Jette Thuresson: Generationsumbruch in Sozialunternehmen
Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 07.09.2021

Jette Thuresson: Generationsumbruch in Sozialunternehmen. Herausforderungen in der Mitarbeitendenbindung der Generation Y. Tectum (Baden-Baden) 2021. 134 Seiten. ISBN 978-3-8288-4689-0. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR.
Entstehungshintergrund und Thema
Im Vorwort zum Buch (S. V-VI) weist Prof. Dr. Roland Schöttler auf Ursachen für den Fachkräftemangel in Sozialunternehmen hin und begründet u.a. die Notwendigkeit der Mitarbeitendenbindung der Generation Y (Gen Y). Insbesondere der Wert der emotionalen Bindung scheint in der Konstellation der Babyboomer in der Führungsriege und der Gen Y als Mitarbeiter:innen noch nicht ausreichend erkannt zu werden. Der Band erscheint als Band Nr. 101 der Reihe Wirtschaftswissenschaften des Tectum-Verlags.
Verfasserin
Jette Thuresson ist Masterabsolventin der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Das Buch ist ihre Masterarbeit, für die sie mit einem Sonderpreis des Evangelischen Johanneswerk ausgezeichnet wurde.
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst neun Kapitel, ein Abbildungs- und Tabellenverzeichnis (S.XI) sowie das Literaturverzeichnis (S. 113–121). Einfache Tabellen tragen zum Verständnis bei. Im Folgenden werden die Inhalte der Kapitel kurz beschrieben.
1. Einleitung (S. 1–3)
Die Autorin präsentiert unter Bezug auf den gegenwärtigen Fachkräftemangel ihre Fragestellung: Sie will herausfinden, wie es in (Sozial-)Unternehmen, die weitgehend von Babyboomern geführt werden, gelingen kann, die Gen Y zeitlich und emotional so zu bedienen, dass sie als Fachkräfte bleiben und nicht, wie im Durchschnitt errechnet, nach ca. 6 Jahren den Arbeitsplatz wechseln.
2. Mitarbeitende im Generationsumbruch (S. 5–28)
Zu Beginn werden die Bestimmungselemente einer Generation geklärt. Danach werden die Mitarbeiter:innen der Gen Y und das, was sie der Fachliteratur zufolge auszeichnet, präsentiert: Es sind 5 Spezifika, die sie auszeichnen: Angehörige der Gen Y legen Wert auf Feedback, sie präferieren einen an ihr Leben angepassten Arbeitsplatz, sie erleben Arbeit als Sinn und Spaß, sie wollen sich weiterentwickeln und verfolgen am Arbeitsplatz auch individuelle Ziele. Die Mitarbeitenden der Generation der Babyboomer werden mit 4 Besonderheiten charakterisiert: sie erachten Arbeit als Pflicht, streben nach Anerkennung, sie wertschätzen Teamarbeit und Freiraum am Arbeitsplatz und sehen das Gesamtwohl deutlich vor den individuellen Interessen. Ein weiteres Kapitel widmet sich den Unterschieden und Gemeinsamkeiten dieser Generationen, so wie sie in Studien bzw. Literaturanalysen thematisiert werden. Thuresson hält den Begriff „Generation“ als geeignetes Raster, um das Zusammenwirken der Generationen im Unternehmen in der Rolle der Babyboomer als Führungskräfte und die der Gen Y als Geführte zu untersuchen und Mitarbeitendenbindung sowohl aus Sicht der Arbeitnehmer:innen wie auch aus der von Führungskräften einzukreisen.
