Peter-André Alt: Exzellent!?
Rezensiert von Dr. phil. Kevin-Rick Doß, 25.10.2021
Peter-André Alt: Exzellent!? Zur Lage der deutschen Universität. Verlag C.H. Beck (München) 2021. 297 Seiten. ISBN 978-3-406-77690-8. 24,95 EUR.
Thema
Das vorliegende Werk zeichnet ein Lagebild der deutschen Universität und setzt sich zum Ziel eine genauere Beschreibung ihrer gegenwärtigen und künftigen Aufgaben und Optionen. In den Blickpunkt rücken die institutionelle Verfassung dieser Bildungseinrichtung und damit die Debatten um ihren Zustand seit den 1960er Jahren. Zentraler Angelpunkt ist die Suche nach einer identitätstiftenden „Neubestimmung ihres Eigenbildes“ (S. 230), die sich schließlich bemüht um wissenschaftspolitische Handlungsempfehlungen, welche auf eine „größere Innovationsleistung“ (S. 264) und verbesserte „Organisationsstrukturen“ hindrängen.
Autor
Peter-André Alt, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, ist ehemaliger Präsident der Freien Universität Berlin und seit August 2018 Präsident der Hochschulkonferenz. Zudem wirkte er als Institutsdirektor und Dekan an unterschiedlichen wissenschaftlichen Einrichtungen. Neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen verfasst er seit 2005 publizistische Beiträge zu Themen des Bildungs- und Wissenschaftsbetriebs.
Aufbau und Inhalt
Drei Hauptkapitel ziehen Bilanz, stellen Diagnosen und geben Handlungsanweisungen darüber, wie die deutsche Universität in Zukunft die ihr zugetragenen Aufgaben und Ziele bewältigen könnte.
Das erste Kapitel (S. 11–74), überschrieben mit dem Titel „Die permanente Reform. Umbau der Universität seit 1960“, widmet sich der historischen Entwicklung der Universität und liest dabei auf zahlreiche prominente Stimmen, die sich seinerzeit zur Reformbedürftigkeit dieser Institution einließen. Neben Karl Jaspers Ideen zu einer „geistigen Erneuerung der Universität“ (S. 14), Schelskys eingetretene „Prognose“ der „Ausdifferenzierung der Institutionentypen“, streicht Alt als „überraschend aktuell“ ebenso heraus Georg Pichts bekannte „Warnschrift“ „Die deutsche Bildungskatastrophe“, deren „Klage“ über den „zu geringen Anteil öffentlicher Bildungsausgaben“, defizitäre Ausstattungen, „drohenden Fachkräftemangel, „fehlender Wettbewerbsfähigkeit“ etc. (S. 15) mit Dahrendorf schließlich in konkrete „Handlungsschritte“ (S. 19) mündete, die den „Ausbau der Universitäten in Gang setzte[n]“ (S. 20). Nicht unerwähnt bleiben zudem die Bestrebungen einer „Enthierachisierung des Lehrbetriebs“ seit 1967, Debatten über „akademische Selbstbestimmung“ und die „Politisierung“ wie „Demokratisierung“ der Universität, was allerdings nicht zu einer „nachträglichen Verklärung“ der damaligen Studienbedingungen verleiten solle (vgl. S. 25), da derartige Diskussionen einhergingen mit der „Durchsetzung eigener Weltanschauungen“ (S. 33) als auch „schweren politischen Verwerfungen“, die mit Beginn der 1980er Jahre eine Institution