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Martin Staats (Hrsg.): Resilienz im Alter

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 21.01.2022

Cover Martin Staats (Hrsg.): Resilienz im Alter ISBN 978-3-7799-6317-2

Martin Staats (Hrsg.): Resilienz im Alter. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. 312 Seiten. ISBN 978-3-7799-6317-2. D: 34,95 EUR, A: 35,90 EUR.

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Thema

Mit Bezug auf klassische Resilienzkonzepte geht der Sammelband auf biografische und soziale strukturelle Protektivfaktoren bei älteren Menschen ein. Fokussiert werden insbesondere psychische Erkrankungen, Übergangsbelastungen und weitere Krisensituationen bei denen unterschiedliche Ebenen von Resilienz diskutiert werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Fragen, was ältere Menschen angesichts von Krisen und Belastungen widerstandsfähig macht und wie Resilienz bei Lebensälteren gestärkt werden kann.

Herausgebende und Entstehungshintergrund

Die Herausgeber lehren Soziale Arbeit an der IU Internationalen Hochschule Erfurt (Prof. Dr. Martin Staats) und als Geschäftsführer des Landesseniorenrats Thüringen (Jan Steinhaußen). Der Herausgeberband versammelt Beiträge verschiedener Autor*innen aus Praxis, Lehre und Forschung, die sich z.T. seit Jahren mit den Themenbereichen Resilienz, u.a. Klaus Fröhlich-Gildhoff (siehe z.B. Rezension https://www.socialnet.de/rezensionen/8004.php), Lernprozessen lebensälterer Menschen, u.a. Prof. Dr. Bernhard Schmidt-Hertha (vgl. Rezension https://www.socialnet.de/rezensionen/17460.php), oder assoziierten Themen wie Sterben und Tod, Dr. Tim Krüger (vgl. Rezension https://www.socialnet.de/rezensionen/23455.php) beschäftigen.

Aufbau und Inhalt

Der Herausgeberband ist neben einer Einleitung des Herausgebers Jan Steinhaußen und den Autor*innenangaben in die vier Abschnitte

  • Einleitung
  • Entwicklungsaufgaben
  • Grundlegung
  • Resilienz im Kontext individueller Bewältigungsressourcen
  • Resilienz und Gesellschaft

mit jeweils unterschiedlichem Umfang gegliedert.

Einleitung

Ausgehend von den psychosozialen und ökonomischen Auswirkungen der Coronapandemie beschreibt Herausgeber Jan Steinhaußen die besonderen Anforderungen und Belastungen für lebensältere Menschen, die als Teilgruppe der Gesellschaft von der Pandemie und den staatlichen Reaktionsformen betroffen waren (und sind), wobei sich allerdings unter diesem speziellen Fokus generelle Fragen nach der Widerstandsfähigkeit und -kraft dieser Alterskohorte stellen. „Fehlt es diesen und besonders auch alten Menschen, die an ihrer Lebenslage nur noch wenig ändern können, in der Krise an Resilienz? Wäre sie eine Antwort auf Fragen der Lebensbewältigung in dieser Zeit?“ (8). Unter Verweis auf die gängigen Resilienzkonzeptionen (Fähigkeit positiver Lebensbewältigung trotz widriger Umstände) nimmt Steinhaußen vor allem vulnerable Personen in der Gruppe der Älteren in den Blick, altern und Alter erscheinen hier als pathologischer Zustand, dem durch Ressourcenaktivierung begegnet werden kann. Allerdings wird die Limitierung von Zeit und Gesundheit auch als Ausdruck der menschlichen Existenz definiert, Resilienz als Ausdruck der Fähigkeit mit Limitierungen gleich welcher Art umgehen zu können, sie ggf. zu akzeptieren und zu integrieren. Als wichtiger Bezugspunkt wird hier bereits der Prozesscharakter des Resilienzkonzepts benannt: Widerstandsfähigkeit und -kraft entstehen im biografischen Verlauf, in der Überwindung schwieriger Lebensabschnitte, in der Bewältigung von Anforderungen und Belastungen über die gesamte Lebensspanne hinweg. Resilienz im Alter erscheint so als Rückbesinnung und Bezugnahme auf diese Kraft.

