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Kathrin Hohmann, Lea Wedewardt: Kinder achtsam und bedürfnisorientiert begleiten

Rezensiert von Alexandra Großer, 10.12.2021

Cover Kathrin Hohmann, Lea Wedewardt: Kinder achtsam und bedürfnisorientiert begleiten ISBN 978-3-451-38930-6

Kathrin Hohmann, Lea Wedewardt: Kinder achtsam und bedürfnisorientiert begleiten. In Krippe, Kita und Kindertagespflege. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2021. 176 Seiten. ISBN 978-3-451-38930-6. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR, CH: 30,90 sFr.

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Thema

Das Buch führt in die bedürfnisorientierte Betreuung von Kindern in der Kindertagesbetreuung ein. Es zeigt auf, wie pädagogische Fachkräfte Bedürfnisse der Kinder erkennen und im Kita-Alltag begleiten können. Anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse wird der bedürfnisorientierte Ansatz theoretisch untermauert.

AutorIn oder HerausgeberIn

Lea Wedewardt ist Kindheitspädagogin (B. A.), Bloggerin, Podcasterin und Fortbildnerin. Sie berät und coacht pädagogische Fachkräfte und Teams zu Themen rund um die bedürfnisorientierte Betreuung.

Kathrin Hohmann ist Kindheitspädagogin (B. A.), Fachautorin und Bloggerin. Als Kindergartenleitung leitet sie Kindergärten im In- und Ausland und Workshops für Eltern und Fachkräfte. Für den Podcast des Nifbe (Niedersächsische Institut für frühe Bildung) ist sie regelmäßig mit Expert*innen im Gespräch.

Entstehungshintergrund

Die Autorinnen lernten sich über Social Media kennen und erkannten, dass die bedürfnisorientierte Kinderbetreuung für beide eine Herzensangelegenheit ist. Beide bemerkten, dass sie ihre Erfahrungen sowie ihr Wissen teilen möchten und die bedürfnisorientierte Erziehung in die Kindertagesbetreuung tragen wollen. Aus diesem Wunsch heraus entstand dieses Buch.

Aufbau und Inhalt

Neben einer Einleitung umfasst das Buch insgesamt sieben Kapitel mit weiteren Unterkapiteln. Jedes Kapitel enthält Reflexionsübungen, Praxisbeispiele und Hinweise zu Podcastfolgen der Autorinnen.

In der „Einleitung“ gehen die Autorinnen auf die Entstehungsgeschichte des Buches ein.

Bereits im ersten Kapitel „Was ist bedürfnisorientierte Kinderbetreuung?“ erläutern die Autorinnen, dass es sich bei der Bedürfnisorientierung um eine Haltung handelt. Diesen Aspekt erläutern sie näher und erklären, was unter einem bedürfnisorientierten Menschenbild zu verstehen ist. Im weiteren Verlauf beschreiben sie die physischen und psychischen Bedürfnisse von Menschen, welche sie mit der Gehirn- und Entwicklungsreife von Kindern verbinden.

In Kapitel zwei „Die drei Grundpfeiler der Bedürfnisorientierung: Gefühle, Bedürfnisse, Grenzen“ erläutern die Autorinnen die Grundpfeiler im Einzelnen. Zunächst klären die Autorinnen den Unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen, bevor sie auf die verschiedenen Gefühle eingehen, die hinter den Bedürfnissen liegen. Gefühle haben immer einen Grund, eine wichtige Funktion und eine Ursache. Wichtig ist jedoch, zwischen Ursache und Auslöser zu unterscheiden. Die Ursache von Gefühlen liegt im Menschen selbst und hat mit den oft unerfüllten Bedürfnissen zu tun. Andere Menschen können zwar Auslöser für die Gefühle sein, sind jedoch nicht die Ursache. Im Unterkapitel „Bedürfnisse“ beschreiben Wedewardt und Hohmann, wie bedeutungsvoll es für Kinder ist, sie mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen anzunehmen. Es geht dabei nicht so sehr darum, ein offensichtliches Bedürfnis zu erfüllen, sondern das Bedürfnis des Kindes zu sehen und zu verbalisieren. Im weiteren Verlauf erfahren die Leser*innen, dass Menschen sich unterschiedlicher Strategien bedienen, um sich ihre Bedürfnisse zu erfüllen. „Dabei gibt es auf der einen Seite Strategien, die sozial angemessen, friedlich und gesund sind und auf der anderen Seite Strategien, die ungesund oder verletzend sein können“ (S. 63). Nicht jede Strategie, die Kinder anwenden, ist für Erwachsene nachvollziehbar, auch wenn sie auf unerfüllte Bedürfnisse aufmerksam machen. Bedürfnisorientiert zu handeln, bedeutet nicht, den Kindern jeden Wunsch zu erfüllen. Sondern die „tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse nach Kontakt, Beziehung, Autonomie, Selbstbestimmung, Selbstwerterhaltung zu erfüllen“ (S. 64). Eine große Herausforderung in der Kindertagesbetreuung liegt darin, dass unterschiedliche Bedürfnisse von Kindern und Fachkräften in einer Gruppe zusammenkommen und jedes Bedürfnis gesehen und wertgeschätzt wird. Dazu bieten die Autorinnen die „Bedürfnispriorisierung“ (S. 69) an. Damit können Fachkräfte entscheiden, welches Bedürfnis am wichtigsten ist und danach die Reihenfolge der Bedürfnisbefriedigung festlegen. Damit bleiben alle Bedürfnisse im Blick. Ein weiterer Grundpfeiler widmet sich dem Thema „Grenzen“. Die Autorinnen zeigen an verschiedenen Punkten des Tagesablaufs auf, wo psychische und physische Grenzüberschreitungen von Fachkräften stattfinden können. Manche Grenzüberschreitungen geschehen im Alltag schnell und unbewusst. Deshalb ist es wichtig sich die Grenzen der Kinder bewusst zu machen, feinfühlig wahrzunehmen und zu achten.

