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Viktoria Schäfer, Bernhard Vogt et al.: Kennzeichen und Potentiale genossenschaftlicher Führung

Rezensiert von Dr. Ralf Glitza, 10.11.2021

Cover Viktoria Schäfer, Bernhard Vogt et al.: Kennzeichen und Potentiale genossenschaftlicher Führung ISBN 978-3-96831-014-5

Viktoria Schäfer, Bernhard Vogt, Thomas Wink, Yvonne Zimmermann: Kennzeichen und Potentiale genossenschaftlicher Führung. Ergebnisse empirischer Erhebungen in Genossenschaftsbanken und Unternehmen mit kooperativ-genossenschaftlichem Hintergrund. Verlag Dr. Köster (Berlin) 2021. 224 Seiten. ISBN 978-3-96831-014-5. D: 69,95 EUR, A: 72,00 EUR.
Reihe: Wissenschaftliche Monographien zu Kooperation und Genossenschaft - 1.

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Thema

Im Mittelpunkt der Monographie stehen Verständnis und Realität der Führung in Genossenschaf­tsbanken und anderen Unternehmen mit kooperativem Hintergrund. Die Frage nach dem Konstruktstatus und der Abgrenzbarkeit eines Genossenschaftlichen Leaderships wird sowohl theoretisch als auch auf der Grundlage empirischer Daten vertieft.

Autor*Innen

Die Monographie der Autor*innen Viktoria Schäfer, Bernhard Vogt, Thomas Wink und Yvonne Zimmermann wurde vom ADG Scientific – Center for Research and Cooperation e.V. (ARC), einem Forschungsinstitut der Akademie Deutscher Genossenschaften herausgegeben. Nach eigenen Angaben ist es das Ziel des Instituts, genossenschaftliche Unternehmen und Organisationen sowie deren Beziehungen zur sozio-ökonomischen Umwelt empirisch zu erforschen.

Aufbau und Inhalt

Im einleitenden Teil („Zu diesem Buch: Inhalt und Ziel“) wird berichtet, dass genossenschaftliche Führungsprinzipien in der Genossenschaftspraxis zwar intensiv diskutiert werden, eine systematische empirische Forschung zum Führungsverständnis und Führungshandeln in Genossenschaften bislang jedoch noch nicht vorliege. Daher solle der bis dato nur im Ansatz erschlossene Bereich eines Genossenschaftlichen Leaderships theoretisch und anhand empirischen Datenmaterials aufgearbeitet werden. Der einleitende Abschnitt weist bereits eine eindeutige Positionierung dahingehend auf, dass ein Modell eines Genossenschaftlichen Leaderships die Berücksichtigung bestimmter Genossenschaftswerte erfordere und zugleich Managementprinzipien, die eine ausschließliche Profitmaximierung beinhalteten, auszuschließen seien.

Die beiden Folgeabschnitte („Führung: Begriffsbestimmung“, „Grundsatzmodell der Führung und Führungsdeterminanten“) beziehen sowohl neuere Fachliteratur als auch ältere Quellen mit ein. Konsensuale Operationalisierungen des Führungsbegriffes sowie mögliche Kriterien des Führungserfolges erfolgen insbesondere anhand von differenzierten Verweisen auf Übersichtsliteratur. Unter Bezug auf diese Übersichtsliteratur, aber auch auf wissenschaftliche Primärquellen wird betont, dass Führung ein komplexes Prozessgeschehen sei, in dem sowohl Charakteristika bzw. Motivkonfigurationen der Führungskräfte und Geführten als auch der Führungsstil, etwa mitarbeiter- und aufgabenorientierte Führung sowie die Führungssituation miteinander in Wechselwirkung stünden und letztendlich beobachtbare Führungserfolge bedingten.