zurückließen, die sich in kleinlichen Auseinandersetzungen erschöpfte und enorme Energien in quälenden Debatten verpulverte“ (S. 37). Das „Freiheitsversprechen“ hingegen hätte tendenziell zur „Gleichgültigkeit“ der Lehrenden gegenüber „ständig wachsenden Seminar- und Übungsgruppen“, zu einem „Scheitern“ etlicher Studierende geführt, „weil sie die Unabhängigkeit (…) nicht wirklich nutzen konnten. Orientierungslosigkeit, Vereinsamung und Überforderung waren häufig die Folgen“, während „zahlreiche Lehrende“ die Lehre als „lästiges Übel“ ansahen. Entsprechend wurden, nach Alt, Seminararbeiten bloß „flüchtig gelesen, Bewertungen und Rückmeldungen blieben aus (…)“ (S. 25). Nach der Wende von 1989/90 reagierten die Reformbemühungen auf „mangelnde Selbstkontrolle und Qualitätsorientierung des auf ständige Expansion angelegten Universitätssystems“ mit „neoliberalen Revisionen“ (S. 48 ff.). Eine „neoliberale Wende“ mit „Licht und Schatten“, die Alt zu würdigen versucht, indem er diverse „Forderungskataloge“ einschlägiger Stimmen herausarbeitet. So trifft der Leser hier u.a. auf eine titelgebende Metapher von Detlef Müller-Böling zur „entfesselten Hochschule“ aus dem Jahre 2000. Laut Alt handelt es sich auch darum um ein „Standardwerk der neoliberalen Hochschulkonzeption“ (S. 51), da dort das „Wettbewerbsmodell (…) den Charakter eines zentralen Prinzips“ erhalte. Durch „Organisation“ solle verhindert werden, „dass Autonomie zu Willkür“ gerate – ein „Konzept der Organisationsautonomie“ also, „das die Freiheit der Institution durch das Erreichen bestimmter Ziele beschränkt“ (S. 53). Implementiert wurde ein „zweckgebundener Begriff von Autonomie“ entlang eines „internen Mittelvergabesystems“, was finanzielle Zuwendungen zunehmend von „Leistung“ abhängig macht. Dahinter stecke ein auf Effizienz und Wirkung zielendes „Steuerungsmodell“ mit einer arithmetischen Logik. In diesem Sinne würde „gute Lehre“ bedeuten, „dass mit einem möglichst überschaubaren Finanzeinsatz ein hoher Erfolgsgrad bei der Studienplatznachfrage, der Minimierung von Abbrecherzahlen und den Abschlussquoten erreicht wird“ (S. 56). Auf Seiten der Forschung wird die Drittmittelbewirtschaftung immer wichtiger, was Alt mit Zahlen belegt, um hinzuweisen auf die Bedeutsamkeit von „Antragsagilität“ und „Versprechen auf die Zukunft“: sog. Kompetenzen, die im neoliberalen Konzept „belohnt“ werden (vgl. S. 64). Auch mit Blick auf permanente Evaluationen, womit Hochschulen zum Objekt der „Dauerbeobachtung“ reduziert sind, werden zwar erhebliche Ressourcen gebunden, aber mit zweifelhaftem Output, da diese „keineswegs zu einer Verbesserung“ führen (S. 68). Dennoch hätte die „Drittmittelabhängigkeit“ auch etwas gutes für sich, „weil sie (…) einen lange fehlenden gemeinsamen Spirit erzeugt. Fast könnte man von einem intellektuellen Sportsgeist sprechen, der Teambildung unterstützt, Arbeitsvorgänge zusammenführt und den Austausch vorantreibt“ (S. 102).