Das Kapitel drei „Gewaltfreiheit“ beschäftigt sich zunächst mit verschiedenen Formen von Gewalt. Obwohl Kindertagesbetreuungen sichere Orte für Kinder sind, kann es durch Erwachsene immer wieder auch zu verbalen Verletzungen von Kindern kommen. Es sind Sätze, die oft unbedacht ausgesprochen werden, jedoch eine gewaltvolle Wirkung haben. Die Autorinnen möchten Pädagog*innen für den eigenen Sprachgebrauch und das Verhalten gegenüber Kindern sensibilisieren und fordern Teams dazu auf gemeinsam daran zu arbeiten. Denn jegliche Form von Gewalt hat Folgen für die Kinder. Mit dem Unterkapitel Strafen, Konsequenzen, Belohnung und Auszeit greifen die Autorinnen weitere Methoden der Erziehungspraxis auf, die ebenfalls auf den Prüfstand gehören. Denn Kinder zu bestrafen, für bestimmte Tätigkeiten zu belohnen oder dem Kind ohne Begleitung eine Auszeit zu verordnen, sind gewaltvolle Erfahrungen.

In Kapitel vier „Die Bedürfnisse der Fachkraft“ plädieren die Autorinnen für Beziehung statt Erziehung in Kindertagesbetreuungen. Es geht darum, dass pädagogische Fachkräfte sich mit ihren Bedürfnissen, Gefühlen und Grenzen zeigen. Sie mit Kindern in den Austausch gehen und authentische Feedbackgeber für sie sind. Bedürfnisorientiertes Handeln braucht Pädagog*innen, die sich selbst gut kennen, ihre eigenen Glaubenssätze reflektieren und mit sich selbst achtsam umgehen. Dies bedeutet, sich seiner eigenen Grenzen bewusst zu sein, diese klar zu vertreten, damit Kinder lernen, ihre eigenen Grenzen zu äußern und die Grenzen anderer zu wahren.

Damit dies gelingt, bedarf es im Team der Reflexion und Auseinandersetzung über Werte, Grenzen, Glaubenssätze und Auslöser von Gefühlen.

Das fünfte Kapitel „Bedürfnisorientiertes Lernen“ beschreibt zunächst allgemein, wie Kinder lernen. Die Autorinnen weisen darauf hin, dass Kinder lernen wollen, benennen jedoch auch Faktoren, die es Kindern erschweren zu lernen. Des Weiteren gehen sie auf die intrinsische und extrinsische Motivation ein, die bedeutenden Einfluss auf das Lernen hat. Besonders in der Kindertagesbetreuung brauchen Kinder Lernräume, in denen sie sich ausprobieren können. Dies bedingt Erwachsene, die die Kinder dabei begleiten und ihre Lernbedürfnisse unterstützen. Die Autorinnen zeigen weiterhin auf, wie bedeutungsvoll es ist, die Kernthemen der Kinder aufzugreifen, ihnen dafür Raum, Zeit und Material zu geben, bis dieses Lernbedürfnis befriedigt ist. Wedewardt und Hohmann ermutigen die Leser*innen sich in die Perspektive der Kinder zu versetzen. Gerade bei Tätigkeiten, deren Sinn sich für Erwachsene zunächst nicht erschließt. Sie fordern dazu auf, sich zu fragen, welches Lernziel beziehungsweise welche Lernabsicht das Kind damit gerade verfolgt. Zudem regen sie an, die eigene Angebotspädagogik zu hinterfragen. Schließlich wird das Lernen im Freispiel in den Blick genommen sowie die Bedeutung von Beziehungen auf das Lernen von Kindern.