Entwicklungsaufgaben

Der erste Abschnitt fokussiert unter dem Begriff der „Entwicklungsaufgaben“ auf die mit dem Alterungsprozess und einem tatsächlich höheren Lebensalter verbundenen Aspekte der psychischen Entwicklung im Alter und psychischen Erkrankungen in diesem Lebensabschnitt, deren Epidemiologie, den damit verbundenen Risiken und Auswirkungen. Die psychische Situation Lebensälterer ist von Aspekten wie Bilanzierung, Integration und Akzeptanz unter dem Eindruck der letzten Lebensphase gekennzeichnet, eine dynamische Situation, die von Verletzlichkeit und Potenzialität geprägt ist. Altersspezifische psychische Störungen können als Ausdruck der weiter voranschreitenden psychischen Entwicklung als auch als Hinweis auf Verarbeitungs- und Anpassungsgrenzen erscheinen, psychische Störungen i. e. S. treten dabei bei rund einem Fünftel der über 65-jährigen auf, wobei affektive Störungen, Angststörungen und demenzielle Prozesse dominieren, daneben sind häufig Suchtprobleme beschrieben (etwa 15 % der über 60-jährigen mit riskantem Konsumprofil).

Grundlegung

Der Abschnitt umfasst lediglich einen Text von Klaus Fröhlich-Gildhoff und Maike Rönnau-Böse (beide haben als Autor*innenteam breit zum Resilienzthema publiziert), der ausführlich das Konzept der seelischen Widerstandsfähigkeit in seinen theoretischen Zugängen und auf Grundlage empirischer Erkenntnisse beschreibt. Resilienz wird hier als Widerstandsfähigkeit (gegenüber Stressoren und Bewältigungsaufgaben) und Kompetenzbündel im Umgang mit kritischen Lebenssituationen, Anforderungen und Belastungen definiert. Resilienz ist dabei als Konstrukt gedacht, das charakteristische Merkmale aufweist, das dynamisch, interaktiven (Individuum-Umwelt-Interaktion), prozesshaft (Lebensphasenabhängig), variabel (dynamische Ausprägungsgrade je nach Lebenssituation), situationsspezifisch (bereichsspezifische Widerstandsfaktoren, Antwort auf spezifische Anforderungen) und multidimensional gestaltet ist. Der Text verweist auf die – umfangreiche- Grundlagenliteratur und die empirischen Erkenntnisse zum Resilienzkonzept.

Resilienz im Kontext individueller Bewältigungsressourcen

Das mit elf Beiträgen umfangreichste Kapitel erschließt einige Themenbereiche, die im Zusammenhang von Alterungsprozessen, Bewältigungsformen, Bildungsansätzen und Transformationsprozessen von Bedeutung sind. Es finden sich u.a. Hinweise zur Resilienz und Gesundheitsförderung (mit umfangreichem Hinweis auf Antonovskys Salutogenesemodell), die Social-Support-Theorie (Soziale Einbettung als äußerer Rahmen innerer Widerstandsfähigkeit), Bildungs- und Achtsamkeitsfokussierte Beiträge der Resilienzförderung (etwa im Rahmen von Biografiearbeit, Integrationsstrategien und Ressourcenreaktivierung) oder Ansätze aus Philosophie (Selbstsorge und -annahme) und Psychologie (Selbstliebe und Selbstfürsorge im Kontext der positiven Psychologie, v.a. mit Bezug auf Martin Seligmann). Zwei weitere Beiträge gehen auf Aspekte ein, die in späteren und späten Lebensphasen als nicht veränderbar erscheinen: erlittene Traumata in früheren Lebensphasen und die Begegnung mit Abschied, Sterben und Tod. Die Texte hierzu propagieren die Integration der damit verbundenen Zumutungen, Belastungen und Aufgaben in die Lebensführung älterer Menschen, was einen unverstellten Umgang (>Über den Tod reden<) voraussetzt. Die Grundlagen der in diesem Kapitel versammelten Beiträge werden durch Praxisbeispiele, weiterführende Literatur oder empirische Befunde ergänzt und illustriert.