Die Universität des 21. Jahrhunderts sei zu einer „komplett vermessenen und ausgezählten Einrichtung geworden, mit gefährlichen Effekten für ihre eigentliche Mission in Lehre und Forschung“, und so fragt Kapitel zwei folgerichtig, was eigentlich von Humboldt übrig geblieben sei (S. 75 ff.). Sein Bildungskonzept, das Alt skizziert, nehme Bildung nicht als Mittel zum Zweck, sondern als „Medium für intellektuelle Haltungen“ (S. 83). Dabei ginge Humboldt von einer „dialektischen Beziehung zwischen Lehre und Forschung“ aus, beides sei ineinander enthalten und bestimme sich „wechselseitig“, worauf ebenso Schelling und Schleiermacher hingewiesen hatten (S. 78 f.). Letztlich habe Humboldt eine „Trias aus Konzentration, Autonomie und Kooperation“, ein „kunstvolles Balancesystem“ geschaffen (S. 80), das mit den dahinter stehenden „Ideen“ von Einsamkeit, Freiheit und Persönlichkeitsbildung als „intellektuelles Korrektiv“ dienen könne, um „annäherungsweise“ „das Desiderat eines nicht-utilitaristischen Bildungsmodells“ zu sichern (S. 90). Über Themen der Spezialisierung der Fächer (S. 90 ff.) – derzeit beläuft sich die Gesamtzahl der angebotenen Studienprogramme auf fast 20.000 (S. 94) –, „Führungsparadoxien“ (S. 103 ff.) und die Streit- und Debattenkultur (S. 133 ff.) kommt der Autor erneut auf die „Gute Lehre“ zu sprechen und konstatiert, das „akademischer Unterricht (…) durch eine exakte Vorgabe von Themen, Qualifizierungszielen und Prüfungsformen festgelegt sei“, eine, so Kritiker, „Einschränkung universitärer Freiheit“, wogegen Alt aufwartet, dass sich gerade eine „Vergleichbarkeit der Leistungsstandards“ nur durch Regeln schaffen ließe (S. 133), wodurch auch „wilde Improvisation, manisches Monologisieren oder unsystematisches Assoziieren“ keinen Platz hätten. Der „ununterbrochene Lehrvortrag“, so Alt, und sich bei Schleiermacher vergewissernd, verfehle die Zuhörer, weil er sie überfordere (S. 138). Als Negativbeispiele angeführt werden die Lehrveranstaltungen von Hegel, Adorno, Planck und Einstein, die allesamt ihre Lehre „überwiegend monologisch“ angelegt hätten (S. 136). Dem entgegen wird konstatiert: In Zeiten der Massenuniversität müsse die Qualität der Lehre eben anders „als durch die Verheißung unbedingter Freiheit gesichert werden“ (S. 136). Entsprechend stark macht sich der Skribent für „die Berücksichtigung der Lehre bei Zielvereinbarungen“, „Lehrwettbewerbe“ oder Prozesse, die die „Lehrleistungen“ als „Karrierefaktor“ in den Mittelpunkt rücken. Dazu denkt er modifizierte Akkreditierungsverfahren an, die auf die „konkrete Umsetzung“ von „Standards“ „in einzelnen Veranstaltungen“ hinwirken, um den „Grad der Ergebnissicherung“ besser organisieren zu können (S. 142). Das Hauptkapitel schließt unter Aufnahme von Max Weber mit Problembeschreibungen zur „verwalteten Wissenschaft“ und resümiert, dass die Administration im Zentrum der Wissenschaften stünde, „indem sie ihre Prozesse unter dem Gesetz der Antragsrationalität organisiert“ (S. 156).