3. Mitarbeitendenbindung in (Sozial-)Unternehmen (S. 29–42)
Das Kapitel diskutiert den Begriff der Mitarbeitendenbindung, der grob in eine zeitliche und eine emotionale Dimension zu unterscheiden ist und aus individueller und aus organisationaler Perspektive betrachtet werden kann. Nach einer kursorischen Darstellung von „Theorien zur Mitarbeitendenbindung“ (S. 31), die sich auf unterschiedliche Aspekte fokussiert haben, konzentriert sich Thuresson auf das sog. Drei-Komponenten-Modell von Meyer & Allen (1997): es differenziert in das affektive, kalkulatorische und normative Commitment bei der Bindung von Mitarbeitenden auf der individuellen und der organisationalen Ebene. Mitarbeitendenbindung, so die Autorin, sei in Sozialunternehmen nicht wesentlich anders zu verstehen als in Unternehmen. Sie arbeitet einige wesentliche Aspekte, wie etwa das Gefühl der Zugehörigkeit zum Unternehmen und zu einem Team, Karrierewege, Freiräume auf Seiten der Mitarbeitenden, heraus und verweist darauf, wie (Sozial-)Unternehmen durch z.B. die Arbeitsorganisation oder die Anerkennung von Leistung die passenden Mitarbeiter:innen behalten und unpassende ziehen lassen können. Schließlich konkretisiert die Autorin die „Einflussfaktoren der Mitarbeitendenbindung“ (S. 39) wie z.B. Arbeitsinhalte, Arbeitsbedingungen und Führung.
4. Zwischenfazit: Mitarbeitendenbindung der Generation Y in Sozialunternehmen (S. 43–45)
Hier sind sowohl die Erkenntnisse aus Kapitel 2 zum Generationenverständnis (Kohorte, Erfahrungen, Sozialisation und Lebensabschnitt) und zum Unterschied der beiden adressierten Generationen als auch zur Mitarbeitendenbindung aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmer:innensicht sowie das Drei-Komponenten-Modell als favorisierter Erklärungsansatz kurz zusammengefasst. Thuressons Literaturanalyse hat ein Desiderat an Wissen zu den Spezifika der Mitarbeiter:innenbindung der Gen Y in Sozialunternehmen sichtbar gemacht. Diese Lücke will die Autorin mit ihrer Interviewstudie schließen, indem sie Sozialpädagog:innen und Führungskräfte aus Wohlfahrtsverbänden befragt, inwieweit bestimmte Wünsche und Instrumente bekannt sind und angewendet werden. Die in der Fachliteratur bekannten Maßnahmen legt sie als Basis zugrunde.
5. Forschungsdesign (S. 47–56)
Die Verfasserin begründet ihr methodisches Vorgehen mithilfe leitfadengestützter Interviews von Expert:innen. Drei Führungskräfte mit Personalverantwortung und drei Mitarbeitende der Gen Y wurden über eine Kaltakquise in Bochum gewonnen und über (Video-)telefonie befragt. Mitarbeitende und Führungskräfte kamen nicht aus dem gleichen Verbandsbereich. Die Gesprächspartner:innen wurden im Vorfeld umfassend zum Inhalt und zum Datenschutz informiert. Die Interviews wurden mit einer inhaltlich strukturierten qualitativen Inhaltsanalyse nach P. Mayring ausgewertet. Der Leitfaden ist nachvollziehbar gegliedert und umfasst für die Führungskräfte und die Generationsvertreter:innen jeweils sich ergänzende Anteile. Die Verfasserin macht die von ihr hauptsächlich verfolgten Gütekriterien der Dokumentation, der Interpretationsabsicherung, der Regelgeleitetheit und der Nähe zum Gegenstand transparent.
6. Ergebnisdarstellung: Faktoren der Mitarbeitendenbindung (S. 57–92)
Dieses Kapitel enthält die Resultate zu den deduktiv gebildeten und den neu entwickelten Kategorien. Alle Ober- und Unterkategorien werden im Einzelnen beschrieben und mit Ankerbeispielen (direkten Zitaten) hinterlegt. In die Kategorie „Mitarbeitendenbindung und Generation Y in den Wohlfahrtsverbänden“ (S. 58) gehen ein die Definition und die Relevanz der Mitarbeitendenbindung, die Relevanz der Gen Y in den Wohlfahrtsverbänden und die zeitliche und emotionale Bindung der Gen Y. Die Kategorie „Generation Y als Mitarbeitende“ (S. 58) umfasst die Aspekte für die Gen Y im Arbeitskontext (Weiterentwicklung, angepasster Arbeitsplatz, Arbeit als Spaß und Sinn, Feedback mit jeweils weiteren Unterpunkten) und die Bekanntheit der Wünsche und Bedürfnisse von Arbeitgebendenseite. Die sehr umfassende Kategorie „Maßnahmen zur Mitarbeitendenbindung“ (S. 58) beinhaltet die Maßnahmen zur allgemeinen Mitarbeitendenbindung, aufgeteilt in die Führung (Mitarbeitende gewinnen, Mitbestimmung) und Arbeitsbedingungen (Freiräume, Kommunikation, Wertschätzung, Monetäres, Teamarbeit, Unternehmenskultur, Weiterentwicklung und Entfristung). Die Maßnahmen zur Mitarbeitendenorientierung der Gen Y sind differenziert in Führung (Mitarbeitende gewinnen, Mitbestimmung, Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigen), Arbeitsbedingungen (Kommunikation, Wertschätzung, Teamarbeit, Werte, Vereinbarkeit, Ausstattung, Freiräume, Monetäres, Unternehmenskultur, Entfristung und Weiterentwicklung) sowie die Arbeitsinhalte. Die vierte Kategorie lautet „Generationsumbruch“ (S. 59) und enthält Generationenunterschiede.