Im sechsten Kapitel „Konflikte und starke Gefühle bedürfnisorientiert begleiten“ beschreiben die Autorinnen in einem vier Schritte Modell, wie Kinder in Konflikten begleitet und unterstützt werden können, um diese gewaltfrei zu lösen. Des Weiteren laden Wedewardt und Hohmann die Leser*innen ein, im Team das eigene Konfliktverhalten und die Gefühle, die damit verbunden sind, zu bearbeiten. Dazu gehört für sie auch, sich über die Regel des „sich-entschuldigen-müssens“ (S. 159) und das Thema „Teilen“ auszutauschen.

Im siebten Kapitel „Die zehn Irrtümer über Bedürfnisorientierung“ gehen die Autorinnen auf häufige Aussagen im Zusammenhang der bedürfnisorientierten Kindertagesbetreuung ein und entlarven so manche Mythen.

Diskussion

Den Autorinnen ist es gelungen, das Thema Bedürfnisorientierung in der Kindertagesbetreuung leicht verständlich darzustellen. Immer wieder beziehen sie sich bei ihren Ausführungen auf wissenschaftliche Studien und aktuelle Fachliteratur, mit denen sie den bedürfnisorientierten Ansatz untermauern. Gleichzeitig gelingt es ihnen anhand von Praxisbeispielen, wie sie tagtäglich im Kita-Alltag vorkommen, aufzuzeigen, wie bedürfnisorientiertes Handeln auch in stressigen Situationen gelingen kann.

Indem Wedewardt und Hohmann die einzelnen Themen mit den entwicklungspsychologischen Grundlagen verbinden, schaffen sie Verständnis für das Verhalten von Kindern und bieten damit Fachkräften eine andere Sichtweise auf Verhaltensweisen von Kindern.

Innerhalb der Kapitel regen die Autorinnen die Leser*innen immer wieder zur Eigenreflexion als auch zur Reflexion im Team an. Dabei lassen sie auch heikle Themen nicht aus. Wie zum Beispiel das Thema Essen und Grenzen setzen. Wir alle haben unsere eigenen biografischen Erfahrungen und Glaubenssätze, die diese Situationen und Themen begleiten und unser Handeln beeinflussen. Sich dessen bewusst zu werden, Verhaltensweisen zu hinterfragen und die Bedürfnisse aller in den Blick zu nehmen, ist das Anliegen der Autorinnen. Denn sie plädieren für Beziehung statt Erziehung und möchten damit die Kinderbetreuung grundlegend verändern. Dass dies gelingen kann, zeigen sie immer wieder anhand von Praxisbeispielen auf. Es bedarf jedoch einer großen Bereitschaft der Reflexion, des Austausches und Auseinandersetzung im gesamten Team einer Kita sowie Veränderungswillen.

Fazit

Bedürfnisorientierung ist zum einen eine Haltung und zum anderen die achtsame feinfühlige Gestaltung von Beziehungen zwischen Kindern, Eltern, pädagogischen Fachkräften und in Teams. Mit diesem Buch zeigen die Autorinnen auf, wie eine bedürfnisorientierte Haltung eingenommen und Beziehung untereinander gestaltet werden kann, ohne den pädagogischen Zeigefinger zu heben. Wedewardt und Hohmann gelingt es die Leser*innen, auch bei heiklen Themen, wertschätzend und feinfühlig in die bedürfnisorientierte Kindertagesbetreuung mitzunehmen. Das Buch ist für alle Pädagog*innen empfehlenswert.

Rezension von
Alexandra Großer
Fortbildnerin, päd. Prozessbegleiterin, systemische Beraterin
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Es gibt 41 Rezensionen von Alexandra Großer.

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Zitiervorschlag
Alexandra Großer. Rezension vom 10.12.2021 zu: Kathrin Hohmann, Lea Wedewardt: Kinder achtsam und bedürfnisorientiert begleiten. In Krippe, Kita und Kindertagespflege. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2021. ISBN 978-3-451-38930-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28710.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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