Hiltrud von Spiegel: Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Michael Domes, 04.08.2022
Hiltrud von Spiegel: Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Arbeitshilfen für die Praxis. UTB (Stuttgart) 2021. 7. durchges. Auflage. 271 Seiten. ISBN 978-3-8252-8798-6. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR, CH: 41,50 sFr.
Thema und Entstehungshintergrund
Das mittlerweile in der 7. Auflage vorliegende Werk kann durchaus als Klassiker bezeichnet werden. Es kondensiert die Erfahrungen und Erkenntnisse, die Hiltrud von Spiegel „in Praxis, theoretischer Diskussion und empirischer Forschung, in Modellprojekten und in Auseinandersetzung mit Studierenden und Kolleginnen und Kollegen, in Praxisberatungen und Fortbildungen, als zentral für professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit erkannt hat“, wie es Benedikt Sturzenhecker im Vorwort zur 7. Auslage formuliert (S. 9; dieser hat auch die Durchsicht der Ausgabe übernommen).
Es ist ausdrücklich als Lehrbuch für Studierende und Praktiker*innen sowie (auch) für den Einsatz in der Lehre konzipiert, um „Orientierungslinien in ein anscheinend unübersichtliches Gelände zu ziehen“ (S. 15).
Autorin
Dr. Hiltrud von Spiegel lehrte als Professorin an der Fachhochschule Münster (Fachbereich Sozialwesen). Ihre Arbeitsschwerpunkte waren Theorien der Sozialen Arbeit und methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit (inklusive Qualitätsentwicklung und Selbstevaluation) sowie die Kinder- und Jugendhilfe. Sie ist am 22.09.2019 nach langer Krankheit verstorben.
Aufbau und Inhalt
Der Band besteht aus acht Kapiteln und einem Anhang (Glossar, Literatur und Sachregister). Zusätzlich stehen auf der Verlagsseite die im Buch enthaltenen 30 Arbeitshilfen als nicht ausgefüllte Kopiervorlagen zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Der erste Teil widmet sich den Grundlagen methodischen Handelns (Kapitel 1–4); der zweite Teil ist als Werkzeugkasten für methodisches Handeln angelegt (Kapitel 5–8).
Jedes Kapitel enthält zur Orientierung am Rand Stichwörter und Piktogramme (Literaturhinweise und Beispiele) sowie im Text über Pfeile Hinweise auf zentrale Fachbegriffe, die im Glossar näher erläutert werden.
- Das Handlungsfeld der Sozialen Arbeit (Gesellschaftliche Aufträge und disziplinäre Positionen, Charakteristika der beruflichen Handlungsstruktur)
- Soziale Arbeit als wissenschaftliche fundierte Praxis (Soziale Arbeit als Profession, Wissensbestände für methodisches Handeln)
- Handlungskompetenzen für die Soziale Arbeit (Individuelle und institutionelle Voraussetzungen für den Beruf, Dimensionen professioneller Handlungskompetenz)
- Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit (Methodisches Handeln: Definition und Werkzeugkasten, Handlungsbereiche methodischen Handelns)
- Arbeitshilfen für die Gestaltung von Situationen (Einführung: situatives Handeln, Analyse der Arbeitsaufträge, Situationsanalyse, Zielbestimmung, Checkliste zur Handlungsplanung, Auswertung der eigenen Handlungen)
- Arbeitshilfen für die Hilfeplanung (Einführung: Hilfeplanung, Auftrags- und Kontextanalyse, Problemanalyse, Aushandlung von Zielen, Operationalisierung von Hilfezielen, Evaluation eines Hilfezeitraums, Selbstevaluation eines Hilfeplangesprächs)
- Arbeitshilfen für die Konzeptionsentwicklung (Einführung: Konzeptionsentwicklung, Analyse der Ausgangssituation, Erwartungssammlung, Bildung konzeptioneller Ziele, Operationalisierung konzeptioneller Ziele, Von der Operationalisierung zur Konzeption, Konstruktion von Schlüsselsituationen)
- Arbeitshilfen für Projektplanung und Selbstevaluation (Einführung: Selbstevaluation, Erarbeitung der Aufgabenstellung, Vertiefte Problemerklärung, Differenzierung der Projektziele, Erstellung der Projektkonzeption, Vorbereitung der Evaluation, Konstruktion des Erhebungsinstruments, Auswertung und Präsentation der Ergebnisse)
Auf eine weitere, differenziertere Beschreibung der Inhalte verzichte ich an dieser Stelle und verweise auf die Rezensionen von Vera Birtsch (6. Aufl.) und Peter-Ulrich Wendt (5. Aufl.).