Anders als in diesen beiden Abschnitten, die erkennbar eine Grundlagencharakteristik aufweisen, referenzieren die Autor*innen in den Folgeabschnitten „Positive Psychologie und Positive Führung“, „Frauen und Führung“ sowie „Notwendigkeit der Reflexion von Führungsmythen“ zum Teil bereits im Rekurs auf tradierte genossenschaftliche Werte. Das Konzept einer Positiven Psychologie wird als Resilienz stärkender Rahmen und Inhaltgeber Positiver Führung mit Stärken- und Selbstwirksamkeits-Orientierung dargestellt. Die Bezüge zu Genossenschaftswerten werden im Abschnitt „Frauen und Führung“ deutlich, indem auf die historische Entwicklung beruflicher Betätigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen in Genossenschaften bis zur Gegenwart eingegangen wird. Demnach sind – trotz eines zunehmenden Bewusstseinswandels in Gesellschaft und Politik sowie geschlechtsbezogener Quotierungsregelungen – auf der Führungsebene unterschiedlicher Organisationen einschließlich der Genossenschaften Frauen nach wie vor unterrepräsentiert. Unter Berücksichtigung spezifischer Fachpublikationen erfolgt ferner eine kritische Auseinandersetzung sowohl mit geschlechtsspezifischen Attributionen der Führung als auch mit einem besonderen, vermeintlich „weiblichen Führungsstil“. Statt einen solchen Führungsstil überzubetonen, plädieren die Autor*innen dafür, strukturelle Faktoren, die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen insbesondere in Führungspositionen einschränken, zu erkennen und zu unterbinden, um Erfolgsfairness herzustellen. Genossenschaften böten solche Voraussetzungen, die aber in vielen Fällen noch stärker genutzt werden sollten. Im Abschnitt „Notwendigkeit der Reflexion von Führungsmythen“, der eine offenbar häufiger zu konstatierende „Anfälligkeit“ von Organisationen etwa für „Heldenmythen“ oder „Abstammungsmythen“ abhandelt, werden ebenfalls genossenschaftliche Aspekte aufgegriffen: auch Genossenschaften seien gegen Führungsmythen nicht gefeit, doch biete der genossenschaftliche Wertekanon mit seinen Partizipationsprinzipien hier zumindest eine gewisse Prophylaxe.

Die drei folgenden Abschnitte („Genossenschaftliche Führung – eigenständiges Konstrukt oder ‚nur‘ Erweiterung bewährter Führungsmodelle?“, „Führungsverständnis und Führungsparameter als Kennzeichen von Genossenschaftsbanken – Auffindbarkeit und Ausformung“, „Empirische Erhebungen: Methodik und Ergebnisse“) bilden den Schwerpunkt der Monographie. In den beiden ersten dieser drei Abschnitte wird eruiert, dass das in Genossenschaften praktizierte Führungsverhalten je nach Branchenzugehörigkeit durchaus deutliche Unterschiede aufweisen könne. Ein weitestgehend homogenes genossenschaftliches Führungsverständnis sei zu verneinen. Gleichwohl lasse sich – und zwar basierend auf einem genossenschaftlichen Wertekern – das Konstrukt eines eigenständigen und von anderen Führungskonzepten abgrenzbaren Genossenschaftlichen Leaderships postulieren. Die entsprechend werteorientierten Führungs- und Partizipationsstrukturen würden zudem nicht mit ökonomischem Erfolg „kollidieren“, sondern einen Erfolgsfaktor darstellen. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass gemäß praktischer Erfahrungen zwischen Handlungs-„Idealen“ und tatsächlich gelebten Werten in Genossenschaften teils Diskrepanzen bestünden. Der umfangreiche Abschnitt zu den empirischen Erhebungen basiert auf Daten zum Führungsverständnis und zur Führungsrealität in Genossenschaftsbanken und anderen kooperativ orientierten Unternehmen. Datenquelle waren strukturierte Befragungen des ARC bei Führungskräften im Zeitraum 2018–2019. Der Abschnitt gliedert sich in Hinweise zum methodischen Vorgehen und in weitere Unterabschnitte, die auch multivariate Auswertungen beinhalten. Auf Grundlage der Auswertungen wird gefolgert, dass die Annahme eines genuinen und zugleich erfolgversprechenden Genossenschaftlichen Leaderships zutreffe, jedoch auch auf mögliche Probleme und Einschränkungen aufmerksam mache.

Der abschließende Teil beinhaltet eine „Zusammenfassende Betrachtung, Folgerungen und Ausblick“. Abschließend finden sich ein Verzeichnis der Referenzliteratur, ein Abbildungs- und Tabellenverzeichnis sowie ein Anhang zur Erhebung der empirischen Daten.