Kapitel drei wägt im Titel „Risiken und Chancen für die Universität“ ab und fragt zunächst nach dem Wachstum der Hochschulen als Problem. Laut Statistischem Bundesamt sei zwischen 1995 und 2015 die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger von 261.427 auf 506.580 gestiegen. Ebenso wuchs zwischen 1990 und 2016 der Anteil der Hochschulen von 232 auf 619 (S. 161). Dazu überbieten sich die Hochschulen mit „Selbstbeschreibungen“ und „Mission statements, ein trauriges Gemisch von Schlagwörtern ohne klaren Programminhalt“. Eine „spezifische Identität“, die Alt in dem gesamten Buch als Desiderat ausgibt, ließe sich daraus nicht ableiten. Quantitative Zielvorgaben sowie der globale Wettbewerb stünden dem entgegen (vgl. S. 163). An die Frage, wie viel Wachstum eigentlich gut sei (S. 165), schließen sich anerkennende Ausführungen an über Handlungsfelder der Fachhochschulen, dabei Anja Karliczek einflechtend mit dem Ausspruch, „das Land der Dichter und Denker benötige wieder mehr ‚Tüftler und Bastler’“ (S. 176). Auch die „Promotionskultur“ mit ihren „unerwünschten Nebeneffekten“ (S. 190) erfährt ebenso Beachtung wie die nicht gerade aussichtsreichen Berufsperspektiven des akademischen Mittelbaus (vg. 201 ff.). Zum ersten Punkt wird kritisch angemerkt, dass die „Entwicklung der Neugierde als Erkenntnisprinzip“ nicht mehr geachtet würde, die akademischen Nachrücker zunehmend „auf die Instrumente des Selbstmanagements durch Kommunikation, Vermarktung und Vernetzung orientiert“ verwiesen seien (S. 198). Der zweite Aspekt bringt den schlichten Vorschlag ins Spiel, dass alle, die mit einer „wissenschaftlichen Karriere“ liebäugeln, „ehrliche Beratung und Sensibilisierung für persönliche Risiken“ benötigen. Daher seien „klare Orientierung und illusionslose Information unabdingbar“ (S. 205). Nach einer vergleichenden Perspektive der deutschen Hochschullandschaft mit Harvard, Oxford, Cambridge etc., wo auch nicht alles Gold ist, was glänzt (vgl. S. 210–228), bringt der Autor den Begriff der „‚Multiversität’“ ins Spiel, wobei u.a. „Vielfalt“ das programmatische Stichwort ist, worunter die Wissenschaft selbst und die Suche nach Wahrheit fällt. Mit Rückgriff auf Luhmann wird die „wissenschaftliche Haltung“ als eine festgeschrieben, „die erkennt, dass alles, was ist, durchaus anders sein könnte; sie produziert also (…) nicht nur neues Wissen, sondern zugleich neues Nicht-Wissen“ (S. 242), eine Herausforderung also einer „beschleunigten Zunahme der Wissensbestände“, auf die die Universität als „organisierte“ zu reagieren hätte. Mit Blick auf 180.000 Zeitschriften, „in denen jährlich 2,4 Millionen Artikel erscheinen“, ginge es verstärkt auch darum, „wie man [der] unüberschaubare[n] Informationsmassen Herr“ würde. „Wissenschaftliche Erkenntnis“ benötige den Schulterschluss mit „Organisationsfähigkeit, Auswahlkompetenz und Urteilsvermögen – sämtlich Qualitäten, die auch im Management von Bedeutung sind“ (S. 256).
Diskussion
In Anbetracht einer Vielzahl an Stimmen nicht nur aus dem akademischen Mittelbau, die auf die schlechten Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft hinweisen, scheint es müßig (wenn auch notwendig), immer wieder zu Problembeschreibungen anzusetzen, die die Wirklichkeit von Ausbeutung und prekärer Existenz oftmals nur verdoppeln. Sicherlich wären die von Alt ausgeführten ‚Herausforderungen’ weiter zu bespielen mit den Fragen, was u.a. Dauerbefristung im Menschen anrichtet, inwieweit materielle Unsicherheit, Unzumutbarkeiten für die eigene Familie sowie Dauerbewerbungen, „Antragsagilität“ und Bewerbungsgespräche, sofern man überhaupt zu solchen eingeladen wird, an die gesundheitliche Substanz gehen. Dass diese nicht ganz neuen Abnutzungserscheinungen, als neoliberale Zurichtung seit etlichen Jahren schon prominent verhandelt, wissenschaftliches Denken buchstäblich zerstreut, individuelle Potentiale, auch „Neugier“ killt, mag man in Anlehnung an Schumpeter und zugunsten der Wettbewerbsordnung, in deren Horn hier, trotz Kritik, ebenfalls fleißig geblasen wird, zynisch als „Reibungsverluste“ abtun, die wohlfeil – und bei Bedarf mit einer Berufsinformationsbroschüre versehen – in die jeweilige Eigenverantwortlichkeit hineinbeordert werden, wo Druck und Last sich potenzieren, Kritik an den Ursachenzusammenhängen sich ermattet aushängt. Die mitunter gängige Praxis, sich unter Verleugnung des eigenen „intellektuellen Gewissens“ (L. Feuerbach) an das jeweilige Profil des neuen Arbeitgebers anzupassen, um an eine Bestallung auf Zeit zu gelangen, ließe sich vielleicht ebenfalls als Kollateralschaden bezeichnen. Aufgrund des hohen Ressourceneinsatzes von Hochschulverwaltungen und -personal bei Neu- und Wiedereinstellungen wäre nichtsdestoweniger lohnenswert zu erfahren gewesen, wie stark eigentlich der stumme Zwang der Wettbewerbsordnung die finanziellen Haushalte konkret belastet und ob ‚Output’ und zeitökonomische Investition nicht in einem irrationalen Verhältnis zueinander stehen.