7. Interpretation der Ergebnisse (S. 93–99)
Thuresson interpretiert die Ergebnisse entlang von vier „Hypothesen“ (S. 93). Für Hypothese 1 präsentiert sie die Erkenntnisse, die belegen, dass die „spezifischen Schwerpunkte der Generation Y in den Sozialunternehmen nicht hinreichend bekannt“ (S. 93) sind. Große Übereinstimmung zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden existieren beim Arbeitskontext zu Fragen der Karriere, Weiterbildung und dem Arbeitsinhalt. Nennenswerte Abweichungen dagegen bei den Wünschen und Bedürfnissen der Gen Y. Auch bei den zielgruppenspezifischen Bindungsfaktoren gibt es Unterschiede: Mitbestimmung wird z.B. von den Führungskräften als wesentlich eingeschätzt, spielt aber bei den Mitarbeitenden keine Rolle. Ansonsten lassen sich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen erkennen, vor allem sind den Mitarbeiter:innen Führung, Kommunikation, Wertschätzung, Teamarbeit und Ausstattung bedeutsam. Öfters nennen die Führungskräfte eher allgemein gehaltene Bindungsfaktoren, die andeuten, dass ihnen der Generation-Y-Bezug nicht genau bewusst ist. Hypothese 2 beinhaltet, dass die Kenntnis von Bedürfnissen und Wünschen der Generation zwar Hinweise auf Bindungsfaktoren liefern, dass zusätzlich aber auch Präferenzen zur Teamarbeit, zu den Werten und zu materiellen Aspekten (befristete Stelle, Verdienst) relevant sind. Hypothese 3 macht deutlich, dass die allgemeinen Aspekte zur Mitarbeitendenbindung zwar „nicht falsch“ sind, sie aber unbedingt auf die Gen Y und deren spezifischen Nuancen (z.B. zur Führung, Ausstattung, Arbeitsinhalte, Vereinbarung Beruf und Privatleben) adaptiert werden sollen, um Wirkung zu entfalten. Hypothese 4 verdeutlicht, wie wichtig der Gen Y „emotionale Aspekte“ der Mitarbeiter:innenbindung sind, selbst wenn sie auf den ersten Blick anders benannt sind (wie z.B. das hinter Arbeitssicherheit stehende Anliegen, auf die Gesundheit zu achten).
8. Diskussion (S. 101–108)
Die Ergebnisse werden einerseits – den vier Hypothesen in Abschnitt 7 folgend – in Bezug gesetzt zum Wissen aus der Fachliteratur und andererseits erweitert um die aus der Befragung ergänzten Bestandteile. Aus den verdichteten Resultaten werden Handlungsempfehlungen für das Sozialmanagement zur Mitarbeiter:innenbindung der Gen Y formuliert. Die Führungskräfte sollen neben den Wünschen und Bedürfnissen der Gen Y auch die besonders favorisierten Bindungsfaktoren eruieren und berücksichtigen. Die Kommunikation zwischen den Führungskräften und der Gen-Y-Mitarbeitenden soll laufend aktuell sein. Zum dritten sollen für die Mitarbeitendenbindung der Gen Y hauptsächlich affektive und emotionale Faktoren in Anspruch genommen werden. Im zweiten Unterkapitel reflektiert die Autorin ihre Befragung und weist auf die Grenzen hin.
