen präsent zu sein und ihre ganze Neugier, ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Kinder zu richten und auf das, was sie mitzuteilen haben. Ihre authentischen Reaktionen seien empathisch, situationsabhängig und damit spontan. Ihre Macht im Alltag der Kindertagesstätte solle die pädagogische Fachkraft in „Aushandlungsprozessen ohne Gewinner*innen und Verlierer*innen“ einsetzen, die Kinder als gleichwürdig betrachten und sich nach dem Konzept „Macht mit“ richten. „Macht mit“ substituiere also „Macht über“, sei aber nicht äquivalent zu Grenzenlosigkeit. In der gelebten Partizipation des „Macht mit“ gediehen „Kooperation und kraftvolle Bitten“ (S. 134). Die positive Benennung dessen, was man möchte, eine konkrete, handlungsorientierte, nachvollziehbare, machbare und direkte Bitte (vgl. S. 135), nehme die Stelle von Erwartungen, Forderungen oder Befehlen ein. Eine Bitte im Sinne der GFK lasse im Gegensatz zu einer Forderung den Raum für ein Nein. Bitten seien im Übrigen „ein Schatz für pädagogische Fachkräfte“ (S. 137), denn Kinder könnten beispielsweise dazu ermutigt werden, kleine Aufgaben zu erledigen oder gemeinsam mit ihren Erzieher*innen Bitten zu finden, um „schwierige Situationen freundlicher“ (S. 138) zu gestalten. Wenn man Kindern mit Würde begegnete, dann lautete die Devise „Bitten statt Ärgern“.

Dass sich GFK auch auf die Elternarbeit ausdehnen lässt, beweist Barbara Leitner mit Kapitel 5: Respekt vor der Verschiedenheit: Beziehungen zu den Eltern. Auch wenn man manche Verhaltensweisen der Eltern befremdlich finde und sich darüber ärgere: „Die Eltern sind die Nummer eins“ (S. 145). Eine gute Beziehungsgestaltung sei zuvörderst wegen der Kinder wichtig, die jeden Missklang in der Kommunikation mit ihren Eltern spürten und dazu tendierten, diesen auf sich zu beziehen. Sich im Kontakt mit den Eltern ehrlich mitzuteilen, erscheine eventuell nicht immer professionell, meist aber von großem Nutzen für die Beziehung zu ihnen. In einem Gespräch müsse die pädagogische Fachkraft die volle Verantwortung für ihre Gefühle tragen. Eltern seien „Auftraggeber*innen für die Arbeit in der Kindertagesstätte“ (S. 154). Dies dürfe auch bei unverständlichen Meinungen der Eltern, die sich nicht selten auf das Wohl der Kinder bezögen, nicht vergessen werden. Bei allen Irritationen seien pädagogische Fachkräfte dazu angehalten, sich den „Herausforderungen der Eltern“ (S. 158) zu stellen. Selbst bei Krankheit des Kindes und bei Eltern, die es in diesem Fall nicht abholten, sei die elterliche Sichtweise zu berücksichtigen. Genauso seien die Urteile wahrzunehmen, die man über Väter und Mütter fälle. Diese könnten eventuell einer „Wolfsshow“ unterzogen werden, um daraus die eigenen Bedürfnisse zu isolieren und in einem nächsten Schritt solche zu finden, die mit denen der Eltern harmonierten. Gemeinsame Bedürfnisse bildeten auch in schwierigen Situationen die Verbindung zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften (vgl. S. 162).