Resilienz und Gesellschaft

Das letzte Kapitel bezieht die Resilienzperspektive, die als Konzept seelischer Widerstandskraft auf intraindividueller Ebene angesiedelt ist auf die gesellschaftliche Dimension. Erste Konsequenz der Erkenntnisse aus Resilienz und Alter muss eine alter(n)sgerechte Sozialplanung sein, die Schaffung von Rahmenbedingungen und Infrastruktur, die ein widerstandsfähiges Altern ermöglichen bzw. fördern. Mit Bezug auf soziologische Theorien (u.a. Hartmut Rosa, 2016) erfolgt die Bezugnahme auf Aspekte der Integration und Teilhabe, der sozialen Einbettung, die von Kommunikation geprägt ist, welche in beide Richtungen zwischen altem Mensch und Umgebung/Gesellschaft weist. Gemeinschaft versteht sich in diesem Ansatz als aktive, dynamische Begegnung der unterschiedlichen Altersgruppen, wodurch Isolation und Ausgrenzung überwunden werden können. Der letzte Text erschließt die kritische Perspektive auf das Resilienzkonzept und hinterfragt das Konzept der Widerstandsfähigkeit und gelingenden Lebensführung im Kontext von Alterungsprozessen als (weiteren) Baustein einer Selbstoptimierungstendenz, welche die Autorin (Stefanie Graefe) als weit verbreitetes Phänomen in unserer durch Krisen gekennzeichneten Welt ausmacht.

Zielgruppe des Buches

Alle Berufsgruppen, die sich mit der Frage der Resilienzförderung bei lebensälteren Menschen beschäftigen.

Diskussion

Das Resilienzkonzept bezieht sich in der klassischen Anwendung auf Förderung der kindlichen Resilienz oder die Ressourcenaktivierung vulnerabler Gruppen. Resilienz bei lebensälteren Menschen wurde dabei weitgehend übersehen, was angesichts der biografischen Situation älterer Menschen verwundert. Abhängig vom Lebensalter sind Schutzfaktoren und Resilienzbereiche erarbeitet bzw. „erworben“ worden und treffen im Alter auf eine Reihe spezifischer Herausforderungen, Anforderungen und Zumutungen. Gleichzeitig eröffnet die Perspektive älterer Menschen neue Betrachtungsmöglichkeiten und Bewertungsprozesse, etwa in der Konfrontation von nicht (mehr) veränderbaren biografischen Ereignissen und Prozessen oder in der Begegnung mit Abschied, Sterben und Tod. Hier setzt der Sammelband von Martin Staats und Jan Steinhaußen an und erschließt die relevanten theoretischen und empirischen Beiträge zum Resilienzkonzept. Diese werden in einem zweiten Schritt auf konkrete Fragestellungen und Zusammenhänge hin ausformuliert, wobei spezifische Belastungsaspekte und Anforderungen, die mit Altern und Alter verknüpft sind, aufgegriffen werden. Dabei fällt die Publikation nicht in die Pathologisierungsfalle, die Alter als krankhaften Zustand, als Abnahme von Fähigkeiten und Zunahme von Krankheit und Behinderungen definiert, sondern eröffnet eine Perspektive des Alter(n)s als Chance der Integration und positiver Bilanzierung angesichts der Endlichkeit unseres Lebens. Resilienzförderung erscheint damit als Arbeitsansatz jenseits von Therapie und Pflege, eröffnet hier sein Potenzial als präventiver und reflektierender Ansatz im konkreten Fall und in definierten (Alters)gruppen. Die gesellschaftliche Perspektive wird schließlich im letzten Abschnitt des Buches aufgegriffen, indem Alter als Herausforderung und Chance für die gesellschaftliche Entwicklung aufgegriffen wird. Die Gruppe der lebensälteren Menschen ist indes längst eine feste Größe in einer „alternden Gesellschaft“. Spannend und inhaltlich angemessen wäre die Ausformulierung von Resilienzförderungsprojekten mit spezifischen Zielgruppen (älterer Menschen), etwa psychisch kranken Älteren, stark marginalisierten Gruppen wie obdachlose Menschen, der Bereich der Straffälligenhilfe oder das Arbeitsfeld der Palliativversorgung und Hospizarbeit.

Fazit

Ein theoretisch und empirisch bestens fundierter Handwerkskasten für die Praxis der Resilienzförderung bei und mit lebensälteren Menschen. Ein zentrales Werk für eine resilienzorientierte Haltung in der Arbeit mit der Zielgruppe, das die theoretischen Grundlage, empirischen Befunde, konkrete Themenbereiche und Aufgabenstellungen sowie die gesellschaftliche Dimension der Resilienzförderung im höheren Lebensalter erschließt. Den Herausgebern sind zahlreiche Folgeauflagen zu wünschen, die dann auch Raum für die Beschäftigung mit spezifischen Zielgruppen bieten können.

Literatur

Rosa, H. (2016). Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung. Frankfurt: Suhrkamp

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 180 Rezensionen von Gernot Hahn.

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ISSN 2190-9245