Diskussion

Das am Anfang der Monographie genannte Ziel, Genossenschaftliches Leadership theoretisch und empirisch aufzuarbeiten, ist als erfüllt anzusehen. Die Autor*innen können nachweisen, dass die Annahme eines Genossenschaftlichen Leaderships als hinreichend abgrenzbares Führungskonzept vertretbar ist. Der genossenschaftliche Wertekanon mit Kerngedanken wie Partizipationsorientierung, Solidarität, Mitgliederförderung oder auch einer Arbeit „für die Region“ erfährt offenbar tatsächlich eine hohe Akzeptanz bei Führungskräften aus Genossenschaften. Kritisch wird allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass es eine gewisse Anzahl an Führungskräften in Genossenschaftsbanken, vor allem aber in den kooperativ orientierten Unternehmen des Nichtfinanzsektors gebe, die das Führungsverständnis in „ihren“ Unternehmen mit jenem in anderen, also nicht-genossenschaftlichen Unternehmen gleichsetzten. Mehrheitlich sei eine solche Attributionsneigung laut der berichteten Daten zwar nicht feststellbar gewesen, dennoch ergäben sich hier nach Ansicht der Autor*innen Handlungsimpulse für die praktische Personal- und Vorstandsarbeit (authentisches Vorleben von Führung). Das Verständnis des empirischen Teils der Arbeit dürfte Leser*innen ohne statistische Vorkenntnisse nicht ganz leicht fallen. Allerdings haben sich die Autor*innen erkennbar Mühe gegeben, die entsprechenden Methoden gründlich und anschaulich zu erklären. Eine ausführlichere Vorstellung der inhaltlichen Auswertung auch freier Antworten der befragten Führungskräfte hätte dazu beitragen können, den Ergebnisteil noch „lebendiger“ zu gestalten. Insgesamt handelt es sich um eine überzeugende, sachliche und kritikfähige Monographie. Einer solchen Charakteristik entspricht es auch, dass ein kritisches Hinterfragen mancher der wohl allzu offensiv propagierten Führungsmodelle oder gar „Führungsmoden“ darin nicht ausgespart bleibt. Aufgrund des Ansatzes, einer primär auf Profitmaximierung zielenden Führung das Konzept eines Genossenschaftlichen Leaderships entgegenzustellen, das statt der Konzentration auf den „homo oeconomicus“ den „homo cooperativus“ zur Geltung kommen lasse, dürfte die Monographie auch für an wirtschaftsphilosophischen Fragen Interessierte nützliche und bedenkenswerte Impulse beinhalten.

Fazit

Ausgehend von grundlegenden Überlegungen zur Führung widmet sich die Monographie dem Konzept eines Genossenschaftlichen Leaderships. Die postulierte Eigenständigkeit dieses Konzepts wird insbesondere anhand einer Integration genossenschaftlicher Kernwerte und Partizipationsprinzipien begründet. Der entsprechende Wertebezug konnte empirisch untermauert werden. Die – keineswegs zu Idealisierungen neigenden – Erläuterungen der Autor*innen zu den für Genossenschaftliche Führung wesentlichen Charakteristika eines „homo cooperativus“ in Abgrenzung zu anderen Menschenbildern („homo oeconomicus“ samt vorrangig auf Profitmaximierung fixierter Managementmodelle) sind auch unter einem wirtschaftsphilosophischen und wirtschaftsethischen Blickwinkel von hohem Interesse.

Rezension von
Dr. Ralf Glitza
Studienrat im abg. Hochschuldienst an der Ruhr-Universität Bochum (Institut für Philosophie u. Institut für Germanistik), Arbeits- und Forschungsbereiche u. a.: Philosophiedidaktik und Kulturphilosophie, insb. interkulturelle Philosophie und Ethik
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Zitiervorschlag
Ralf Glitza. Rezension vom 10.11.2021 zu: Viktoria Schäfer, Bernhard Vogt, Thomas Wink, Yvonne Zimmermann: Kennzeichen und Potentiale genossenschaftlicher Führung. Ergebnisse empirischer Erhebungen in Genossenschaftsbanken und Unternehmen mit kooperativ-genossenschaftlichem Hintergrund. Verlag Dr. Köster (Berlin) 2021. ISBN 978-3-96831-014-5. Reihe: Wissenschaftliche Monographien zu Kooperation und Genossenschaft - 1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28772.php, Datum des Zugriffs 07.11.2024.


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