„Nähe und Distanz gut im Griff“ – das sei der Anspruch an die Arbeit mit den Eltern, den eine positive Kommunikationskultur im Team unterstütze. Um bei Missverständnissen mit Eltern wieder in ein gutes Fahrwasser des Austauschs zu gelangen, weise die GFK den Weg des Zuhörens. Die pädagogischen Fachkräfte fokussierten die Bedürfnisse der Eltern und wiederholten diese im Verlauf des Gesprächs, um gegenseitiges Verstehen zu garantieren. Hauptaufgabe der Erzieher*innen sei es, die Eltern dazu zu animieren und dabei zu unterstützen, ihr Kind bestmöglich zu fördern. Es gelte, in Rechnung zu stellen, dass die KiTa familienergänzend sei und zu erkennen und anzuerkennen, dass Vorschläge zum Wohl der Kinder nicht immer mit der Realität der jeweiligen Familie kompatibel seien. Im Gespräch mit den Eltern ergäben sich zudem thematische Begrenzungen. Eine Fachkraft überschreite ihre Kompetenz, wenn sie sich anmaße, Erziehungs-, Familien- oder Paarberatung durchzuführen oder sich z.B. bereit erkläre, in der Familie eine Urlaubsbetreuung zu übernehmen.

Eine fruchtbare Kooperation mit den Eltern beginne bei den pädagogischen Fachkräften damit, sich ihrer Wertungen gegenüber Eltern bewusst zu werden und sich danach vom Urteil abzuwenden, um dahinter die eigenen unerfüllten Bedürfnisse zu ermitteln. In einem nächsten Schritt müsse die Realität des*der anderen und seine*ihre Bedürfnisse in die eigene Reflexion einbezogen werden.

Im letzten Kapitel (6) ihrer Monografie (Willkommen in der gewaltfreien Kindertagesstätte. Eine Vision) führt Barbara Leitner in sieben Punkten aus, wie die ideale KiTa der Zukunft aussehen könnte. Alle Beteiligten empfänden „Freude am Zusammensein und gemeinsamen Lernen“ (S. 175), es bestehe „Raum und Respekt auch für originelles Verhalten“ (S. 177), der Beruf Erzieher*in sei „ein Beruf für die Besten“ (S. 177), die pädagogischen Fachkräfte seien „achtsam und geduldig“ (S. 178), „Konflikte werden gefeiert“ (S. 180), die KiTa sei die „Keimzelle eines besseren Miteinanders“ (ebd.) und gleichermaßen eine „Kür und Bereicherung für die Arbeitswelt“ (S. 182). Für die Familie werde „durch eine Grundsicherung gesorgt“ (ebd.), sodass die Kinder „weitestgehend selbst“ bestimmten, wann sie so weit seien, ihren Tag in der „Obhut anderer Menschen zu verbringen“ (ebd.).

Ein gesellschaftliches Umdenken habe eingesetzt, nachdem die Eltern in einer „bundesweit abgestimmten Aktion während einer Tarifauseinandersetzung“ (S. 183) ihre Kinder mit an die Arbeit genommen und damit die pädagogischen Fachkräfte in ihrer Forderung nach einer angemessenen Bezahlung unterstützt hätten.

Diskussion

Auf sehr überzeugende und sympathische Art gelingt es Barbara Leitner, die Handlungsfelder pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten zu durchleuchten und den Nutzen der GFK zu modellieren. Mehr noch: die Monografie resultiert aus der Praxis der Prozessbegleiterin und enthält ein ganzes Füllhorn an Beispielen, nummerierte und mit dem graphischen Symbol eines im Fließen begriffenen Herzens markierte „Geschichten“, sowie Übungen für die tägliche pädagogische Praxis. Letztere sind nach dem Inhaltsverzeichnis noch einmal extra gelistet, sodass sie sich besonders gut wiederfinden lassen. Zentrale Informationen, auf das Wesentliche verknappt und mit Umrandungen hervorgehoben (so etwa S. 21 und S. 71), tragen genauso zur adäquaten und flüssigen Vermittlung des Inhalts bei wie die Illustrationen von Heike Reuter (z.B. „Baum des Lebens“, „Spektrum der Annahme“ und „Bedürfniskompass“).