Darauf die Forderung nach höheren Bildungsausgaben zu satteln würde allerdings nur an den Erscheinungsformen, d.h. Distributionsverhältnissen kratzen, mitunter weitere „unverdauliche Wissenssteine“ produzieren, die, nach Nietzsche, „ordentlich im Leibe rumpeln“. Eine Irritation, ja, wenngleich es jenseits dieser arithmetischen Denkweise ein offenes Geheimnis ist, dass ‚gehaltvolle’ Forschung (und Lehre) oftmals nicht wegen, sondern trotz des Universitätsbetriebs statthat, was nicht mit Rekurs auf das Humboldtsche „Konzept“ zu verengen ist. Allein dieses als „wirkliches Gegengewicht“, als „Anspruchshorizont“ anzuführen, an dem sich der „neoliberale Pragmatismus“ messen lassen müsse (S. 90), macht eine Logik deutlich, die implizit davon ausgehen muss, dass die „Ideen“ irgendwo schon in Wirklichkeit gesetzt wären. Sie benötigt einen falschen Anfang, der das Humboldtsche Ideal als bereits Geleistetes unterstellt, um es hinterher argumentationslogisch einzuholen. Derart ist es als verdinglichtes schon vorausgesetzt, und nur darum lässt sich eine Annäherung desselben an die Universitätswirklichkeit (oder umgekehrt) vollziehen. Damit kommt insofern etwas Falsches ins Spiel, als eine Versöhnung der Humboldtschen Freiheit und Einsamkeit der selbstständigen Person mit der Bildungsrealität schon stattgefunden hat, und zwar unter der Prämisse argumentationslogischer Stringenz. Den „Anspruchshorizont“ derart zu gewichten zeugt nicht mehr von einer konkreten Utopie, sondern von einem Argument, es schlicht auszusprechen als hinreichende Bedingung dafür dient, dass der Anspruch sich mittelfristig realisieren könnte. Der immer noch bestehende Bruch, der sich der eigenen Empfindung aufdrängt in der Vermutung, dass da etwas schief liegt, wird unbewusst nivelliert und damit anerkannt, positiviert, was durch den trügerischen Begriff der Annäherung sich verrät. Trügerisch: weil er dort Trost spendet, wo immer noch objektiver Widerspruch herrscht.