9. Fazit (S. 109–111)
Das Fazit fasst die Notwendigkeit von spezifischen Mitarbeitendenbindungsansätzen und -instrumenten für die Gen Y pointiert zusammen.
Diskussion
Die qualitative Studie fördert zweifelsohne wertvolle Erkenntnisse über die Gen Y in Wohlfahrtsverbänden und ihre Einstellungen und Haltungen zur Arbeitswelt zutage, die der Arbeitgeberseite bekannt sein sollten, um die Mitarbeiter:innen mit geeigneten Maßnahmen zu halten und zu fördern. Die Führungskräfte, die, wie die Studie unterstellt, der Generation Boomer zuzurechnen sind, erfahren damit mehr als das, was ihnen die Human Resource Management (HRM) Fachliteratur bisher geboten hat. Ihnen verbleibt die Aufgabe, die betriebsspezifischen Adjustierungen in Eigenregie zu verfeinern und – angeregt durch ein paar Handlungsempfehlungen – lebensphasenspezifisch auszugestalten.
Aus Sicht einer verantwortlichen Führungskraft und aufgrund des auf Unterschiede zielenden Generationenkonzepts, ergibt sich die Frage, wieso die größtmögliche Spanne einer Generation genommen wird (Gen Y: 1980 bis 2000 geboren, faktisch befragt Personen zwischen 1984 und 1994 und Babyboomer Generation: geboren zwischen 1945 und 1970, faktisch befragt Personen zwischen 1955 und 1990), wenn bekannt ist, dass es sehr viele intergenerationelle Abweichungen gibt. Eine 1990 geborene Führungskraft repräsentiert selbst die Gen Y und führt bei einer so kleinen Fallzahl eventuell zu einer Verwässerung der Ergebnisse des Konzepts, das nach Unterschieden (oder des Generationsumbruchs) sucht. Der Verfasserin wird zugutegehalten, dass sie die methodischen Limitationen thematisiert. Eine weitere Unschärfe besteht darin, dass Sozialunternehmen in dieser Studie gleichgesetzt werden mit Wohlfahrtsverbänden. Der Exaktheit halber hätte der Titel die Wohlfahrtsverbände benennen können. Aus sozialwirtschaftlicher und auch aus Sicht der Berufsvertretung nicht vertretbar ist die fast als Beschwichtigung daherkommende Aussage, dass die Gen Y mit affektiven und emotionalen (und deshalb finanziell nicht aufwändigen) Maßnahmen an den Wohlfahrtsverband gebunden werden können (weil dieser ja ohnehin keinen finanziellen Spielraum hat). Im Übrigen bedeutet auch der Einsatz emotionaler Aspekte Aufwand, wenn auch in anderer Form.
Das Buch ist dem Entstehungshintergrund als wissenschaftliche Abschlussarbeit gemäß sehr klassisch aufgebaut und gut strukturiert. Wieso der Gliederungspunkt 3.2 mit einer Untergliederung in 3.2.1 (ohne einen weiteren Punkt 3.2.2) versehen ist, erschließt sich nicht. Ebenso ungewöhnlich ist, wieso bei der Interpretation der Ergebnisse (Punkt 7) plötzlich mit Hypothesen argumentiert wird. Es handelt sich schlicht um Feststellungen, die getroffen und mit den Resultaten untermauert werden. In Punkt 8.1 kommt es zu Redundanzen mit den in Punkt 7 ausbuchstabierten „Hypothesen“. Hier hätte man sich auf die sog. Handlungsempfehlungen beschränken können.
Fazit
Das Buch gibt einen Einblick in eine Debatte, die im HRM bereits seit längerem existiert und darauf abzielt, wie die Gen Y und Z für die Unternehmen gewonnen und gehalten werden können, wobei i.d.R. die Generationen stärker differenziert werden (z.B. in die Gen X, die nach den Babyboomern angesiedelt ist). Auf der Suche nach Fachkräften fand und findet die Mitarbeitendenbindung (Retention Management) auch Eingang in die Sozialunternehmen und deren besonderen Marktgegebenheiten. Das Buch ist für Personalverantwortliche als Zugang zur Thematik interessant. Vertreter:innen der Gen Y kann es veranlassen, zu überprüfen, ob sie sich mit den Ergebnissen identifizieren können.
Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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