Der Aufbau des Buches, den man im weitesten Sinne „aufsteigend“ oder „klimaktisch“ nennen könnte, überzeugt in vollem Maße: nur dann nämlich ist es für pädagogische Fachkräfte sinnvoll, den Prozess der GFK zu beginnen, wenn sie mit sich selbst im Reinen sind, sich selbst beobachten, möglichst ihre „blinden Flecken“ kennen, sich mit ihrer Biografie auseinandersetzen, Selbstempathie spüren und für ihre Bedürfnisse eintreten können. Nur dann haben sie ein authentisches Standing, kommunizieren kongruent, sind imstande zu kooperieren, sind konfliktfähig und agieren idealerweise in einem Team, das sich aus Menschen mit denselben Voraussetzungen zusammensetzt.

Dass Leitner in ihren Überlegungen zu der Arbeit im Team (Kap. 2) auf den Konstruktivismus verweist, wirkt auf den ersten Blick, was die Autorin selbst einräumt, wie eine Binsenweisheit. Viele Menschen jedoch durchblickten ihre Wahrheitskonstrukte nicht und definierten sie daher als Nonplusultra, als einzig gültige Wahrheit. Daher ist es nur begrüßenswert, die Leser*innen für das Thema der Koexistenz einer Vielfalt individueller Wahrheiten zu sensibilisieren und damit das Fundament für eine Diskussionskultur zu legen, die sich im Abseits der Alternativen „Gewinnen“ oder „Verlieren“ herausbildet.

Die zentrale Einsicht für das Team einer Kindertagesstätte fasst die Autorin wie folgt zusammen: „Es gilt dafür einzutreten, dass die pädagogischen Fachkräfte einerseits unterstützt werden, neue Verhaltensstrategien zu erlernen. Andererseits müssen sie aber auch Bedingungen vorfinden, unter denen sie sich ebenso wohlfühlen wie die Kinder, um wertschätzend und entspannt arbeiten zu können. Diese Aufgabe bleibt ein weites Feld!“ (S. 99). Bei allen Chancen, die die GFK bietet, dürfen dennoch, und das ist ein zusätzlicher Pluspunkt der Publikation, die makrosystemischen Bedingungen nicht außer Acht gelassen werden. Erzieher*innen müssen dafür eintreten, dass sich ihre Arbeitsbedingungen verbessern.

Stimmen Selbstkompetenz und Teamarbeit, selbst dann, wenn die Strukturen im Hintergrund suboptimal bleiben, dann eröffnen sich die besten Möglichkeiten und gleichermaßen die größten Herausforderungen für den Einsatz der GFK in der Interaktion mit den Kindern. Leitners Argumentation auf der Basis der Bindungstheorie – das Spannungsfeld von Autonomie und Bindung, in dem sich ein Kind bewegt, bzw. der Drang nach Exploration sowie Experimentieren einerseits und das Bedürfnis, in einen „sicheren Hafen“ zurückzukehren andererseits, sind nicht zu vernachlässigen – lässt sich uneingeschränkt nachvollziehen. Gerade in diesem Kapitel erweisen sich die „Geschichten“ aus der Praxis als sehr wertvoll. An ihnen wird das augenfällig, was die Übungen bei all jenen, denen die GFK noch fremd ist, steigern sollen: Die Beziehungen mit Kindern so gestalten, dass sie in der Kindertagesstätte sowohl einen Ort für das intra- als auch interindividuelle Wachsen vorfinden, dass sie getreu des Konzeptes „Macht mit“ Partizipation erleben dürfen, sich nicht mit dem Ärger pädagogischer Fachkräfte konfrontiert und im Zuge dessen vielleicht sogar herabgewürdigt sehen, sondern dass sie auf kraftvolle und authentische Bitten treffen, in denen sich auch die Bedürfnisse der Erzieher*innen konkretisieren. Sehr praxisrelevant und gelungen sind die nach Situationen gegliederten Beispiele für Bitten im KiTa-Alltag, die das Kapitel beschließen.