Die Universität ermöglicht letztlich nur noch Vollzug, was Klaus Heinrich zu der Bemerkung veranlasste, der Kampf mit den „psychotischen Verhältnissen“ heute könne nicht mehr als Repräsentanten dieser Institution ausgesprochen werden, „sondern nur noch als einzelne, der Gattung verantwortliche Wissenschaftler“. Diese Aussage hat etwas sehr Vertracktes. Dahinter steckt zum einen der Befund jener „reflexionslosen Institution“, die, nach Heinrich, administrative Planung zum neuen „Fortschrittsderivat“ mache, das, so ließe sich aktualisieren, nun durch das Leitmotiv der ‚Organisation’ ersetzt wurde, an dem Wissenschaft wie Studierende ihren Zusammenhang finden sollen. Davon zeugen Marketingbegriffe wie „spirit“, „Vielfalt“ oder „Pluralität“ des Wissens und „Nicht-Wissens“ (s.o.), die davon absehen, ob und inwieweit vermeintlich neue Forschungsergebnisse eigentlich hinter bereits gewonnene Erkenntnisse – nicht bloß bezüglich sog. Klassiker – zurückfallen. Probleme der zügellosen Wissensakkumulation, die nicht neu sind und im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bereits verhandelt wurden. Die Publikationsflut kann und soll nicht mehr gesichtet oder reflektiert, vielmehr (und mutmaßlich durch Algorithmen?) geordnet und organisiert werden. Eine erneuerte Verdinglichungsform der „Einübung in die Katastrophe“, da hier, zum anderen, eine Dispensierung des Bewusstseins von Kritik und Aufklärung legitimiert (und über Prüfungsordnungen honoriert) wird, die überdies vom Marxschen Imperativ, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, entlastet. Die Stellung des Bildungsbewusstseins zur gesellschaftlichen Objektivität kommt auf den versteinerten Standpunkt zur jeweiligen Organisationseinheit herunter, wo alles, was das Subjekt in mündiger Absicht anfasst, vergeblich erscheint. Um diesen Gedankengang mit Adorno weiter auszuführen: mit Hilfe der „organisierten Universität“ (s.o.) wird der „Konflikt gegen die unreglementierte Einsicht entschieden“ (und weiter erhärtet), und wo das geschieht, „kann es zur Dialektik der Bildung, zum inwendigen Prozess von Subjekt und Objekt gar nicht kommen, den man im Humboldtschen Zeitalter konzipierte“. Diese Bewusstseinsblockade bildet sich ab in der „Dialektik von Forschung und Lehre“, die Alt, sich in eine schlechte Tradition stellend, als „Wechselwirkung“ simplifiziert. Adorno, den die Invektive auf das Monologisieren (ohnehin wohl nur rhetorisches Mittel zur Stärkung des eigenen Arguments) nicht trifft, wie mitunter die jüngst von Dirk Braunstein herausgegebenen Sitzungsprotokolle belegen dürften, greift in einer einschlägigen Rede das Moment der „Spontaneität“ auf, „ein Moment einer Aktivität, die nur dann möglich ist, die nur dann substantiell ist, wenn man auch glauben kann, dass man aus dieser Aktivität heraus selbst etwas Entscheidendes leistet“. Es ginge also darum, „sich etwas einfallen zu lassen, an den Dingen etwas zu sehen, sich etwas aufgehen zu lassen, was nicht schon da war“, um „die Fähigkeiten des Einfalls, des An-den-Sachen-etwas-Sehens“ zu entwickeln, was durch das Mittel-Zweck denken verhindert wird. Damit ist kein willkürliches Assoziieren (s.o.) gemeint, sondern die bedeutsame Aufgabe angetippt, wie Didaktik mit einem Vermittlungsbegriff korrespondieren könnte, der die gesellschaftlichen Bedingungen von Erkenntnis und Wissen einbegreift. Dies stünde konträr zu einer „konformistisch organisierten Lehre“, in der die Lehrenden „austauschbar“ sind, da hier, und darauf weist auch Gerhardt Stapelfeldt hin, das Subjekt „Moment des Erkenntnisobjekts“ ist und sich „mit diesem verändert“. Erkenntniskritisch heißt das konkret: das, was unerkannt vorausgesetzt und „ausgesprochen“ ist, lässt sich entlang der kapitalistisch geprägten Subjektkonstituierung wahrnehmbar machen, wozu es eben Lehre braucht. Dass ‚die’ Studierenden so unselbstständig gar nicht sind, packte man sie an ihrem Erkenntnisinteresse und machte man deutlich, wodurch sich ihre Unmündigkeit gesellschaftstheoretisch begründen ließe: an dieser auch über die Fächergrenzen hinweg relevanten Einsicht hätte eine Diskussion über die sog. Aufgaben der Universität erst anzusetzen, statt die Wettbewerbslogik, wie von Alt vorgeschlagen, weiter auf die Lehre auszuweiten, womit er, notwendig unbewusst, endgültig die Axt an der ohnehin schon desavouierten Lehrfreiheit anlegt.