Diskussion
Beginnen möchte ich mit einem etwas längeren Zitat, das für mich durchaus als ein Kondensat des gesamten Bandes fungieren kann: „Methodisches Handeln bedeutet in diesem Sinne, die spezifischen Aufgaben und Probleme der Sozialen Arbeit situativ und eklektisch wie auch strukturiert und kriteriengeleitet zu bearbeiten, wobei man sich an Charakteristika des beruflichen Handlungsfeldes sowie an der wissenschaftlichen Arbeitsweise orientieren sollte. Die Konstruktion der Handlungsschritte muss transparent und intersubjektiv überprüfbar sein, im Hinblick auf die spezifische Aufgabe bzw. das Problem und in ➔ Koproduktion mit den Adressaten erfolgen. Fachkräfte müssen ihre Handlungen berufsethisch rechtfertigen, bzgl. ihrer fachlichen Plausibilität unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher und erfahrungsbezogener Wissensbestände begründen und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bilanzieren“ (S. 106). In diesem Zitat sind letztlich alle wesentlichen Inhalte beschrieben und damit explizit wie auch implizit die An- und Herausforderungen, die sich im Kontext methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit stellen.
Legt man dieses Zitat quasi als (einzulösenden) Anspruch des Bandes zugrunde, wird dieser aus meiner Sicht nahezu voll erfüllt. Studierende wie Praktiker*innen erhalten einen umfassenden wie differenzierten Ein- und Überblick, der insbesondere im zweiten Teil auch in die Tiefe geht, über relevante Aspekte der Thematik. Dementsprechend kann das Werk von Hiltrud von Spiegel – auch angesichts der didaktischen Konzipierung – weiterhin nachdrücklich für die Lehre wie Praxis Sozialer Arbeit empfohlen werden.
Zugleich schließe ich mich „dem Aber“ von Wendt in seiner Rezension der fünften Auflage an. Auch wenn Hiltrud von Spiegel dem Werkzeugkasten einen umfassenden ersten Teil voranstellt und selbst – beginnend beim Vorwort, letztendlich aber durch den ganzen Band hinweg – auf die Gefahr(en) eines reduktionistischen und simplifizierenden Verständnisses methodischen Handelns hinweist wie auch die Ambivalenzen und Paradoxien Sozialer Arbeit betont: Es bleibt offen, wie Leser*innen die Inhalte rezipieren (was natürlich bei jeder Publikation der Fall ist). Der Begriff „Werkzeugkasten“ kann aus meiner Sicht – zumindest bei Zeitdruck, Arbeitsüberlastung oder auch im Kontext einer spezifischen Verwertungslogik wissenschaftlichen Wissens – dazu verleiten, anzunehmen, scheinbar schnelle und einfach anzuwendende „Lösungen“ zu finden. Nebenbei bemerkt: Auch beim Aufhängen eines Bildes kann es sein, dass ein allzu (vor)schneller und unüberlegter Einsatz eines Nagels und eines Hammers nicht zu dem intendierten Ergebnis führt – plötzlich tut sich ein riesiges Loch in der Wand der Altbauwohnung auf oder der Strom fällt aus. Und man stellt fest, dass das Abklopfen der Wand, der Einsatz eines Stromdetektors und ggf. eine Bohrmaschine zielführender gewesen wären. Scheinbare einfache Handlungen sind in der Praxis dann doch oft komplexer als (intuitiv) gedacht.