Während sich die Grundprinzipien der GFK mit Kindern einüben lassen, dürfte das im Zuge der Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten und/oder Eltern, mit Kooperationspartner*innen, die noch nichts von GFK gehört haben, eher schwierig sein. Und dennoch: Barbara Leitner zeigt auf, wie pädagogische Fachkräfte auch Eltern so begegnen können, dass sie weder ihre eigenen Bedürfnisse verleugnen noch jene der Eltern übergehen. Mit der Prämisse, dass Eltern immer die Expert*innen ihrer Kinder sind und mit einem Höchstmaß an Kommunikationskompetenz können pädagogische Fachkräfte in den Königsdisziplinen der Verwandlung eines Urteils in ein Bedürfnis und der Integration der Realitäten der jeweiligen Gegenüber brillieren. Auch dies lässt sich mit Übungen fördern, die am Ende des fünften Kapitels zu Recht intensiver als zuvor ausfallen.

Vollumfänglich lobenswert sind nicht zuletzt die Verweise auf die Wurzeln der GFK, insbesondere auf indische Weisheitslehren, von denen die Autorin ab und an Beispiele in ihren Text einstreut. So lautet etwa ein Diktum des Philosophen Jiddu Krishnamurti: „Die höchste Form menschlicher Intelligenz ist die Fähigkeit, zu beobachten, ohne zu bewerten“ (S. 103).

Obwohl sich die vier Schritte der GFK in den einzelnen Kapiteln immer herauskristallisieren, erscheinen sie weder als rigides Abarbeiten eines Konzepts noch als Hypostasierung der Alternative Wolf- und Giraffensprache. Ebenso wenig unternimmt Barbara Leitner weitläufige Exkurse zu Gefühlen und „Nicht-Gefühlen“, wie dies Rosenberg selbst in seinem Hauptwerk tut. Die Listen von Gefühlen, Bedürfnissen und kindgerecht formulierten Bedürfnissen im Anhang sind indessen sehr hilfreich und für den kompetenten Einsatz der GFK mehr als ausreichend (vgl. S. 189 ff).

Es ist gut, dass Leitners Darstellung ebenfalls erahnen lässt, dass sich GFK nicht einfach einmal „so nebenbei“ umsetzen und praktizieren lässt, sondern dass den vier Schritten eigentlich ein sogenannter „nullter Schritt“ vorgeschaltet werden müsste: die Bereitschaft, sich einzulassen, sich ganz intentional auf neues Terrain zu wagen und sich in die Richtung einer gewaltfreien KiTa der Zukunft zu begeben. Leitners visionäre Skizze ebendieser lässt sich auch entkontextualisiert rezipieren und sollte rundum gefeiert werden.

Fazit

Mit ihrer umfassenden und praxisnahen Darstellung gibt Barbara Leitner pädagogischen Fachkräften ein flexibles Instrument in die Hand, um nicht nur die Interaktionen auf den verschiedenen Ebenen des Arbeitsfeldes Kindertagesstätte zu verbessern, sondern auch aktives Qualitätsmanagement im Allgemeinen zu leisten. Sie verliert sich nicht in der Lobhudelei eines Konzepts, sondern steckt realistisch den Möglichkeitsraum ab, in dem dieses in eine gewinnbringende Performanz gebracht werden kann. Konsequenterweise steht am Ende des Buches eine faszinierende Vision einer gewaltfreien Kindertagesstätte, die alle Erziehenden sowie bereits alle Auszubildenden und Studierenden in der weiten Disziplin der (Sozial-)Pädagogik kennenlernen sollten.

Rezension von
apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting
Literaturwissenschaftlerin (Venia legendi für Romanische Literaturwissenschaft, Französisch und Italienisch) sowie Dozentin an einer Fachschule für Sozialpädagogik.
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Zitiervorschlag
Anne Amend-Söchting. Rezension vom 05.11.2021 zu: Barbara Leitner: Gewaltfreie Kommunikation in der KiTa. Wertschätzende Beziehungen gestalten - zu Eltern, Kindern, im Team und zu sich selbst : 10 Geschichten und 25 Übungen. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2020. ISBN 978-3-7495-0155-7. Reihe: Kommunikation. Gewaltfreie Kommunikation. Illustratorin: Heike Reuter. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28704.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.


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