Die Floskel von der Beliebigkeit des freien Assoziierens schlägt wieder zurück, macht sich manifest in der Beliebigkeit pseudoliberaler „Vielfalt“, wo es keine oder eben viele Wahrheiten geben soll. Abgesehen von der schlichten Realität, dass Vorlesungen durchaus nicht pauschal auf mechanische Stoffvermittlung geeicht sind oder sein müssen, denn jede Lesung, wusste schon Sainte-Beuve zu berichten, liefert ihren eigenen Kommentar mit, woran Kritik und Diskussion sich entfachen können, ist über die „gesellschaftliche Funktion“ der Hochschule (S. 264) und ihre Eigenlogik hinaus zu denken. Dazu gehören lange schon betriebene und immer wieder aktualisierte Ausführungen darüber, wie die „Organisationsform des Wissens“ auf „objektive Erfahrungen und Klassenlagen gleichermaßen bezogen“ ist (Rolshausen). – Analysen über gesellschaftliche und durch die Kapitallogik forcierte Reproduktionszusammenhänge, die nicht einfach als „Weltanschauung“ (S. 33) wegzuwischen sind. Zudem bedürfte es einer weiter reichenden Begriffsklärung über „Identität“ selbst. Dass es unter den gegebenen Bedingungen eben nicht so leicht ist, zu sich selbst zu kommen, da zwischen der Wirklichkeit und dem, was als Wissenschaft darüber gedacht wird, eine kapitalistisch vermittelte Nichtidentität existiert: dies lässt sich ebenso wenig unter dem Firmament finanzieller Sachzwänge abhandeln wie mit einer janusköpfigen Haltung gegenüber einer Institution bewältigen, die Kritik einebnet und produktiv, d.h. systemkonform verarbeitet, ohne eine substantielle Verbesserung der Arbeits- und Denkbedingungen derjenigen zu hinterlassen, die als Lohnarbeitende, Ausgesteuerte oder Studierende ihre Kritikfähigkeit und Selbstbestimmung weiterhin am Kompetenz- und Effizienzdenken abschleifen müssen.
Fazit
Mit dem aktuellen Buch von Peter-André Alt erhält der Leser einen Überblick in die Funktions- und Organisationsweise der deutschen Universität seit 1960. Es handelt sich hier um einen instruktiven Debattenbeitrag über notwendige Reformen der Hochschullandschaft, der eine Vielzahl von Stimmen integriert wie kritisiert. Trotz aller ehrlich gemeinter Bekundungen zum Humboldtschen Ideal: „Radikal realitätsgerecht“ (Stapelfeldt) zeigen sich die Beschreibungen des Autors überall dort, wo berechtigte Einwände gegen Wettbewerb und Exzellenzgebaren vom Standpunkt der Wettbewerbslogik aus unternommen werden.
Rezension von
Dr. phil. Kevin-Rick Doß
Mailformular
Es gibt 14 Rezensionen von Kevin-Rick Doß.
Zitiervorschlag
Kevin-Rick Doß. Rezension vom 25.10.2021 zu:
Peter-André Alt: Exzellent!? Zur Lage der deutschen Universität. Verlag C.H. Beck
(München) 2021.
ISBN 978-3-406-77690-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28816.php, Datum des Zugriffs 14.10.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.