Solch einer möglichen technizistischen Engführung entgegenzuwirken – methodisches Handeln immer auch zu kontextualisieren und relationieren, insbesondere im Lichte der unterschiedlichen Theorien Sozialer Arbeit, wäre wiederum Aufgabe der Lehre im Hochschulbildungssystem. Eben wie auch Hiltrud von Spiegel betont: „Methodisches Handeln ist ja keine lineare, sondern eher eine spiralförmige oder zirkuläre Abfolge von Handlungen: Man steigt an irgendeiner Stelle im Prozess ein und geht – je nach Erfordernis – vor und zurück, bis die notwendigen Klärungen und Entscheidungen erfolgt sind“ (S. 13). Und manchmal zeigt sich Professionalität aber gerade dadurch, Unsicherheit, Ungewissheit, Uneindeutigkeiten und Paradoxien zu erkennen, zu reflektieren und auszuhalten (vgl. Effinger 2021a/b; Schütze 2021).
Auch wenn ich Hiltrud von Spiegels Band weiterhin als ein zentrales Werk im Kontext methodisches Handelns in der Sozialen Arbeit sehe, gehört für mich die (vergleichende) Auseinandersetzung mit weiteren Vertreter*innen (z.B. Wendt 2021, Stimmer 2020, Braches-Chyrek 2019) unabdingbar für die Ausbildung einer spezifischen Professionalität dazu.
Und noch „eine Kleinigkeit“ bzw. ein Wunsch für die (hoffentlich) nächste Auflage, die vermutlich nach einigen weiteren Jahren ansteht: Ohne den Band auf deutlich mehr Seiten auszuweiten und damit die Intention des Bandes zu verändern, wäre der Einbezug weiterer Quellen wünschenswert. Dies könnte dann für die Leser*innen die – bis dahin noch weiter fortgeschrittenen – aktuellen Entwicklungen, z.B. um Wissenschaft Sozialer Arbeit, Professionalisierung, Wirkungsforschung oder Nachhaltigkeit, noch besser abbilden.
Fazit
Auf Basis dieser Hinweise: Auch die siebte Auflage ermöglicht Studierenden wie Praktiker*innen grundlegende Orientierungslinien für ihr professionelles Handeln (planen, reflektieren und evaluieren): Weiterhin eine klare Lese- und vor allem Auseinandersetzungsempfehlung für das Standardwerk, das persönliche, fachliche, theoretische und praktische Aspekte methodischen Handelns vereint.
Literatur
Braches-Chyrek, R. (2019): Soziale Arbeit – die Methoden und Konzepte, Stuttgart: UTB.
Effinger, H. (2021a): Soziale Arbeit im Ungewissen. Mit Selbstkompetenz aus Eindeutigkeitsfallen, Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Effinger, H. (2021b): Ungewissheitsbewältigung und akademische Professionalität. Herausforderungen für das Studium Sozialer Arbeit. In: Soziale Arbeit (70), Nr. 5, S. 162–169.
Schütze, F. (2021): Professionalität und Professionalisierung in pädagogischen Handlungsfeldern: Soziale Arbeit, Stuttgart: UTB.
Stimmer, F. (2020): Grundlagen des Methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit, 4., aktual. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer.
Wendt, P.-U. (2021): Lehrbuch Methoden der Sozialen Arbeit, 3. Aufl., Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Rezension von
Prof. Dr. Michael Domes
Diplom-Sozialpädagoge, Professor für Theorien und Handlungslehre in der Sozialen Arbeit, TH Nürnberg Georg Simon Ohm
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Es gibt 19 Rezensionen von Michael Domes.
Zitiervorschlag
Michael Domes. Rezension vom 04.08.2022 zu:
Hiltrud von Spiegel: Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Arbeitshilfen für die Praxis. UTB
(Stuttgart) 2021. 7. durchges. Auflage.
ISBN 978-3-8252-8798-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28747.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.
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